[ Home ] [ Nach oben ] [ Zurück ] [ Weiter ]
Störungen des Unterrichts
- Ein Orientierungsrahmen zum Thema -
Übersicht
1.0 Thesen zu einem Orientierungsrahmen
2.0 Begriff und Verständnis
3.0 Fünf zentrale Ursachen für Unterrichtsstörungen
4.0 Interpretation von Unterrichtsstörungen
4.1 Sechs Ansätze zur Deutung von
Unterrichtsstörungen
4.2 Diagnose von
Unterrichtsstörungen
5.0 Beeinflussung von Unterrichtsstörungen
5.1 Grundregeln
5.2 Maßnahmen
5.3 Konzepte
6.0 Vorbeugung
6.1 Grundsätzliches
6.2 Verbesserung des Lernmilieus
6.3 Verbesserung der Gruppendynamik
7.0 Zusammenfassung und Ausblick
Bei Interesse
empfiehlt es sich, diese umfangreiche Webseite auszudrucken.
1.0 Thesen zu
einem Orientierungsrahmen
Dieser Baustein dient dazu, zentrale
Gesichtspunkte des Themas übersichtlich und komprimiert
vorzustellen. Diese haben den Charakter von Thesen.
Die folgenden Ausführungen sind deswegen knapp gehalten und und beschränken sich immer
wieder auf stichwortartige Andeutungen. Die einzelnen Aspekte werden jedoch auf
eigenen Webseiten jeweils ausgeführt, vertieft und ergänzt. Die den Thesen
zugrunde liegende Literatur wird auf der Webseite Literaturgrundlage"
nachgewiesen.
2.0 Begriff und
Verständnis
Im allgemeinen Sprachgebrauch, aber auch
in der herkömmlichen Fachliteratur ist der Begriff Disziplinschwierigkeiten"
üblich. Er sollte nicht verwendet werden, weil er eine bestimmte Wertung enthält. Statt
dessen wird im Anschluss an Rainer WINKEL empfohlen, von
Unterrichtsstörungen" zu sprechen; Begriffe benennen nicht nur eine
Wirklichkeit, sondern interpretieren sie zugleich.
Hier geht es nicht darum, Störungen des
Unterrichts zu verurteilen, sondern zu verstehen und so deren sach- und
situationsgerechte Bearbeitung zu erleichtern.
Unterrichtsstörungen
- liegen vor, wenn Lehr- und Lernprozesse
unterbrochen werden, stocken, abrupt enden, sinnlos oder inhuman werden;
- sind ein vom einzelnen Individuum in
vielen Fällen nicht zu verantwortender Sachverhalt und bis zu einem gewissen Grade
normaler Bestandteil des Schulalltags;
- sind in den wenigsten Fällen lediglich
situativ verursacht, sondern stammen oft aus einem vielschichtigen Tiefenbereich;
- sind häufig Mitteilungen; der
Störende will
o Aufmerksamkeit erregen,
o Mängel vertuschen,
o Überlegenheit gewinnen,
o Vergeltung oder Rache üben,
o Zuneigung und Liebe erhalten.
Zurück zur Übersicht
3.0 Fünf
zentrale Ursachen für Unterrichtsstörungen
Unterrichtsstörungen werden durch
zahlreiche und oft ineinander verwobene Sachverhalte verursacht. Zu nennen sind vor allem
1. die veränderten
Gegebenheiten in der Kindheit:
Wirkung der neuen Medien, Konsumdenken, häufiges Fehlen von Geschwistern, häufige
Konflikte in der elterlichen Partnerschaft, Tendenz zu überzogenem Leistungs- und
Konkurrenzdenken;
2. die veränderten Gegebenheiten
in der Jugend:
frühere individuelle Selbständigkeit bei längerer wirtschaftlicher Abhängigkeit,
mangelnde Zukunftsperspektiven, tägliche Konfrontierung mit Zeichen der allgemeinen
Krise, Sinnarmut, Fehlen eines Werthorizontes, materielle Orientierung der Erwachsenen;
3. der veränderte
Generationenkonflikt:
undramatischer Verlauf, resignierter Rückzug der Eltern, Abbruch der Kommunikation;
4. Schwierigkeiten mit
Lehrerrolle und -autorität:
Konfliktstruktur der Lehrerrolle, einseitiges Aufgaben- und Rollenverständnis
(Überidentifikation mit einzelnen Rollenaspekten bzw. deren Verweigerung), Autorität und
Authentizität, Vertrauensverlust.
5. Leistungsbeurteilung:
Noten als Gefährdung des Selbstwertgefühls, als Zuteilung und Verweigerung von
Lebenschancen, als Machtmittel und Disziplinierungsinstrument.
