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Leistungsbeurteilung

Eine Problemübersicht

Einführung

Dieser Baustein stellt die zentralen Themen und Fragen der Leistungsbeurteilung in einer stichwortartigen Übersicht zusammen. In den weiteren Bausteinen werden die Einzelfragen sowohl erweitert als auch vertieft. Querverweise („Links") erleichtern das Auffinden sachlich zusammengehörender Informationen.
Die vollständige Liste der Bausteine finden sie auf der Startseite dieses Themenbereichs.

Übersicht

1.0 Die Aufgabe
2.0 Grundfragen
3.0 Bezugsnormen der Leistungsbeurteilung
4.0 Ursacheninterpretation von Zensuren
5.0 Gütekriterien der Leistungsbewertung
6.0 Fehlerquellen und Störfaktoren
7.0 Zusammenfassung

1.0 Die Aufgabe

Die Beurteilung von Schülerleistungen gehört zu den schwierigsten Aufgaben, die Lehrerinnen und Lehrern gestellt sind. Fritz OSER und Wolfgang ALTHOF (Moralische Selbstbestimmung, Stuttgart 1992, S. 417 f.) haben sie auf eine knappe Formel gebracht.

Leistungsbeurteilung muss wahrhaftig, gerecht und fürsorglich sein.

Ob sich diese Forderungen zugleich erfüllen lassen, kann als fraglich gelten, doch müssen sie ernst genommen werden. Dafür zwei Begründungen, die unsere vielschichtige Verantwortung deutlich machen:

  • Wenn Leistungsbeurteilung allein der Wahrheit entspricht und nicht auch fürsorglich gehandhabt wird, kann sie Seelen verstören oder gar zerstören.
  • Wenn Leistungsbeurteilung nur fürsorglich verstanden wird und nicht auch der Wahrheit entspricht, täuscht sie die jungen Menschen und kann zu verhängnisvoller Fehlorientierung beitragen.

Die Bausteine dieser Themengruppe wollen dazu beitragen, dem oben genannten Ziel wenigstens näher zu kommen. Dazu müssen Sachverhalte,  Probleme und Fehlerquellen zur Sprache gebracht und analysiert werden, müssen Rechtsgrundlagen und Verfahren vorgestellt werden.

Wenn Sie dieses ernste Thema zuvor auch kurz von der heiteren Seite betrachten wollen,
klicken Sie hier.

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2.0 Grundfragen

2.1 Das Kernproblem

  • Die zentrale Antinomie:
  • freie Entfaltung der Schülerpersönlichkeit
    vs.
    Leistungsanforderungen der Gesellschaft

  • Das pädagogische Dilemma:
  • „Zensuren sind Lebenslüge und Notwendigkeit." (Hellmut BECKER)

2.2 Adressaten der Leistungsbeurteilung

  • der einzelne Schüler,
  • dessen Eltern,
  • der ihn unterrichtende Lehrer,
  • schulische Instanzen mit Entscheidungsfunktionen,
  • schulexterne „Abnehmer",
    z.B. Hochschulen, Arbeitgeber, Lehrherren, Personalchefs.

2.3 Funktionen der Leistungsbeurteilung

  • Pädagogische Funktion
  • Folgerungen für Lernanstrengungen und Leistungsbemühungen

  • Öffentlich-rechtliche Funktion
  • möglichst zutreffende und verlässliche Angaben über Ausbildungsstand und Leistungsprofil:

    Ist das Individuum
    - besonders leistungsfähig,
    - durchschnittlich leistungsfähig,
    - weniger leistungsfähig?

Wichtig für weitreichende Entscheidungen von „Abnehmer" und Betroffenem.

  • Folgerungen

LB soll also eine möglichst zutreffende   Information über
- Kenntnisse und Fertigkeiten,
- Fähigkeiten und Leistungsprofil
sowie eine individuelle erzieherische Hilfe sein.

2.4 Funktionsübersicht:

  • Rückmeldung für Schüler, Eltern und Lehrer:
    Diagnose und Beurteilung des individuellen Lernzustandes
  • sachfremde Lernmotivation,
  • Information für externe Adressaten,
  • Sozialisierung (Vermittlung neuer Leistungsnormen).

Ausführlichere Erörterungen zu dieser Thematik finden Sie auf der Webseite
"Leistungsbeurteilung - Aufgabe und Funktionen".

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3.0 Bezugsnormen der Leistungsbeurteilung

Die Bewertung von Leistungen besteht in einem Vergleich einer Information
mit einer Bezugsgröße.

  • Die Bezugsgröße kann innerhalb der jeweiligen Person liegen:
    Individualnorm
  • Die Bezugsgrößen können außerhalb der jeweiligen Person liegen:
    Sozialnorm - Vergleich mit einer Gruppe,
    Sachnorm- Vergleich mit einem Anforderungsprofil.

