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Erziehung
zu Verantwortung
Handreichung
zum Problem des freien Willens
Übersicht
1.0 Das Problemfeld
1.1
Freier Wille ist die Voraussetzung für verantwortliches Handeln
1.2
Ist alles Handeln des Menschen determiniert?
1.3
Folgerungen
2.0 Determiniertheit und eigenes Handeln
2.1
Vorab eine Prämisse
2.2
Freiheit im Horizont von Determiniertheit
2.3
Determiniertheit des Willens ist ein Fehlschluss
2.31 Benjamin
LIBET – ein Resumee am Ende eines Forscherlebens
2.32 Peter
BIERI – Einspruch der Philosophie
2.33 Aspekte der aktuellen Diskussion
2.34 Konsequenzen aus der Quantenphysik
2.4
Folgerungen für erzieherisches Handeln
3.0 Anhänge
3.1
Weitere Textbelege für Arthur SCHOPENHAUERs Beweisführung
3.2
Weitere Textbelege für Benjamin LIBETs Positionen
3.3
Der freie Wille – eine geistesgeschichtliche Skizze
4.0 Literaturnachweise
4.1
Literaturgrundlage dieses Textes
4.2
Weitere Literatur zum Problem des freien Willens
1.0
Das Problemfeld
1.1
Freier Wille ist die Voraussetzung für verantwortliches Handeln
Junge
Menschen müssen zu Urteilsfähigkeit und Verantwortungsbewusstsein fähig
werden. Das ist die Grundlage für selbständiges verantwortliches Handeln,
mithin für Mündigkeit. Ihnen dabei behilflich zu sein ist eine besonders wichtige Aufgabe der
Erziehung in Familie und Schule. So wird sie in der pädagogischen Literatur
sowie in den Schulgesetzen der deutschen Bundesländer eindrucksvoll
beschrieben. Alle Texte stimmen trotz außerordentlicher Vielfalt der
Formulierungen darin überein; sie erwarten insbesondere, dass die jungen
Menschen durch »Werte-Erziehung« zu Verinnerlichung und Beachtung einer
Wertordnung angeleitet werden.
Menschen
können nur verantwortlich entscheiden und handeln, wenn sie die Freiheit
dazu haben. Verantwortliches Handeln setzt somit als zwingende Bedingung den
»freien Willen« voraus.
1.2
Ist alles Handeln des Menschen determiniert?
Gibt
es den freien Willen oder ist er eine Illusion? Das ist seit
zweieinhalbtausend Jahren ein zentrales Thema des abendländischen Denkens
sowohl in Philosophie als auch Theologie. Die Existenz der Willensfreiheit
konnte bisher weder überzeugend bewiesen noch schlüssig widerlegt werden.
Für beide Positionen gibt es nachvollziehbare Argumente – sie sind rein
gedanklicher Natur und gelten Kritikern als »spekulativ«. Eine kurze
Skizze zu deren geistesgeschichtlicher Entfaltung finden Sie unten unter Nr. 3.3.
Die
Ergebnisse der modernen Hirnforschung haben nach der Überzeugung ihrer führenden
Vertreter wie Gerhard ROTH und Wolf SINGER nunmehr den bisher ausstehenden
Beweis experimentell zwingend erbracht. Danach unterliege alles Handeln von
Menschen den Gesetzen der Kausalität
und sei vollständig determiniert. Bas KAST, Wissenschaftsredakteur
des „Tagesspiegels“, hat das beispielhaft auf den Punkt gebracht
(31. August 2008):
„Wenn
es zwei Welten gäbe, eine physikalische und eine jenseits der Physik, könnte
es so etwas wie einen unbewegten Beweger im Kopf geben. Aber es gibt nur
diese eine Welt, und die ist kausal geschlossen. Es gibt darin kein
unbewirktes Wirken. Unser Ich wird vom Gehirn hervorgebracht ebenso wie
all unsere Gedanken. Jeder aktuelle Hirnzustand aber wird vom
vorhergehenden Zustand sowie von Außenreizen und Zufallsprozessen
bestimmt. Ein freier Wille ist aus dieser Sicht nicht nur unplausibel –
er ist physikalisch unmöglich.“
Dazu gibt es inzwischen
ein umfangreiches Schrifttum in Wissenschaft und Feuilleton. Für diese
Bausteine wichtige Titel werden unten verzeichnet, weitere repräsentative
Titel finden Sie auf der Webseite "Entwicklungspsychologische
Grundlagen des Unterrichts - Literaturgrundlage" unter Nr. 2.0.
Kronzeuge für die Argumentation der Hirnforscher ist der
Neurophysiologe Benjamin LIBET mit seinen Experimenten. Umfangreiche
Versuche mit bildgebenden Verfahren
haben seinen Ansatz offenbar bestätigt und erhärtet. Willensfreiheit wird
vor diesem Hintergrund als Illusion betrachtet, ohne die wir Menschen
freilich wegen ihrer Tauglichkeit für den Alltag nicht auskämen.
„Wir tun nicht, was
wir wollen, sondern wir wollen, was wir tun.“
Auf diese knappe Formel
verdichtet Thomas ASSHEUER (2007) den Sachverhalt. Er knüpft damit
an eine berühmte Einsicht Arthur SCHOPENHAUERs an:
Der
Mensch kann zwar tun, was er will, aber er kann nicht wollen, was er will.
Fast
wortgleich hatte VOLTAIRE, eine längere Ausführung in John LOCKEs
»Versuch über den menschlichen Verstand« (II, c.21, § 20 – 27)
knapp zusammenfassend, geschrieben (zitiert nach Friedrich A. LANGE,
1866/1974, S. 319, ferner S. 331):
„Frei
sein heißt tun können, was man
will, nicht wollen können, was
man will.“
Schon
AUGUSTINUS hatte konstatiert (XXV,74. 255, 2006 S. 303):
„Der
Wille wird aber nur durch etwas Vorgestelltes zu jeglicher Handlung
angeregt.
Was jedoch ein jeder wählt und was er von sich weist,
steht in seiner Macht,
nicht aber, durch die Vorstellung berührt zu werden.“
Zusammenfassend
ist hier eine paradoxe Grenze der Erkenntnis zu nennen, die sich
wahrscheinlich nicht überschreiten lässt. Wenn wir das Gehirn verstehen
wollen, steht uns kein anderes Instrument zur Verfügung als das Gehirn
selbst. Julian BARNES formuliert deswegen die folgende skeptische
Vermutung (Der Spiegel Nr. 11/2010,
S. 147):
"Vielleicht
geben wir die Illusion eines freien Willens nie auf,
weil wir den Glauben daran nur durch einen Akt des freien Willens aufgeben
könnten, den wir nicht haben.
Wir werden weiterhin so leben, als wären wir der alleinige Herr unserer
Entscheidungen."
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1.3
Folgerungen
Wenn die Ergebnisse der
Hirnforschungen zutreffen sollten, hätte das Folgen von einer Reichweite,
die jedes Vorstellungsvermögen überfordern. Sie wären radikal im
unmittelbaren Wortsinn, weil sie an die Wurzeln, an die bindenden Grundlagen
des Zusammenlebens der Menschen rührten. Wären wir „im Wesentlichen
raffinierte Automaten, wobei unsere bewussten Gefühle und Absichten als
Epiphänomene ohne kausale Kraft aufgesetzt wären“ (so formuliert Benjamin
LIBET, S. 179, das Problem), dann entfiele jede persönliche
Verantwortung für das eigene Handeln. Kein Mensch handelte noch schuldhaft,
wenn er gegen die Gebote von Ethik und Moral verstieße. So wird z. B.
inzwischen ernsthaft diskutiert, ob nicht die gesamte Strafjustiz
abgeschafft werden müsse, weil sie auf unzutreffenden Voraussetzungen
beruhe. In manchen Texten kann man ein erleichtertes Aufatmen spüren
„ja, wenn das so ist ...“ Beispiele finden sich bei Thomas ASSHEUER
(2007, S. 57).
Für uns Lehrer entfiele
jeder Anlass und jede Legitimation, dem o.g. Erziehungsauftrag
nachzukommen, weil wir die jungen Menschen ihrer Determiniertheit zu überlassen
hätten. Wollten wir ihn dennoch geltend machen, könnten intelligent
informierte Schüler unsere Bemühungen mit dem Hinweis auf die einschlägigen
Forschungsergebnisse umgehend zurückweisen und ad absurdum führen.
