Disziplin Übersicht Bei Interesse empfiehlt es sich, diese umfangreiche Webseite ausdrucken. 1.0 Der Problemhorizont In der schulpädagogischen Literatur wurde bis vor einiger Zeit vorwiegend der Begriff Disziplin verwendet. Folglich wurde von Disziplinschwierigkeiten gesprochen, wenn Mängel in der Arbeitshaltung und dem Verhalten von Schülern erörtert werden sollten. Im Anschluss an kritische und emanzipatorische Positionen, wie sie - vor allem seit Ende der sechziger Jahre - vielfach formuliert wurden, geriet das Wort Disziplin zum Inbegriff einer autoritären Haltung; es wurde abgelehnt und aus ideologischen Gründen aus dem Sprachgebrauch aufgeklärter Pädagogen verbannt. Das Problem blieb. Realistische Beobachter des Unterrichts und der in ihm auftretenden Schwierigkeiten haben inzwischen einen sehr differenzierten Sprachgebrauch entwickelt. Das ist deswegen zu begrüßen, weil die Wortwahl nicht belanglos ist. Jeder Begriff vertritt eine bestimmte Sichtweise und beschreibt die Realität nicht nur, sondern interpretiert sie auch. Für die Einzelheiten wird auf Ernst CLOER, 1982 a, S. 168, und die dort vorgestellten Begriffe nebst ausführlichem Literaturverzeichnis verwiesen. 1.1 Störungen des Unterrichts Zu den positiven Ergebnissen der hier skizzierten Entwicklung gehört auch die Einsicht, dass Disziplin kein Selbstzweck, sondern eine zentrale Bedingung für produktiven Unterricht ist (vgl. Ernst CLOER, 1982 a, S. 28). Disziplinschwierigkeiten erweisen sich bei dieser Betrachtungsweise als Störungen des Unterrichts. Insbesondere Rainer WINKEL hat diesen Standpunkt in mehreren eindrucksvollen Veröffentlichungen vertreten. Seine Vorschläge zu Untersuchung und Behebung von Unterrichtsstörungen sind hilfreich (vgl. dazu die Webseite Gestörter Unterricht"). Die Aufgabe der Schule ist nicht auf Vermittlung von Wissen beschränkt. Darum sind Disziplinschwierigkeiten auch in dem weiteren Rahmen der Erziehung zu betrachten. Insbesondere Walter BÄRSCH, 1978, hat deswegen den Begriff Erziehungskonflikte eingeführt; seine Gesichtspunkte zu Entstehung, Bewertung und Behebung von Erziehungskonflikten ermöglichen ein vertieftes Verständnis der Problematik (vgl. dazu die Webseite Unterrichtsstörungen sind Erziehungskonflikte"). 1.2 Disziplin - Wiedergewinnung eines Begriffes? Seit einigen Jahren ist zu beobachten, dass der Begriff Disziplin wieder nüchterner gesehen und wegen seiner erzieherischen Bedeutung gleichsam rehabilitiert wird. Für diese Entwicklung ist vor allem auf die Arbeiten von Ernst CLOER hinzuweisen; der nachstehende Text stützt sich auf seine Darlegungen, insbesondere seinen Aufsatz von 1987. Neuerdings schreibt Werner HEISTERBERG im Editorial des Friedrich Jahresheftes 2002:
Bernhard BUEB, Leiter der Internatsschule Schloss Salem, betont, die Jugendlichen selbst hätten ein Recht auf Disziplin und darauf, dass sie Lehrer und Mitschüler respektieren (Chrismon 6/2005, S. 32). 1.3 Der Begriff Disziplin und seine Bedeutungsebenen Damit ein begründeter Standpunkt gewonnen werden kann und sinnvolle Handlungsmöglichkeiten sich entwickeln lassen, scheint es nützlich, sich zunächst der Bedeutung des Wortes und der Entfaltung seiner Bedeutungsebenen zu vergewissern. Das lateinische Wort disciplina
hängt mit dem Verbum discere - lernen - zusammen. Das Zusammenkommen zum Lernen, zu Unterricht und Unterweisung. Daraus ergeben sich mehrere Bedeutungserweiterungen:
Diese Begriffsgeschichte lässt deutlich erkennen, dass zwischen Lehrendem und Zögling eine komplementäre Beziehung besteht, die den Zögling im Wesentlichen auf eine passiv-gehorsame Haltung beschränkt. Die Aufklärung erweitert jedoch den
Begriff der Disziplin um eine wesentliche Dimension.
