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Diagnose von Problemsituationen

1.0 Alltägliches Diagnostizieren

Jeder Lehrer verfügt über eine Vielzahl von Möglichkeiten, Sachverhalte zu erfassen und auf dieser Grundlage Entscheidungen zu treffen.
     Für den professionellen und erfolgreichen Umgang mit Störungen in der Unterrichts- und Erziehungsarbeit sind jedoch Verfeinerungen und Systematisierungen des bereits vorhandenen diagnostischen Repertoires notwendig.

Sechs Stufen alltäglichen Diagnostizierens

Grundlage des alltäglichen Diagnostizierens ist die Gesamtheit des Schülerverhaltens in allen seinen Aspekten und Ergebnissen.

1. Wahrnehmung
Kein Lehrer vermag die Gesamtheit des tatsächlichen Schülerverhaltens wahrnehmend zu erfassen. Was der Lehrer im Einzelnen beobachtet, hängt eng mit seinen eigenen Auffassungen, Zielen, Absichten zusammen, ebenso auch, was er nicht wahrnimmt.
Wahrgenommen wird vor allem, was entweder im Einklang oder im Gegensatz zu diesen steht.
2. Schließen auf „Dahinterliegendes"
Verhalten wird nicht oder kaum neutral registriert, sondern schon unmittelbar während der Wahrnehmung interpretiert. Die Interpretation ist für die Handlungsfähigkeit grundsätzlich notwendig; da sie sich meist durch Schlüssigkeit auszeichnet, lassen sich ihre Irrtümer nicht ohne weiteres erfassen.
3. Schlüsse haben Folgen für das Verhalten des Lehrers
Grundsätzlich wird somit das Verhalten von Lehrern weniger von genauem Beobachten und sorgfältiger Analyse gesteuert, sondern durch eingeschliffene Erklärungsmuster und kurzschlüssiges Abschätzen möglicher Folgen.
4. Schüler nimmt das Lehrerverhalten wahr und interpretiert es
Diese Mechanismen gelten umgekehrt auch für die Art und Weise, wie Schüler das Verhalten ihrer Lehrer wahrnehmen und interpretieren.
5. Schlüsse haben Folgen für das Verhalten von Schülern
Verhalten, Handeln und Leistungen von Schülern orientieren sich unbewusst nicht selten an den Erwartungen und Verhaltensweisen des Lehrers - sie werden zu dem, als der sie gesehen werden.
6. Überprüfung und Stabilisierung der Erwartungen des Lehrers
Durch diesen Prozess sehen sich Lehrer immer wieder in ihren Erwartungen bestätigt. Das von ihnen angebahnte Schülerverhalten bestätigt sich in Form eines Kreisprozesses selbst.

2.0 Diagnostizieren - Teil pädagogischer Problemlösungen

Schulische Schwierigkeiten kann man als die Sachverhalte verstehen, die sich nicht im Rahmen routinierten, alltäglichen Verhaltens bewältigen lassen. Ihre Bewältigung bedarf vielmehr besonderer Vorgehensweisen und rechtfertigt im Einzelfall Aufwand und Anstrengungen.

Sechs Schritte für die Analyse von Unterrichtsstörungen

Die folgenden Schritte sind eine Möglichkeit, die spontane und nicht selten irrtümliche Interpretation von Störungen zu ersetzen und einen Weg zu ihrer Überwindung sichtbar zu machen.

1. Subjektive Situationsschilderungen
Die Beteiligten stellen mündlich und/oder schriftlich dar, wie sie eine Störung erleben.
2. Einnehmen der Beobachterperspektive
Entweder beobachtet ein Dritter auf Grund bestimmter Verabredungen, oder es wird eine Tonband- bzw. Videoaufzeichnung angefertigt. Auf diese Weise können Sachverhalte namhaft gemacht werden, die dem Lehrer selbst bislang entgangen sind. Daneben sind Verfahren der Selbstbeobachtung möglich.
3. Formulieren einer Hypothese und deren Prüfung
Ohne den unmittelbaren Handlungsdruck der Situation kann auf der Grundlage von Beobachtungen eine Hypothese formuliert, erörtert und geprüft werden.
4. Zielbestimmung
Um die Störung zu beheben, ist es nunmehr festzulegen notwendig, welches Ziel erreicht werden soll.
5. Suche nach geeigneten Handlungsmöglichkeiten
Auf dieser Grundlage werden Handlungsmöglichkeiten gesucht und geplant, z.B. didaktische oder verhaltensbezogene.
6. Erfolgskontrolle
Für eine Erfolgskontrolle eignen sich im Grundsatz die vorstehend beschriebenen Schritte.

Sieben Schritte zur Lösung von Interaktions-Problemen

Ähnlich konzipier ist ein Verfahren, das Diethelm WAHL (2002, S. 238)  im Anschluss an WAHL-MUTZECK (1990 S. 54 ff.) empfiehlt. Es besteht aus sieben Schritten (bzw. neun Schritten,   Mutzeck 1999, S. 86 ff.):

  • Beschreibung des Problems aus der Sicht der Rat suchenden Personen,
  • Wechsel in die Perspektive des Kontrahenten,
  • Analyse des Problems,
  • Entwickeln einer Zielsetzung,
  • Erarbeitung von Handlungswegen,
  • Entscheidung für eine Handlungsmöglichkeit,
  • Planung der konkreten Umsetzung.

3.0 Zwei einfache Hilfen bei der Analyse von Störungen

Oft verhindern Zeitnot und Handlungsdruck ein aufwendiges Vorgehen der dargestellten Art. Dennoch können zwei einfache, jederzeit mögliche Maßnahmen dazu beitragen, Schwierigkeiten zu überwinden.

1. Subjektive Situationsschilderungen
Sie sind, wie oben dargestellt, eine Möglichkeit, übersehene, aber wichtige Aspekte in die Betrachtung einzubeziehen. Ferner sind sie der erste Schritt zu einer distanzierteren Betrachtung, die den Lehrer aus seiner Betroffenheit löst, vielleicht sogar erlöst.
2. Perspektivenwechsel
Versetzt man sich gedanklich in die Lage des/der Schüler/s, so gewinnt man erstens Distanz zum Vorgang und vermeidet zweitens vorschnelle Schuldzuschreibungen. Eine Gegenüberstellung verschiedener Perspektiven können Ziele und Empfindungen der am Konflikt Beteiligten sichtbar machen; deswegen sollten die Perspektiven der Beteiligten systematisch untersucht werden.

Beide Maßnahmen regen, miteinander kombiniert, zu zahlreichen, meist verschiedenen Vermutungen an und können in eine Verbesserung der Situation einmünden.

Ausgearbeitet im Anschluss an

  • Diethelm WAHL - Franz E. WEINERT - Günter L. HUBER
    Psychologie für die Schulpraxis
    München 1984, S. 271 ff.

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Ausgearbeitet von:     Dr. Manfred Rosenbach -        letzte Änderung am: 15.01.08
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