Das
Dilemma ist offenkundig – und schon lange bekannt. Friedrich SCHILLER
hat sich als junger Arzt in mehreren tiefschürfenden Ansätzen mit dem
Materie-Geist-Problem auseinandergesetzt. Als Naturwissenschaftler muss er
das Prinzip Kausalität anerkennen, doch sieht er zwischen den
materiell-physiologischen Vorgängen des Nervensystems einerseits und dem
Denken und Empfinden andererseits eine Lücke (vgl. dazu unten Benjamin LIBET
in Nr.3.2). Um sie zu bewältigen, entwickelt er eine Theorie der
Aufmerksamkeit. Er schreibt (1779/2004, S. 265 f.):
„Die
Seele hat tätigen Einfluß auf das Denkorgan. [...] Der erste Wille, der
meine Aufmerksamkeit bestimmt, ist der freie, der letzte, der meine
Handlung bestimmt, ist ein Sklave des Verstandes; die Freiheit liegt also
nicht darin, daß ich wähle, was mein Verstand für das Beste erkannt hat
(denn dies ist ein ewiges Gesetz), sondern darin, daß ich wähle, was
meinen Verstand zum Besten bestimmen kann. Alle Moralität hat ihren Grund
in der Aufmerksamkeit, d. h. im tätigen Einfluß der Seele auf die
materiellen Dinge im Denkorgan.“
Mit
Hilfe dieser Theorie wird der Physiologe Schiller zum „Philosophen der
Freiheit“, so Rüdiger Safranski
(2004, S. 93). In seiner Festrede zum 200. Todestag Friedrich Schillers
konstatiert er für jedoch unsere Gegenwart einen seltsamen Widerspruch zwischen
politisch erhobenem Anspruch und durch Wissenschaft angeregtem oder verführtem
Selbstverständnis (2005):
„Das
moderne Bewusstsein, das Freiheit hat und will, scheint so genau wie nie
zuvor darüber Bescheid zu wissen, von welchen gesellschaftlichen, ökonomischen
oder natürlichen Ursachen das vermeintliche freie Handeln hinterrücks
gelenkt wird. In unserer Kultur der Freiheit gibt es zugleich eine
entwickelte Kultur des Wegerklärens von Freiheit. [...] Freiheit steht
hoch im Kurs und das Wegerklären von Freiheit auch.“
Auch
Thomas Assheuer (2007)
sieht ein Versprechen der Biowissenschaften, „uns von den Strapazen der
Freiheit zu entlasten, von den Mühen der Autonomie“.
Als
Erzieher sollten wir die Ergebnisse der Hirnforschung trotz des
gebieterischen Anspruches, wissenschaftlich schlüssig zu sein, nicht
unkritisch oder gar fatalistisch hinnehmen. Sie sind vielmehr als eine
Herausforderung zu betrachten und dürfen nicht darauf reduziert werden, ein
Handeln ohne Verantwortung - "Verantwortungs-loses Handeln" - zu rechtfertigen. Wie auch immer – wir müssen
für erzieherische Aufgaben, die sich nicht zur Disposition stellen lassen,
eine tragfähige Grundlage gewinnen.
Die
nachfolgenden Überlegungen wollen als Handreichung für entsprechendes
erzieherisches Handeln dienen. Zwei Möglichkeiten sollen untersucht werden.
-
Gibt
es auch bei völliger Determiniertheit die Freiheit zu eigenen
Entscheidungen?
-
Sind
die Aufstellungen der Hirnforschung wirklich von solch geradezu
hermetischer Geschlossenheit,
wie es den Anschein hat und geltend gemacht wird (vgl. oben Bas KAST)?
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2.0
Determiniertheit und eigenes Handeln
2.1
Vorab eine Prämisse
Für
alle im Folgenden erörterten Positionen gilt eine Prämisse, die
wahrscheinlich nicht von allen geteilt wird, von deren Triftigkeit der
Verfasser jedoch überzeugt ist. Benjamin LIBET hat sie wie folgt
beschrieben (2005, S. 27):
„Zuerst
müssen wir anerkennen, dass das Gehirn das physische »Organ« für
bewusste und unbewusste geistige Funktionen ist.
[...]
Es gibt keine objektiven Belege für die Existenz bewusster Phänomene
getrennt vom Gehirn.“
Rüdiger
SAFRANSKI formuliert das ähnlich (2004, S. 90):
„Zweifellos
hat jeder geistige Vorgang seine materielle Entsprechung. [...]
Aber das Denken und Empfinden ist als Erlebtes etwas anderes als das,
was sich in neurophysiologischer Perspektive zeigt.“
Ferner
ist der Verfasser davon überzeugt, dass kein Individuum gleichsam
voraussetzungslos existiert. Vielmehr lebt, entscheidet und handelt jeder
von uns – mit großen Unterschieden zu anderen Individuen – innerhalb
eines Rahmens, der durch genetische Veranlagung sowie die vielfältigsten
Umwelteinflüsse und Prägungen vorgegeben ist. Insofern sind wir Menschen
durchaus „determiniert“, ohne jedoch deswegen Marionetten dieser
Voraussetzungen zu sein. Lediglich die Vorstellung, gar nicht determiniert
zu sein, muss als realitätsfern gelten und ist damit gegenstandslos.
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2.2
Freiheit im Horizont von Determiniertheit
Norbert
HOERSTER (2008), wie zuvor Peter BIERI (2005, S. 124), hält
den Begriff »Freiheit« für so allgemein, dass er keine
differenzierten und damit triftigen Aussagen zulasse. Deswegen untersucht
und entfaltet er ihn wie folgt (S. 94 ff.):
-
Freiheit
ist gleichbedeutend mit Indeterminiertheit.
Eine umfassende Willensfreiheit ist mit dem Determinismus nicht zu
vereinbaren.
-
Determiniertheit
bedeutet:
Jedes menschliche Handeln geht letztendlich auf Ursachen zurück, die außerhalb
des Handelnden selbst liegen. Niemand ist der eigentliche Auslöser, die
Erstursache, seiner Handlungen.
-
Auch
wenn das Handeln von Menschen determiniert ist, haben sie Freiheit zu
vielerlei Handlungen, sofern sie nicht durch äußere Umstände an einer
bestimmten Handlung gehindert werden.
-
Neben
der physischen Freiheit zu einer bestimmten Handlung gibt es die
psychische Freiheit, sich für oder gegen eine bestimmte Handlung zu
entscheiden.
-
Mithin
schließt der Determinismus im Bereich menschlichen Handelns keineswegs
jegliche Art menschlicher Freiheit aus.
Eine
bemerkenswerte Differenzierung des Begriffes »Freiheit« findet sich bei
Geert KEIL (in Jan-Christoph HEILINGER, 2007, S. 281 - 306).
Arthur
SCHOPENHAUER, der oben beispielhaft zitiert wurde, nimmt zwar eine von
strenger Kausalität geprägte Position ein. Dennoch verbannt er weder
Freiheit noch Verantwortung aus der Systematik seiner Darlegungen.
Bemerkenswerte Einzelheiten dazu finden Sie im Anhang unter Nr. 3.1.
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2.3
Determiniertheit des Willens ist ein Fehlschluss
Vielleicht
reiben Sie sich jetzt die Augen und halten diese Überschrift für eine
bornierte Anmaßung, die sich jeder wissenschaftlichen Erkenntnis verschließt.
Dennoch ist sie begründet.
2.31
Benjamin
LIBET – ein Resumee am Ende eines Forscherlebens
Benjamin
LIBET (12. April 1916 – 23. Juli 2007) hat 2004 (deutsch
2005) in hohem Alter mit »Mind Time« ein Buch vorgelegt, das als
Summe seiner wissenschaftlichen Arbeit betrachtet werden muss und zugleich
sein Vermächtnis darstellt. Die folgenden Ausführungen fassen seine
Argumentation so knapp wie möglich zusammen. Im Anhang finden Sie unter Nr.
3.2 a) weitere Textbelege. Sie erhellen den
wissenschaftstheoretischen Hintergrund und lassen LIBETs jahrzehntelange
vielschichtig-intensive Auseinandersetzung mit dem Problem des freien
Willens nachvollziehbar werden.
In
eindrucksvoll kritischer Distanz zu seinen – inzwischen legendären –
Versuchen schreibt er (S. 193):
„Wir
haben jedoch die Frage nicht beantwortet,
ob (1) unsere bewusst gewollten Handlungen völlig von Naturgesetzen
determiniert sind, die die Aktivitäten von Nervenzellen im Gehirn
beherrschen,
oder ob (2) freie Willenshandlungen und die bewussten Entscheidungen, sie
zu vollziehen, bis zu einem bestimmten Grade unabhängig vom Determinismus
der Natur vonstattengehen können.“
Nach
einer Erörterung dieser beiden Optionen spitzt er das Problem zu (S. 194
f.):
„Wir
wollen unsere Grundfrage folgendermaßen formulieren:
Müssen wir den Determinismus
akzeptieren?
Ist der Indeterminismus überhaupt eine gangbare Option?“
[...]
„Es gab keine Belege oder gar den Vorschlag eines experimentellen
Versuchsplans, der endgültig und überzeugend die Gültigkeit des
Determinismus der Naturgesetze als Vermittler oder Werkzeug der
Willensfreiheit beweist.
