Home ] Nach oben ] Zurück ] Weiter ]

Was ist Entwicklung ?

Konzepte entwicklungspsychologischer Theoriebildung
- Eine Übersicht -

Übersicht
1.0 Entwicklung - ein vieldeutiger Begriff
2.0 Konzepte entwicklungspsychologischer Theoriebildung
      2.1 Der geisteswissenschaftliche Ansatz
      2.2 Der entwicklungstypologische Ansatz
      2.3 Der psychoanalytische Ansatz
      2.4 Der humanistische Ansatz
      2.5 Der Ansatz der ökologischen Psychologie
      2.6 Entwicklung als Gleichgewicht zwischen Objekt und Subjekt
3.0 Das dynamische Verständnis von Entwicklung
4.0 Literaturnachweis

1.0 Entwicklung - ein vieldeutiger Begriff

Mustert man die weitverzweigte Literatur zur Entwicklungspsychologie, so stellt sich bald heraus, dass es keine umfassende, allgemein anerkannte entwicklungspsychologische Konzeption gibt, sondern eine Vielzahl von Entwürfen, die sich durch unterschiedliche Schwerpunkte und Sichtweisen voneinander unterscheiden.

Deshalb scheint es sinnvoll, wichtige Konzeptionen entwicklungspsychologischer Theoriebildung und Forschung hier vorzustellen.

Zurück zur Übersicht

2.0 Konzepte entwicklungspsychologischer Theoriebildung

2.1 Der geisteswissenschaftliche Ansatz

Die Methode des geisteswissenschaftlichen Erkenntnisgewinns ist die Hermeneutik - das Verstehen; sie ist im Wesentlichen von Wilhelm Dilthey begründet worden und bestimmt auch die geisteswissenschaftlich orientierte Entwicklungspsychologie. Deren zentraler Vertreter ist Eduard SPRANGER mit seiner noch heute (oder heute wieder) lesenswerten "Psychologie des Jugendalters".
     In geisteswissenschaftlicher Betrachtungsweise vollzieht sich Entwicklung als Prozess der 'Enkulturation'; sie wird begleitet von der 'Entdeckung des Ich'. Der Erzieher sollte dem jungen Menschen in einer Haltung 'emporbildenden Verstehens' begegnen.

Zurück zur Übersicht

2.2 Der entwicklungstypologische Ansatz

Unter diesem Stichwort sind vielfältige, teils partikulare, teils globale Konzepte zusammenzufassen, die Entwicklung als eine gesetzmäßige Abfolge von Stufen, Phasen o.ä. verstehen. Entwicklung wird hier im Wesentlichen als ein von innen bestimmter Reifungsvorgang beschrieben. Lernprozesse und Umwelteinflüsse sind dabei von untergeordneter Bedeutung.

Neben den Arbeiten von Oswald KROH und Anton BUSEMANN haben Heinz REMPLEINs Darlegungen die meiste Beachtung gefunden.

Die Vorstellung, das Leben des Menschen sei in eine Stufenfolge zu gliedern, stammt aus der Antike. Alfred K. TREML (1987, S. 137 - 143) gibt eine instruktive Übersicht der "Altersstufentheorien in der Pädagogik" und betont deren analytische Funktion. Sie dienen dazu, eine hochkomplexe Wirklichkeit soweit zu reduzieren, dass sie begrifflich erfasst werden kann. Auf diese Weise können Bezugspunkte für pädagogische Diagnosen und Maßnahmen gewonnen werden. Dabei ist die Versuchung groß, das einzelne Kind an der gleichsam festen Größe der Phasentheorie zu messen, statt die Phasentheorie lediglich als ein zu modifizierendes Hilfsmittel zu verstehen und anzuwenden.

Eine interessante Interpretation der Phasentheorien folgt aus der Rollentheorie. Die Phasen und ihre Beschreibung bilden gleichsam das Bündel der gesellschaftlichen Erwartungen ab, die an das Individuum in den einzelnen Lebensaltern gerichtet werden. Wird dieser Sachverhalt nicht bedacht, können Phasentheorien normativen Charakter annehmen. In beiden Fällen wird aus einem analytisch-beschreibenden Hilfsmittel eine Art Meta-Wirklichkeit, an der sich die tatsächliche Wirklichkeit messen lassen muss.

