Aufgabe und Problem Nie wird der Seefahrer
den Polarstern erreichen. Übersicht 1.0 Die Aufgabe Jürgen MITTELSTRASZ hat letzthin (2002) auf den - bekannten, wohl auf Max SCHELER zurückgehenden - Unterschied zwischen Verfügungswissen und Orientierungswissen hingewiesen. Er beschreibt ihn wie folgt; die Ergänzungen folgen Hans MOHR (1989 a, S. 200, sowie 1989 b, S. 127):
Werte-Erziehung ist deshalb eine Aufgabe, die der Schule auf allen Ebenen der öffentlichen Diskussion eindringlich aufgetragen und überantwortet wird. Belege brauchen hier nicht vorgelegt zu werden. Erinnert sei jedoch an die Einführung des Faches Lebenskunde-Ethik-Religionskunde (LER) in Brandenburg und die dadurch ausgelöste Kontroverse um die Stellung des Religionsunterrichts, ferner an die - jetzt wieder aktuellen - Berliner Überlegungen, Religionsunterricht zum ordentlichen Lehrfach gemäß Art. 7 Abs. 3 GG zu machen oder die bisherige Regelung beizubehalten, aber das Fach Ethik/Philosophie für alle Schüler verbindlich einzuführen. Ohne Zweifel muss sich die Schule dieser Aufgabe aus den verschiedensten Gründen stellen. Neben Sachwissen und Methodenbeherrschung muss sie vor allem auch Orientierungswissen vermitteln. In den Bausteinen dieses thematischen Bereiches werden unterschiedliche Materialien und Informationen vorgestellt, für die gleichfalls gilt, was in der Einführung in die Themengruppe betont wird - Anregung für eigenes Nachdenken zu sein. Dass es sich bei alledem nicht um eine didaktische, sondern eine genuin pädagogische Aufgabe handelt, hat uns Hubert MARKL jüngst (Tagesspiegel vom 13. November 2005) erneut vor Augen geführt. Er zieht dem - von ihm skeptisch gesehenen - Begriff Werte-Erziehung den Begriff »Charakterbildung« vor, weil dieser den Kern der erzieherischen Aufgabe genauer beschreibe und bestimme. Charakterbildung "hat vor allem mit
Charakterbildung müsse am Anfang und im Zentrum dessen stehen, was junge Menschen erfolgreich ins Leben hineinführt, sie also lebenstüchtig machen lässt. 2.0 Das Problemfeld Werte-Erziehung vollzog sich in der
Vergangenheit gleichsam von selbst. Sie war ein selbstverständlicher Teil dessen, was
allgemein als Sozialisation bezeichnet wird, und beruhte ganz wesentlich auf dem Herkommen
in Familie, Stand, Kirche, Gesellschaft. Das gewährleistete Verhaltenssicherheit, doch
band es die Menschen so stark, dass diese Sicherheit als Knebelung empfunden wurde.
