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2.0 Positionen zur »Neurodidaktik«

2.6 Hirnforschung als Ergänzung und Korrektiv

Übersicht
1.0 Das Problemfeld
2.0 Hirnforschung als Ergänzung und Korrektiv
      2.1 Bestätigungen
      2.2 Offene Fragen, nicht gelöste Probleme
      2.3 Zusammenfassung
3.0 Literaturnachweis

1.0 Das Problemfeld

Letzthin hat sich Eberhard REICH (2005) systematisch und in sorgfältig abwägendem Urteil mit der Frage auseinandergesetzt, worin der Ertrag der Neurowissenschaften für die pädagogische Praxis bestehen kann.

Zwischen den Polen euphorischer Überbewertung neurobiologischer Forschungsergebnisse einerseits und deren durch Vorurteile motivierte Abwehr andererseits kommt er zu begründeten Bewertungen.

Seine Ergebnisse faßt er unter dem Titel »Hirnforschung als Ergänzung und Korrektiv« zusammen (S. 157 - 165). Sie werden hier in komprimierter Form referiert.

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2.0 Hirnforschung als Ergänzung und Korrektiv

Die Hirnforschung beschäftigt sich mit Lernen, denn

„das Gehirn ist – salopp gesprochen – eine Lernmaschine.“ 
(a.a.O., S. 157)

Pädagogik beschäftigt sich gleichfalls mit Lernen. Inwiefern nützen ihr neurobiologische Erkenntnisse? Sie können pädagogische Praxis bestätigen oder auch korrigieren. Sie lassen aber auch Fragen vorläufig ohne schlüssige Antwort.

2.1 Bestätigungen

Bestätigung

Die Ergebnisse der Hirnforschung können bekannte Erkenntnisse zum Lernen bestätigen. In der pädagogischen Praxis gewonnene Erfahrungen werden mehr und mehr naturwissenschaftlich untermauert und erklärt. Erfolgreiche didaktische Konzepte lassen sich dadurch ausbauen und verbessern.

  • Korrektur
    Irrtümliche Ansichten zum Lernen und aus ihnen abgeleitete Praktiken können aufgrund neurowissenschaftlicher Fakten widerlegt und mit Gründen ausgesondert werden.

  • Differenzierung
    Ergebnisse der Hirnforschung können bei speziellen Lernproblemen zur einer besseren Lehr- und Lernpraxis beitragen. Lernprobleme können zunehmend differenzierter diagnostiziert und erklärt werden. 

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2.2 Offene Fragen, nicht gelöste Probleme

Ergebnisse der Hirnforschung sind keine Heilslehre für das Lernen. Deshalb gibt es hinsichtlich der pädagogischen Praxis offene Fragen und nicht gelöste Probleme.

  • Transferproblematik
    Wissen ändert nicht automatisch das Verhalten. Neurobiologisches Wissen muss auf pädagogische Praxis übertragen und auf sie angewandt werden, um Wirkung zu entfalten.

  • Falsche Erwartungen
    Die Aussagen der Hirnforschung sind bei weitem keine umfassende „Supertheorie“ zur Funktionsweise des Gehirns. Deshalb können mit ihnen nicht alle Lernprobleme gelöst werden.

  • Reduzierung
    Komplexe Lernvorgänge wie z.B. der Spracherwerb können durch einzelne Forschungsresultate nicht vollständig und gültig interpretiert werden. Deshalb müssen voreilige Generalisierungen unterbleiben.

  • Trivialisierung
    Neurobiologische Erkenntnisse lassen sich zu scheinbar schlüssigen Konzepte verkürzen und bis hin zu griffigen Slogans verallgemeinern. Etwa: „Lernen soll Spaß machen.“ Dennoch wäre es falsch, auf Ernsthaftigkeit und begründete Anforderungen zu verzichten.

  • Überbewertung
    Einzelne wissenschaftlichen Fakten zum Thema Lernen werden für allgemeingültig gehalten. Andere wichtige Einflußgrößen werden demgegenüber vernachlässigt oder gar übersehen. In der Schule sind z.B. das allgemeine Schulklima, das Einzugsgebiet der einzelnen Schule, die Zusammensetzung der Schülerschaft oder auch die Person des Lehrers wirkungsvolle Faktoren des Lernerfolgs.

  • Vernachlässigung der konkreten Situation
    Schulisches Lernen ist nicht lediglich eine Funktion des Gehirns. Ob ein Schüler ohne Frühstück und/oder unausgeschlafen zum Unterricht erscheint, ob er auf dem Schulweg schikaniert wird, ob andere außerschulische Probleme erfolgreiches Lernen verhindern – das alles darf in der Alltagspraxis nicht aus dem Blick geraten.

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2.3 Zusammenfassung

REICH (a.a.O., S. 158) konstatiert hinsichtlich einer praxisnahen Verknüpfung von Hirnforschung und Didaktik brauchbare Hinweise und erste Ansätze, vermißt jedoch einen universalen didaktischen Zugriff, der zugleich neurobiologisch begründet ist.

  • Die Hirnforschung könne keine neuen Unterrichtsmethoden anbieten, wohl aber die Gründe dafür angeben, dass eine existierende Methode pädagogisch geeignet ist. Die Hoffnung auf völlig neue Methoden sei Illusion.

  • Mit ihrer Hilfe könnten jedoch Einseitigkeiten, Lücken und Defizite gängiger Unterrichtsmethoden aufgespürt und deren neurobiologische Grundlagen namhaft gemacht werden.

Die Ergebnisse der Hirnforschung müssen von Lehrern zur Kenntnis genommen und aufgegriffen werden. Dennoch sei die Hirnforschung keine „Überdisziplin“, die Pädagogik oder Psychologie ersetzen könne. Lernschwierigkeiten und –probleme sein von der Pädagogik zu lösen. Sie dürften nicht an Psychologie oder Hirnforschung delegiert werden (a.a.O., S. 161). 

Neuerdings hat sich Dominik GYSELER (2006) mit den - nicht selten naiv-optimistischen - Ableitungen aus der neurobiologischen Forschung auseinandergesetzt und die einschlägige Kritik an ihnen aufgearbeitet. Seine differenzierte Problemanalyse mündet in die Forderung, weniger die Pädagogik neurowissenschaftlich zu fundieren, sondern vielmehr deren neurowissenschaftliche Grundlagen zu erforschen (a.a.O., S. 567).

3.0 Literaturnachweis

  • Eberhard REICH
    Denken und Lernen
    Hirnforschung und pädagogische Praxis
    Darmstadt 2005

  • Dominik GYSELER
    Problemfall Neuropädagogik
    Zeitschrift für Pädagogik 52, 2006, Nr. 4, S. 555 - 570


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Ausgearbeitet von:     Dr. Manfred Rosenbach -       letzte Änderung am: 15.01.08
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