Er schreibt ferner:
Disziplin wird somit als Selbstdisziplin, als Selbstbeherrschung aus eigener Einsicht verstanden. Sie erweist sich als eine Leistung, die das Individuum durch eigene beharrliche Anstrengung erbringt, und ist somit stets an Selbstachtung gebunden. 1.4 Versuch einer Definition und deren Begrenztheit CLOER, 1987, S.310, fasst das gängige Verständnis von Disziplin in folgender Definition zusammen: Der Begriff Disziplin verweist einmal auf den Grad der Ordnung in einem Sozialgebilde, sodann auf die Maßnahmen und Mittel, mit denen Ordnung in einem Sozialgebilde hergestellt" wird. Disziplin wird dabei primär als Leistung eines disziplinierenden Subjekts verstanden. Die definierte Absicht des reibungslosen Ablaufs von Unterricht setzt Disziplin weithin gleich mit äußerer Verhaltensreglementierung und bleibt damit im Vorhof des Pädagogischen.
Damit ist sie zugleich ein wesentliches Element von Emanzipation. Vertiefungen dazu finden Sie auf der Webseite Autonomie - Mündigkeit - Emanzipation". 1.5 Folgerungen Innere Disziplin bzw. Selbstdisziplin gewinnt das Individuum, indem es die Widerstände abarbeitet, die die Bildungsgegenstände setzen. Um das zu leisten, ist es auf handlungsverbindliche Ordnungsrahmen angewiesen. Diese Ordnungsrahmen müssen begründet werden, und zwar durch
2.0 Konsequenzen für die Praxis des Unterrichts 2.1 Die schulische Wirklichkeit Disziplinschwierigkeiten sind ein gleichsam integraler" Bestandteil der schulischen Wirklichkeit; sie treten bei den meisten Lehrern auf. Ein Lehrer, der sie erlebt, ist und wird davon betroffen" im unmittelbaren wie im übertragenen Sinne des Wortes. Das Bewusstsein der Betroffenheit hängt ferner auch damit zusammen, dass jeder Lehrer - unabhängig von seinen Fähigkeiten - in die Disziplinschwierigkeiten seiner Schüler einbezogen ist. Disziplinschwierigkeiten treten aus zahlreichen objektiven Gründen auf, unabhängig von der Verantwortung des einzelnen Lehrers. Diese Tatsache ist für die seelische Gesundheit eines jeden Lehrers wichtig, vor allem jedoch für seine Handlungsmöglichkeiten und deren Entfaltung bedeutsam. Ursachen für Disziplinschwierigkeiten
sieht CLOER vor allem in fünf Problembereichen;
2.21 Kindheit Die Kindheit wird durch eine Fülle von Faktoren bestimmt, die im Vergleich mit früheren Generationen neu sind. Deren Nennung ist auch dann, wenn ihre Problematik offenkundig ist, keine kulturkritische Bewertung, sondern lediglich die Beschreibung von in der Wirklichkeit vorhandenen Tendenzen. Aufzuführen sind vor allem die Wirkung der neuen Medien (Fernsehen, Video, Computer und Computerspiele), Kaufen und Verbrauchen, Fehlen elementarer Erfahrungen in der unmittelbaren Lebensumwelt, das zunehmende Fehlen von Geschwistern, die zunehmende Häufigkeit von Partnerschaftskonflikten der Eltern. Zu erwähnen ist ferner die Tendenz zu weitgehender Verplanung und zu überzogenem Leistungs- und Konkurrenzdenken. Das alles
2.22 Jugend Für das Jugendalter charakteristisch ist frühere individuelle Selbständigkeit (in sexuell-erotischer, sozialer und politischer Hinsicht) bei längerer wirtschaftlicher Abhängigkeit; das mindert das Selbstwertgefühl und beeinträchtigt den Aufbau einer stabilen Identität. Depressivität greift um sich, weil viele Jugendliche keine Möglichkeit einer Zukunftsperspektive sehen - Folge von Isolation in Familie und Gesellschaft -, zugleich jedoch täglich mit den Symptomen einer tief gehenden Krise (Arbeitslosigkeit, Kriegsangst, Umweltproblematik) konfrontiert werden. Sinnarmut und materielle Orientierung der Erwachsenen enthalten den Jugendlichen notwendige Orientierungshilfen vor, machen sie anfällig für Drogenkonsum und seelische Verführung durch Sekten. Das alles führt - bei erheblichen Unterschieden im Einzelnen - zum Schwinden der Anstrengungsbereitschaft und der inneren Disziplin. 