Aufklärung und Revolution, Freiheitsbewegung und Emanzipation halfen die Fesseln
abzustreifen. Für die Erziehung folgt daraus ein Dilemma. Ihr werden Leistungen abverlangt, die - wenn überhaupt - nur schwer miteinander zu vereinbaren sind. Sie soll für alle Wertepluralismus gewährleisten und zugleich dem Individuum zu einer sicheren, also konfliktfreien oder wenigstens konfliktarmen Wertorientierung verhelfen. Die rechtlichen Aspekte dieser Aufgabe werden auf den Webseiten Die Bindung des Schulwesens durch das Grundgesetz" sowie Die Neutralitätspflicht des Staates" erörtert. Damit es keine Missverständnisse gibt, eine Klarstellung und zugleich Bitte. Die vorstehenden Ausführungen dürfen weder als nostalgische Kulturkritik noch als
pessimistische Ablehnung freiheitlich-pluralistischen Denkens und Handelns verstanden
werden. Ehe wir Lehrer jedoch unsere Aufgabe erfolgreich angehen können, müssen wir die
Rahmenbedingungen zur Kenntnis nehmen, unter denen wir sie zu erfüllen haben. 3.0 Die Grund legende" Frage: Woher stammen die Maßstäbe? 3.1 Das Problem Woher nehmen wir die Parameter unseres
Tuns und Lassens? Woher stammen sie? Gibt es einen transzendenten - vom Menschen
unabhängigen, über ihn hinausweisenden - Urgrund des Guten? Stammt er von Gott oder wird
er in der Natur vorgefunden? Gibt es ewige, universell gültige Normen? Sind die
Kategorien der Ethik und der Moral gesellschaftliche Setzungen oder Konventionen
(Verabredungen)? Diese Fragen sind uralt, zugleich unmittelbar aktuell und weiterhin
strittig. Antworten, sofern sie dogmatisch sind, können nicht überzeugen. 3.2 Die religiöse Position In allen Hochreligionen geben die Gebote Gottes zugleich die Normen der Ethik vor. Sie gelten unbedingt und sind menschlicher Disposition entzogen. In unserem Kulturkreis kann der Hinweis auf den Dekalog die Zehn Gebote genügen. MOSES hat sie von Gott empfangen und den Menschen auf zwei Tafeln überbracht (2. Moses 20, 1 - 17; 5. Moses 5, 6 - 21). Das Summum Bonum, das höchste Gut der Ethik des THOMAS VON AQUIN, verkörpert sich in Gott. Ein ebenso schlichtes wie schlüssiges Beispiel für das religiös begründete Fundament alles Handelns finden Sie auf der Webseite "Tugenden oder Werte? - VI. Ein Fundament praktischer Ethik". 3.3 Die ontologische Position Am unbedingtesten hat sie PLATON, an
PARMENIDES anknüpfend, vertreten. Die alten Gewissheiten waren von der
Aufklärung" der Sophisten in Frage gestellt worden. Krieg und Bürgerkrieg
führten zum Verlust elementarer Gesittung. Die Menschen erlebten das als Verfall der
hergebrachten Werte - der ungeschriebenen Gesetze". 3.4 Die pragmatische Position ARISTOTELES,
PLATONs großer Schüler, vertritt eine pragmatische Auffassung. In der Einleitung zu
seiner Nikomachischen Ethik konstatiert er (1,1 1094 b 15), das sittlich Gute und das
Gerechte seien strittig und unbeständig. Vor ihm hatte schon PLATON den Sophisten
Protagoras zitiert: So schillert das Gute und nimmt immer wieder andere Gestalt
an." Diesen Werte-Relativismus hatte PLATON transzendierend zu überwinden versucht.
Diese Definition kann als Zirkelschluss gelten. Willhelm BUSCH bestimmt deshalb das Gute am Ende seiner Bildergeschichte »Die fromme Helene« "ex negativo" (Werke ed. Friedrich BOHNE Bd.1, 1959, S. 293:
Was das Böse ist, sagt dem Menschen - wie erstmals einst dem Sokrates das Daimonion - die innere Stimme, das Gewissen: "Tu es nicht!" (PLATON, Apologie des Sokrates 31 und 40 b). Zurück zu ARISTOTELES. Sein zentrales Argument ist der von ihm vielfältig durchgearbeitete Gedanke, dass nichts an und für sich gut sei, sondern immer nur in einem spezifischen Handlungszusammenhang. Er greift also den Werte-Relativismus der Sophisten auf, reinigt ihn jedoch von deren zynischen Folgerungen. Dazu entwickelt er pragmatische Gedanken, die ein prinzipiengeleitetes und verantwortliches Leben möglich machen. Altbundeskanzler Helmut SCHMIDT hat das Normenproblem seinerzeit im Sinne ARISTOTELES auf den Punkt gebracht: Ich brauche keine Weltanschauung - ich habe Prinzipien." Vertiefungen und Anwendungen der Position ARISTOTELES finden Sie auf der Webseite Werte, Gegen-Werte, Un-Werte". In der Didaktik der politischen Weltkunde findet sich eine weitere Anwendung. Wolfgang NIEKE (1995, S. 247 - 251) vertritt das Prinzip der situativen Geltung von Normen". Es dient dazu, doktrinäre Einseitigkeit zu vermeiden, kann jedoch nicht für prinzipienlose Beliebigkeit in Anspruch genommen werden. Im Gegenteil: So hat Julian NIDA-RÜMELIN jüngst (8. 11. 2001) die Überzeugung vorgetragen, aus den in vielerlei Hinsicht unterschiedlichen moralischen Überzeugungen der Menschen lasse sich ein gemeinsamer Kern gewinnen. Daraus ergeben sich minimale, aber allgemeingültige normative Prinzipien. Vertiefungen zu dieser Position finden sie auf der Webseite Toleranz - Kardinaltugend der Demokratie". 3.5 Die Position der Aufklärung Zu den großen Leistungen der Aufklärung gehört, dass sie - anknüpfend an entsprechende Positionen der antiken und der christlichen Philosophie - die Geltung des Naturrechts durchgesetzt hat. Amerikanische Unabhängigkeitserklärung von 1776, Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte von 1789, UNO-Deklaration der Menschenrechte von 1948, Grundrechtskatalog des Grundgesetzes von 1949 haben hier ihre Ursprünge. Freiheit und Menschenwürde haben im Naturrecht ihre geistesgeschichtlichen Wurzeln ebenso wie der Gedanke, dass den Menschenrechten universelle Geltung zukomme. Mithin sind ebenso zentrale wie selbstverständliche Wertvorstellungen unserer Zeit im Naturrecht verankert. Für die Darstellungsabsicht dieses Bausteins hat Immanuel KANT zentrale Bedeutung. Im Rahmen seiner Transzendentalphilosophie kommt er zu Einsichten, die sich am besten im Anschluss an Otto SPECK (1991) wiedergeben lassen:
Diese Position spricht für sich. Ihre Begründung und weitere Vertiefungen finden Sie auf den Webseiten Immanuel KANT - Die pädagogische Theorie" sowie Der Kategorische Imperativ". Eine Würdigung, die Jürgen HABERMAS (mehr dazu im nächsten Abschnitt) jüngst vorgetragen hat, finden Sie hier. Im Übrigen lohnt es sich, an die drei berühmten Fragen zu erinnern, die KANT in seiner »Kritik der reinen Vernunft« stellt (1983, S. 677) und bearbeitet:
In seiner Antwort auf die zweite Frage führt er aus (1983, 678):
Den geistesgeschichtlichen Hintergrund der drei Fragen und deren grundlegende Bedeutung für KANTs Moralphilosophie finden Sie auf der Webseite "Tugenden oder Werte? - I. Die Kardinaltugenden" unter Nr. 3.3 dargestellt. 3.6 Der aktuelle Diskussionsstand Soweit der Verfasser den aktuellen Stand der Diskussion zutreffend beurteilen kann, hat sich die Fachphilosophie von metaphysischen Begründungen der Ethik getrennt (vgl. dazu das Resumee von Norbert HOERSTER 2003, S. 105). Sibylle TÖNNIES (1996) konstatiert sogar, das Wertesystem des rationalen Naturrechts, auf dem das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland beruht, werde in Frage gestellt. Die nachmetaphysischen Philosophien hätten jeden Gedanken an universale Maximen verabschiedet. Und Konrad LÖW (1997) wirft sogar die Frage auf, ob sich das Bundesverfassungsgericht überhaupt noch an das Sittengesetz" gebunden fühle. Doch gibt es auch gegenläufige Tendenzen. So hat der Professor