Es gibt
eine unerklärte Lücke zwischen der Kategorie der physischen Phänomene
und der Kategorie der subjektiven Phänomene.“
Nach
einem ausdrücklichen Bezug auf seine eigenen experimentellen Untersuchungen
konstatiert er (S.195 f.):
„Die
Annahme, dass die deterministische Natur der physikalisch beobachtbaren
Welt subjektiv bewusste Funktionen und Ereignisse erklären kann, ist ein
spekulativer Glaube und keine
wissenschaftlich bewiesene Aussage.“ [...]
„Der Indeterminismus, die Ansicht, dass der bewusste Wille manchmal
Wirkungen ausüben kann, die nicht mit bekannten physikalischen Gesetzen übereinstimmen,
ist natürlich ebenfalls ein nicht bewiesener spekulativer Glaube.“
[...]
„Jedenfalls haben wir keine wissenschaftliche Antwort auf die Frage,
welche Theorie (Determinismus oder Indeterminismus) die Natur des freien
Willens beschreibt.“
Diesen
entsagungsvollen Einsichten hält er folgenden Standpunkt entgegen:
„Es
ist jedoch wichtig, eine nahezu universale Erfahrung anzuerkennen,
nämlich dass wir in bestimmten Situationen aus freier, unabhängiger
Entscheidung handeln können
und einen Einfluss darauf haben, wann wir handeln.“
Sodann
beurteilt er die Funktion und Leistung von Theorienansätzen zur
Willensfreiheit (S. 198):
„Theorien
sollen Beobachtungen erklären und nicht beiseiteschieben, es sei denn, es
gäbe starke Gründe dafür.“
[...]
„Es ist töricht, auf der Grundlage einer unbewiesenen Theorie des
Determinismus unser Selbstverständnis aufzugeben, dass wir eine gewisse
Handlungsfreiheit haben und keine vorherbestimmten Roboter sind.“
Abschließend
fasst LIBET seine Erkenntnisse zusammen (S. 197). Sie gelten sowohl für die
Alltagspraxis als auch für erzieherische Tätigkeit und lauten:
„Unsere
eigenen experimentellen Ergebnisse zeigen, dass der bewusste freie Wille
den am Ende stattfindenden Prozess des »Jetzt-Handelns« nicht
einleitet. Wie jedoch besprochen, hat der bewusste Wille die Möglichkeit,
das Fortschreiten und das Ergebnis des Willensprozesses zu steuern.“
Er
betont also die »Veto-Möglichkeit« des freien Willens, deren
Existenz für ihn außer Zweifel steht (S. 181), und bezieht sich auf seinen
Vorschlag, wie diese funktioniere (S. 183):
„Der
freie Wille initiiert also keinen Willensprozess; er kann jedoch das
Resultat steuern, indem er den Willensprozess aktiv unterdrückt und die
Handlung selbst abbricht, oder indem er die Handlung ermöglicht (oder
auslöst).“
Der
Forschung stellt er eine noch nicht gelöste Aufgabe (S. 197):
„Die
zerebrale Natur des Betrachtens von Handlungsoptionen durch
bewusstes Nachdenken und Vorausplanen, bevor überhaupt ein Prozess des »Jetzt-Handelns«
stattfindet, muss noch erhellt werden.“
LIBET
entwirft in seinem Buch einen möglichen Ansatz für weiterführende
Antworten auf die hier skizzierten Fragen. Er sieht ihn im Prinzip der
Emergenz und ist davon überzeugt (S. 118),
„dass
die mentale subjektive Funktion ein emergentes Phänomen entsprechender
Hirnfunktionen ist. Der bewusste Geist kann nicht ohne die Gehirnprozesse
existieren, die ihn erzeugen. Obwohl er aus Aktivitäten des Gehirns als
eine einzigartige Eigenschaft dieses physischen Systems entstanden ist,
kann der Geist Phänomene aufweisen, die im neuronalen Gehirn, das sie
hervorbringt, nicht sichtbar sind.“
Er
begründet diese Sicht an anderer Stelle und nennt als Beispiel die
Entstehung eines Magnetfeldes um einen Draht, durch den ein Strom fließt
(S. 205 f.):
„In
der physischen Welt erkennen wir die Tatsache an, dass die Phänomene, die
ein System aufweist, nicht in den Eigenschaften der Untereinheiten zu
finden sind, aus denen das System besteht. [...]
Wir
sind im Prinzip gezwungen, bewusstes subjektives Erleben auf ähnliche
Weise als ein Phänomen zu betrachten, das irgendwie aus einem geeigneten
System von Aktivitäten der physischen Nervenzellen im Gehirn auftaucht.
[...]
Wir
können also bewusstes subjektives Erleben als eine weitere fundamentale
Eigenschaft der Natur ansehen. Es besteht in der Einheit des subjektiven
Erlebens und dem Potential zur Beeinflussung der Aktivitäten von
Nervenzellen.“
Vertiefungen
zu diesen Überlegungen finden Sie im Anhang unter Nr. 3.2
b).
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2.32
Peter
BIERI – Einspruch der Philosophie
Namhafte
Philosophen haben sowohl der überkommenen Kritik als auch den aktuellen
Einwänden der Neurowissenschaftler widersprochen. Als dafür repräsentativ
wird hier Peter BIERI genannt. Wenn Sie sich auf die Tiefendimension
der Problematik einlassen wollen und sich mehr Zeit nehmen können, lassen
Sie sich dazu anregen, sein Buch » Das Handwerk der Freiheit«
(2001) zu lesen.
Im
Vorwort schreibt er (S. 9):
„Nachdem
ich eine Unzahl von Texten über Willensfreiheit gelesen und mich an ihnen
gerieben hatte, schob ich sie eines Tages alle beiseite und fragte mich:
Was hast du an dem Thema eigentlich verstanden? Und: Was glaubst du, was
das ist: hier etwas zu verstehen? Aus dem Versuch, diese Fragen zu
beantworten, ist das vorliegende Buch entstanden. [...]
Ich
wollte über ein zum Verzweifeln komplexes Thema in einfacher, mühelos
fließender Sprache schreiben, die ohne unnötige Fremdwörter und ohne
Jargon auskäme. Die befreiende Erfahrung war: Es geht!"
Andernfalls
finden Sie eine ebenso knappe wie scharfsinnige Argumentation in seinem
Essay von 2005 »Unser Wille ist frei«. Sein Widerspruch gegen die
Interpretation der neurobiologischen Befunde lautet:
„Was
wie eine beinharte empirische Widerlegung der Willensfreiheit daherkommt,
ist ein Stück abenteuerliche Metaphysik.“
Diese
– nach eigenen Worten – „freche Behauptung“ begründet er i.W. wie
folgt:
-
Für
unterschiedliche Zwecke sind unterschiedliche Beschreibungssysteme
entwickelt worden. Verschiedene Perspektiven dürfen nicht vermischt
werden, sonst entstehen Kategorienfehler. Fragen, die sich auf einer
Beschreibungsebene stellen, dürfen nicht auf einer anderen beantwortet
werden.
-
Der
Begriff »Freiheit« darf nicht allgemein gebraucht werden, sondern gehört
zu einer bestimmten Perspektive der Betrachtung. Nur dort ergibt er
einen Sinn. Hier ist das unser Selbstverständnis als Person. Nur
handelnde Wesen mit einem geistigen Profil sind Kandidaten für Freiheit
und Unfreiheit. In der neurobiologischen Mechanik des Gehirns gibt es
weder Freiheit noch Unfreiheit. „Das Gehirn ist der falsche logische
Ort für diese Idee.“
-
Was
kann mit »Freiheit“ (hier also mit Willensfreiheit) gemeint sein, so
dass uns die Forschungsergebnisse der Neurobiologie erschrecken können?
Mögliche Missverständnisse könnten sein,
o dass der Wille durch nichts bedingt und gleichsam ein unbewegter
Beweger sei;
o dass er zwar bedingt sei, z.B. psychologisch, keinesfalls jedoch
materiell durch Bedingungen im Gehirn;
o dass im Gehirn Prozesse gleichsam hinter unserem Rücken abliefen und
wir uns frei fühlten, es aber nicht seien – eine Illusion also.
Das würde
aber auch für jedes Wahrnehmen, Denken, Fühlen gelten. Deren
physiologischer Hintergrund mache sie auch nicht zu Illusionen.
-
Dem
steht ein anderes Verständnis von Freiheit gegenüber:
„Unser Wille ist frei, wenn er sich unserem Urteil darüber fügt, was
zu wollen richtig ist.
Und der Wille ist unfrei, wenn Urteil und Wille
auseinanderfallen.“
-
Den
Konflikt zwischen Determinismus und Freiheit gibt es nicht. Der
Gegensatz zu Determinismus ist Indeterminismus, der Gegensatz zu
Freiheit ist Zwang. Die Bilder der Kernspintomografen zeigen nur, wie
naturgesetzliche Dinge vor sich gehen, wenn wir unsere Freiheit ausüben,
indem wir uns entscheiden. Die Idee des Entscheidens aber hat keinen
logischen Ort in der Rede über das Gehirn.
