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Unterrichtsstörungen sind Erziehungskonflikte

1.0 Der Problemhorizont

Der herkömmliche Begriff „Disziplinschwierigkeiten" enthält bereits eine Interpretation. Darum ist es konstruktiver, im Anschluss an Rainer WINKEL von Störungen des Unterrichts zu sprechen. Sie lassen sich am ehesten dann bearbeiten, wenn sie nicht lediglich als Oberflächenphänomene gesehen werden. So hat WINKEL deren Mitteilungscharakter herausgestellt (vgl. dazu die voraufgehende Webseite). Walter BÄRSCH (1981) wählt für seine Analyse einen anderen, dabei verwandten Schwerpunkt. Er sieht in Unterrichtsstörungen den Ausdruck tiefer liegender Erziehungskonflikte.
     Solche Konflikte treten dann auf, wenn sich die Handlungen bzw. Erwartungen wenigstens zweier Betroffener nicht miteinander vereinbaren lassen. Das Handeln des Konfliktpartners - im Unterricht des Lehrers, umgekehrt auch des Schülers, wird dann gestört oder gar in seiner Wirkung zerstört.
     Beide Positionen ergänzen einander und lassen sich für die Unterrichtspraxis nutzen.

2.0 Deutung von Unterrichtsstörungen

Unterrichtsstörungen und die ihnen zugrunde liegenden Erziehungskonflikte werden auch von Lehrern - Fachleuten für Unterricht und Erziehung - oft nach Gesichtspunkten gedeutet, die sog. 'Alltagstheorien' zuzuordnen sind.
     Alltagstheorien gehen von der Annahme aus, dass das Verhalten des Menschen im Prinzip konstant, damit durchschaubar und vorhersehbar ist. So leisten sie zwar im täglichen Leben einen Beitrag zur Orientierung, doch verführen sie zu Generalisierungen, Vereinfachungen und damit zu Fehleinschätzungen, die oft auf Vorurteilen beruhen. Wahrnehmungen und Beobachtungen dienen eher der Bestätigung als der Modifikation vorgefasster Meinungen. Vertiefungen zu diesen Sachverhalten finden Sie auf der Webseite "Alltagstheorien der Persönlichkeit".
     Die Enge und Starrheit von Alltagstheorien macht sie für die sachgerechte Deutung der meist komplexen Erziehungskonflikte ungeeignet und verhindert die Erhellung der unter der Oberfläche liegenden Ursachenzusammenhänge.

Deshalb ist es erforderlich, dass sich Lehrer nicht auf nahe liegende und scheinbar selbstverständliche Deutungsmuster beschränken und verlassen, sondern sich Distanz und Selbstkontrolle abverlangen. Insbesondere sollten sie wissenschaftlich entwickelte Deutungsansätze in ihre Überlegungen und Entscheidungen einbeziehen.

Im Folgenden werden die wichtigsten hier in Betracht kommenden Deutungsansätze aufgeführt. Sie können nur vorgestellt, nicht jedoch im Detail erörtert werden.

