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Lernziele und Inhalte im
kognitiven Bereich
Eine zweidimensionale Taxonomie
Übersicht
1.0 Der Problemhorizont
2.0 Die Dimensionen der zweidimensionalen Taxonomie
3.0 Die Prozessdimension
3.1 Die Definition der
Prozesskategorien
4.0 Die Inhaltsdimension
4.1 Die Definition der Inhaltskategorien
5.0 Die zweidimensionale Taxonomie
5.1 Zur Benutzung der
zweidimensionalen Taxonomie
5.2 Die vereinfachte
Lernzielmatrix
6.0 Fünf didaktisch bedeutsame Begriffspaare
7.0 Literaturnachweis
1.0 Der
Problemhorizont
Bis in die sechziger Jahre wurden
Zielbestimmung von Unterricht allein im Hinblick auf dessen Inhalte erörtert. Seit dem
Erscheinen von Robert F. MAGERs Buch "Lernziele und programmierter Unterricht"
(Originalausgabe 1961) wandte sich die Diskussion mit großem Nachdruck der Verhaltensdimension
des Lernens zu. Die inhaltliche Seite wurde für nachrangig gehalten oder
überhaupt vernachlässigt.
Dennoch hat neben anderen Hilbert MEYER (1979)
darauf hingewiesen, bei der Beschreibung von Lernziele gehörten die Verhaltens- und die
Inhaltsdimension stets zusammen. Wenig später haben Claus BÜHLER (1980)
und Dietrich LEMKE (1982) diesen Hinweis aufgegriffen und zum Gegenstand
eindringender Untersuchungen gemacht.
In der Tat handelt es sich bei der Bestimmung von Lernzielen um
einen ganzheitlichen Vorgang. Unterschiedliche Bereiche werden allein aus analytischen
Gründen unterschieden, weil man sich ihrer gedanklich nur in isolierender Betrachtung
bemächtigen kann.
Beide Autoren legen ihren Ausführungen im Wesentlichen die
Arbeit von Benjamin S. BLOOM (1956, 1973) zugrunde. Da sie dessen
Taxonomie auch mit Gründen kritisieren, gehen sie in entscheidenden Punkten über BLOOM
hinaus und entwickeln ganz andere Einsichten. Die nachstehenden Ausführungen folgen den
Aufstellungen BÜHLERs.
2.0 Die
Dimensionen der zweidimensionalen Taxonomie
BLOOM und andere Autoren bestimmten das
Anforderungsniveau des Unterrichts nach dem Endverhalten sowie den diesem zugrunde
liegenden kognitiven Prozessen. In Wirklichkeit hängt die Anforderungshöhe von
Lernzielen auch von der Beschaffenheit der Inhalte ab. Soll eine Taxonomie
Komplexität und Durchdringung beider Bereiche angemessen abbilden, müssen diese
zunächst jeweils für sich beschrieben werden.
Zu unterscheiden sind zwei
Ebenen:
- Prozessebene,
- Informationsebene.
Einerseits müssen Lernprozesse nach
ihrer Prozesskomplexität eingestuft werden, andererseits nach der Komplexität der
ihnen zugrunde liegenden Informationen. Das gilt nicht nur für Lernaufgaben,
sondern auch für Aufgaben zur Überprüfung des Lernerfolges.
3.0 Die
Prozessdimension
Die Komplexität kognitiver Prozesse
lässt sich mit drei Grobkategorien beschreiben, denen je verfeinernde Kategorien
zugeordnet werden.
o Informationsreproduktion:
o Informationsverarbeitung:
o Informationserzeugung: |
1. Wiedererkennen
1. Sinnerfassen
1. Problemlösen |
2. Reproduzieren
2. Anwenden
2. Produzieren |
Kern dieser sechs
Kategorien ist mithin der Grad von Eigenständigkeit, den der/die Lernende für die
Bewältigung eines Lernzieles aufbringen muss.
Um ihn abschätzen zu können, müssen
folgende vier Fragen geprüft werden.
- Welcher Art sind die Lernerfahrungen des
Lernenden, so weit sie zum Erreichen des Lernziels bedeutsam sind?
- Welcher Art sind die Aufgabenanweisungen?
Inwieweit wird vorgegeben, was zum Erreichen des Lernziels zu tun ist, inwieweit muss der
Lernende die Schritte selbst bestimmen?
- Welcher Art ist die für das Erreichen des
Lernziels vorgegebene Materialinformation im Vergleich zur Materialinformation der vorauf
gegangenen bedeutsamen Lernerfahrungen?
- Welcher Art ist das Ergebnis im Vergleich
mit der durch die Lernsituation vermittelten Information sowie der durch vorgegebenes
Material vermittelten Information?
