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Themenzentrierte Interaktion

Grundlagen - Axiome - Postulate

1.0 Einführung in das Thema

Die Tiefenpsychologin und Psychotherapeutin Ruth C. COHN hat 1983 in 6. Auflage eine Sammlung von Aufsätzen mit dem Titel

Von der Psychoanalyse zur themenzentrierten Interaktion

vorgelegt. Dort beschreibt sie Einsichten und Erfahrungen, die sie bei dem Versuch gewonnen hatte, ihre Kenntnisse nicht nur wenigen ausgewählten Einzelpersonen zu erschließen. Sie wollte vielmehr versuchen, pädagogisch-therapeutische Elemente in den schulischen Unterricht und andere Kommunikationsgruppen einzubringen.

Im Folgenden werden die zentralen Gedanken und Handlungsanleitungen der themenzentrierten Interaktion (TZI) dargestellt. Der Verfasser ist sich darüber im Klaren, dass TZI kein Rezept sein kann, das im Ungang mit schwierigen Klassen Wunder wirken werde. Er ist jedoch davon überzeugt, dass die Kenntnis der TZI zu vertieftem Verständnis von Vorgängen in schulischen Lerngruppen beitragen kann und in Konfliktsituationen konstruktive Lösungen anzubahnen vermag.

Vor allem jedoch kann die Kenntnis der Prinzipien der TZI dem Lehrenden nicht nur eine größere Sensibilität für die Vorgänge in Gruppen vermitteln, sondern auch einen höheren Grad an „authentischem" Verhalten ermöglichen. Wenn wir unsere erzieherischen Aufgaben erfüllen und unsere Überzeugungen verwirklichen wollen, ist das besonders wichtig.

Vielleicht werden Sie Ruth COHNs Gedanken als idealistisch empfinden und für unrealistisch halten. Dann mögen Sie sich vergegenwärtigen, dass sie wegen ihrer Herkunft verfolgt und in Ihrer Existenz bedroht wurde, also frei von Illusionen über die „Natur" des Menschen ist.

2.0 Die Grundlagen der TZI

Unterricht wird durch eine spannungsreiche Dreipoligkeit bestimmt. Er ist zugleich personbezogen, gruppenbezogen und sachbezogen. Die Balance in dem Dreieck aus

  • Ich (Individuum),
  • Wir (Gruppe),
  • Es (Thema)

ist  immer empfindlich.

Ruth COHN unterscheidet zwischen Axiomen und Postulaten der TZI und ergänzt die Postulate durch Hilfsregeln. Mit deren Hilfe kann diese schwierige Balance geschaffen, aufrechterhalten oder wiederhergestellt werden.

2.1 Die Axiome der TZI

1. Der Mensch ist eine psycho-biologische Einheit.

Das bedeutet:
Er hat physische, emotionale und intellektuelle Erfahrungen und Bedürfnisse, die nicht voneinander getrennt werden können; sie sind Facetten der gleichen Einheit Mensch. Wenn ein Teilbereich angerührt wird, reagiert der ganze Mensch.

Der Mensch ist ein Teil des Universums, darum also zugleich

autonom (eigenständig) und interdependent (allverbunden).

Das bedeutet:
Er ist weder völlig selbstgenügsam noch völlig abhängig von seinen Mitmenschen. Immer befindet er sich im Wechselspiel des Gebens und Nehmens.
Er fühlt und handelt desto freier, je mehr er dieses Wechselspiel selbst bestimmen kann.

2. Ehrfurcht gebührt allem Lebendigem und seinem Wachstum. Respekt vor dem Wachstum bedingt bewertende Entscheidungen.
3. Freie Entscheidung geschieht innerhalb bedingender innerer und äußerer Grenzen. Erweiterung dieser Grenzen ist möglich.

2.2 Die Postulate der TZI

Aus den Axiomen leiten sich Postulate ab. Sie sind Forderungen auf der Grundlage einer Paradoxie - der Freiheit in Bedingtheit.

