Was ist Entwicklung ? Übersicht 1.0 Entwicklung - ein vieldeutiger Begriff Mustert man die weitverzweigte Literatur zur Entwicklungspsychologie, so stellt sich bald heraus, dass es keine umfassende, allgemein anerkannte entwicklungspsychologische Konzeption gibt, sondern eine Vielzahl von Entwürfen, die sich durch unterschiedliche Schwerpunkte und Sichtweisen voneinander unterscheiden. Deshalb scheint es sinnvoll, wichtige Konzeptionen entwicklungspsychologischer Theoriebildung und Forschung hier vorzustellen. 2.0 Konzepte entwicklungspsychologischer Theoriebildung 2.1 Der geisteswissenschaftliche Ansatz Die Methode des geisteswissenschaftlichen
Erkenntnisgewinns ist die Hermeneutik - das Verstehen; sie ist im Wesentlichen von
Wilhelm Dilthey begründet worden und bestimmt auch die geisteswissenschaftlich
orientierte Entwicklungspsychologie. Deren zentraler Vertreter ist Eduard SPRANGER
mit seiner noch heute (oder heute wieder) lesenswerten "Psychologie des
Jugendalters". 2.2 Der entwicklungstypologische Ansatz Unter diesem Stichwort sind vielfältige, teils partikulare, teils globale Konzepte zusammenzufassen, die Entwicklung als eine gesetzmäßige Abfolge von Stufen, Phasen o.ä. verstehen. Entwicklung wird hier im Wesentlichen als ein von innen bestimmter Reifungsvorgang beschrieben. Lernprozesse und Umwelteinflüsse sind dabei von untergeordneter Bedeutung. Neben den Arbeiten von Oswald KROH und Anton BUSEMANN haben Heinz REMPLEINs Darlegungen die meiste Beachtung gefunden. Die Vorstellung, das Leben des Menschen sei in eine Stufenfolge zu gliedern, stammt aus der Antike. Alfred K. TREML (1987, S. 137 - 143) gibt eine instruktive Übersicht der "Altersstufentheorien in der Pädagogik" und betont deren analytische Funktion. Sie dienen dazu, eine hochkomplexe Wirklichkeit soweit zu reduzieren, dass sie begrifflich erfasst werden kann. Auf diese Weise können Bezugspunkte für pädagogische Diagnosen und Maßnahmen gewonnen werden. Dabei ist die Versuchung groß, das einzelne Kind an der gleichsam festen Größe der Phasentheorie zu messen, statt die Phasentheorie lediglich als ein zu modifizierendes Hilfsmittel zu verstehen und anzuwenden. Eine interessante Interpretation der Phasentheorien folgt aus der Rollentheorie. Die Phasen und ihre Beschreibung bilden gleichsam das Bündel der gesellschaftlichen Erwartungen ab, die an das Individuum in den einzelnen Lebensaltern gerichtet werden. Wird dieser Sachverhalt nicht bedacht, können Phasentheorien normativen Charakter annehmen. In beiden Fällen wird aus einem analytisch-beschreibenden Hilfsmittel eine Art Meta-Wirklichkeit, an der sich die tatsächliche Wirklichkeit messen lassen muss. 2.3 Der psychoanalytische Ansatz Der Ansatz Sigmund FREUDs
kann als eine spezielle Ausprägung des entwicklungstypologischen Ansatzes verstanden
werden. Entwicklung vollzieht sich als eine Abfolge von typischen Phasen, deren
individuelle Ausprägung von verletzenden Erfahrungen in früher Kindheit bestimmt wird.
In ihnen sieht FREUD die Ursache seelischer Konflikte des Jugendlichen und des
Erwachsenen. Andere Autoren haben seinen Ansatz erweitert und fortentwickelt. Unter ihnen ist vor allem Erik H. ERIKSON zu nennen. ERIKSON misst dem Aufbau der Identität - der Entwicklung des Ich - zentrale Bedeutung zu; dieser vollzieht sich in einer Abfolge von Phasen, in denen eine jeweils altersspezifische Ausprägung der Identitätsfindung geleistet wird oder aber scheitert. Deshalb spricht ERIKSON von einer Abfolge von Krisen. Dieser Begriff bezeichnet hier Situationen, in denen sich eine Entscheidung zwischen Gelingen und Misslingen vollzieht. Vertiefungen dazu finden Sie auf der Webseite ."Entwicklung der Persönlichkeit - eine Abfolge »psycho-sozialer Krisen«". 2.4 Der humanistische Ansatz In den gleichsam 'idealistischen' Ansatz
dieser Richtung sind sowohl Gedanken der geisteswissenschaftlichen als auch der
psychoanalytisch orientierten Psychologie eingegangen. Ihr Grundgedanke lässt sich sehr
anschaulich mit einem Goethe-Wort darstellen.
Die namhaftesten Vertreter dieser Richtung sind Abraham A. MASLOW, Carl ROGERS und Ruth COHN. 2.5 Der Ansatz der ökologischen Psychologie Ökologie wird als die Wissenschaft von
den Wechselwirkungen lebender Organismen mit der Umwelt verstanden. Während die
traditionellen Denkansätze der Psychologie sich auf das Individuum und die
Eigenständigkeit seiner Entfaltung konzentrieren, sucht die ökologische Psychologie
menschliches Verhalten aus der Wechselwirkung mit der Umwelt zu erforschen und verstehen. 2.6 Entwicklung als Gleichgewicht zwischen Objekt und Subjekt Eine völlig eigenständige und für Unterricht und Erziehung außerordentlich bedeutsame Ausformung des ökologischen Ansatzes hat Jean PIAGET entwickelt. Er hat in seinem umfassenden Werk die Entwicklung der Intelligenz untersucht. Eine vertiefende Darstellung finden Sie auf der Webseite "Entwicklung als Gleichgewicht von Subjekt und Objekt". "Intelligenz Diese Anpassung vollzieht sich in der Ausbildung kognitiver Schemata, die es dem Individuum ermöglichen, sich durch Erfahrungen die Umwelt anzueignen (Assimilation) oder sich ihr anzupassen (Akkommodation). Beide Prinzipien ergänzen einander in ständigem Wechselspiel, bis ein Gleichgewicht erreicht ist. In dessen Verlauf werden die kognitiven Schemata ständig weiterentwickelt; das Gleichgewicht zwischen Assimilation und Akkommodation wird immer beweglicher, bis schließlich in Gestalt des ausgebildeten logischen Denkens dessen höchste Form erreicht ist. 3.0 Das dynamische Verständnis von Entwicklung In den Ansätzen insbesondere
BRONFENBRENNERs und PIAGETs wird ein Verständnis von Entwicklung deutlich, das das
Individuum sich in der Auseinandersetzung mit seiner Umwelt entfalten sieht. 4.0 Literaturgrundlage Hier werden nur die Titel genannt, die diesem Baustein zugrunde liegen. Ein zusammenfassendes Literaturverzeichnis für die Themengruppe "Entwicklungspsychologische Grundlagen des Unterrichts finden Sie auf der Webseite "Literaturgrundlage".
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Übersicht ] Ausgearbeitet von: Dr. Manfred Rosenbach -
letzte Änderung am: 15.01.08 |