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Die Problematik von
Lehrerfragen
Das Problem
Die Funktionen und Wirkungen von Fragen,
wie sie auf auf der entsprechenden Webseite
vorgestellt werden, durchdringen auch den didaktischen und erzieherischen Raum. Sie machen
die Lehrerfrage frag-würdig und müssen zu einer genaueren Untersuchung veranlassen.
Das geschieht in den folgenden Thesen.
Warum bevorzugen Lehrer Fragen?
- Fragen sind für den Lehrenden
attraktiv.
In der didaktischen und psychologischen
Literatur gibt es die verschiedensten Vorschläge, Fragen nach ihrer Funktion zu
klassifizieren. Das wird auf der Webseite Klassifikation
von Fragen" detailliert dargestellt. Im Unterricht können die
unterschiedlichsten Operationen mit Hilfe von Fragen angebahnt und abverlangt werden.
Schon allein das regt Lehrer dazu an, Fragen im Unterricht zu bevorzugen.
Zentral bedeutsam ist jedoch die Dynamik
der Frage, ihre die Situation bestimmende Wirkung, wie sie auf der
Webseite "Funktionen und Wirkungen
der Frage" dargestellt wird.
Im Übrigen hat jeder Lehrer als Schüler
Fragen als das zentrale Lenkungsmuster erlebt und verwendet es selbst, weil er mit Fragen
gleichsam imprägniert worden ist.
Agieren oder Reagieren
- Fragen behindern eigene Lernhandlungen,
weil sie die Schüler
auf das Reagieren beschränken.
Unbestrittenes Ziel von Unterricht ist
es, den Schülern möglichst viel Gelegenheit zu aktiver Auseinandersetzung mit dem
jeweiligen Unterrichtsgegenstand zu geben. Lenkung durch Fragen beschränkt jedoch
die Schüler auf Antworten, und oft genug sind diese Antworten nur noch
Satzfragmente oder einzelne Worte.
Der Absicht, das Vorwissen der Schüler
zu nutzen und deren Erkenntnismöglichkeiten für den Lernprozess zu aktivieren, muss -
und kann - mit anderen Lenkungsmitteln wirkungsvoller entsprochen werden.
Was meint die Frage?
- Fragen wirken zwar präzise, sind
jedoch komplex und mehrdeutig.
Die syntaktische Präzision von Fragen -
zumal, wenn sie mit einem Fragewort eingeleitet werden (sog. W-Fragen) - erweckt den
Eindruck, etwas Bestimmtes - und nichts anderes - werde gefragt.
Der Schüler muss jedoch mehrere und
oft schwierige Entschlüsselungen leisten, um auf eine Frage erwartungsgemäß
antworten zu können. So kann er im Allgemeinen nicht unterscheiden, ob eine Frage
z. B. eng oder weit, konvergent oder divergent gemeint ist. Vielfach vermag er nicht
einmal den - inhaltlichen und/oder prozeduralen - Bezugspunkt einer Frage zu
erkennen. Er muss die jeweilige kommunikative Funktion (Sprecherintention) zutreffend
herausfinden oder doch wenigstens erahnen.
Im Witz wird diese Schwierigkeit
anschaulich verdichtet. Zwei Beispiele:
Wie kann der Herr Bundeskanzler die
Zahl der Arbeitslosen halbieren? - Markus!?"
Ganz einfach! Durch zwei teilen."
Wie lautet die erste binomische
Formel?"
Ja wissen Sie das nicht selbst?"
Die Wirklichkeit kann den Witz noch
übertreffen. Der Verfasser hat im Unterricht einer
11. Klasse selbst erlebt, dass ein Schüler auf intensive "didaktische" Fragen
antwortete:
"Aber das wollen wir doch von Ihnen wissen!"
