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Tugenden des Bürgers

Die Spruchweisheiten im Bärensaal
des Alten Stadthauses zu Berlin

1.0 Der Bärensaal des Alten Berliner Stadthauses

Nachdem Berlin Hauptstadt des Deutschen Reiches geworden war, bot das Rote Rathaus für die Verwaltung der riesig gewachsenen Stadt bald nicht mehr genügend Platz. Nach langer Planungs- und Bauzeit wurde am 29. Oktober 1911 das Alte Stadthaus in der Klosterstraße als Erweiterungsbau der Stadtverwaltung feierlich eingeweiht.

Von 1949 bis 1990 war das Alte Stadthaus Sitz des DDR-Ministerrates. Nach der Wiedervereinigung ging es in das Eigentum der Bundesrepublik Deutschland über. 1993 wurde es dem Lande Berlin rückübertragen und ist jetzt Dienstgebäude der Senatsverwaltung für Inneres. Der Bärensaal im Erdgeschoss - die Festhalle des Gebäudes - wurde nach sorgfältiger Wiederherstellung bereits am 21. Juni 1991 der Öffentlichkeit wieder zugänglich gemacht. 

Der Besucher erblickt in der Brüstung des Obergeschosses einen Inschriftenfries. Wenn er sich die Mühe macht, die Inschriften zu lesen, wird er von Texten angesprochen, die sich als die Tugenden des Bürgers erweisen. Sie werden auch in der Festschrift abgedruckt, die die Senatsverwaltung für Inneres 1991 aus Anlass der Einweihung des Bärensaales herausgab.

2.0 Die Spruchweisheiten

Die Sprüche sind mehr als ein historisch interessantes Dokument. In ihnen bilden sich nicht nur Selbstverständnis und -vergewisserung der Berliner Bürgerschaft von damals ab. Vielmehr sprechen sie auch uns an – sie können und sollten uns nachdenklich machen. Deshalb werden sie hier vorgestellt. Ihr feierlich altertümlicher Stil mag uns zunächst befremden, doch betont er Ernst und Verbindlichkeit der Aussage, weil er sie aus der gewohnten Umgangs- und Gebrauchssprache heraushebt.

In der Festschrift heißt es (S. 19), die Spruchweisheiten

„stehen in der Tradition der jüdisch-christlichen Weisheitslehre, die ihre Prägnanz und alltagsbezogene Bedeutung aus dem Gegensatz von Klugheit und Dummheit, von Weisheit und Torheit schöpft. Ungeachtet ihrer sprachlichen Eigenart sind sie heute nicht nur aktueller Teil unserer unausgesprochenen Alltagsethik, sondern bilden letztlich auch eine der ideengeschichtlichen Grundlagen unserer Rechts- und Verfassungskultur."

Die Texte lauten:

Eine gelinde Antwort stillet den Zorn,
aber ein hart Wort richtet Grimm an.
*
Wer unvorsichtig herausfährt, sticht wie ein Schwert,
aber die Zunge der Weisen ist heilsam.
*
Hadere nicht mit jemand,
so er dir kein Leid getan hat.
*
Der Faule begehrt und kriegt es doch nicht,
aber die Fleißigen kriegen genug.
*
Wer viel geredet und hält nicht,
der ist wie Wolken und Wind ohne Regen.
*
Die Böses raten, betrügen,
aber die zum Frieden raten, machen Freude.
*
Es ist besser ein Gericht Kraut mit Liebe,
denn ein gemästeter Ochse mit Hass.
*
Wer mit den Weisen umgehet, der wird weise,
wer aber den Narren Gesell ist, der wird Unglück haben.
*
Der Sünder verachtet seinen Nächsten,
aber wohl dem, der sich der Elenden erbarmet.
*
Wer sich auf seinen Reichtum verlässt, der wird untergehen,
aber die Gerechten werden grünen wie ein Blatt.
*
Ein kluges Herz handelt bedächtiglich,
aber die kühnen Narren regieren närrisch.
*
Wo nicht Rat ist, da geht das Volk unter,
wo aber viele Ratgeber sind, da gehet es wohl zu.
*
Der ist nicht stark,
der in der Not nicht fest ist.
*
Wer geduldig ist, der ist weise,
wer aber ungeduldig ist, der offenbart seine Torheit.
*
Wo man arbeitet, da ist genug,
wo man aber mit Worten umgehet, da ist Mangel.
*
Ein Narr zeigt seinen Zorn bald,
aber wer Schmach birget, ist witzig.
*
Fleißige Hand wird herrschen,
die aber lässig ist, wird müssen zinsen.
*
Mancher ist arm bei großem Gut,
und mancher ist reich bei seiner Armut.
*


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Ausgearbeitet von:     Dr. Manfred Rosenbach -        letzte Änderung am: 15.01.08
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