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Tugenden oder Werte?

VI. Ein Fundament praktischer Ethik

1.0 Vorbemerkung

Die »Bausteine« dieser Themengruppe erörtern in den verschiedensten Ansätzen Fragen, die als schwierig gelten und kontrovers beantwortet werden.

  • Was sind die Maßstäbe unseres Handelns?

  • Woher stammen sie? 

  • Worauf gründen sie?

Die Antworten füllen Bibliotheken, ihre didaktische Aufbereitung ist mühsam und anspruchsvoll. Sollte es keine schlichte und ohne Interpretationsprobleme zu befolgende Antwort geben?

Der große Romancier und Dichter Theodor FONTANE – also ein Mann, der zu denken und zu schreiben wusste – hat einen Hinweis gegeben, wo eine solche Antwort zu finden ist.

Im deutsch-französischen Krieg 1870/71 war er in Frankreich gefangengenommen worden und musste als vermeintlicher preußischer Spion damit rechnen, erschossen zu werden. In seiner Not fand er Ruhe und Zuversicht bei den „Gesangbuchversen Paul Gerhardts“. Dieses Erlebnis lässt ihn später (am 30. 11. 1876) in einem Brief an Mathilde von Rohr schreiben,

„eine Strophe von Paul Gerhardt ist mehr wert 
als dreitausend Ministerialreskripte.“

Das kann nicht nur für Ausführungsvorschriften, sondern auch für manche Philosopheme und didaktischen Konzepte gelten. 

Nicht von Paul GERHARDT selbst, doch von seinem Zeitgenossen Johann HEERMANN stammt ein Choral, der den Liedern GERHARDTs an Schlichtheit und zugleich gedanklicher Tiefe nicht nachsteht. HEERMANN hat ihn im Jahre 1630 geschrieben - in einer wahrlich un-heilen Zeit. Dort können wir die Antwort finden, die wir suchen. 

Seine fünf Strophen sind ein Fundament praktischer Ethik.

2.0 Der Text des Chorals

1. O Gott, du frommer Gott, du Brunnquell aller Gaben,
ohn den nichts ist, was ist, von dem wir alles haben:
gesunden Leib gib mir und daß in solchem Leib
ein unverletzte Seel und rein Gewissen bleib.

2. Gib, daß ich tu mit Fleiß, was mir zu tun gebühret,
wozu noch dein Befehl in meinem Stande führet.
Gib, daß ich's tue bald, zu der Zeit, da ich soll,
und wenn ich's tu, so gib, daß es gerate wohl.

3. Hilf, daß ich rede stets, womit ich kann bestehen;
laß kein unnützlich Wort aus meinem Munde gehen;
und wenn in meinem Amt ich reden soll und muß,
so gib den Worten Kraft und Nachdruck ohn Verdruß.

4. Find't sich Gefährlichkeit, so laß mich nicht verzagen,
gib einen Heldenmut, das Kreuz hilf selber tragen.
Gib, daß ich meinen Feind mit Sanftmut überwind
und, wenn ich Rat bedarf, auch guten Rat erfind.

5. Laß mich mit jedermann in Fried und Freundschaft leben,
soweit es christlich ist. Willst du mir etwas geben
an Reichtum, Gut und Geld, so gib auch dies dabei,
daß von unrechtem Gut nichts untermenget sei.

3.0 Nachweise

  • Johann HEERMANN, 1630
    Evangelisches Gesangbuch,
    Ausgabe für die Ev. Landeskirche in Berlin-Brandenburg
    Berlin und Leipzig 1993, Nr. 495

Johann HEERMANN, 1585 - 1647, gilt neben Paul GERHARDT als der bedeutendste evangelische Dichter geistlicher Lieder. In das Evangelische Gesangbuch sind neun seiner Dichtungen aufgenommen worden.

Das Fontanezitat ist entnommen aus

  • Gert von BASSEWITZ – Christian BUNNERS
    Auf Paul Gerhardts Spuren
    Eine Bildreise
    Hamburg 2001, 4. Auflage, S. 51

  • Christian BUNNERS
    Paul Gerhardt
    Weg - Werk - Wirkung
    München - Berlin 1994, 2. Auflage, S. 335

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Die zusammenfassende Literaturgrundlage für das Thema Werte-Erziehung finden sie hier:  Literaturgrundlage

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Ausgearbeitet von:     Dr. Manfred Rosenbach -       letzte Änderung am: 20.10.08
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