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Das dynamische
Verständnis von Entwicklung
Übersicht
1.0 Das Problemfeld
2.0 Entwicklung bei Rolf OERTER
2.1 Grundlegende Elemente
2.2 Das weiterführende Verständnis
von Entwicklung
3.0 Positionen der wissenschaftlichen Diskussion
4.0 Schlussbemerkung
5.0 Literaturnachweis
1.0 Das Problemfeld
Auf der Webseite Was ist Entwicklung ? - Konzepte entwicklungspsychologischer
Theoriebildung" werden die herkömmlichen Theorien der
Entwicklungspsychologie in Übersicht vorgestellt. Sie haben eine kontroverse Diskussion
und in Folge eine weiterführende Theoriebildung ausgelöst.
Insbesondere in den Ansätzen BRONFENBRENNERs
und PIAGETs wird ein Verständnis von Entwicklung deutlich, das das
Individuum sich in der Auseinandersetzung mit seiner Umwelt entfalten sieht. Diesen
Grundgedanken hat Rolf OERTER in seiner Auseinandersetzung mit dem
entwicklungstypologischen Ansatz systematisch ausgearbeitet. Dieses dynamische
Verständnis von Entwicklung wird hier dargestellt.
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2.0 Entwicklung
bei Rolf OERTER
OERTERs wichtigste
Gedanken werden hier in Thesenform wiedergegeben.
2.1
Grundlegende Elemente
- Entwicklung besteht zunächst zum Teil aus
reinen Reifungsprozessen. Dennoch ist Entwicklung mehr als die Reifung von Anlagen.
- Gerade die Entwicklungsprozesse, die zur
seelisch-geistigen Reife" führen, sind ausgesprochene Lernprozesse und
können ohne ständigen Umwelteinfluss nicht stattfinden.
- Entwicklung verläuft auf zwei parallelen,
dabei gleichsam gegenläufigen Ebenen:
- Differenzierung des zunächst
komplexen Erlebnisses von Gefühls- und Bedürfniszuständen sowie der Umwelt; zunehmende
Abgrenzung innerhalb der Person;
- Zentralisierung der gesamten
Steuerungsfunktionen des Nervensystems.
- Mit fortschreitender Entwicklung kommt es
nicht nur innerhalb des Individuums (intra-individuell), sondern auch zwischen den
Individuen (inter-individuell) zu Differenzierungen.
- In unserer Kultur kommt der Schule für
die Entwicklung in Richtung auf zunehmende Differenzierung und Zentralisierung große
Bedeutung zu. Deshalb scheint es sinnvoll, vor allem die Unterschiede zwischen den
Heranwachsenden hervorzuheben und nicht die Ähnlichkeiten.
- Entwicklung muss auch als Verfestigung
gesehen werden. Im Entwicklungsverlauf eingeschlagene Richtungen können selten geändert
werden; es kommt zur Kanalisierung.
- Allzu frühe Verfestigungen müssen
vermieden werden, damit Möglichkeiten offen bleiben. Die ausgereifte Persönlichkeit ist
jedoch dadurch gekennzeichnet, dass sie sich entschieden hat. Insofern zielt gute
Entwicklung auf Verfestigung und Einengung.
- Entwicklung hat man verstanden als
o endogen programmiert,
o exogen geprägt,
o sachimmanent bestimmt.
Keines der drei Prinzipien reicht allein zur Erklärung aus. Dennoch gibt es viel weniger
Hinweise auf genetische Festlegungen, als bisher angenommen wurde.
- Entwicklung wird nicht allein durch Ursachen
(kausal), sondern auch durch Ziele (teleologisch) bestimmt, anders gesagt, durch Entwicklungsaufgaben.
Sie können so typisch und wirksam sein, dass ihre Auswirkungen den Eindruck von Phasen
und Stufen der Entwicklung hervorrufen.
- Entwicklungsaufgaben bestehen in dem Zusammenspiel
und der Wechselwirkung von
o soziokulturellen Setzungen und Erwartungen sowie
o individuellen (biologischen) Entwicklungsmöglichkeiten.
- Kontinuität ist das Prinzip der
Entwicklung. Phasen und Stufen sind lediglich Ordnungsgesichtspunkte. In ihnen bilden sich
die oben beschriebenen Entwicklungsaufgaben und deren Erfüllung ab. Zwar treten
typische Leistungen erst am Ende eines Entwicklungsprozesses als deren Ergebnis
auf, der Reifungsvorgang selbst verläuft jedoch kontinuierlich.
- Eine biologische Basis für Phasen und
Stufen im menschlichen Werdegang hat sich nicht nachweisen lassen. Die Verhaltensmerkmale
während der Reifezeit scheinen viel mehr von den Veränderungen und dem Einfluss der
Umwelt abzuhängen als von körperlichen Veränderungen infolge der Geschlechtsreife.
- Die Stellung des Jugendlichen zwischen
Kindes- und Erwachsenenrolle ist einer der wichtigsten Faktoren für die seelische
Entwicklung während dieser Zeit.
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2.2 Das
weiterführende Verständnis von Entwicklung
Die vorstehenden Thesen führen zu einem
Verständnis von Entwicklung, das sich von traditionellen Auffassungen -
insbesondere dem entwicklungstypologischen Ansatz, vgl. dazu Nr.