3.1 Die Individualnorm

Sie erfasst den Lernzuwachs eines Lernenden in einem bestimmten Zeitraum.

  • Vorzüge

- kommt dem Wunsch nach angemessener Würdigung der Leistungen
  des einzelnen Schülers nach,
- optimale Bekräftigung von Leistungen und Vermeidung von Entmutigungen,

  • Nachteile

- Beurteilung nach unterschiedlichen Maßstäben, also Vernachlässigung
  des Gleichheitsgrundsatzes,
- Bindung an vorgegebene Lernziele kann leicht vernachlässigt werden.

3.2 Die Sozialnorm

Orientierung an den Lernleistungen einer Gruppe. Zu berücksichtigen ist:

  • Eine einzelne Klasse oder Klassenstufe einer Schule ist nur eine sehr kleine Stichprobe aus der gesamten Bezugsgruppe.
  • Einzelleistungen müssen möglichst objektiv, gültig und zuverlässig mit denen der Bezugsgruppe verglichen werden.

Als hauptsächliche Bezugsnorm bei der LB ist die Sozialnorm pädagogisch
und psychologisch problematisch.

  • Vorzüge

- kommt dem Wunsch nach „Gerechtigkeit" nach,
- vermeidet eine Zensierung nach starrer Verknüpfung zwischen Fehlerzahl und Note.

  • Nachteile

- Beurteilung nicht mit Leistungen anderer Lerngruppen vergleichbar,
- lässt vorgegebene Standards unberücksichtigt,
- daher zu großzügige oder zu strenge Benotung leicht möglich,

Würdigung von Lernfortschritten schwächerer Schüler durch bessere Note nicht möglich, da die durchschnittliche Leistung der Lerngruppe parallel gleichfalls steigt.

3.3 Die Sachnorm (Idealnorm)

Orientierung an den Lernzielen, der „Sache", der realen an den „idealen" Leistungen.

  • Vorzüge

- informiert über die erreichten Kompetenzen oder noch bestehenden Lücken,
- Würdigung von Lernfortschritten schwächerer Schüler durch bessere Note
  unverzüglich möglich,
- dadurch Stützung der Motivation,

Beurteilung beruht auf klaren und eindeutigen Lernzielen.

  • Nachteile

- komplexere und pädagogisch relevantere Lernziele, die nicht operationalisierbar sind,
   können nicht in den Lernzielhorizont aufgenommen werden,
- Schwierigkeit, ein angemessenes Anforderungsniveau zu finden,
- Verführung, Anforderungen zu niedrig anzusetzen.

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3.4 Fazit

Weitgehende Orientierung an der Sachnorm ist schulrechtlich geboten. Vgl. dazu die schulrechtlichen Vorgaben:

  • Notenstufen
    sind von dem Grad abhängig, in dem die Anforderungen erfüllt oder verfehlt worden sind (Notenstufendefinitionen).
  • AV „Klassenarbeiten":
    Die Note bezieht sich auf die Erreichung der fachspezifischen Lernziele gemäß den geltenden Rahmenplänen. Inhalt und Schwierigkeitsgrad müssen jedoch der Leistungsfähigkeit und dem Arbeitstempo der Lerngruppe angepasst werden.
  • Alle drei Bezugsnormen sind bedeutsam,
    weil sie notwendige Information vermitteln:
    - Keine darf absolut oder isoliert verwendet werden,
    - durch Kombination müssen ihre Aussagen einander ergänzen.

Ausführlichere Erörterungen zu dieser Thematik finden Sie auf der Webseite
"Die Bezugsnormen der Leistungsbeurteilung".

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4.0 Ursacheninterpretation von Zensuren

Kausalattribuierung:
Ableitung von Ursachen auf der Basis subjektiver Annahmen -
gilt auch für die Bewertung eigener und fremder schulischer Leistungen.

  • Zwei Ursachengruppen:

- in der Person liegende Ursachen:
   Fähigkeit, Begabung, Anstrengung

- in den Umständen liegende Ursachen:
   Zufall, Glück, Schwierigkeit der Aufgabe

  • Interpretation erfolgsorientierter und/oder leistungsstarker Schüler:

- Erfolge sind Ergebnis
  von Befähigung und/oder angemessener Anstrengung,
- Misserfolge sind Ergebnis
  von unzureichender Anstrengung und/oder unglücklichem Zufall.

  • Interpretation misserfolgsängstlicher und/oder schwacher Schüler:

- Erfolge sind Ergebnis
  von Zufall,
- Misserfolge sind Ergebnis
  von mangelnder Befähigung und/oder Schwierigkeit der Aufgabe.

Ausführlichere Erörterungen zu dieser Thematik finden Sie auf der Webseite
"Ursucheninterpretation von Zensuren".