-
Diejenige
Freiheit, die durch keine Hirnforschung widerlegt werden kann, reicht für
Verantwortung aus.
Sie besteht darin, Kontrolle über den eigenen Willen auszuüben.
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2.33
Aspekte der aktuellen Diskussion Grob
vereinfachend lässt sich die Diskussion über die Willensfreiheit auf diese Formel
bringen: Einerseits
wird der Begriff der Freiheit und dessen Reichweite
realitätsfern
überzogen,
andererseits werden Kausalität und Determiniertheit
hermetisch eng und geradezu totalitär
überinterpretiert. Deshalb
muss hier ergänzend Überlegungen nachgegangen werden, die sich
um eine unideolologisch-differenzierte Sicht auf das Problem bemühen.
Die
außerordentliche Bedeutung, die aus den Aufstellungen der führenden
Hirnforscher für das verantwortliche Handeln aller Menschen folgt, hat nicht nur den Widerspruch von Philosophen ausgelöst, sondern auch zu
Einwänden von Naturwissenschaftlern geführt. In einem von Jan-Christoph
HEILINGER 2007 herausgegebenen Sammelband werden sie
eindrucksvoll und exemplarisch aspektreich dokumentiert. Daraus sollen hier einige zentrale Argumente
vorgestellt werden. Sie greifen insbesondere Einsichten auf, die aus den
Erkenntnissen der modernen Physik und Biologie (u.a. Thermodynamik,
Quantenmechanik, Verhaltensforschung) folgen.
-
Andreas
V.M. HERZ
argumentiert (S. 35), dass die dem neuronalen Determinismus zugrunde liegenden Annahmen aus naturwissenschaftlicher
Sicht nicht haltbar seien. Nervensysteme seien prinzipiell als
Systeme mit stochastischer Natur aufzufassen. Sie unterlägen außerdem
thermischen Fluktuationen.
-
Ferdinand
HUCHO
vertieft diese Überlegungen. Für die Betrachtung komplexer Systeme -
wie das Gehirn eines ist - gebe es heute mathematische Ansätze, die ein
System als deterministisch beschreiben, ohne deren Berechenbarkeit
vorauszusetzen. In dieser prinzipiellen Unberechenbarkeit seien
möglicherweise die Wurzeln der Freiheit zu suchen. "Es ist die
submikroskopische Welt der Moleküle, in der die Gesetze der
Quantenphysik herrschen." (S. 133)
Was leistet das Gehirn? Als zentrales
Steuerungsorgan nimmt es aus der Umwelt nützliche Informationen auf und
verarbeitet sie zu Impulsen für situationsgerechtes Verhalten.
"Sämtliche Sinnesorgane sind letztlich Zugänge physikalischer
Signale zum Hirn." (S. 146) Das alles geschieht in einem Netzwerk
von unvorstellbaren Dimensionen. 100 Milliarden Nervenzellen sind über
ca. 10.000 Synapsen miteinander verknüpft. Das ergibt ein Netzwerk
von einer Million Milliarden Verknüpfungen - 1011 x 104
= 1015 (S. 139). Daraus folgt ein naturwissenschaftliches
Paradoxon. Die Kausalkette vom Molekül zum Verhalten ist lückenlos.
Weil die Zahl der möglichen Interaktionen riesig ist und es in jedem
ihrer Glieder Optionen gibt, ist sie jedoch prinzipiell nicht berechen-
und vorhersagbar, nicht determiniert. Zu kompliziert sind die
nicht-linearen Reaktionsgleichungen der Ursache-Wirkungs-Beziehungen (S.
140, 147).
HUCHO formuliert vor diesem Hintergrund
folgende Konsequenz:
"Aus der Evolution lässt sich vor allem eines ableiten: Die
Verhaltensvielfalt, die Komplexität nimmt zu und mit ihr die Freiheit.
Die Freiheit ist offenbar eine emergente neuartige Eigenschaft
hyperkomplexer Systeme, keine Illusion, sondern eine während der
Evolution zunehmende Qualität einer rein physikalischen Welt, die sich
wie das Wetter nicht auf die Reduktion von Elementarereignissen
berechnen oder auch nur beschreiben lässt. [...] Hyperkomplexe Systeme können sich auf nicht berechenbare Weise selbst
organisieren." (S. 139)
HUCHO resumiert (S. 140): "Die
hyperkomplexe, nicht berechenbare Maschine Mensch verhält sich zielgerichtet,
reproduzierbar, d.h. intentional, nicht chaotisch, nicht
stochastisch, zufällig. Die Gesetze der Thermodynamik geben über die
große Zahl der molekularen Einzelereignisse den zufälligen Wegen der
Atome und Moleküle ihre Richtung." Diese Mechanismen und
Zusammenhänge im einzelnen aufzuhellen und in diesem System die
Freiheit zu definieren sei eine gigantische Forschungsaufgabe der
experimentellen Naturwissenschaften. Er folgert:
"Willensfreiheit ist keine 'Illusion'
im populären Sinn eines 'falschen Eindrucks'.
Sie ist eine Wahrnehmung des bewussten cortex
cerebri,
der die unbewussten Prozesse tiefer
liegender Bereiche des Hirns erfährt und kontrolliert."
-
Georg
Nordhoff
verfolgt (S. 307 ff.) einen anderen Ansatz. Er sieht die Ursache für
Freiheit außerhalb der neuronalen Prozesse des Gehirns und findet sie
in der Vielfalt der Beziehungen, die zwischen einem Organismus und
seiner Umwelt bestehen. In seinem "relationalen Konzept der
Freiheit" beschreibt er Freiheit als die Möglichkeit, dass ein
Organismus verschiedene Beziehungen zu seiner Umwelt entwickeln kann.
Freiheit ist somit immer umweltgebunden und kontextabhängig (S. 331).
Das gilt zumal dann, wenn es sich bei diesem Organismus um den Menschen
handelt.
-
Michael
A. STADLER
wendet ein (S. 117 ff.), dass in LIBETs Versuchsanordnungen physikalische
und subjektive Zeit
problematisch vermischt würden. Deshalb könnten sie die aus ihnen abgeleiteten
weitreichenden Interpretationen nicht schlüssig tragen.
-
Olaf
L. MÜLLER
stellt in den Augen des Verfassers besonders interessante
Überlegungen an.
Zunächst begrenzt er den Geltungsanspruch naturwissenschaftlicher
Evidenzen (S. 335). Diese könnten allenfalls "vor dem
Hintergrund einer ganz bestimmten - naturalistischen - Metaphysik
gegen Willensfreiheit sprechen". Danach
spielten sich sämtliche Ereignisse in Vergangenheit, Gegenwart und
Zukunft ohne eine Alternative in einer einheitlichen kausalen Ordnung
ab. Im Gegensatz dazu führt er die metaphysische Position einer "Freiheit
aus dem Jenseits" vor. Die nachvollziehbare Darstellung dieser
Alternative kann im Rahmen dieser Webseite nicht geleistet werden. Hier
nur soviel: MÜLLER nimmt LIBETs Experimente umstandslos ernst.
Aus deren Struktur entwickelt er in überaus scharfsinniger Form analoge
Versuchsanordnungen und wendet sie auf lebenswirkliche Situationen an.
Das begrenzt die Ableitungen aus LIBETs Feststellungen in überzeugender
Form und führt sie förmlich ad absurdum.
Dabei geht es MÜLLER um die Frage, "ob sich
Freiheit mit den konkreten Ergebnissen vereinbaren lässt, die uns von
Neurophysiologen vorgelegt worden sind oder noch vorgelegt werden
könnten". Es sei schwer, Kausalketten durch das "chaotische
Milliardengewirr von Neuronen und Synapsen tatsächlich zu
verfolgen; "man kann der Kausalität nicht bei jedem Zahnrad
über die Schulter schauen" (S. 361). Niemals werden die
Neurophysiologen "unser gesamtes Gehirn en détail
kausal durchleuchten können. Nichts von dem, was sie jemals konkret
herausfinden werden, wird der Idee von der Freiheit aus dem Jenseits das
Wasser abgraben." (S. 362)
-
Christian LIST (2019/2021) setzt sich in seinem Buch »Warum
der freie Wille existiert« mit den zentralen aus der Klassischen Physik
stammenden Einwänden gegen den freien Willen auseinander und entkräftet
sie.