3.1 Die
Definition der Prozesskategorien
Soll eine Taxonomie leistungsfähiger
sein als die von BLOOM, so müssen die vier Prozesskategorien eindeutig und brauchbar
definiert werden.
3.11 Wiedererkennen
Im Gedächtnis ist eine bestimmte Information gespeichert. Zu einem späteren Zeitpunkt
wird eine mit ihr identische Information angeboten und soll mit der gelernten Information verglichen
werden. Wiedererkennen ist das positive Ergebnis des Vergleiches.
3.12 Reproduzieren
Im Gegensatz zum Wiedererkennen wird die zu reproduzierende Information nicht
angeboten, sondern nur durch ein Stichwort abgerufen und muss aus dem Gedächtnis aktiv
vergegenwärtigt - "reproduziert" werden.
3.13 Sinnerfassen
Wiedererkennen und Reproduzieren können rein mechanisch geleistet werden. Soll
auch die semantische Bedeutung einer Nachricht erfasst werden, so ist ein höherer Grad an
geistiger Selbständigkeit erforderlich. Der Begriff "Verstehen" ist dafür
sowohl in der Umgangssprache als auch in der Wissenschaftssprache zu vielschichtig. Ein
Lernender hat den Sinn einer Nachricht erfasst, wenn er sie in eigenen Worten, aber
inhaltlich unverändert wiedergeben kann.
3.14 Anwenden
Soll der Lernende über das Sinnerfassen hinaus auch von Inhalten unabhängige
Strukturen erfassen und auf neue Inhalte übertragen, so ist von Anwenden zu
sprechen. Dafür ist analytisches Vorgehen notwendig.
3.15 Problemlösen
Der Lernende nimmt das Problem in einer für ihn fremden, also sowohl inhaltlich als auch
strukturell neuen Situation wahr. Zwar ist das Ziel klar vorgegeben, doch muss der
Lernende die Lösung selbständig entwickeln, ohne bisherige Lernerfahrungen unmittelbar
nutzen zu können.
3.16 Produzieren
Über die Voraussetzungen von Problemlösen hinaus ist ein Ziel nicht vorgegeben, sondern
muss vom Lernenden selbst entwickelt sowie anschließend erreicht werden.
4.0 Die
Inhaltsdimension
Nicht nur kognitive Prozesse lassen sich
als Hierarchie beschreiben, sondern auch deren Inhalte. Informationselemente werden durch
Bildung von Komplexen, Klassen oder Relationen zu neuen Einheiten verknüpft,
"superiert"; mithin werden "Superzeichen" gebildet, ggf. auf mehreren
Ebenen übereinander.
4.1 Die
Definition der Inhaltskategorien
4.11 Einzelheiten
Einzelheiten sind das kognitive Abbild jener Elementarzeichen, Wörter, Satzteile oder
Sätze, deren Zusammensetzung mit der Restaussage oder anderen Aussagen dem Lernenden als
rein zufällig erscheint. Dabei handelt es sich weder um konkrete Gegenstände noch um
deren Bezeichnungen, sondern allein um das, was der Lernende davon auffasst.
4.12 Begriffe
Begriffe sind von den bisherigen Erfahrungen abhängige, in die individuelle
kognitive Struktur eingeordnete und verankerte anschauliche Zuordnungsschemata. Sie reduzieren
und ordnen eine verwirrende Vielfalt von Einzelheiten in eine begrenzte Anzahl von
Klassen, Komplexen und/oder Relationen.
4.13 Regeln, Gesetze, Methoden
Regeln, Gesetze und Methoden dienen gemeinsam zur Voraussage von Handlungen und
Ereignissen. Sie ermöglichen es, Informationen zu reduzieren, also Durch- und Überblick
zu gewinnen. Im Einzelnen haben sie folgende Funktionen.
- Regeln
sind die in der kognitiven Struktur eines Subjektes abgebildeten und verankerten
Handlungsanweisungen einer Sozietät, welche das Zusammenleben zwischen Menschen
erleichtern sollen und zur Rechtfertigung von Handlungen dienen können.
- Gesetzmäßigkeiten
sind die in der kognitiven Struktur eines Subjektes abgebildeten
und verankerten Verknüpfungsschemata, welche vor allem zur Erklärung und
Voraussage von Ereignissen anhand erkannter oder gegebener und gespeicherter
Voraussetzungen dienen.
- Methoden
sind die in der kognitiven Struktur eines Subjektes abgebildeten
und verankerten, nach Sach- und Subjektangemessenheit unterscheidbaren
Verfahrensweisen zur Zielerreichung oder Problemlösung.