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5.0 Gütekriterien der Leistungsbewertung

5.1 Objektivität

  • Objektivität als perfekte Gerechtigkeit bei der Beurteilung von Schülern ist kein realistisches Ziel, denn jedes Erkennen wird durch das erkennende Subjekt beeinflusst.
  • Objektivität kann daher nur verstanden werden als Abwesenheit von Willkür, bestehe sie
    in  vorsätzlichem Handeln oder unreflektiertem, unprofessionellem Urteilen.
  • Objektivität als Ergebnis völliger Schemagemäßheit und Automation wird dem Objekt der Beurteilung, dem Schüler, nicht gerecht, denn bei diesem „Objekt" handelt es sich um einen Menschen.
  • Objektivität kann daher nur verstanden werden als „Objektgemäßheit" - der Inhalt des Urteils wird ausschließlich durch das Objekt, den Schüler, bestimmt.

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5.2 Zuverlässigkeit (Reliabilität)

Sie bezieht sich auf die angewandten Verfahren:

  • Ein Untersuchungsverfahren ist dann zuverlässig, wenn es das Merkmal exakt misst,
    das es messen soll.

5.3 Gültigkeit (Validität)

Sie bezieht sich auf den Gegenstand:

  • Ein Untersuchungsverfahren ist dann gültig, wenn es das Merkmal misst,
    das es messen soll - und nichts anderes.

5.4 Folgerungen

  • Eine Lernzielkontrolle soll sich möglichst genau auf den erteilten Unterricht
    und dessen Ergebnisse beziehen.
  • Damit ein Verfahren zuverlässig sein und gültige Ergebnisse erbringen kann, muss es
    dem Untersuchungsgegenstand entsprechen, also „objektgemäß" sein.

Ausführlichere Erörterungen zu dieser Thematik finden Sie auf den Webseiten
"Subjektivität, vorkritisches und kritisches Denken",
"Das Problem der Objektivität","Gütekriterien - Reliabilität und Validität
"

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6.0 Fehlerquellen und Störfaktoren

Zunennen sind insbesondere

  • unzulängliche Verfahren bei Korrektur, Bewertung, Auswertung,
  • psychologisch bedingte Irrtümer.

6.1 Soziale Wahrnehmung

  • Vorgang der Wahrnehmung eines Menschen durch ein erkennendes Subjekt,
  • Ergebnisse dieses Vorgangs

Vier Einflussfaktoren:

  • Auswahl von Reizen, die den eigenen Erwartungen und Bedürfnissen entsprechen,
  • Organisation der Wahrnehmungen passend zu vorhandenen Annahmen, Vorurteilen, Stereotypen,
  • Akzentuierung bestimmter Wahrnehmungen,
  • Festhalten an einmal gewonnenen Eindrücken,
    scheinbare Bestätigung dieser Eindrücke durch neue Wahrnehmungen.

Wahrnehmung ist immer zugleich auch Interpretation des Wahrgenommenen.

6.2 Alltagstheorien der   Persönlichkeit

führen zu schweren Irrtümern in der LB:

  • Vorinformation führt zu Bildung von Vorurteilen,
  • „Selffullfilling prophecy" trägt bei zu Freisetzung bzw. Hemmung von Leistungen,
  • Tendenzen zur Einseitigkeit:
    - Tendenz zur Beharrung auf einem einmal gefällten Urteil,
    - Tendenz zur Milde, aus Sorge um den Beurteilten,
    - Tendenz zur Härte, aus unterschiedlichen Motiven,
    - Tendenz zur Mitte aus Unsicherheit,
    - Tendenz zu Extremen aus Unsicherheit.

Beispiele für weitere typische Fehlerquellen:

  • Halo-Irrtum/Überstrahlungsirrtum:
    Positive oder negative Teilaspekte in Leistung oder Verhalten werden durch
    Verallgemeinerung auch auf andere Bereiche übertragen.
  • Kollektiv-Irrtum:
    Verfälschung einer Einzelbewertung durch Konformitäts- und Normendruck im Kollegium
  • Sequenz-Irrtum:
    Verfälschte Bewertung der Leistung eines Schülers unter dem Eindruck der vorangegangenen Leistung eines anderen Schülers (vor allem bei der Korrektur von Klassenarbeiten).

Ausführlichere Erörterungen zu dieser Thematik finden Sie auf den Webseiten
"Fehlerquellen und Störfaktoren der Leistungsbeurteilung",
"Alltagstheorien der Persönlichkeit".

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7.0 Zusammenfassung

Ein bewusstes, reflektiertes Verhalten ist Grundvoraussetzung für eine gerechte LB.
Sie ist gekennzeichnet durch

  • intensive Zuwendung zum Objekt:
    Prozess und Ergebnis der Beobachtung, Gegenstand und Inhalt des Urteils;
  • gleichzeitige Prüfung des eigenen Vorgehens anhand eines geeigneten Fragenkatalogs

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Ausgearbeitet von:     Dr. Manfred Rosenbach -        letzte Änderung am: 15.01.08
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