2.1 Der individualpsychologische Ansatz
Seine Hypothese lautet: Abweichendes oder störendes Verhalten eines Schülers ist durch psychische Merkmale, die in dessen Person liegen, bedingt. Diese müssen durch systematische Befragung aller Beteiligten sowie durch testpsychologische Untersuchungen erhoben werden.
2.2 Der sozialpsychologische Ansatz
Seine Hypothese lautet:
Abweichendes oder störendes Verhalten eines Schülers ist im Wesentlichen durch die sozialen Beziehungen, vor allem in der Familie und in der Schule, bestimmt. Mithin geht es hier um die erzieherischen Einflüsse, denen ein Schüler insgesamt ausgesetzt ist, und deren prägende Wirkungen.
     Für ein problemgerechtes Handeln kommt es also darauf an, diese Voraussetzungen durch Befragung der Eltern, der Lehrer und ggf. durch soziometrische Untersuchungen zu ermitteln.
2.3 Der kommunikationstheoretische Ansatz
Seine Hypothese lautet:
Abweichendes oder störendes Verhalten eines Schülers ist im Wesentlichen durch die kommunikativen Beziehungen zu Eltern und Lehrern, durch die Interaktion mit ihnen bedingt.
     Hier geht es vor allem um die Frage, wie sich Menschen im Verhalten ihrer Partner gewürdigt sehen, ferner, ob sie einander in ihrem Verhalten ergänzen oder bestätigen.
2.4 Der lerntheoretische Ansatz
Seine Hypothese lautet:
Abweichendes oder störendes Verhalten eines Schülers ist im Wesentlichen durch das, was er lernt bzw. nicht gelernt hat, bedingt.
     Als Lernen werden hier die erfolgreichen Wirkungen eines Verhaltens und die dieses Verhalten bekräftigende Rückwirkungen verstanden (operantes Konditionieren).
2.5 Der soziologische Ansatz
Seine Hypothese lautet:
Abweichendes oder störendes Verhalten eines Schülers wird im Wesentlichen durch Grundmerkmale der gesamtgesellschaftlichen Situation sowie durch die schichtenspezifischen, strukturellen und sozialökologischen Bestimmungselemente seiner Familie bestimmt.
2.6 Der didaktische Ansatz
Seine Hypothese lautet:
Abweichendes oder störendes Verhalten eines Schülers ist im Wesentlichen durch die Merkmale des Unterrichts bestimmt.
     Hier ist zunächst die Gesamtheit der in Schule und Unterricht auftretenden Faktoren gemeint. Besonders bedeutsam sind jedoch die Gestaltung des Unterrichts und das Lehrerverhalten.
     Mithin kommt es darauf an, diese Faktoren und ihre Wirkungen realistisch zu erfassen und zu beurteilen.

3.0 Die Bearbeitung von Unterrichtsstörungen

Die vorstehenden sechs Ansätze haben lediglich analytischen Charakter, dienen also der Benennung und damit der Erhellung des Sachverhalts. In der Lebenswirklichkeit bestehen die isoliert dargestellten Ursachenzusammenhänge in reiner Form nicht. Vielmehr durchdringen und überlagern einander immer mehrere Aspekte.
     Im Folgenden sollen jedoch vor allem Folgerungen aus dem didaktischen Ansatz behandelt werden, weil sie am ehesten einem professionellen und verantwortlichen Handeln von Lehrern entsprechen. Wichtig ist nicht nur, auf Erziehungskonflikte und Unterrichtsstörungen sachgerecht zu reagieren; vor allem kommt es darauf an, ihnen in geeigneter Weise vorzubeugen.

3.1 Vorbeugende Maßnahmen

Vorbeugung ist auf verschiedenen Ebenen möglich.

  • Verbesserung des Lernmilieus:
    o Den Schüler ernst nehmen,
    o ihn in seinen Stärken bestätigen, ihn ermutigen,
    o ihn in seinen Schwächen unterstützen,
    o ihn nur so nachdrücklich wie nötig, aber so deutlich
       wie möglich behandeln,
    o ihn konstant behandeln,
    o die Lernmotivation fördern,
    o die Interaktionsprozesse fördern.
  • Verbesserung der Gruppendynamik:
    o Aktivitäten fördern,
    o für positives emotionales Klima sorgen,
    o für Deutlichkeit der Normen sorgen,
    o für gegenseitiges Akzeptieren sorgen,
    o auf eine ausgeglichene Gruppenstruktur achten
       (keine Außenseiter, keine Cliquenbildung),
    o für produktive Bewältigung von Konflikten sorgen.
  • Verbesserung der Förderstruktur,
  • Betonung von Spiel und musischem Tun.

3.2 Eingreifende Maßnahmen im Konfliktfall

  • Den Konflikt, die Störung beschreiben und analysieren.
  • Den Konflikt, die Störung weder durch Intuition noch durch Macht bewältigen wollen, sondern in gemeinsamer Überlegung und Beratung untersuchen und handhabbar machen.
  • Zum Verlernen unerwünschten Verhaltens, zum Aufbau erwünschten Verhaltens beitragen.
  • Konflikte und Störungen nicht als Versagen erleben, sondern als Tatsache akzeptieren und sodann tatkräftig und klug bearbeiten.

Literaturnachweis

Ausgearbeitet im Anschluss an 

  • Walter BÄRSCH (1981)
    Erziehungskonflikte
    Bewältigung abweichenden Verhaltens
    Bad Königstein 1978

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Ausgearbeitet von:     Dr. Manfred Rosenbach -        letzte Änderung am: 15.01.08
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