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»Neurodidaktik«

Aufgaben, Leistungen, Grenzen

Übersicht
1.0 Das Problemfeld
2.0 Positionen
      2.1 Schlichte Weisheiten
      2.2 Das Gehirn ist ein Sozialorgan
      2.3 »Privilegiertes« und »nicht-privilegiertes Lernen«

      2.4 Lernen im »entspannten Feld«
      2.5 Warum Lehren und Lernen so schwierig sind
      2.6 Hirnforschung als Ergänzung und Korrektiv

1.0 Das Problemfeld

Welche Einsichten kann die moderne Hirnforschung uns Lehrern vermitteln?

Ernst-Peter Fischer (2004, S. 389) antwortet auf diese Frage mit einer knappen Formel:

„In der Tat kann nicht deutlich genug betont werden,
dass Gehirne
weniger mit Informationen
und mehr mit Bedeutungen
arbeiten.“

Das Gehirn hat eine Filterfunktion, die bis zur Abwehr von Informationen reichen kann (vgl. dazu die Webseite „Das Gedächtnis – II. Lernen und Vergessen“). Da Unterricht zum großen Teil im Vermitteln – und nachhaltigen Lernen – von Informationen besteht, sieht sich die Didaktik mit einer geradezu paradoxen Aufgabe konfrontiert. Vor mehr als vierzig Jahren hat sie der Schulrat des Verfassers bei dessen Ernennung zum Studienrat wie folgt auf den Punkt gebracht:

„Didaktik ist die Kunst,
Schülern etwas beizubringen, das die gar nicht wissen wollen.“

Reduziert man den schwarzen Humor dieses alten Praktikers auf seinen sachlichen Kern, so erweisen sich »Bedeutungen« als zentraler Schlüssel zu der Kunst, Schüler für die Lernarbeit an den Unterrichtsgegenständen zu gewinnen. Aus den Ergebnissen der Neurowissenschaften lassen sich für die Praxis des Unterrichts Einsichten gewinnen, die bis zur Etablierung einer aktuellen Denkrichtung der Didaktik geführt haben – der »Neurodidaktik« oder auch – genereller im Anspruch – der »Neuropädagogik«.

Der Begriff wurde 1988 von Gerhard PREISZ vorgeschlagen und seitdem ausgestaltet. Er hat inzwischen eine breite Diskussion ausgelöst. Wilhelm H. PETERSZEN nimmt diesen Begriff nicht in die Neufassung 2001 seines Lehrbuches Allgemeine Didaktik auf, sondern konstatiert (a.a.O., S. 9) als neue didaktische Denkrichtung die »konstruktivistische Didaktik«. Zu deren Grundlagen rechnet er u.a. den „neurophysiologischen Ansatz“ (a.a.O., S. 102). Die Bedeutung der konstruktivistischen Didaktik betont er in pointierter Formulierung, indem er sie unmittelbar mit dem „überkommenen Kernauftrag“ der Schule verbindet:

„Auch Lernen ist Konstruktion.“

Informationen zum systemisch-konstruktivistischen Ansatz finden Sie auf den Webseiten "Lernen und Kognition I." sowie "Lernen und Kognition II.", ferner auf den Webseiten des Ordners „Grundzüge der Allgemeinen Didaktik“.

Wunder dürfen freilich von den Ergebnissen der neurowissenschaftlichen Forschung nicht erwartet werden. Auch deren Erkenntnisse erlauben es keineswegs, eine moderne Version des »Nürnberger Trichters« zu konstruieren. Die Neurowissenschaftlerin Hannah MONYER formuliert das deutlich und zugleich ernüchternd (Gehirn und Geist Nr. 1-2/2005, S.37):

"Wenn wir diese Mechanismen [gemeint sind hier Versuche, die Neuronenaktivität zu beeinflussen und deren Auswirkungen auf das Gedächtnis zu testen – Verf.] besser verstehen, können wir eines Tages vielleicht auch die Frage beantworten, wie Lernen beim Menschen genau funktioniert und welche Mittel dabei förderlich sind."

Ähnlich skeptisch äußert sich auch Elsbeth STERN (2004 a, S. 537). Dennoch lassen sich Prinzipien nennen und aus ihnen Empfehlungen ableiten.

Im Anschluss an den Essay, mit dem Ulrich HERRMANN den Thementeil der Zeitschrift für Pädagogik 50 (2004) Nr. 4, S. 471 – 474, eröffnet, werden hier einige zentrale Einsichten zusammengestellt.

  • Erkennen und Erinnern, Denken und Verstehen finden in Verfahren statt und folgen Regeln, die sich das Gehirn des Menschen selbst gibt. Wenn das Gehirn etwas von sich aus nicht zuläßt, kann das durch willentlich gezielten und korrigierenden Zugriff nicht erzwungen werden.

  • Lernen und Verstehen sind keine Prozesse einfacher Informationsaufnahme und -wiedergabe.

  • Das Gehirn organisiert und erzeugt Informationen und ihre Verknüpfungen;
    es bewertet Informationen nach Neuigkeit und Bedeutung;
    es entscheidet von sich aus über Erinnern oder Vergessen, Differenzierung und Verknüpfungen.

  • Erfolgreiches Lernen ist an Voraussetzungen gebunden, die durch Hirnforschung untermauert werden:
    o anregenden Unterricht,
    o angemessene Herausforderungen,
    o angstfreie Atmosphäre,
    o als bedeutsam erkannte Lerngegenstände.

  • Summa summarum:
    Die Hirnforschung stellt keineswegs eine Art Wunderverfahren für erfolgreichen Unterricht zur Verfügung. Ihre Ergebnisse fokussieren jedoch die erzieherischen und didaktischen Aufgaben, die uns Lehrern gestellt sind. Sie sind ein Appell an unsere Professionalität.

Auf den folgenden Webseiten werden aktuelle Positionen einiger Autoren vorgestellt. Der Verfasser verzichtet bewußt darauf, sie zu einiger Gesamtübersicht zusammenzuführen, weil in den Texten durchaus unterschiedliche Sichtweisen und Akzentsetzungen zu finden sind. Wiederholungen sind dabei nicht zu vermeiden, im Übrigen machen sie wichtige Schnittmengen der Grundauffassungen deutlich. Besondere Aufmerksamkeit verdient die Problemanalyse von Dominik GYSELER

Wer sich darüber hinaus mit der inzwischen weitverzweigten Diskussion vertraut machen möchte, findet auf der Webseite "Literaturgrundlage »Lernen« - 4.0 Nutzanwendungen für den Unterricht" weiterführende aktuelle Nachweise.


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Ausgearbeitet von:     Dr. Manfred Rosenbach -       letzte Änderung am: 15.01.08
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