2.2 auf der Webseite "Was ist Entwicklung?"
- erheblich unterscheidet. Danach ist
Entwicklung das
Ergebnis sozialen Lernens.
Dazu einige wesentliche Aspekte:
- Die Entwicklung vom Kleinkind zum reifen
Erwachsenen wird in der pädagogischen Soziologie oft als Sozialisierung
bezeichnet. Sie lässt sich als Hineinwachsen des Individuums in die es umgebende
Gesellschaft und die von ihr geschaffene Kultur verstehen, ist also, mit den Worten
SPRANGERS, Enkulturation. Die Einzelheiten des Begriffes werden gesondert
dargestellt.
- Kultur, d.h. die Gesamtheit der Kenntnisse
und Erfahrungen, die den Fortbestand der menschlichen Gesellschaft gewährleisten, wird
nicht biologisch durch Vererbung tradiert, sondern durch den alle Individuen erfassenden
Sozialisierungsprozess.
- Die Entwicklung des Individuums, die
individuelle Sozialisation, kann beschrieben und verständlich gemacht werden durch
o das Erlernen von Rollen sowie
o die Entwicklung von Ich-Identität,
d.h. die Herausbildung eines individuellen,
eigenständigen Selbstverständnisses.
Einerseits müssen Verhaltensmuster und Leistungseigenschaften, mithin Aufgaben in der
Gesellschaft übernommen werden, andererseits ist ein wesentliches Ziel der Sozialisation
die Entwicklung der autonomen Persönlichkeit.
- Phasen und Stufen ergeben sich
zwangsläufig aus dem Konzept der Altersrollen, wie sie von der Gesellschaft
bereitgehalten werden.
- Im Rahmen der Sozialisation muss ein Gleichgewichtszustand
gewonnen und aufrechterhalten werden, und zwar
o Gleichgewicht zwischen widersprüchlichen
Erwartungen
(z.B. Kindesrolle in der Familie und Schülerrolle),
o Gleichgewicht zwischen fremden Anforderungen
und eigenen Bedürfnissen,
o Gleichgewicht zwischen dem Bedürfnis,
unverwechselbar, einmalig" zu sein,
und dem Bedürfnis, anerkannt zu werden.
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3.0 Positionen
der wissenschaftlichen Diskussion
Die hier erörterte
entwicklungspsychologische Position ist im Lichte der alten Frage nach dem Verhältnis von
Anlage und Umwelt zu sehen. Dieses Problem ist kürzlich auf der Grundlage neuester
Forschungsergebnisse der Soziobiologie von Detlef W. PROMP
systematisch behandelt worden.
PROMP betont die Sinnlosigkeit der Alternative Erbe oder
Umwelt. Die Umwelt ist immer präsent und wirkt auf das Individuum in jedem
Augenblick seines Lebens ein; das Individuum reagiert nach den ihm immanenten Gesetzen
auf die Umwelt. Er schreibt (1990, S.103):
Leben heißt
immer leben in einem Umwelt-Organismus-System" .
Für PROMP verläuft die Ontogenese
des
Menschen in Schüben, die immer wieder die Herstellung neuer Gleichgewichtszustände des
Verhaltenssystems notwendig machen. Sein Ansatz wird wegen dessen Bedeutung auf der
Webseite "Entstehung des Individuums und
Sozialisation" gesondert dargestellt.
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4.0
Schlussbemerkung
Zum Schluss sei auf zwei Grundaufgaben
menschlicher Entwicklung hingewiesen, die einander als Gegenpole konfliktträchtig
gegenüberstehen und in Unterricht und Erziehung gleichermaßen berücksichtigt werden
müssen:
- Da die Kultur einer Sozietät nicht durch
Vererbung weitergegeben werden kann, muss sie von den jungen Gliedern der Gemeinschaft in
jeder Generation neu erworben werden.
- Damit ein heranwachsender Mensch in einer
so hoch komplexen und zugleich differenzierten Gesellschaft wie der unsrigen er
selbst" werden und in ihr Fuß fassen kann, muss die Zeit der Vorbereitung
und des Hineinwachsens entsprechend lang sein.
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5.0
Literaturnachweis
Hier werden nur die Titel genannt, die
diesem Baustein zugrunde liegen. Ein zusammenfassendes Literaturverzeichnis für die
Themengruppe "Entwicklungspsychologische Grundlagen des Unterrichts finden Sie auf
der Webseite "Literaturgrundlage".
- Klaus HURRELMANN
Einführung in die Sozialisationstheorie
Weinheim 2002, 8., vollständig überarbeitete Auflage
- Leo MONTADA (Hrsg.)
Brennpunkte der Entwicklungspsychologie
Stuttgart 1979
- Rolf OERTER
Moderne Entwicklungspsychologie
Donauwörth 1980, 18. Auflage-
- ders. - Leo MONTADA
Entwicklungspsychologie
Ein Lehrbuch
München 2002, 5. überarbeitete Auflage
- Detlef W. PROMP
Sozialisation und Ontogenese
Ein biosoziologischer Ansatz
Berlin und Hamburg, 1990
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[ Literaturgrundlage
]
Ausgearbeitet von: Dr. Manfred Rosenbach -
letzte Änderung am: 15.01.08
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