-
Andreas Schönau (2018) führt neurowissenschaftliche Erkenntisse mit
philosophischen Theorien und Konzeptionen der Handlungstheorie aus einer
neuartigen Perspektive zusammmen, die vom Konkreten ausgeht und zum
Allgemeinen aufsteigt. Damit macht er einen interdisziplinären Blick auf
die Gültigkeit der Bedingungen von Willensfreiheit möglich:
Alternativismus, Selbstverursachung, Verantwortung. Sie werden
hinsichtlich ihres konstitutiven Verhältnisses zu automatisierten und
unbewussten Prozessen untersucht. Auf dieser Grundlage erweist sich
Willensfreiheit als ein auf Fähigkeiten beruhendes Phänomen und fordert
die idealistischen Positionen der Philosophie heraus.
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2.34 Konsequenzen aus der Quantenphysik
In letzter Zeit
wurde die Bedeutung der Quantenphysik für die Annahme eines freien Willens
tiefschürfend herausgearbeitet. Insbesondere Friedo MANN und Christine
MANN - Schwiegersohn und Tochter von Werner HEISENBERG, dem
Begründer der Quantenphysik -, haben auf deren Grundlage für eine ganzheitliche
Weltsicht plädiert, in der der Dualismus zwischen Geist und Materie überwunden
wird und die strikten Kausalitäten der Klassischen Physik nicht gelten.
Nach einem längeren Referat zu lebenserhaltenem
Wahlverhalten von Lebewesen (F. Mann / Ch.Mann 2017, S. 208 ff.) kommen
die Autoren zu folgendem Ergebnis (a.a.O S. 218):
»Im Grunde
ist also die Frage nach der Willensfreiheit nicht eine Frage nach der
Steuerungs- oder Wahlmöglichkeit. Der Unterschied besteht wohl eher in der
Möglichkeit, die Verhaltensziele aus einem sehr viel größeren Pool zu
wählen. Dieser Pool ist gefüllt von einem unglaublich großen Arsenal von
Verhaltensoptionen und den durch Wissen ausdifferenzierten Vermutungen
darüber, was wir durch ein bestimmtes Verhalten ereichen. Es ist also
nicht die Freiheit, etwas zu wollen, die den Unterschied ausmacht, sondern
der Horizont der Ziele, die wir und wählen können.«
Die
weitreichenden Konsequenzen des von ihnen entwickelten neuen Weltbildes für das
Leben der Menschen werden in einem von den Autoren herausgegebenen Buch
dargestellt (F. Mann / Ch.Mann 2021). Ihre zentrale These lautet (a.a.O.
S.252): »Die Quantenphysik zeigt uns, dass das Prinzip der Unbestimmtheit
unser ganzes Sein durchzieht.«
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2.4
Folgerungen für erzieherisches Handeln
Die
vorstehend erörterten Positionen lassen keinen Zweifel daran, dass Menschen
selbstbestimmte Entscheidungen nicht nur treffen können, sondern
auch treffen müssen. Sie sind für diese verantwortlich und müssen
für sie einstehen bis hin zur Anerkennung einer Schuld. Das entspricht dem
Urbedürfnis, dass sich Menschen als Urheber ihrer Handlungen und nicht
als Marionetten einer wie immer gearteten Fremdbestimmung erleben möchten.
Wie
HOERSTERs Darlegungen zeigen, werden alle Menschen in ihrer Lebenswelt
vor Situationen gestellt, die ihnen auch bei völliger Determiniertheit
Entscheidungen für diese oder eine andere Möglichkeit abverlangen. So
schreibt auch LIBET (a.a.O., S. 194):
„...
sind freie Entscheidungen oder Handlungen nicht vorhersehbar,
selbst wenn sie vollständig determiniert sein sollten.“
Dass
sie jedoch das nicht sind, ist oben dargelegt worden. Das gilt erst recht,
wenn BIERIs Darlegungen zutreffen.
Somit
besteht für die Wahrnehmung unserer erzieherischen Aufgaben
keinerlei Anlass zu Resignation oder gar Fatalismus.
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3.0
Anhänge
3.1
Weitere Textbelege für Arthur SCHOPENHAUERs Beweisführung
In
seiner Abhandlung »Ueber die Freiheit des menschlichen Willens«
(1977/2007) beschreibt er zunächst den „empirischen Begriff“ der
Freiheit (S. 46):
„Frei
bin ich, wenn ich thun kann, was ich will:
und durch das‚ was ich will’, ist schon die Freiheit entschieden.“
Sodann
stellt er die Frage:
„Kannst
du auch wollen, was du willst?“
Nach
längerer Beweisführung beantwortet er sie (S. 62 f.):
„Du
kannst thun, was du willst:
aber du kannst, in jedem gegebenen Augenblick deines Lebens,
nur Ein Bestimmtes wollen und schlechterdings nicht Anderes als dieses
Eine.“
Das
entspricht der Überzeugung, die er wie folgt formuliert (S. 99):
„Alles
was geschieht, vom Großen bis zum Kleinsten, geschieht nothwendig.“
Im
Abschlusskapitel seiner Abhandlung wendet er sich einem bis dahin nicht
behandeltem Sachverhalt zu (S. 134):
„Es
gibt nämlich noch eine Thatsache des Bewußtseyns, von welcher ich
bisher, um den Gang der Untersuchung nicht zu stören, gänzlich abgesehen
habe. Diese ist das völlig deutliche und sichere Gefühl der Verantwortlichkeit
für Das was wir thun, der Zurechnungsfähigkeit
unserer Handlungen, beruhend auf der unerschütterlichen Gewißheit, daß
wir selbst die Thäter unserer Thaten sind.“
Seine
Überlegungen fasst er wie folgt zusammen (S. 137 f.):
„Dieser
Weg führt, wie leicht abzusehen, dahin, daß wir das Werk unserer Freiheit
nicht mehr, wie es die gemeine Ansicht thut, in unseren einzelnen
Handlungen, sondern im ganzen Seyn und Wesen (existentia
et essentia) des Menschen selbst zu suchen haben [...].
Die
Freiheit, welche daher im Operari
[Handeln] nicht anzutreffen seyn kann, muß
im esse [Sein] liegen. [...] Im
Esse
allein liegt die Freiheit, aber aus ihm und
den Motiven folgt das Operari
mit Nothwendigkeit: und an dem
was wir
thun, erkennen
wir was wir
sind. Hierauf, und nicht auf dem
vermeinten libero arbitrio
indifferentiae, beruht das Bewußtseyn der Verantwortlichkeit und die
moralische Tendenz des Lebens.“
So
kommt er zusammenfassend zu folgendem Schluss (S. 138 f.):
„Mit
Einem Wort: Der Mensch thut allezeit nur was er will, und thut es doch
nothwendig. Das liegt aber daran, daß er schon ist was er will: denn aus
dem, was er ist, folgt nothwendig Alles, was er jedesmal thut. Betrachtet
man sein Thun objektive, also von außen, so erkennt man apodiktisch, daß es, wie
das Wirken jedes Naturwesens, dem Kausalitätsgesetz in seiner ganzen
Strenge unterworfen seyn muß: subjektive
[zuinnerst] hingegen fühlt Jeder, daß er stets nur thut, was er will.
Dies besagt aber bloß, daß sein Wirken die reine Aeußerung seines
selbsteigenen Wesens ist.
Die
Freiheit ist durch meine Darstellung nicht aufgehoben, sondern bloß
hinausgerückt, nämlich aus dem Gebiete der einzelnen Handlungen, wo sie
erweislich nicht anzutreffen ist, hinauf in eine höhere, aber unserer
Erkenntniß nicht so leicht zugänglichen Region: d.h. sie ist
transzendental.“
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3.2
Weitere Textbelege für Benjamin LIBETs Positionen
a)
Zur Willensfreiheit
LIBET
formuliert im Vorwort seines Buches das Problem wie folgt (S. 22):
„Geeignete
Aktivitäten von Nervenzellen können gewiss den Inhalt oder sogar die
Existenz des subjektiven Erlebens beeinflussen. Gilt auch das Umgekehrte?
Können unsere bewussten Absichten wirklich die Aktivitäten der
Nervenzellen beim Vollzug eines freien Willensaktes beeinflussen oder
steuern?“
Und
weiter:
„Wie
unterscheidet das Gehirn zwischen bewussten und unbewussten geistigen
Ereignissen? Schließlich ist da noch die geheimnisvollste dieser Fragen:
Wie
können die physischen Aktivitäten von Nervenzellen im Gehirn die nichtphysischen
Phänomene des bewussten Erlebens erzeugen [...]?
Wie kann die Lücke zwischen dem »Physischen« (dem Gehirn) und dem »Geistigen«
(unseren bewussten, subjektiven Erlebnissen) überbrückt werden?“
Diese
Lücke hatte bereits Friedrich SCHILLER in seiner ersten Dissertation
gesehen und mit einer kühnen Konstruktion zu überbrücken versucht
(1979/2004, S. 253 f.):
„Endlich
muß eine Kraft vorhanden sein, die zwischen den Geist und die Materie
tritt und beide verbindet. [...] Ich nenne sie Mittelkraft.“
Eine
schlüssige Beweisführung gelingt ihm nicht, so dass die Gutachter seinen
Aufstellungen nicht gefolgt sind. Aus zeitgenössisch-wissenschaftlicher
Sicht stammende Einwände gegen diese »Mittelkraft« wehrt er jedoch ab
(a.a.O., S. 254):
„Die
Erfahrung beweist sie; wie kann die Theorie sie verwerfen.“
Auch
LIBET ist sich nicht sicher, ob diese Fragen beantwortet werden können (S.