für Philosophie Karol WOITYLA, besser bekannt als Papst JOHANNES PAUL II., 1998 in
seiner Enzyklika
Unter diesem Eindruck entwickelt HABERMAS Einsichten, die nach seinen früheren Auffassungen zur Werteproblematik, Werte würden im Diskurs gefunden, aufhorchen lassen. Eine Passage sei hier exemplarisch zitiert; weitere Zitate finden Sie hier:
Auch der Naturwissenschaftler Wolf SINGER, einer der führenden deutschen Gehirnforscher, hat letzthin (FAZ Nr. 156 vom 8. Juli 2001) betont, dass
Eine weitere Position ist hier zu nennen, weil sie auf den Kern der erzieherischen Aufgabe verweist. Hans JONAS (1989) macht die Verantwortung zur zentralen Kategorie des Handelns. Die radikalste Auffassung vertritt der Philosoph Peter SINGER. In einem Interview hat er sie jüngst (Der Spiegel Nr. 48 vom 26. November 2001) mit nicht zu überbietender Klarheit vertreten:
Julian NIDA-RÜMELIN hat eine ähnliche Auffassung vorgetragen (Tagesspiegel vom 22. Januar 2002):
Rüdiger SAFRANSKI widerspricht diesen Überlegungen (2004, S. 48) entschieden,
Aufmerksamkeit verdient der Versuch von Anton
LEIST (2000). Er unternimmt in seinem Buch Ein Urteil über die verschiedenen Positionen sowie der Entwurf erfolgversprechender erzieherischer Handlungskonzepte sind an Bedingungen gebunden, die oft nicht gesehen werden oder im Sinne eines bestimmtem Erkenntnisinteresses behauptet werden: Was sind die natürlichen Voraussetzungen Die neurobiologische Grundlagenforschung stellt inzwischen Erkenntnisse bereit, ohne deren
Beachtung realitätsgerechte Urteile, Entscheidungen und Handlungen zum Thema
Werte-Erziehung nicht mehr möglich sind. Eine exemplarische Zusammenfassung finden Sie in
den Arbeiten von Zusammenfassend lässt sich
sagen: Weiterführender
Hinweis: 3.7 Ja zu Fundamenten - nein zum Fundamentalismus Womöglich sind wir Menschen mit den Konsequenzen aus SINGERs Überlegungen überfordert - vor allem dann, wenn man das Wort konsistent" betont und bis zum Ende denkt. Von DOSTOJEWSKI stammt der tiefernste Ausspruch: Wenn es Gott nicht gibt, ist alles erlaubt." Und kein geringerer als Friedrich Nietzsche stellt fest, es sei eine Naivetät (sic), als ob Moral übrig bliebe, wenn der sanktionierende Gott fehlt." Immanuel KANT hat in seinen nachgelassenen Werken folgende Einsicht notiert (AA 21, Erstes Convolut, Seite 145, Zeile 04): "Gott ist die moralisch/practische sich selbst gesetzgebende Vernunft." In unserer Zeit hat Max HORKHEIMER formuliert (Kritik der instrumentalen Vernunft, 1967, S. 227): "Einen unbedingten Sinn zu retten, ohne Gott, ist eitel." In diesen Zitaten bildet sich ein Bedürfnis ab, das in allen Kulturen der Welt zu beobachten ist und nach der festen Überzeugung des Verfassers in die frühesten Zeiten des Menschengeschlechts zurückreicht - dass es einen unveränderlichen Urgrund unserer Existenz, ein dauerndes Fundament unseres Tuns und Lassens gebe. Man mag - wie Julian NIDA-RÜMELIN (a.O.) - den Gedanken für eine Illusion halten, dass es möglich sei, jenseits unserer Überzeugungssysteme einen festen Grund zu finden". Arthur KOESTLER hat sich bereits 1946 ähnlich skeptisch, zugleich jedoch konstruktiv geäußert (zitiert nach Brenda ALMOND in David PAPINEAU, 2006, S. 151): "Ich
