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2.0 Positionen zur »Neurodidaktik«

2.5 Warum Lehren und Lernen so schwierig sind

Gerhard ROTH (2004, S. 496 - 506) nennt als Ergebnis der Hirnforschung die ernüchternde Tatsache, dass Lernen und dementsprechend auch Lehren als Anleitung zum Lernen schwierig sind. Das ist wahrlich nicht unbekannt. Erhellend und für didaktisches Handeln hilfreich sind jedoch die Gründe, die er dafür vorträgt. Sie werden hier in Thesenform vorgestellt.

Der Grundgedanke seiner Argumentation lautet wie folgt (a.a.O., S. 497):

  • Die kognitive Psychologie (z.B. John R. ANDERSON, 2001) versteht Lernen als Verarbeiten und Speichern von Informationen.

  • Diese Auffassung greift zu kurz. Dafür gibt es zwei Gründe:
    o Wissen kann nicht übertragen werden. 
       Vielmehr muss es im Gehirn eines jeden Lernenden neu geschaffen werden.
    o Die Aneignung von Wissen beruht auf Rahmenbedingungen
       und wird durch Faktoren gesteuert, die unbewußt ablaufen. 
       Deshalb können sie nur schwer beeinflußt werden.

Diesen Standpunkt begründet ROTH im Einzelnen wie folgt:

  • Damit das Gehirn Sinneseindrücke und die aus ihnen entstehenden Nervenimpulse als bedeutungstragende Zeichen – d.h. als Symbole – erkennen kann, muss dort ein Vorwissen vorhanden sein, das diesen Zeichen Bedeutung verleiht.
         Diese Bedeutungen können nicht vom Lehrenden auf den Lernenden übertragen werden, sondern müssen vom Gehirn des Lernenden konstruiert werden.
         Als konkretes Beispiel für diese abstrakte Aussage dient ROTH die Sprache. Verfügt ein Hörer oder Leser nicht über ein bestimmtes Vorwissen und einen bestimmten Bedeutungskontext, kann sein Gehirn keine oder nicht die vom Sprecher beabsichtigte Bedeutungskonstruktion leisten.

  • Die Prozesse der Bedeutungskonstruktion laufen unbewusst ab und sind von vielen Faktoren abhängig. Die meisten von ihnen werden durch das limbische System vermittelt. Diese Gehirnstruktur ist für Affekte, Gefühle und Motivation zuständig. Ihre zentrale Funktion besteht darin, alles, was mit uns und durch uns geschieht, zu bewerten. 
    o Einzelheiten dazu finden Sie auf der Webseite „Das Gedächtnis - II. Lernen und Vergessen“.
    o Folgerungen für das schulische Lernen werden auf der Webseite "Emotion und Lernen" erörtert.

Deswegen ist das limbische System auch die eigentliche Kontrollinstanz des Lernerfolgs. Bei jeder Lernsituation fragt es:

 „Was spricht dafür, dass sich Hinhören, Lernen, Üben usw. tatsächlich lohnen?“

Erst bei einem positiven Ergebnis werden die Netzwerke der Großhirnrinde so umgestaltet, dass neues Wissen entsteht.

Auf dieser Grundlage benennt ROTH (a.a.O., S. 500 ff.) Faktoren, die beim Lehren und Lernen eine wichtige Rolle spielen.

  • Der Lehrende muss glaubhaft und motiviert sein. Ist diese Voraussetzung nicht erfüllt, können die von ihm – meist unbewusst – ausgehenden Signale geradezu eine Aufforderung zum Weghören sein.

  • Die kognitiven und emotionalen Lernvoraussetzungen der Schüler unterscheiden sich erheblich. Oft beruhen Lernschwierigkeiten von Schülern darauf, dass ihr spezifischer Lernstil nicht hinreichend angesprochen wird.

  • Schüler sind motiviert und lernbereit, wenn ihnen die Lernsituation irgendwie attraktiv erscheint. Im Zusammenhang mit schulischem Lernen entstehen schnell bestimmte „Belohnungserwartungen“, die erfüllt oder enttäuscht werden können. Ob das eine oder das andere geschieht, hängt von entsprechenden Einflüssen der Umgebung ab.