4.14 Theorien
Theorien sind Systeme mit Voraussagebedeutung. Sie dienen vor allem zur Erklärung und
Voraussage von Gesetzmäßigkeiten, weil sie Gesetze miteinander verknüpfen und sie in
einen größeren Zusammenhang einfügen. Sie sind außerdem Systeme zur Ordnung und
Vereinheitlichung des Wissens über die Welt.
5.0 Die
zweidimensionale Taxonomie
Nunmehr können die beiden Systeme in
einem Raster zusammengeführt werden.
Prozesskomplexität
6. Produzieren |
6.1 |
6.2 |
6.3 |
6.4 |
5. Problemlösen |
5.1 |
5.2 |
5.3 |
5.4 |
4. Anwenden |
4.1 |
4.2 |
4.3 |
4.4 |
3. Sinnerfassen |
3.1 |
3.2 |
3.3 |
3.4 |
2. Reproduzieren |
2.1 |
2.2 |
2.3 |
2.4 |
1. Wiedererkennen |
1.1 |
1.2 |
1.3 |
1.4 |
|
1. Einzelheiten |
2. Begriffe |
3. Regeln etc |
4. Theorien |
Inhaltskomplexität
5.1 Zur
Benutzung der zweidimensionalen Taxonomie
Das Raster ist wie folgt zu
lesen:
1.1 Wiedererkennen von
Einzelheiten
1.2 Wiedererkennen von Begriffen usw.
Dabei zeigt sich, dass einige
Kombinationen aus sachlichen und/oder
didaktischen Gründen nicht sinnvoll sind.
Danach verbleiben vierzehn
Kombinationen:
1.1 Wiedererkennen
von Einzelheiten,
2.1 Reproduzieren von Einzelheiten,
3.2 Sinnerfassen von Begriffen,
3.3 Sinnerfassen von Regeln, Gesetzen, Methoden,
3.4 Sinnerfassen von Theorien,
4.2 Anwenden von Begriffen,
4.3 Anwenden von Regeln, Gesetzen, Methoden,
4.4 Anwenden von Theorien,
5.2 Problemlösen mit Hilfe von Begriffen,
5.3 Problemlösen mit Hilfe von Regeln, Gesetzen, Methoden,
5.4 Problemlösen mit Hilfe von Theorien,
6.2 Produzieren von Begriffen,
6.3 Produzieren von Regeln, Gesetzen, Methoden,
6.4 Produzieren von Theorien.
Bei der Anwendung der vorstehenden
Lernzielstufen kommt es darauf an, ob Lernkontrollaufgaben oder Lernaufgaben
(Lernziele) entwickelt werden sollen,
ferner, für welche Altersstufe das geschieht.
Für Lernkontrollaufgaben in der
Oberstufe empfiehlt es sich, auf alle vierzehn Kategorien
zurückzugreifen. Für die Entwicklung von Lernzielen in der täglichen Unterrichtsarbeit
genügt es, eine vereinfachte und leichter zu handhabende Fassung der Lernzielmatrix zu
benutzen.
5.2 Die
vereinfachte Lernzielmatrix
Die Prozesskategorien werden wie
folgt zusammengefasst:
- Wiedererkennen und Reproduzieren
zu Erinnern,
- Sinnerfassen und Anwenden
zu Verarbeiten,
- Problemlösen und Produzieren
zu Entdecken.
Die Inhaltskategorien
(Superzeichenhierarchie) besteht aus
- Einzelheiten
(zusammenhanglosen Zeichen)
- Begriffen (Klassen,
Komplexen, Relationen)
- Begriffssystemen (Regeln,
Gesetzen, Methoden, Theorien).
6.0 Fünf
didaktisch bedeutsame Begriffspaare
Danach ergeben sich für die
Planung von Unterricht die folgenden Kategorien:
- Erinnern von Einzelheiten,
- Verarbeiten von Begriffen,
- Verarbeiten von Begriffssystemen,
- Entdecken von Begriffen,
- Entdecken von Begriffssystemen.
Die drei Prozesskategorien finden
übrigens eine Entsprechung in einer älteren Verordnung zur Abiturprüfung, wo folgende
drei Kategorien formuliert sind:
Kennen - Verwenden - Urteilen
Der aktuelle Text verwendet
statt dessen die abstrakten Begriffe Anforderungsbereich I, II, II; vgl. dazu die Webseite "Lernzielstufen und Anforderungsbereiche"
7.0
Literaturnachweis
Die diesen Ausführungen zugrunde
liegende Literatur wird auf der Webseite "Literaturgrundlage"
zusammengefasst.
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Ausgearbeitet von: Dr. Manfred Rosenbach -
letzte Änderung am: 15.01.08
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