bin mir nicht sicher, was die Philosophen eine 'absolute Ethik'
nennen; Im Übrigen erweisen sich auch Illusionen als Realitäten, wenn man ihre Konsequenzen berücksichtigt. Vielleicht lässt sich ihre Entstehung durch folgende Überlegung plausibel machen. Die Ethnien in der Frühzeit der Menschheit lebten völlig auf
sich selbst bezogen. Sie wussten nichts voneinander, und wenn sie einander begegneten,
konnten sie einander aus dem Wege gehen. Unter diesen Voraussetzungen entstanden in den
einzelnen Kulturen Religionen, die sich in Vielem widersprechen, aber eine jede glaubt im
Besitze unumstößlich gültiger Wahrheit zu sein. Dennoch sollte es möglich sein, die Existenz anderer Wahrheit
anzuerkennen, ohne darin eine Einbuße für die eigene Wahrheit, deren
Relativierung" zu sehen. Das ist die Aufgabe, die uns mit der Forderung nach Toleranz"
gestellt ist. Vertiefungen dazu finden Sie auf der Webseite Tugenden
oder Werte? V. Toleranz - Kardinaltugend der Demokratie". Dass die hier erörterten Fragen auch sehr schlicht und lebenspraktisch beantwortet werden können, finden Sie auf der Webseite "Tugenden oder Werte? - VI. Ein Fundament praktischer Ethik" dargestellt. 4.0 Folgerungen für erzieherisches Handeln Aus der vorstehenden Übersicht lassen sich Folgerungen für erzieherisches Handeln ableiten. Zunächst eine grundsätzliche Aussage. Der Verfasser der Bausteine neigt aus Gründen denkerischer Konsequenz dazu, mit PLATON einen transzendentalen Urgrund der ethischen Prinzipien anzunehmen. Dennoch gibt er ARISTOTELES' Position den Vorzug, weil sie den Ausschließlichkeitsanspruch ewiger Wahrheit" aufgibt. Dessen pragmatische, aber keineswegs prinzipienlose Einsichten eröffnen vielfältige Handlungsmöglichkeiten, ohne zum Freibrief für Beliebigkeit zu werden. Das hier erörterte Problem müssen und können also wir Lehrer den Philosophen überlassen. Eine Richtschnur unserer Arbeit dürften wir vor allem bei KANT und JONAS finden. Hier kann der Hinweis darauf genügen, dass Einsicht, Urteilsfähigkeit und Verantwortungsbewusstsein des Menschen im Mittelpunkt erzieherischer Aufgaben stehen. Seine persönlichen Auffassungen hierzu stellt der Verfasser der Bausteine auf der Webseite Sechzehn Thesen zur Orientierung erzieherischen Handelns" zur Diskussion. Womöglich ist das alles zu anspruchsvoll, wenn es um die alltägliche Arbeit in der Problem- und konfliktbelasteten Wirklichkeit unserer Schulen geht. Dann können die Einsichten weiterhelfen, die Karl Otto HONDRICH letzthin (FAZ Nr. 238 vom 13. Oktober 2001) aus soziologischer Sicht dargelegt hat. Er sieht
Gesetze dieser Art seien vor aller Ethik und vor aller Philosophie gültig. Sie mögen kulturell unterschiedlich ausgeprägt und eingegrenzt sein, doch würden sie überall verstanden. Denn sie bezögen sich nicht auf Individuen, sondern auf Beziehungen. Der Mensch sei ein soziales Wesen und bleibe es. Immer gehe die Gesellschaft den Individuen voraus. Die Macht elementarer sozialer Prozesse ... sei auch die stärkste treibende und begrenzende Konstante - stärker als alle individuellen Intentionen, als Politik, Pädagogik, Wissenschaft, Technik, ja stärker als die Gene." An dieser Stelle braucht nicht betont zu
werden, dass die vorgestellten Sachverhalte und Überlegungen nicht gleichsam
pur" unterrichtet werden können, sondern in ein jeweils altersgemäßes
didaktisches Konzept eingebettet werden müssen.