Zurück zur Übersicht

2.3 Der psychoanalytische Ansatz

Der Ansatz Sigmund FREUDs kann als eine spezielle Ausprägung des entwicklungstypologischen Ansatzes verstanden werden. Entwicklung vollzieht sich als eine Abfolge von typischen Phasen, deren individuelle Ausprägung von verletzenden Erfahrungen in früher Kindheit bestimmt wird. In ihnen sieht FREUD die Ursache seelischer Konflikte des Jugendlichen und des Erwachsenen.
     Obwohl FREUD seine Betrachtungen auf die Kindheit beschränkt und den Begriff der Entwicklung nicht auch auf spätere Lebensabschnitte ausgeweitet hat, stellen seine Erkenntnisse einen besonders bedeutsamen Beitrag zum Verständnis von Entwicklung dar. Vertiefungen dazu finden Sie auf der Webseite "Die Tiefenpsychologie als Ansatz der Entwicklungspsychologie".

Andere Autoren haben seinen Ansatz erweitert und fortentwickelt. Unter ihnen ist vor allem Erik H. ERIKSON zu nennen. ERIKSON misst dem Aufbau der Identität - der Entwicklung des Ich - zentrale Bedeutung zu; dieser vollzieht sich in einer Abfolge von Phasen, in denen eine jeweils altersspezifische Ausprägung der Identitätsfindung geleistet wird oder aber scheitert. Deshalb spricht ERIKSON von einer Abfolge von Krisen. Dieser Begriff bezeichnet hier Situationen, in denen sich eine Entscheidung zwischen Gelingen und Misslingen vollzieht. Vertiefungen dazu finden Sie auf der Webseite ."Entwicklung der Persönlichkeit - eine Abfolge »psycho-sozialer  Krisen«".

Zurück zur Übersicht

2.4 Der humanistische Ansatz

In den gleichsam 'idealistischen' Ansatz dieser Richtung sind sowohl Gedanken der geisteswissenschaftlichen als auch der psychoanalytisch orientierten Psychologie eingegangen. Ihr Grundgedanke lässt sich sehr anschaulich mit einem Goethe-Wort darstellen.
     Er schreibt (Textnachweis hier):

"Wenn wir die Menschen nur nehmen, wie sie sind, machen wir sie schlechter. Wenn wir sie behandeln, als wären sie, was sie sein sollten, so bringen wir sie dahin, wohin sie zu bringen sind."

Die namhaftesten Vertreter dieser Richtung sind Abraham A. MASLOW, Carl ROGERS und Ruth COHN.

Zurück zur Übersicht

2.5 Der Ansatz der ökologischen Psychologie

Ökologie wird als die Wissenschaft von den Wechselwirkungen lebender Organismen mit der Umwelt verstanden. Während die traditionellen Denkansätze der Psychologie sich auf das Individuum und die Eigenständigkeit seiner Entfaltung konzentrieren, sucht die ökologische Psychologie menschliches Verhalten aus der Wechselwirkung mit der Umwelt zu erforschen und verstehen.
     Hier ist vor allem der Name Urie BRONFENBRENNER zu nennen.

2.6 Entwicklung als Gleichgewicht zwischen Objekt und Subjekt

Eine völlig eigenständige und für Unterricht und Erziehung außerordentlich bedeutsame Ausformung des ökologischen Ansatzes hat Jean PIAGET entwickelt. Er hat in seinem umfassenden Werk die Entwicklung der Intelligenz untersucht. Eine vertiefende Darstellung finden Sie auf der Webseite "Entwicklung als Gleichgewicht von Subjekt und Objekt".

"Intelligenz
ist die höchste und beweglichste Form der Anpassung
des Organismus an die Umwelt."