Vertiefungen dazu finden Sie auf der
Webseite "Disziplin".
Zurück zur Übersicht
4.0
Interpretation von Unterrichtsstörungen
Alltagstheorien - sog. implizite
Persönlichkeitstheorien" - betrachten das Verhalten eines Menschen als konstant,
durchschaubar und vorhersehbar. Ihre Deutungen sind sinnfällig und überzeugend,
gelegentlich treffen sie auch zu. Sie führen oft zu Fehleinschätzungen, weil sie zu
unzulässigen Verallgemeinerungen und unangemessenen Vereinfachungen verleiten.
Alltagstheorien
bieten sich im Zusammenhang mit den Mechanismen der Sozialen Wahrnehmung"
gerade auch Lehrern an, wenn sie mit Unterrichtsstörungen konfrontiert werden. Zum
Verständnis und zur Bearbeitung von Konflikten sind jedoch Distanz und Selbstkontrolle
notwendig. Sie setzen Verständnis und differenzierte Deutungsmöglichkeiten
voraus.
Zurück zur Übersicht
4.1 Sechs
Ansätze zur Deutung von Unterrichtsstörungen
Abweichendes oder störendes Verhalten
eines Schülers kann bedingt sein ...
1.
individualpsychologisch:
... durch individuelle psychische Merkmale.
Systematische Befragung aller Beteiligten, psychologische Tests erforderlich.
2. sozialpsychologisch:
... durch die sozialen Beziehungen in Schule und Familie.
Befragung der Eltern und Lehrer erforderlich.
3. kommunikationstheoretisch:
... durch die kommunikativen Beziehungen zu Eltern und Lehrern.
Wie sieht sich der Schüler im Verhalten seines Gegenübers gewürdigt?
4. lerntheoretisch:
... durch das, was er gelernt/nicht gelernt hat.
Lernen" bezeichnet hier die erfolgreichen Wirkungen eines - meist unbewussten -
Verhaltens sowie die Rückwirkungen, die dieses Verhalten bekräftigen: operantes
Konditionieren, Lernen am Erfolg".
5. soziologisch:
... durch die gesamtgesellschaftliche Situation sowie schichtenspezifische, strukturelle
und soziale Bestimmungselemente seiner Familie.
6. didaktisch:
... durch die Merkmale des Unterrichts.
Unterricht" bezeichnet hier alle in Schule und Unterricht auftretenden
Faktoren.
Gegenstand der Reflexion sind die Gestaltung des Unterrichts und das Lehrerverhalten.
Die dargestellten Sachverhalte sind
analytisch zu verstehen. In der Realität treten nie isoliert auf. Im Übrigen machen sie
es notwendig, Unterrichtsstörungen zu diagnostizieren und zu untersuchen.
Eine detaillierte Darstellung finden Sie
auf der Webseite "Unterrichtsstörungen sind
Erziehungskonflikte".
Zurück zur Übersicht
4.2 Diagnose
von Unterrichtsstörungen
4.21 Sechs Stufen des
alltäglichen Diagnostizierens
Ungeschultes bzw. unreflektiertes -
alltägliches" Diagnostizieren durchläuft meist sechs Stufen; sie werden
benannt, um ihre Vermeidung zu erleichtern.
- Wahrnehmen,
- Schließen auf Dahinterliegendes (z.T.
bereits während des Wahrnehmens),
- Konsequenzen für das Verhalten des
Lehrers,
- Wahrnehmung und Interpretation des
Lehrerverhaltens durch den Schüler,
- Konsequenzen für das Verhalten des
Schülers,
- Überprüfung und Stabilisierung der
Erwartungen des Lehrers.
Mithin handelt es sich um einen
Kreisprozess, der dem Lehrer am Ende das bestätigt, was er von Anfang an
wusste".
Zur Trennung von Wahrnehmen und
Interpretieren eignen sich die beiden folgenden Analysekataloge.
4.22 Sechs Schritte für die
Analyse von Störungen
- Subjektive Situationsschilderungen aller
Beteiligten,
- Einnehmen der Beobachterperspektive zum
Erkennen bislang übersehener Sachverhalte
(Tonbandaufzeichnungen, Heranziehung eines Dritten),
- Formulierung und Überprüfung einer
Hypothese,
- Zielbestimmung,
- Suche nach geeigneten
Handlungsmöglichkeiten,
- Erfolgskontrolle durch Wiederholung der
vorangeganenen Schritte.
Eine detaillierte Darstellung finden Sie
auf der Webseite "Die Diagnose von
Problemsituationen".
4.23 Sechs Fragen für die
Analyse von Störungen
- Lässt sich die Störung eingrenzen?
Verstöße gegen Regelungen, Provokationen, akustische oder visuelle Dauerstörungen,
Lernverweigerung ...