1. Sei dein eigener Chairman, der Chairman deiner selbst.

Kommentar:
Der Begriff Chairman, Vorsitzender/Leiter, enthält einen Doppelsinn, der sich nicht übersetzen lässt. Ein Chairman ist ein „Leiter seiner selbst" und zugleich der Vertreter der Interessen aller Mitglieder der von ihm geleiteten Gruppe.

Das bedeutet:
Übernimm Verantwortung für dich selbst, bestimme dein eigenes Vorgehen und bedenke, dass alle anderen, auch der Gruppenleiter, es auch tun werden.

Dieses Postulat fordert also dazu auf, nach innen und nach außen zu sehen, zugleich sich selbst und die anderen sowie die gemeinsame Aufgabe ernst zu nehmen.

2. Störungen haben Vorrang.

Das zweite Postulat hängt eng mit dem ersten zusammen. Störungen, vor allem psychisch bedingte, beeinträchtigen die gemeinsame Arbeit, deshalb müssen sie momentan so weit bearbeitet werden, dass die Arbeit weitergehen kann.

2.3 Die Hilfsregeln der TZI

1. Vertritt dich selbst in deinen Aussagen;
sprich per „ich" und nicht per „wir" oder per „man".

Wer verallgemeinernde Formeln verwendet, übernimmt nicht die volle Verantwortung für das, was er sagt, sondern versteckt sich hinter anderen.

2. Wenn du eine Frage stellst, sage, warum du fragst und was deine Frage für dich bedeutet. Sage dich selbst aus und vermeide das Interview.
Verständnisfragen sind nötig und legitim. Fragen können jedoch auch Vermeidungsspiele
oder inquisitorische Machtkämpfe sein. Das Interview verdrängt den Dialog.
3. Sei authentisch und selektiv in deinen Kommunikationen. Mach dir bewusst, was du denkst und fühlst, und wähle, was du sagst und tust.
4. Sprich deine persönlichen Reaktionen aus und stell Interpretationen von anderen so lange wie möglich zurück. Sei zurückhaltend mit Verallgemeinerungen.
5. Seitengespräche haben Vorrang. Sie stören und sind meist wichtig. Sie würden nicht geschehen, wenn sie nicht wichtig wären.

Wer Seitengespräche führt, ist entweder stark beteiligt oder gar nicht. Er könnte sich scheuen, das ihm Wichtige zu sagen, oder kommt gegen schnellere Sprecher nicht auf und braucht Hilfe. Er kann auch ganz aus dem Gruppenprozess herausgefallen sein und sucht seine Langeweile auf privatem Wege zu beenden.

6. Nur einer zur gleichen Zeit, bitte. Wenn mehr als einer sprechen will, verständigt euch in Stichworten, worüber ihr zu sprechen beabsichtigt.
7. Beachte Signale aus deinem Körper und achte auf solche Signale auch bei den anderen.

Körpersprache mit ihren vielfältigen Ausdrucksweisen signalisiert Zutrauen oder Ablehnung, Freude oder Ärger sehr deutlich und öfter früher, als es das Wort leistet.

Diese Regeln sind nützlich und dennoch keine absoluten Größen. Ihre Verabsolutierung wäre Missbrauch.

3. Literaturgrundlage

  • Barbara LANGMAACK - Michael BRAUNE-KRICKAU
    Wie die Gruppe laufen lernt
    Anregungen zum Planen und Leiten von Gruppen
    Ein praktisches Lehrbuch
    Weinheim 2000, 7. Auflage

  • Barbara LANGMAACK
    Themenzentrierte Interaktion
    Einführende Texte rund um das Dreieck
    Weinheim 2000

  • Barbara LANGMAACK
    Einführung in die themenzentrierte Interaktion TZI
    Leben rund ums Dreieck
    Weinheim 2003, 2., vollständig überarbeitete Auflage


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Ausgearbeitet von:     Dr. Manfred Rosenbach -        letzte Änderung am: 15.01.08
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