2.23 Der Generationenkonflikt Der Generationenkonflikt war früher durch heftige Konfrontationen, Widerstände und Ablösungskrisen gekennzeichnet. Er verläuft jetzt eher undramatisch. Eltern ziehen sich resignativ zurück, weil sie ihren Kindern nichts mehr zu sagen haben oder zu sagen wagen. Jugendliche leben an ihren Eltern vorbei. Sie suchen nicht mehr die Opposition und Auseinandersetzung, sondern brechen die Kommunikation einfach ab. 2.24 Schwierigkeiten mit der Lehrerrolle und der Lehrerautorität Wir Lehrer sind in diesen Wandel der Generationenbeziehung einbezogen. Er ist vor allem durch Vertrauensverlust gekennzeichnet. Hinzukommt, dass die im Kern verständliche Abwehr überflüssiger Herrschaft" Begriff und Funktion der Autorität ausgehöhlt hat. Versteht man den Begriff Autorität in seinem ursprünglichen Sinne als Einfluss und Wirkung kraft Persönlichkeit, so wird deutlich, wie wichtig Selbstsicherheit, geistige Überlegenheit, soziale Kompetenz, Engagement für den Beruf, unabhängiges Denken, Standfestigkeit, Wachheit und Geistesgegenwart, nicht zuletzt Authentizität" (TAUSCH und TAUSCH) als Elemente einer überzeugenden Lehrerpersönlichkeit, einer Autorität", sind. Empirische Befunde sprechend dafür, dass Schüler nicht kumpelhafte und nachgiebige Anbiederung eines eigentlich nicht erwachsenen Lehrers wünschen, sondern den ernst zu nehmenden Widerpart einer vollgültigen Persönlichkeit brauchen. Zuwendung sowie Verständnis einerseits und begründeter erzieherischer Anspruch andererseits schließen einander dabei keineswegs aus. Mithin ist es im Hinblick auf das Thema wichtig, dass Lehrer Zugang zur Lehrerrolle gewinnen und die Lehrerautorität nicht als negativ besetzt empfinden, sondern als konstruktiv erleben und gestalten. Vertiefungen zu dieser Thematik finden Sie auf der Webseite "»Autorität« - Anmerkungen zur Rehabilitierung eines verfemten Begriffs". 2.25 Leistungsbeurteilung Die vielschichtige Problematik der Leistungsbewertung kann hier nicht entfaltet werden, doch ist auf einen für das Thema wichtigen Aspekt hinzuweisen den Zusammenhang zwischen Leistungsbewertung und Selbstwertgefühl der Schüler. Wenn Schüler die Leistungsbewertung als Machtmittel und Disziplinierungsinstrument erleben, leidet das Vertrauen. Aggressionen, viel häufiger noch Regressionen (Rückzug, durch Angst begründete Inaktivität, Resignation) sind die Folge. Wenn Sie dieser Thematik nachgehen wollen, wählen Sie die Themenübersicht auf der Webseite "Kontrolle und Beurteilung des Lernerfolgs". 3.0 Folgerungen und Maßnahmen 3.1 Folgerungen Aus den vorstehenden Ausführungen ergeben sich zwei wesentliche Folgerungen.
Diese Folgerungen begründen eine zugleich realistische und optimistische Haltung, die Lehrer zu Disziplinschwierigkeiten einnehmen sollten. 3.2 Maßnahmen Aus den vorstehenden Ausführungen folgt auch, dass es keinen rezeptartigen Katalog zuverlässig wirksamer Einzelmaßnahmen geben kann. In mehr oder minder großem Umfang lässt sich jedoch Disziplinschwierigkeiten vorbeugen. Treten sie dennoch auf, so können sie durch geeignetes Verhalten des Lehrers eingedämmt werden. Insbesondere kommt es darauf an, Disziplinschwierigkeiten
Detaillierte Vorschläge und Anregungen für die Verwirklichung dieses Konzeptes können hier nicht vorgetragen werden. Sie finden jedoch unter dem Stichwort Handlungsnotwendigkeiten - Handlungsmöglichkeiten" Webseiten, die ins einzelne gehende Vorschläge für die Praxis machen. Darüber hinaus wird auf das Lehrbuch von WAHL - WEINERT - HUBER verwiesen, das eine Fülle brauchbarer und bewährter Anregungen für den Umgang mit normalen" Disziplinschwierigkeiten enthält. 4.0 Literaturnachweis
Inzwischen (September 2006) gibt es eine bemerkenswerte "Streitschrift", die ein erfahrener Schulpraktiker und -leiter verfasst hat. Sie wird (September 2008) durch eine weiteres Buch ergänzt:
Ein zentrales Kapitel des Buches "Lob der Disziplin" können Sie hier nachlesen:
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Übersicht ] Ausgearbeitet von: Dr. Manfred Rosenbach -
letzte Änderung am: 03.09.18 |