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Der Begriff 'Lernziel'

Begründung, Definition, Entfaltung

1.0 Was ist Lernen?

Ehe der Begriff »Lernziel« definiert werden kann, muss man sich darüber verständigen, was mit dem Ausdruck 'Lernen' gemeint ist.
     Die empirisch orientierte Didaktik versteht Lernen als Verhaltensänderung. Mithin beschreiben Lernziele die Verhaltensänderung, die ein Schüler infolge des Unterrichts zeigen soll. Obwohl Lernziele vom Lehrer gesetzt werden, hat sich diese Bezeichnung eingebürgert, weil es sich um die Lernakte der Schüler handelt.
     Der Begriff 'Verhalten' ist fachwissenschaftlich definiert. Weil er vom umgangssprachlichen Ausdruck ’Verhalten’ erheblich unterscheidet, bedarf er der Erläuterung:

Verhalten ist die allgemeine Bezeichnung für die Gesamtheit aller beobachtbaren, feststellbaren oder messbaren Aktivitäten des lebenden Organismus, meist aufgefasst als Reaktion auf bestimmte Reize oder Reizkonstellationen, mit denen der Organismus in lebensweltlichen oder experimentellen Situationen konfrontiert wird oder ist.

Der Vorzug dieser Position: Sie besteht auf Klarheit und Eindeutigkeit von Lernzielen, sie macht Schluss mit verschwommenen und abgehobenen Zielen. Dennoch wird sie durch eine Schwäche beeinträchtigt, die deshalb bedeutsam ist, weil sie Folgen für das didaktische Handeln hat.

Lernen und Verhalten sind nämlich nur scheinbar identisch. In Wirklichkeit ist Lernen ein intrapsychischer Vorgang. Lernen selbst lässt sich nicht beobachten, sondern lediglich aus seinen - beobachtbaren - Wirkungen erschließen. Das gilt auch dann, wenn diese Wirkungen unmittelbar und eindrucksvoll zu beobachten sind. Das gilt erst recht bei langfristigen und komplexen Lernprozessen, weil sie oft Dispositionen aufbauen, die erst zu einem späteren Zeitpunkt wirksam werden.
     Mithin verändert Lernen nicht das Verhalten selbst, sehr wohl aber die geistig-seelische Grundlage menschlichen Verhaltens und Erkennens. In der Auseinandersetzung des Menschen mit seiner natürlichen und soziokulturellen Umwelt verändert sich seine Verhaltensdisposition, seine Fähigkeit und Bereitschaft, sich in einer bestimmten Situation anders, d.h. angemessener als vorher zu verhalten.
     Als exemplarischen Beleg für diese Position können Sie auf der Webseite Was ist Lernen?" eine Textpassage von Helmut SKOWRONEK aufrufen. Sie ist weiterhin aktuell, wie die Beschreibung von Alfred K.TREML (in: KRÜGER/HELSPER, Einführung in Grundbegriffe und Grundfragen der Erziehungswissenschaft, Opladen 1996, S. 97) belegt:

     "Lernen ist eine erfahrungsbedingte Veränderung der Möglichkeiten eines lebenden Systems, in einer Umwelt einen Zustand einnehmen zu können."

»Lebende Systeme« - das können natürlich auch Menschen sein - sie erst recht.

Eine Vertiefung des Lernbegriff in pädagogischer Sicht finden Sie auf der Webseite Lernen und die Arten des Lernens - pädagogisch gesehen".

2.0 Definition des Begriffes 'Lernziel'

Danach kann der Begriff 'Lernziel' wie folgt definiert werden.

Ein Lernziel ist die sprachlich artikulierte Vorstellung einer durch Unterricht oder andere Lehrveranstaltungen zu bewirkenden gewünschten Verhaltensdisposition eines Lernenden.

Dieses Verständnis von Lernzielen vermeidet es, Unterricht auf Ziele zu begrenzen, die sich nur als konkretes Verhalten angeben lassen. So bleibt er offen für komplexe und anspruchsvolle Ziele. Im übrigen ist es für eine tragfähige Unterrichtsplanung wichtig, dass man - im Sinne der o. g. Grundfrage - berücksichtigt:

Lernziele können nicht ohne Angabe eines Lerninhaltes beschrieben werden.

Beschränkte sich die traditionelle Didaktik auf die Inhalte, so überschätzte der neue didaktische Ansatz das Verhalten. In Wirklichkeit hat jedes Lernen

sowohl eine Verhaltenskomponente als auch eine Inhaltskomponente.

Vertiefende Informationen zu dieser These finden Sie auf der Webseite "Lernziele und Inhalte im kognitiven Bereich - Eine zweidimensionale Taxonomie".

3.0 Lernziele im didaktisch-erzieherischen Kontext

Die vorstehenden Ausführungen können den Eindruck machen, sie gäben einen eindimensional technizistischen Standpunkt wieder. Das wäre ein Missverständnis. Bei der Formulierung von Lernzielen kommt es immer auf den didaktisch-erzieherischen Kontext an.

Die Ziele von Unterricht sind Setzungen. Mögliche Ziele von Unterricht können durchaus verschieden sein, z.B.

  • Schüler mit verschiedenen Lernvoraussetzungen zum gleichen Ziele zu führen,
  • Leistungsunterschiede von Schülern zu verringern und alle zu einem bestimmten Mindestziel zu führen,
  • die individuellen Anlagen jedes einzelnen Schülers so weit wie möglich zu entfalten
    (§ 1 SchulG).
  • (Formuliert im Anschluss an Werner ZIELINSKI 1973 und Peter GAUDE 1985.)

Jeder dieser Ansätze führt jeweils auch zu entsprechend zu akzentuierenden Lernzielen.

4.0 Folgerungen für die Einschätzung von Lernergebnissen

Das hier skizzierte und in den weiteren Bausteinen dieser Themengruppe entwickelte Verständnis von Lernen und Zielen des Lernens ist auch für die Einschätzung der Lernergebnisse bedeutsam.
     In der Auswertung des Unterrichts kommt es darauf an, Indizien zu gewinnen, die Rückschlüsse auf Lernergebnisse möglich oder wenigstens plausibel machen. Dazu finden Sie Anregungen und Vertiefungen auf der Webseite "Indizien für die Einschätzung von Lernergebnissen".

5.0 Literaturnachweis

Die diesen Ausführungen zugrunde liegende Literatur wird auf der Webseite "Literaturgrundlage" zusammengefasst.


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Ausgearbeitet von:     Dr. Manfred Rosenbach -        letzte Änderung am: 15.01.08
2000-2008 -