  • Lernen muss als  sinnvoll empfunden werden können.
    o Lernen darf deshalb Schüler nicht unterfordern, weil das langweilig ist und zu niedrigem Niveau führt.
    o Es darf sie aber auch nicht überfordern und dadurch unter Druck setzen,
       weil Versagensangst und Bedrohtheitsgefühle den Lernerfolg hemmen.
    o Für die Bewertung des Lernerfolgs muss es klare und überzeugende Regeln geben, die nachvollzogen werden können.

  • Interesse und Motiviertheit des Lernenden hängen von drei Elementen und deren Aktivierungsgrad ab:
    o Leichter Erwartungsstress,
    o Neugier und Belohnungserwartung,
    o gezielte Aufmerksamkeit und Konzentration.

  • Ihnen entsprechen hirnphysiologisch drei hormonelle Systeme – „Neuromodulatoren“. Sie machen Großhirnrinde und Hippocampus zum Lernen bereit und fördern die Verankerung im Langzeitgedächtnis. Es sind dies:
    o Noradrenalin,
    o Dopamin,
    o Acetylcholin.

  • Die Stärke des emotionalen Zustandes, den der Schüler als Interesse, Begeisterung und Faszination empfindet, hat großen Einfluß auf ein positives Lernergebnis.

  • Das Wissensgedächtnis ist modular angelegt – es besteht aus unterschiedlichen „Schubladen“ für unterschiedliche Aspekte des Lerninhalts. Je mehr Module an einem Lernvorgang beteiligt werden, desto besser und leichter lassen sich Lernergebnisse abrufen, weil die einzelnen Aspekte miteinander verbunden bleiben und ein Bedeutungsfeld bilden.

  • Deshalb ist es didaktisch wichtig, an Vorwissen anzuknüpfen. Wenn das nicht möglich ist, muss besonders sorgfältig an neuen Bedeutungsnetzwerken gearbeitet werden. Ungeeignet ist dafür das »Pauken«, weil es kein inhaltlich bedeutsames Lernen ist und kein Verstehen bewirkt.

Am wichtigsten ist es hingegen, Schüler den Stoff selbständig durchdringen zu lassen. Das vernetzt das eigene Wissen besonders wirksam und sichert es auf diese Weise.

Beim Lernen wird nicht nur der jeweilige Inhalt gelernt. Mitgelernt wird auch, wer den Inhalt vermittelt hat, ferner wann und wo er gelernt wurde.

Der Lernkontext von Person, Zeit und Ort
kann für das Abrufen eines Wissensinhaltes
sowohl förderlich als auch hinderlich sein.

Abschließend betont ROTH:

  • Wir haben kleinen direkten, willentlichen Einfluß auf den Lernerfolg – weder den eigenen noch den unserer Schüler.

  • Beeinflussen können wir nur die Rahmenbedingungen des Lehrens und Lernens.

  • Genetische und in früher Kindheit erworbene Lerndispositionen können überhaupt nicht mehr beeinflusst werden.

  • Gestaltungsfähig sind die Elemente des Umfeldes, in dem gelernt werden soll:
    o Glaubhaftigkeit des Lehrers,
    o Lernsituation,
    o Kombination von Anforderungen, Motivierung und Rückmeldung,
    o Lernumgebung.

Lernunwilligkeit ist oft die Folge von Lernhemmnissen,
 auf die der Schüler selbst keinen Einfluß hat,
die aber mittel- und langfristig geändert werden können.

Literaturnachweis

Der Text beruht auf dem Aufsatz von

  • Gerhard Roth
    Warum sind Lehren und Lernen so schwierig?
    Zeitschrift für Pädagogik 50 (2004) Nr. 4 S. 496 – 506

Die Literaturnachweise für diese Webseite 
sowie die weiteren Webseiten dieses thematischen Bereiches 
finden Sie hier.

Ein zusammenfassendes Literaturverzeichnis 
für die Themengruppe »Lernen – Voraussetzungen, Möglichkeiten, Probleme« 
finden Sie hier.


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Ausgearbeitet von:     Dr. Manfred Rosenbach -       letzte Änderung am: 15.01.08
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