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Ungestörten Unterricht
gibt es nicht
- Thesen zu einer Fiktion -
1.0 Einführung
Unterrichtsstörungen aller Art und oft
erheblichen Ausmaßes sind Realität. Für deren Diagnose, Interpretation und Bearbeitung
gibt es unterschiedliche Ansätze. Oft klingt in ihnen die Grundauffassung an,
ungestörter Unterricht sei der Normalfall, Störungen seien eine Abweichung,
die alsbald behoben werden müsse und könne.
Doris Bosse und Rudolf Messner
(1987) halten dem entgegen, im Unterricht seien unterschiedliche Sinnerfahrungen
als ein unabweislich vorhandenes Störpotential wirksam. Sie fassen ihren
Standpunkt in vier Thesen zusammen.
Diese Thesen werden hier vorgestellt,
denn sie eignen sich in einem schwierigen pädagogischen Aufgabenfeld als
Orientierungshilfe
und Ermutigung,
vielleicht sogar als
Leitlinie für didaktisches und erzieherisches Handeln.
2.0 Vier Thesen
1. |
Unterricht hat, seiner
Funktion gemäß, ein primäres Ziel, das nicht aufgegeben werden darf: Die Energie der Schüler für eine gemeinsame
sinnvolle Themenarbeit zu gewinnen.
Ebenso wenig darf sich Schule von dem
Bemühen abbringen lassen, die Inhalte durch die Person von Lehrern anziehend
und bedeutsam werden zu lassen - Unterricht als Identifikationsangebot. |
2. |
Zugleich muss den Schülern
Raum für oft beträchtliche nicht lernzielbezogene Befindlichkeiten gelassen
werden: Akzeptieren der realen Sinndifferenzen im Unterricht. |
3. |
Ziel des Lehrers muss es
sein, zwischen diesen beiden mehr oder wenige 'weit auseinanderfallenden Bedeutungswelten
Kompromisse zu finden. Lehrer sollten also in der Regel nicht so sehr individuelle
Abweichungen aufspüren und beseitigen wollen. Ihre Energie sollten sie vielmehr darauf
konzentrieren, immer wieder mit den Schülern ein Bündnis im Sinne einer gemeinsam
bedeutsamen Inhaltsarbeit zu suchen.
Zu einem gelingenden Unterricht gehört es auch, von seinen Schülern Energie in den
Themenverlauf zurückzuholen. Das kann durch stets neu ansetzendes Einfühlen in die
Erfahrungen und Motive geleistet werden, die Schüler zum Mitmachen stimulieren. |
4. |
Erst wenn ein solches
Arbeitsbündnis misslingt und der Sinn des Unterrichtsgeschehens untergraben ist,
wird es vordringlich, Störungen zu thematisieren, und zwar auch dann, wenn sie nicht von
selbst akut werden.
Wenn also im Unterricht keine gemeinsam förderliche Bedeutungsbildung mehr stattfindet,
muss die Störung vom Lehrer angesprochen werden. |
Literaturnachweis
Der vorstehende Text ist die -bearbeitete - Wiedergabe des Schlusspassus aus dem Aufsatz
von
Doris Bosse und Rudolf Messner
Über die didaktische Fiktion eines »Ungestörten Unterrichts«
in:
Unterrichts-Störungen
Dokumentation, Entzifferung, Produktives Gestalten, S. 106 f.
Friedrich Jahresheft V, Velber 1987, Verlag Friedrich
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Ausgearbeitet von: Dr. Manfred Rosenbach -
letzte Änderung am: 15.01.08
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