25):
„Es
gibt keine Garantie dafür, dass das Phänomen des Bewusstseins und seine
Begleiterscheinungen
in Begriffen der heutigen Physik erklärbar sein werden.“
Die
gängige Position, geistige Vorgänge auf die Kenntnis der Aktivitäten von
Nervenzellen zu reduzieren, sieht er skeptisch. Daran anschließend schreibt
er (S. 26):
„Viele
Wissenschaftler und Philosophen scheinen jedoch nicht zu verstehen, dass
ihre starre Meinung, der Determinismus sei wahr, auf einem Glauben
beruht. In Wirklichkeit sind sie nämlich nicht im Besitz einer
Antwort.“
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b)
Zur Interaktion von Gehirn und Geist
LIBET
greift die eingangs gestellte Frage wieder auf, ob der Geist das Gehirn
beeinflussen könne. Unsere eigenen Handlungen und geistigen Operationen könnten
nämlich einen Anscheinsbeweis für eine solche umgekehrte Interaktion
darstellen (S. 210).
Für
eine mögliche Antwort vertieft er die oben dargestellten Überlegungen
zur Emergenz und schlägt vor, das bewusste subjektive Erleben als ein
»Feld« zu verstehen:
„Ein
»bewusstes mentales Feld« (BMF) wäre der Vermittler zwischen den
physischen Aktivitäten der Nervenzellen und dem Auftauchen von
subjektivem Erleben.“ (S. 212 f.)
„Das BMF sollte ... als ein wirkliches und prüfbares Merkmal der
Gehirnfunktion betrachtet werden. Man kann es sich als analog zu bekannten
physikalischen Kraftfeldern vorstellen.“ (S. 213).
„Das BMF existiert nicht ohne das Gehirn. Es ist eine emergente
Eigenschaft eines geeigneten Systems neuronaler Aktivitäten.“ (S. 228)
Friedrich
SCHILLER kannte den Feldbegriff noch nicht und musste sich mit der
unzureichenden »Mittelkraft« begnügen. Könnte LIBET die Lücke zwischen
Physischem und Geistigem geschlossen haben? Er selbst schreibt
entsagungsvoll-bescheiden (S. 229 f.):
„Die
Emergenz bewusster subjektiver Erfahrung aus der Aktivität von
Nervenzellen ist immer noch ein Geheimnis.“ [...]
„Gleichgültig,
ob die BMF-Theorie richtig ist oder nicht, die Erkenntnis von neuronalen
Strukturen und Funktionen kann nie an sich bewusstes Erleben erklären
oder beschreiben.“ [...]“
„Außerdem
ist es möglich, das einige geistige Phänomene gar keine direkte
neuronale Grundlage haben, und es ist ebenfalls möglich, dass der
bewusste Wille nicht immer den Naturgesetzen der physischen Welt
gehorcht.“
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3.3
Der freie Wille – eine geistesgeschichtliche Skizze
Immanuel
KANT konstatiert knapp und geradezu apodiktisch (1983 S. 61),
"der
Mensch ist nun mehr als eine Maschine."
Edo
REENTS berichtet (2008, S. N 3):
Vor
einem Jahr wurde während einer Frankfurter Podiumsdiskussion über die
Hirnforschung die Vermutung geäußert, dass „die Idee der
Willensfreiheit nur dazu dient, die philosophischen Lehrstühle der
Republik zu erhalten“, und deshalb dort die neuen Beweise der
Neurowissenschaft ignoriert würden.
So
habe auch schon Arthur SCHOPENHAUER geätzt (1839/1977/2007, S. 81
f.):
„Inzwischen
fehlt es auch in Deutschland nicht an Ignoranten, die alles, was seit zwei
Jahrhunderten große Denker darüber (sc. den freien Willen) gesagt haben,
in den Wind schlagen. [...] Doch tue ich ihnen vielleicht Unrecht; indem
es seyn kann, daß sie nicht so unwissend sind, wie sie scheinen, sondern
bloß hungrig, und daher, für ein trockenes Stück Brod, Alles lehren,
was einem hohen Ministerio wohlgefällig seyn könnte.“
Friedrich
NIETZSCHE erklärt den freien Willen zu einer Intrige der Theologen:“
„Irrtum vom freien Willen
Wir haben heute kein Mitleid mehr mit dem Begriff »freier Wille«:
wir wissen nur zu gut, was er ist – das anrüchigste Theologen-Kunststück,
das es gibt, zum Zweck, die Menschheit in ihrem Sinne »verantwortlich«
zu machen, das heißt sie von sich abhängig zu machen...“
Die vier großen Irrtümer, Nietzsche Werke, hrsg. von Karl
SCHLECHTA, 1954, Bd. 2, S. 976 - 977).
Josef
JOFFE stellt in einem Artikel über den Kreationismus im
Biologieunterricht die Frage (Die ZEIT Nr. 29/2007):
„Sollen
wir also nicht über Fragen nachdenken, die keine richtigen Antworten
kennen?
Doch, das tun wir seit 2500 Jahren in einer Disziplin namens Philosophie.“
Noch
höhnischer – und ungerechter – kann man das Ringen um die „Grund
legende“ Problematik der Willensfreiheit nicht niedermachen. Deshalb soll
hier ein skizzenhafter Überblick der Positionen und Autoren
gegeben werden, die
für die Entfaltung des Problems in der Geistesgeschichte besonders wichtig
sind. Er muss sich jedoch auf einige
weiterführende Hinweise beschränken. Wenn Sie ausführliche Informationen
suchen, finden Sie eine
informative und gediegene Darstellung der Thematik bei der »Freien
Enzyklopädie Wikipedia«.
Der
Wille des Menschen und in Verbindung damit die Freiheit des Willens wird in der Philosophie der Antike vielfach
und auf hohem Reflexionsniveau erörtert. Hier sind die Namen PLATON,
ARISTOTELES, CICERO (Repräsentant stoischen Gedankenguts
im Denken der Römer),
später der Apostel PAULUS sowie PHILON zu nennen. Eine
informative Übersicht finden Sie bei Albrecht DIHLE (1985).
Gleichwohl
sieht Arthur Schopenhauer
erst bei Augustinus
„ein völlig entwickeltes Bewußtseyn des Problems mit allem, was daran
hängt“ (1977/2007, S. 105). Erst durch ihn sei die Philosophie zum
Bewusstsein des Problems erwacht (S. 114). Albrecht DIHLE
bekräftigt diese Auffassung (1985, S. 138). In seiner
zusammenfassenden Würdigung schreibt er (S. 162): "AUGUSTINUS war
ohne Zweifel der Erfinder des »modernen« Willensbegriffs". Dessen
riesiges und epochales Werk kann hier nicht dargestellt werden. Eine
Skizze seiner Gedanken zur Willensfreiheit, die er in seinem ersten
Hauptwerk "De libero arbitrio" entwickelt, muss
hier genügen.
o
Einerseits
schließt die Allmacht Gottes einen eigenen freien Willen des Menschen
bei seinen Handlungen aus,
weil sie sie zwangsläufig determiniert.
o Andererseits sind eigene Entscheidungen des Menschen offenkundig
möglich,
z.B. Gott zu gehorchen oder eben nicht.
o Deshalb muss die
Fähigkeit des Menschen, sich für Gut oder Böse entscheiden zu
können,
in Gottes Heilsplan vorgesehen sein.
AUGUSTINUS beschreibt also
die Willensfreiheit als ein von Gott verliehenes Gut. In seinem Werk
"De civitate Dei" (Über den Gottesstaat) betont er (5, 9 f.),
dass Gott unfehlbar voraussehe, was der Mensch wollen wird, aber
nicht erzwinge, dass er dies wollen wird.
Der
Religionspädagoge Hans SCHOLL hat diese Argumentationslinie in zeitgenössischer
Sprache wie folgt ausgestaltet. Er schreibt (2008, S. 45):
"Ungeachtet
der ontischen Abhängigkeit von Gott, ist der Mensch auf der
innerweltlichen Ebene seines Lebens in der Regel frei und für sein Tun
verantwortlich, so sehr ihn Schicksalsgegebenheiten einengen mögen.
Verständnis dafür, daß jedes Verhalten jedes Menschen nicht anders
sein kann, als es ist, muß mit der Überzeugung verbunden werden, daß
jeder auch anders könnte, wenn er nur wollte. Eine praktische
Konsequenz kann man aus Fatalismus und Determinismus nicht ziehen. Für
den Christen ist Gottes Gebot eine allem Tun vorgegebene verbindliche
Aufgabe, die zu versäumen niemandem freisteht.