- Wer empfindet das jeweilige Verhalten als
störend?
Lehrer, Schüler, Dritte ...
- Störungsrichtungen?
Störungen gegen Personen, Objekte, Normen
- Störungsfolgen?
längere Unterbrechung, allgemeine Verstimmung ...
- Ursachen eher im
schulisch-unterrichtlichen Bereich?
lehrerzentrierter Unterrichtsstil, angstbesetzter Schulalltag ...
- Ursachen eher im psychisch-sozialen
Bereich?
Lehrer-Schüler-Interaktion, familiärer Hintergrund, peer group pressure"
Eine detaillierte Darstellung finden Sie
auf der Webseite "Gestörter Unterricht".
4.24 Sieben Schritte zur Lösung
von Interaktions-Problemen
Diethelm WAHL (2002, S.
238) empfiehlt im Anschluss an WAHL-MUTZECK (1990 S. 54 ff. eine Problemlösemethode, mit
deren Hilfe Interaktionsprobleme systematisch bearbeitet werden können. Sie besteht aus
sieben Schritten (bzw. neun Schritten, Mutzeck 1999, S. 86 ff.):
- Beschreibung des Problems aus der Sicht
der Rat suchenden Personen,
- Wechsel in die Perspektive des
Kontrahenten,
- Analyse des Problems,
- Entwickeln einer Zielsetzung,
- Erarbeitung von Handlungswegen,
- Entscheidung für eine
Handlungsmöglichkeit,
- Planung der konkreten Umsetzung.
LZurück zur Übersicht
5.0 Beeinflussung
von Unterrichtsstörungen
Zunächst zwei Nachrichten - eine
schlechte und eine gute:
Es gibt keine
Patentrezepte,
aber eine Vielzahl von Handlungsmöglichkeiten.
5.1 Grundregeln
Für den erfolgreichen, mindestens jedoch
konstruktiven Umgang mit Unterrichtsstörungen lohnt sich die Beachtung folgender
Grundregeln:
- Nicht alles persönlich nehmen.
- Nicht impulsiv, sondern besonnen - nach
kurzem Nachdenken - reagieren.
- Mit Sicherheit falsche Reaktionsweisen
bewusst vermeiden.
- Humorvoll und damit menschlich souverän
reagieren.
Das bedeutet im Konfliktfall:
- Konflikte nicht als eigenes Versagen
erleben,
sondern als strukturell bedingte Tatsache akzeptieren.
- Störung beschreiben und analysieren,
- Störung gemeinsam untersuchen.
- Zum Verlernen unerwünschten Verhaltens,
zum Aufbau erwünschten Verhaltens beitragen.
Zurück zur Übersicht
5.2 Maßnahmen
Lehrer sollten sich auf pädagogische
Möglichkeiten beschränken. Psychotherapeutisch orientiertes Vorgehen mag im Einzelfall
angezeigt sein, bleibt jedoch Fachkräften vorbehalten. Lehrer sind keine Therapeuten.
5.21 Umgang mit Lerngruppen
Die folgende Aufstellung nennt Beispiele
für Maßnahmen, die sich für die Beeinflussung von Lerngruppen eignen.
Pädagogische
Maßnahme |
Funktion |
Bewusstes
Ignorieren |
unerwünschtes
Verhalten nicht verstärken |
Zeichen
geben |
bereits
gelerntes Verhalten verstärken |
Entspannen
der Situation durch Humor |
Entkrampfung |
Umgruppierung
der Schüler |
Reizbeseitigung |
intellektuelle
Argumentation |
ernst
nehmen, aufklären |
vorbeugendes
Hinausschicken |
abreagieren
lassen, Verhütung von Schlimmerem |
physische
Einschränkungen |
Vermeidung
von Ablenkungen |
Verbote |
Grenzmarkierung |
Versprechungen |
Hoffnungen
wecken, ermutigen |
Belohnungen |
Anerkennung,
Freude, Dank zeigen |
Strafe
im Sinne von Wiedergutmachung |
Resozialisierung |
Alle diese Maßnahmen haben Vor- und
Nachteile in Abhängigkeit von der jeweiligen Situation.
Eine detaillierte Darstellung finden Sie
auf der Webseite "Gestörter
Unterricht".
5.22 Das klärende Gespräch
Bei Konflikten mit einzelnen Schülern
kann es nützlich sein, ein Gespräch zu führen. Dabei ist zu beachten:
Gespräche in Konfliktfällen sind oft
durch einen Doppelcharakter geprägt: Versuch, den Sachverhalt zu klären und gleichzeitig
den Schüler zu beeinflussen.