5.0 Anhang 5.1 Umwertung aller Werte Friedrich NIETZSCHE hat diese berühmte Formel in den Sprachschatz eingeführt. Das Vorbild dafür sich findet bei dem griechischen Historiker THUKYDIDES, dessen Darstellung NIETZSCHE als Professor für Klassische Philologie natürlich kannte. In seiner Geschichte des Peloponnesischen Krieges beschreibt er (3, 82, 4 f.) die Verwilderung des Denkens und Handelns wie folgt:
Rund 500 Jahre später würdigt der römische Dichter M. Annaeus LUCANUS in seinem Epos »Pharsalia« die moralischen Verwüstungen des Bürgerkrieges zwischen Caesar und Pompeius - er war das römische Gegenstück zum Peloponnesischen Krieg - mit einer knappen Formel von äußerster Schärfe (I, 667 f.): "Fluchwürdiges Verbrechen gilt als Inbegriff tatkräftig-redlichen Mannestums." In NIETZSCHEs Werk findet sich der Begriff Umwertung" immer wieder. Zwei Stellen seien zitiert. In Jenseits von Gut und Böse", Drittes Hauptstück Das religiöse Wesen", Aphorismus 46 (2, S. 610), schreibt er in einer ätzenden Analyse des christlichen Glaubens:
In Nr. 27 seiner Arbeit "Zur Genealogie zur Moral" (2, S. 897) hatte NIETZSCHE sein in vier Bücher gegliedertes Hauptwerk angekündigt: "Der Wille zur Macht. Versuch einer Umwertung aller Werte". Das Buch Der Antichrist. Fluch auf das Christentum" war als dessen Erstes Buch der Umwertung aller Werte" gedacht. Das Manuskript des vorliegenden Textes war im September 1888 fertiggestellt worden, wurde aber erst 1894 gedruckt. Im Januar 1890 brach NIETZSCHE in Turin zusammen und fiel in geistige Umnachtung. Sein Hauptwerk blieb Torso. Der Antichrist" - ein Text, der von einer furiosen Invektive zur nächsten stürmt - endet mit und gipfelt in den Worten (2, S. 1235):
Bemerkenswert, dass Theodor FONTANE in seinen 1897 abgeschlossenen Roman Der Stechlin" einen Reflex seiner Beschäftigung mit NIETZSCHE eingearbeitet hat. Dort lässt er Woldemar von Stechlin im Gespräch über einen Vorfall in einer Abendgesellschaft berichten:
FONTANE hat sich in den neunziger Jahren mit NIETZSCHE beschäftigt. In einem Brief an Karl ZÖLLNER schreibt er am 31. August 1895:
Wie ein Reflex auf THUKYDIDES' Analyse muten Gedanken Hermann BROCHs an. Er hat in seinen Roman »1918 – Huguenau oder die Sachlichkeit«, den dritten Teil der Trilogie »Die Schlafwandler«, einen Essay mit dem Titel »Zerfall der Werte« eingefügt. Er besteht aus zehn Abschnitten, die mit der Handlung des Romans eng verflochten sind. Diese spielt im letzten Jahr des Ersten Weltkriegs, einer geschichtlichen Katastrophe, deren Rang in unserer Zeit dem Peloponnesischen Krieg des alten Griechenland entspricht. BROCH formuliert (S. 737) ein nüchtern-bitteres Resümee, das wegen seiner Aktualität hier zitiert sei:
Unmittelbar darin anschließend würdigt er Huguenau, die Zentralfigur des Romans, wie folgt (S.737 f.):
Zitatnachweise:
5.2 Zitate HABERMAS Die Kehrseite der Religionsfreiheit ist tatsächlich eine Pazifizierung des weltanschaulichen Pluralismus, der ungleiche Folgelasten hatte. Bisher mutet ja der liberale Staat nur den Gläubigen unter seinen Bürgern zu, ihre Identität gleichsam in öffentliche und private Anteile aufzuspalten. Sie sind es, die ihre religiösen Überzeugungen in eine säkulare Sprache übersetzen müssen, bevor ihre Argumente Aussicht haben, die Zustimmung von Mehrheiten zu finden. [...] Die Suche nach Gründen, die auf allgemeine Akzeptabilität abziele, würde nur dann nicht zu einem unfairen Ausschluß der Religion aus der Öffentlichkeit führen und die säkulare Gesellschaft nur dann nicht von wichtigen Ressourcen der Sinnstiftung abschneiden, wenn sich auch die säkulare Seite ein Gespür für die Artikulationskraft religiöser Sprachen bewahrte." In Anbetracht der religiösen Herkunft seiner moralischen Grundlagen sollte der liberale Staat mit der Möglichkeit rechnen, daß die Kultur des gemeinen Menschenverstandes (Hegel) angesichts ganz neuer Herausforderungen das Artikulationsniveau der eigenen Entstehungsgeschichte nicht einholt." Deshalb
wollte Kant das kategorische Sollen nicht im Sog des aufgeklärten Selbstinteresses
verschwinden lassen. Er hat die Willkürfreiheit zur Autonomie erweitert und damit - nach
der Metaphysik - das erste große Beispiel für eine säkularisierende und zugleich
rettende Dekonstruktion von Glaubenswahrheiten gegeben. Zurück zum Text Zurück zur Übersicht 5.3 Textnachweis SCHELER Der Philosoph Max SCHELER unterscheidet drei Wissensformen. Seine Überlegungen werden von Klaus PRANGE (Zeitschrift für Pädagogik 51, 2005, Nr. 5, S. 733) zusammengefasst:
SCHELER hat in seinem Buch »Die Wissensformen und die Gesellschaft« im Jahre 1926 mehrere Studien zusammengefasst, in denen er die gesellschaftlich-geschichtliche Entwicklung der obersten Typen menschlichen Wissens und Erkennens tiefschürfend erforscht, um auf diesem Wege seine erkenntnistheoretischen Untersuchungen überhaupt erst fruchtbar zu machen. In dem Kapitel »Wesen und Sinn von Wissen und Erkenntnis - Die Arten des Wissens« (1960, S. 205) beschäftigt sich SCHELER mit der Frage, wozu Wissen dienen solle, und hält fest, es solle "einem Werden" dienen. Er fährt fort wie folgt:
Er beantwortet diese Fragen wie folgt:
Anschließend erörtert er eine mögliche Rangordnung dieser Wissensarten. Er sieht folgende - aufsteigende - Abfolge:
Literaturnachweis:
Zurück zum Text Zurück zur Übersicht 6.0 Literaturnachweise Aus praktischen Gründen werden alle Literaturnachweise dieses thematischen Bereiches auf der Webseite Werte-Erziehung - Literaturgrundlage" zusammengefasst. Das entlastet die einzelne Webseite und vermeidet Wiederholungen. Um nachzulesen, klicken Sie hier: Literaturgrundlage. DOSTOJEWSKI wurde zitiert nach Robert SPAEMANN, Personen, Stuttgart 1996, S. 105. Er schreibt:
Vgl. dazu die Rezension dieses Buches von Norbert HOERSTER, Frankfurter Allgemeine Zeitung Nr. 276 vom 27. November 1997. Dem Verfasser der Bausteine ist es bislang nicht gelungen, bei Dostojewski für dieses Zitat einen wörtlichen Beleg zu finden. Der Dichter entwickelt jedoch diesen Gedanken in seinem Roman „Die Brüder Karamasow“. Darin gibt es eine längere Passage, deren Sinn sich zu dieser Formulierung zusammenfassen lässt. Außerdem durchzieht das Wort "... dann ist alles erlaubt" geradezu leitmotivisch den ganzen riesigen Roman. Wenn Sie dazu Originaltext nachlesen wollen, klicken Sie bitte hier. Nach kürzlich gefundener Auskunft bei »Wikiquote« steht der zitierte Satz in einem Brief Dostojewskis. (de.wikiquote.org/wiki/Fjodor_Dostojewski). [
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zur Übersicht ] Ausgearbeitet von: Dr. Manfred Rosenbach -
letzte Änderung am: 19.08.16 |