Freiheit heißt aber auch, daß der Mensch
Gottes Gebot übertreten kann und Gott ihn nicht daran hindert. Er
ist das Wesen, das im Gegensatz zum Tier wissen müßte, was gut und
böse ist, und es oft gerade nicht weiß, sehen muß, wie er eine
Richtlinie für sein Verhalten findet, und erlebt, daß diese und sein
natürliches Verlangen oft nicht im Einklang sind."
KANT
hat sich mit dem freien Willen bzw. der Willensfreiheit immer wieder
auseinandergesetzt, insbesondere in der »Grundlegung zur Metaphysik der
Sitten« (z.B. 1983, Band 4, S 74 f., S. 81 ff.) sowie in der »Kritik der
praktischen Vernunft«. In der Vorrede zur zweiten Auflage der »Kritik
der reinen Vernunft« nennt er als große Themen der Philosophie die
Freiheit des Willens zusammen mit der Unsterblichkeit der Seele und der
Existenz Gottes (1983, Band 2, S. 34, ebenso auch im Text S. 672). Im
dritten Widerstreit der »Antinomie der reinen Vernunft« erörtert er den
Konflikt zwischen Freiheit und Kausalität (a.a.O., S. 426 ff.; s. insbesondere
die Ausführungen zur „absoluten Spontaneität der Ursachen“, S. 428).
Neuerdings hat Marcus
WILLASCHEK in seiner großen Kant-Biographie (2023) KANTs
Auffassungen zum freien Willen dargestellt und kritisch gewürdigt.
Kapitel 7: »Unendliche Reihe oder erster Anfang? Kant über
Willensfreiheit« - S. 345 -358. Sein Text ist zugleich tiefschürfend und
bemerkenswert übersichtlich.
Arthur
SCHOPENHAUER hat das Verdienst KANTs uneingeschränkt anerkannt, setzt
sich jedoch mit dessen Ethik durchaus kritisch auseinander (Über die
Grundlage der Moral, 1977/2007). Dazu liegt die Untersuchung von Margot
Fleischer (2003) vor.
Hervorzuheben ist SCHOPENHAUERs Lob für KANTs „Theorie der Freiheit“,
(a.a.O., § 10, S. 73 ff.).
Seine
eindringende Analyse der Problematik wird oben unter Nr.
3.1 dokumentiert. Hier genügt es, auf einen
Untersuchungsgegenstand hinzuweisen, der nach wie vor aktuell und – wie
die Ausführungen dieser Webseite belegen – strittig ist: „Das
Selbstbewusstsein ist kein Beweis für die Freiheit des Willens.“
DARWIN
muss unter seinen Erkenntnissen zur Evolution gelitten haben. In einer
seiner Notizen schreibt er (zitiert nach Bas KAST, 2008):
„Über
diese Dinge nachdenkend, zweifelt man am freien Willen, jede Handlung
(scheint) determiniert durch die erbliche Konstitution (und) das
Vorbild von anderen oder den Unterricht von anderen.“
NIETZSCHE
hat sich schon früh mit der Willensfreiheit beschäftigt und
auseinandergesetzt. Für 1862 ist eine Abhandlung über „Willensfreiheit
und Fatum“ belegt. Die Stichworte »Willensfreiheit«, »freier Wille«,
»Verantwortung«, »Unverantwortlichkeit« durchdringen sein Werk.
Deshalb ist es nicht sinnvoll, deren gedanklichen Zusammenhang hier zu
dokumentieren. Um sie zu finden, empfiehlt es sich, Band 31 der
Digitalen Bibliothek mittels Suchefunktion durchzusehen.
Eine
repräsentative Sentenz ist oben zitiert worden. Eine weitere, aus der
bittere Verzweiflung spricht, sei hier angefügt.
„Unverantwortlichkeit
und Unschuld
Die völlige Unverantwortlichkeit des Menschen für sein Handeln und
sein Wesen ist der bitterste Tropfen, welchen der Erkennende schlucken
muss, wenn er gewohnt war, in der Verantwortlichkeit und der Pflicht den
Adelsbrief seines Menschentums zu sehen. Alle seine Schätzungen,
Auszeichnungen, Abneigungen sind dadurch entwertet und falsch geworden:
sein tiefstes Gefühl, das er dem Dulder, dem Helden entgegenbrachte,
hat einem Irrtume gegolten; er darf nicht mehr loben, nicht tadeln, denn
es ist ungereimt, die Natur und die Notwendigkeit zu loben und zu
tadeln. So wie er das gute Kunstwerk liebt, aber nicht lobt, weil es
nichts für sich selber kann, wie er vor der Pflanze steht, so muss er
vor den Handlungen der Menschen, vor seinen eignen stehen. Er kann
Kraft, Schönheit, Fülle an ihnen bewundern, aber darf keine Verdienste
darin finden: der chemische Prozess und der Streit der Elemente, die
Qual des Kranken, der nach Genesung lechzt, sind ebensowenig Verdienste
als jene Seelenkämpfe und Notzustände, bei denen man durch
verschiedene Motive hin- und hergerissen wird, bis man sich endlich für
das mächtigste entscheidet – wie man sagt (in Wahrheit aber, bis das
mächtigste Motiv über uns entscheidet).“
Menschliches, Allzumenschliches, Nietzsche Werke, hrsg. von Karl
SCHLECHTA, Band 1, S. 513)
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4.0
Literaturnachweise
4.1
Literaturgrundlage dieses Textes
-
Thomas
ASSHEUER
Ich war es nicht!
Die ZEIT Nr. 42 vom 11. Oktober 2007
-
Aurelius
AUGUSTINUS
De libero arbitrio
Der freie Wille
Eingeleitet, übersetzt und herausgegeben von
Johannes BRACHTENDORF
zweisprachige Ausgabe
Paderborn 2006
-
Peter
BIERI
Das Handwerk der Freiheit
Über die Entdeckung des eigenen Willen
München 2001
-
ders.
Unser Wille ist frei
Der Spiegel Nr. 2 vom 10. Januar 2005, S. 124 – 125
-
Albrecht
DIHLE
Die Vorstellung vom Willen in der Antike
Göttingen 1985
-
Hans
Günter GASSEN
Das Gehirn
Darmstadt 2008
-
Jan-Christoph
HEILINGER (Hrsg.)
Naturgeschichte der Freiheit
Interdisziplinäre Anthropologie
Berlin 2007
In diesem Band sind u.a. folgende Aufsätze enthalten:
o Jan-Christoph
HEILINGER
Einleitung: Naturgeschichte der Freiheit - S. 1 - 25
o Jens G. REICH
Zum Kausalitätsprinzip in der Biologie - S. 29 - 34
o Andreas V.M. HERZ
Neuronaler Determinismus: Nur eine Illusion? - S. 35 -
42
o Martin Heisenberg
Naturalisierung der Freiheit aus der Sicht der
Verhaltensforschung - S. 43 - 58
o Michael STADLER
Der freie Wille, die Zeit und die Verantwortlichkeit -
S. 117 - 132
o Ferdinand HUCHO
Die Ursachen der Freiheit.
Signaltraduktion als Grundlage von Verhalten - S. 133 - 148
o Michael PAUEN
Ursachen und Gründe.
Zwei zentrale Begriffe in der Debatte
um Naturalismus und
Willensfreiheit - S. 247 - 272
o Geert KEIL
Mythen über die libertarische Freiheitsauffassung - S.
281 - 305
o Georg NORDHOFF
Freiheit und Einbettung in die Umwelt -
ein relationales neurophilosophisches Modell - S. 307 - 334
o Olaf L. MÜLLER
Die Diebe der Freiheit
Libet und die Neurophysiologen vor dem Tribunal der
Metaphysik - S.335 - 366
o Matthias JUNG
Natur und Kultur der Freiheit - S. 405 - 434
o Volker GERHARDT
Leben ist das größere Problem.
Philosophische Annäherung an eine Naturgeschichte der
Freiheit - S. 457 - 480
-
Norbert
HOERSTER
Was ist Moral?
Eine philosophische Einführung
Stuttgart 2008
-
Immanuel
KANT
Werke in sechs Bänden
herausgegeben von Wilhelm Weischedel
Band II: Kritik der reinen Vernunft
Band IV: Schriften zur Ethik und Religionsphilosophie
Darmstadt 1983
-
Bas
KAST
Darwin
Die Natur der Seele
Tagesspiegel vom 31. August
2008
http://www.tagesspiegel.de/meinung/kommentare/Charles-Darwin;art141,2604395
-
Benjamin
LIBET
Mind Time
The Temporal Factor in Consciousness
Harvard 2004
deutsch:
Wie das Gehirn Bewusstsein produziert
Frankfurt am Main 2005, Taschenbuchausgabe ebd. 2007
Dazu die Besprechung von
Christian GEYER
Ich weiß nicht mehr, ob ich Determinist werden will
Frankfurter Allgemeine Zeitung Nr. 43 vom 21. Februar 2005, S. 41
-
Christian LIST
Warum der freie Wille existiert
Darmstadt 2021
-
Frido
MANN - Christine MANN
Es werde Licht
Die Einheit von Geist und Materie in der Quantenphysik
Frankfurt am Main 2017, 3. Auflage
-
dies. (Hrsg.)