Statt dessen empfiehlt es sich, ein klärendes
Gespräch zu führen, und zwar in drei Stufen:
- Den Hintergrund des Konflikts in
verständnisvollem, von Vorwürfen
und Drohungen freiem Gespräch ermitteln,
- Lösungswege zusammenstellen und bewerten,
- die brauchbarste Lösung erproben.
Ein klärendes Gespräch ist
- kein Verhör,
- keine Anklage,
- keine Beichte,
- keine Belehrung.
Detailliertere Anregungen für die Gestaltung solcher
Gespräche finden Sie auf der Webseite
"Das klärende Gesprach".
Zurück zur Übersicht
5.3 Konzepte
Nur erwähnt werden können in dieser
Übersicht die folgenden wichtigen Konzepte für die Bearbeitung von
Unterrichtsstörungen. Sie werden auf eigenen Webseiten vorgestellt.
- Themenzentrierte Interaktion
TZI
Die TZI sichert die Balance im Dreieck von Ich (Individuum) - Wir (Gruppe) - Es (Thema)
durch Axiome, Postulate und Hilfsregeln. Sie fördert insbesondere Authentizität und
Sensibilität der Mitglieder einer Gruppe
- Konstanzer Trainingsmodell
KTM
Das KTM ist ein komplexes Programm kollegialer Zusammenarbeit, das die
Wahrnehmungsfähigkeit vertieft und die Handlungsfähigkeit erweitert.
- Mediation
Mediation nutzt und stärkt verantwortliches Handeln und Selbstkompetenz der Schüler.
- Verhaltensmodifikation
Störendes Verhalten wird als Ergebnis von Lernen betrachtet. Lernen"
bezeichnet hier - wie oben dargestellt - die erfolgreichen Wirkungen
eines meist unbewussten Verhaltens sowie die Rückwirkungen, die dieses Verhalten
bekräftigen: operantes Konditionieren, Lernen am Erfolg". Nach demselben
Mechanismus kann es auch verlernt werden.
Zurück zur Übersicht
6.0 Vorbeugung
Unterrichtsstörungen lassen sich auch in
vielen Fällen durch vorbeugendes Verhalten vermeiden.
6.1
Grundsätzliches
- Raum für nicht lernzielbezogene
Befindlichkeiten lassen,
- Kompromisse eingehen,
- Störungen thematisieren, bevor sie akut
werden,
- eindeutig, durchschaubar und konstant und
konsequent handeln,
- Freundlichkeit und Bestimmtheit
miteinander verbinden.
6.2
Verbesserung des Lernmilieus
- Die Schüler ernst nehmen,
- sie in ihren Stärken bestätigen,
- sie bei der Überwindung ihrer Schwächen
unterstützen,
- ihre Lernmotivation fördern,
- Langeweile vermeiden.
6.3
Verbesserung der Gruppendynamik
- Für ein positives emotionales Klima,
- gegenseitiges Akzeptieren,
- eindeutige Normen,
- für konstruktive Bewältigung von
Konflikten sorgen,
- den Gruppenfocus aufrechterhalten,
- Aktivitäten fördern,
- Außenseitertum und Cliquenbildung
entgegenwirken,
- Wichtiges von Unwichtigem unterscheiden
können.
In diesem Zusammenhang verdienen themenzentrierte Interaktion (TZI) und Mediation
besondere Aufmerksamkeit.
Zurück zur Übersicht
7.0
Zusammenfassung und Ausblick
Eine gute Arbeitsatmosphäre ist nicht
Selbstzweck, sondern zentrale Bedingung für produktiven Unterricht. Letztlich erweist sie
sich als die Leistung des zu erziehenden Individuums selbst -
Selbstbeherrschung aus
eigener Einsicht.
Der überkommene und nicht
unproblematische Begriff der 'Disziplin' kann im Sinne von Selbstdisziplin, also
als Selbstbeherrschung, für ein zeitgemäßes pädagogisches Handeln
wiedergewonnen werden. Selbstdisziplin erarbeitet sich das Individuum, indem es sich von
den Widerständen löst, die die Bildungsgegenstände setzen.
Dazu bedarf es jedoch eines Ordnungsrahmens,
der zunächst vom Unterrichtenden gewährleistet werden muss
und darüber hinaus durch
- personale Bindung (für jüngere
Schüler),
- argumentative Erläuterung,
- rationale Diskussion (für ältere
Schüler).
begründet werden muss.
Vertiefungen dazu finden Sie auf Webseite
"Disziplin" - Begriff, Problem, Verständnis
.
[ Zurück zur
Übersicht ]
[ Home ] [ Nach oben ] [ Zurück ] [ Weiter ]
Ausgearbeitet von: Dr. Manfred Rosenbach -
letzte Änderung am: 15.01.08
- |