Folgen:
o Der Lehrer erhält
Antworten, die seiner Erwartung nicht entsprechen, und fragt
solange, bis er die "richtige" Antwort erhält - sog. Schleppnetzdidaktik.
o Der Schüler schweigt,
weil er unsicher ist, ob die ihm mögliche Antwort der
Erwartung des fragenden Lehrers entspricht, und Zurückweisung fürchtet,
oder er traut sich eine Antwort gar nicht erst zu.
o Die Spannung zwischen
dem Bewusstsein, antworten zu müssen,
und dem Bedürfnis zu schweigen beunruhigt den Schüler.
Lenken und Abfragen
- Fragen machen Unterricht zur
Dauerprüfung.
In der Gesprächsführung wechselt die
Funktion von Fragen ständig zwischen der Aufforderung, sich an Wissen zu erinnern
("Das können nun aber wirklich alle wissen!") oder es gar nachzuweisen, und der
Anregung zum Weiterdenken.
Fragen zur Überprüfung von Wissen haben
für die Lehrer-Schüler-Beziehung große Bedeutung. Sie sind oft auch dann angstbesetzt,
wenn der Lehrer, der sie stellt, kein Mensch "zum Fürchten" ist. Stets ist das
Selbstwertgefühl gefährdet, weil eine Antwort entweder gar nicht gegeben werden kann
oder falsch ist oder den Erwartungen des Fragenden nicht entspricht.
Wird nun der Unterricht überwiegend oder
gar ausschließlich mit Fragen gelenkt, so kann die formale Übereinstimmung der
didaktischen Fragen mit Prüfungsfragen deren Funktion überlagern.
Folgen:
- Das Unterrichtsklima wird durch den
Eindruck des Abfragens beeinträchtigt.
- Die Schüler fühlen sich bedrängt und
werden befangen.
Sie lassen sich nur zögernd auf die ihnen nahe gelegte Erkenntnisarbeit ein,
weil sie den Unterricht als permanente Prüfung erleben.
Vielleicht werden sie auch frech, wie folgende Karikatur
zeigt.
Vermittlung neuen Wissens
- Fragen eignen sich nicht dazu, neues
Wissen zu vermitteln.
Werden die Erkenntnisakte, mit denen sich
Schüler neues Wissen aneignen sollen, mit Fragen angebahnt, so muss der jeweilige
Stoff zu kleinen gedanklichen Einheiten - Wissensportionen - kleingearbeitet werden. Denn nur
dann können die Schüler dem Unterricht folgen, wenn der Stoff häppchenweise - gleichsam
bit für bit - vermittelt wird.
Kleinschrittigkeit und
Kurzatmigkeit sind die unausweichliche Folge. Dabei ist
gleichgültig, wer die Fragen stellt und wie geschickt oder ungeschickt er fragt.
Außerdem entsteht eine psychologisch
ungünstige Situation. Die Fragen des Lehrenden können bei den Schülern immer
wieder den Eindruck erwecken, sie müssten das alles schon wissen, was sie gerade erst zu
lernen sich anschicken.
Die Folgen entsprechen weitgehend
den im Absatz zuvor beschriebenen;
zusätzlich ist zu nennen:
o Die Schüler werden
nicht zu der notwendigen und gewünschten Fragehaltung
angeregt.
Anregung und Ermutigung
Vielleicht finden Sie diese Analysen als
Beeinträchtigung oder Herabsetzung Ihres methodischen Instrumentariums. Bitte betrachten
Sie sie als Herausforderung Ihrer didaktischen Fantasie.
- Anregungen für eine Erweiterung Ihrer
Lenkungsmittel finden Sie
auf der nächsten Webseite.
- Die hier vorgestellte Problematik wird auf
der Webseite "Das Unterrichtsgespräch - Lehrerfrage
oder Lehr-Lern-Diskurs?" in einem größeren Zusammenhang erörtert.
Dort finden Sie auch eine hilfreiche Beschreibung der Aufgaben, die der Lehrer erfüllen
muss, wenn er ein Unterrichtsgespräch führen will, das diesen Namen verdient.
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Ausgearbeitet von: Dr. Manfred Rosenbach -
letzte Änderung am: 15.01.08
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