(Rolf OERTER 1980, S. 444)

Diese Anpassung vollzieht sich in der Ausbildung kognitiver Schemata, die es dem Individuum ermöglichen, sich durch Erfahrungen die Umwelt anzueignen (Assimilation) oder sich ihr anzupassen (Akkommodation). Beide Prinzipien ergänzen einander in ständigem Wechselspiel, bis ein Gleichgewicht erreicht ist. In dessen Verlauf werden die kognitiven Schemata ständig weiterentwickelt; das Gleichgewicht zwischen Assimilation und Akkommodation wird immer beweglicher, bis schließlich in Gestalt des ausgebildeten logischen Denkens dessen höchste Form erreicht ist.

Zurück zur Übersicht

3.0 Das dynamische Verständnis von Entwicklung

In den Ansätzen insbesondere BRONFENBRENNERs und PIAGETs wird ein Verständnis von Entwicklung deutlich, das das Individuum sich in der Auseinandersetzung mit seiner Umwelt entfalten sieht.
     Diesen bedeutenden Grundgedanken hat Rolf OERTER in seiner Auseinandersetzung mit dem entwicklungstypologischen Ansatz systematisch ausgearbeitet. Dieses dynamische Verständnis von Entwicklung wird auf der Webseite "Das dynamische Verständnis von Entwicklung" dargestellt.

Zurück zur Übersicht

4.0 Literaturgrundlage

Hier werden nur die Titel genannt, die diesem Baustein zugrunde liegen. Ein zusammenfassendes Literaturverzeichnis für die Themengruppe "Entwicklungspsychologische Grundlagen des Unterrichts finden Sie auf der Webseite "Literaturgrundlage".

  • Urie BRONFENBRENNER
    Ökologische Sozialisationsforschung
    Stuttgart 1976
  • Ruth COHN
    Von der Psychoanalyse zur themenzentrierten Interaktion
    Stuttgart 1983, 6. Auflage
  • Erik H. ERIKSON
    Kindheit und Gesellschaft
    Stuttgart 1965, 8. Auflage 1982
  • ders.
    Identität und Lebenszyklus
    Frankfurt 1966, 18. Auflage 1989
  • ders.
    Jugend und Krise
    Stuttgart 1974, 2. Auflage
  • Johann Wolfgang GOETHE
    Wilhelm Meisters Lehrjahre, VIII, 4
    Sämtliche Werke nach Epochen seines Schaffens,
    München 1988, Band 5, S. 533
    herausgegeben von Hans-Jürgen SCHINGS
  • Robert KEGAN
    Die Entwickungsstufen des Selbst
    Fortschritte und Krisen im menschlichen Leben
    München 1986
  • Abraham A. MASLOW
    Motivation und Persönlichkeit
    New York 1954
  • ders.
    Psychologie des Seins
    München 1973, 2. Auflage 1981
  • Heinz REMPLEIN
    Die seelische Entwicklung des Menschen im Kindes- und Jugendalter
    München 1971, 17. Auflage
  • Rolf OERTER
    Moderne Entwicklungspsychologie
    Donauwörth 1980, 18., durchgesehene und überarbeitete Auflage
  • Carl ROGERS
    Entwicklung der Persönlichkeit
    Stuttgart 1988, 6. Auflage
  • Eduard SPRANGER
    Psychologie des Jugendalters
    Leipzig 1925, 29. Auflage Tübingen 1979
  • Alfred K. TREML
    Einführung in die allgemeine Pädagogik
    Stuttgart 1987
  • Rainer WINKEL
    Die Freudsche Psychoanalyse und ein Exkurs in verschiedene Typenlehren
    in:
    Pädagogische Psychiatrie für Eltern, Lehrer und Erzieher
    München 1977, 2. Auflage Frankfurt 1980,
    Fischer Taschenbuch 6709, S. 52 - 74

[ Zurück zur Übersicht ]
Home ] Nach oben ] Zurück ] Weiter ]
[ Literaturgrundlage ]


Ausgearbeitet von:     Dr. Manfred Rosenbach -        letzte Änderung am: 15.01.08
-