Im Lichte der Quanten
Konsequenzen eines neuen Weltbildes
Darmstadt 2021
-
Friedrich
Albert LANGE
Geschichte des Materialismus
und Kritik seiner Bedeutung in der Gegenwart
herausgegebene und eingeleitet von Alfred SCHMIDT
Iserlohn 1866/Frankfurt am Main 1974
-
Friedrich
Nietzsche
Werke in drei Bänden
herausgegeben von
Karl Schlechta
München 1954
-
ders.
Als CD mit der Biographie von Curt Paul Janz
Textgrundlage:
Werke in drei Bänden
herausgegeben von
Karl Schlechta
Digitale Bibliothek Band
31, zweite Ausgabe
Berlin 2000, Directmedia
-
Endo
REENTS
Schopenhauers Determinismus
Frankfurter Allgemeine Zeitung Nr. 200 vom 27. August 2008, S. N3
-
Rüdiger
SAFRANSKI
Schiller oder die Erfindung des Deutschen Idealismus
München 2004
-
ders.
Schiller oder die Freiheit als Problem
Festrede beim Festakt zum 200. Todestag Friedrich Schillers
am 9. Mai 2005 im Deutschen Nationaltheater Weimar
http://www.thueringen.de/de/tsk/aktuell/veranstaltungen/17508/index.html
-
Friedrich
SCHILLER
o Philosophie der Physiologie (1779)
o Versuch über den Zusammenhang der tierischen Natur des Menschen
mit seiner geistigen (1780)
in:
Wolfgang RIEDEL (Hrsg.)
Sämtliche Werke in fünf Bänden
München und Wien 2004, Band 5, S. 250 - 268, S. 287 - 324
-
Andreas
SCHÖNAU
Schnittstellenproblematik in Neurowissenschaften und Philosophie
Willensfreiheit aus handlungstheoretischer Perspektive
Stuttgart 2018
-
Hans
SCHOLL
Grundlinien einer systematischen Theologie
Aus philosophischer Sicht
Frankfurt am Main und Berlin 2008
-
Arthur
SCHOPENHAUER
Über die beiden Grundprobleme der Ethik
Behandelt in zwei akademischen Preisschriften
1. Über die Freiheit des menschlichen Willens
2. Über das Fundament der Moral
1860, 2. verbesserte und vermehrte Auflage
in:
Werke in zehn Bänden – Zürcher Ausgabe
herausgegeben von Angelika HÜBSCHER
Band VI: Kleinere Schriften Band 2
Zürich 1977/2007
-
Marcus
WILLASCHEK
KANT - Die Revolution des Denkens
München 2023
-
Wikipedia
Freier Wille
http://de.wikipedia.org/wiki/Freier_Wille
-
Wikipedia
Emergenz
http://de.wikipedia.org/wiki/Emergenz
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4.2
Weitere Literatur zum Problem des freien Willens
-
Jördis
ALEX
Implikationen der Hirnforschung für das Bewusstsein
http://www.spinne-in-farbe.de/hirnforschung.pdf
-
Ansgar
BECKERMANN
Haben wir einen freien Willen?
http://www.philosophieverstaendlich.de/freiheit
-
Edith
und Klaus DÜSING – Hans-Dieter KLEIN (Hrsg.)
Geist und Willensfreiheit
Klassische Theorien von der Antike bis zur Moderne
Würzburg 2006
-
Desiderius
ERASMUS von Rotterdam
De libero arbitrio
Vom freien Willen (1524)
Göttingen 1998, 7. Auflage
-
Margot
Fleischer
Schopenhauer als Kritiker der Kantischen Ethik
Würzburg 2003
-
Christof
GESTRICH – Thomas WABEL
Freier oder unfreier Wille?
Handlungsfreiheit und Schuldfähigkeit im Dialog der Wissenschaften
Beiheft 2005 zur Berliner Theologischen Zeitschrift
-
Christian
GEYER (Hrsg.)
Hirnforschung und Willensfreiheit
Zur Deutung der neuesten Experimente
Frankfurt am Main 2004
-
Jürgen
HABERMAS
Freiheit und Determinismus
Deutsche Zeitschrift für Philosophie 52 (2004) Nr. 6, S. 871 – 890
auch in:
Zwischen Naturalismus und Religion
Philosophische Aufsätze
Frankfurt am Main 2005, S. 155 –186
-
Ted
HONDERICH
Wie frei sind wir?
Das Determinismus-Problem
Stuttgart 1995
Der Titel ist eine Kurzfassung des folgenden Hauptwerkes
-
ders.
A Theory of Determinism
The Mind, Neuroscience, and Life-Hopes
Oxford 1988
-
Volker
JOHST
Die Willensfreiheit ist keine Illusion
Naturwissenschaftliche Rundschau 60 (2007)
Nr. 6, S. 297 – 302, Nr. 7, S. 349 – 356
-
Immanuel
KANT
Werke in sechs Bänden,
herausgegeben von Wilhelm WEISCHEDEL
Band VI: Schriften zur Anthropologie, Geschichtsphilosophie, Politik und Pädagogik
Darmstadt 1983
Beantwortung der
Frage: Was ist Aufklärung S. 61
-
Geert
KEIL
Handeln und Verursachen
Frankfurt am Main 2000
-
ders.
Kausalität und Freiheit.
Antwort auf Peter Rohs
in:
Allgemeine Zeitschrift für Philosophie 28 (2007) S. 261 - 271
-
ders.
Willensfreiheit
Berlin 2007
-
Kristian
KÖCHY – Dirk STEDEROTH (Hrsg.)
Willensfreiheit als interdisziplinäres Problem
Freiburg und München 2006
-
Achim
LOHMAR
Moralische Verantwortlichkeit ohne Willensfreiheit
Frankfurt am Main 2005
-
Martin
LUTHER
De servo arbitrio
Über den unfreien Willen (1525)
Weimarer Ausgabe 18, 600 – 787
Deutscher Erstdruck 1526
Das der freie Wille nichts sei
Antwort D. Martini Luther an Erasmum Roterdam
-
Reinhard
Merkel
Willensfreiheit und rechtliche Schuld
Eine strafrechtsphilosophische Untersuchung
Baden-Baden 2008
-
Michael
PAUEN
Illusion Freiheit?
Mögliche und unmögliche Konsequenzen aus der Hirnforschung
Frankfurt am Main 2004
-
ders.–
Gerhard ROTH
Freiheit, Schuld und Verantwortung
Grundzüge einer naturalistischen Theorie der Willensfreiheit
Frankfurt am Main 2008
-
Oskar
Robert PFISTER
Die Willensfreiheit
Berlin 1904
-
Max
PLANCK
Vom Wesen der Willensfreiheit und andere Vorträge
Frankfurt am Main 1990
-
Michael
ROSENBERGER
Determinismus und Freiheit
Das Subjekt als Teilnehmer
Darmstadt 2006
-
Gerhard
ROTH
Das Gehirn und seine Wirklichkeit
Kognitive Neurobiologie und ihre philosophischen Konsequenzen
Frankfurt am Main 1997
-
ders.
– Klaus-Jürgen GRÜN (Hrsg.)
Das Gehirn und seine Freiheit
Beiträge zur neurowissenschaftlichen Grundlegung der Philosophie
Göttingen 2006
-
Gottfried
SEEBASZ
Handlung und Freiheit.
Philosophische Aufsätze
Tübingen 2006
-
Dieter
STURMA
Philosophie und Neurowissenschaften
Frankfurt am Main 2006
-
Günter
TEICHERT
Einführung in die Philosophie des Geistes
Darmstadt 2006
-
Daniel
von WACHTER
Die kausale Struktur der Welt
Eine philosophische Untersuchung über Verursachung, Naturgesetze,
freie Handlungen, Möglichkeit und Gottes Rolle in der Welt
Vorabdruck München 2007 unter
http://epub.ub.uni-muenchen.de/1975/1/wachter_2007-ursachen.pdf
Der Inhalt dieses Werkes wird in zwei Büchern unter voraussichtlich
folgenden Titeln erscheinen:
Die kausale Struktur der Welt
Die kausale Rolle Gottes in der Welt
Die
zusammenfassende Literaturgrundlage
für das Thema Werte-Erziehung finden sie hier: Literaturgrundlage
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Ausgearbeitet
von: Dr.
Manfred Rosenbach - letzte Änderung
am: 29.04.24
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