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Unterrichtsinhalte finden und erschließen

„Didaktische Analyse" - zeitgemäß neu entworfen

Übersicht
1.0 Das Handlungsfeld
2.0 Unterrichtsplanung - Problematik und Aufgabe
3.0 Zugänge finden und erschließen
       3.1 Beziehung der Schüler zum Lernangebot
       3.2 Das Lernangebot und seine Zuordnung
       3.3 Mögliche Dimensionen des Unterrichtsthemas
       3.4 Leitfragen für die Unterrichtsgestaltung
       3.5 Zusammenfassende Empfehlungen
4.0 Literaturnachweis

1.0 Das Handlungsfeld

Der Verfasser der Bausteine ist davon überzeugt, dass die Überlegungen, die auf der Webseite „Didaktische Transformation" vorgestellt werden, grundsätzlich nach wie vor zutreffen. Das Instrumentarium der didaktischen Analyse dient dazu, Themen bzw. Inhalte mit dem Ziel auszuwählen bzw. zu erschließen, einen für die Schüler sinnvollen Unterricht zu erteilen.
     Die Frage nach dem Sinn des jeweiligen Unterrichts ist weiterhin die zentrale Aufgabe des Lehrers. Sie produktiv zu beantworten ist jedoch noch schwieriger geworden, als sie es schon immer war. Das liegt

  • erstens
    an gesellschaftlichen Entwicklungen;
  • zweitens
    an der Heterogenität der in einer Lerngruppe versammelten Schüler, die es nahezu unmöglich macht, einen für sie alle in gleicher Weise „sinnvollen" Unterricht zu entwerfen;
  • drittens
    an neueren Einsichten zu Struktur und Aufgabe des Unterrichts.
    Begründende Informationen dazu finden Sie auf den Webseiten der Themengruppe „Grundzüge der Allgemeinen Didaktik" unter dem Stichwort „Anregungen aus Nachbarwissenschaften".

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2.0 Unterrichtsplanung - Problematik und Aufgabe

Wie auf der Webseite „Unterrichtsplanung - Leistungen und Grenzen" ausgeführt wird, gibt es zwischen Lehren und Lernen einen grundlegenden Unterschied.

  • Lehren ist ein Angebot. Ob und wie es angenommen wird, liegt bei den Lernenden.
  • Lernen ist ein Vorgang, der zwar angeregt, nicht aber - nach dem Mechanismen von Ursache und Wirkung - determiniert und kontrolliert werden kann.

Planung kann folglich nur das Lernangebot steuern, nicht jedoch das Lernen selbst. Über das Lernen selbst kann Planung nicht verfügen. Unterrichtsplanung wird dadurch nicht überflüssig oder belanglos - im Gegenteil.
     Unterrichtsplanung darf sich nicht mehr darauf beschränken, ein Ziel zu erreichen zu wollen. Sie hat vielmehr die Aufgabe, möglichst viele Elemente bereitzustellen, die von den Schülern als Anregungen aufgegriffen werden können. Sie muss also vielfältige Formen von „Anschlussmöglichkeiten" schaffen.

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3.0 Zugänge finden und erschließen

Annette SCHEUNPFLUG (2000, S. 125 - 134) hat auf der Grundlage der Arbeit von Jürgen MILCHERT (1994) ein Kategoriensystem entwickelt, das die Grundgedanken der auf Wolfgang KLAFKI zurückgehenden »Didaktischen Analyse« zeitgemäß neu entwirft.
     Dieses System wird hier zusammengefasst und vorgestellt.

3.1 Beziehung der Schüler zum Lernangebot

Lernangebote bzw. Unterrichtsinhalte können bei Schülern folgende Reaktionen auslösen:

  • Ablehnung
    Das Lernangebot ist fremd und lässt sich weder kognitiv erfassen noch emotional würdigen. Deshalb wird es abgelehnt.
  • Begegnung
    Das Lernangebot spricht vorhandene Kenntnisse an. Vor dem Hintergrund positiver Vorerfahrungen löst es Interesse aus, macht neugierig und bahnt vertiefendes Lernen an.
  • Konflikt
    Das Lernangebot spricht vorhandene Kenntnisse an. Vor dem Hintergrund negativer Vorerfahrungen löst es Abwehr und Widerstand bis hin zur Verweigerung aus.
  • Desinteresse
    Das Lernangebot trifft auf zu viele Vorkenntnisse. Deshalb werden darin trotzdem enthaltene Lernchancen nicht erkannt und ausgeschlagen.

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3.2 Das Lernangebot und seine Zuordnung

Lernangebote bzw. Unterrichtsinhalte lassen sich folgenden Dimensionen zuordnen:

  • Zeitdimension
    Lernangebote können Vergangenheit, Gegenwart und/oder Zukunft betreffen.
  • Sachdimension
    Lernangebote haben eine aus dem jeweiligen Wissensgebiet folgende Sachstruktur.
  • Sozialdimension
    Lernangebote sind in gesellschaftliche Zusammenhänge eingebunden.
  • Individualdimension
    Lernangebote sind für die persönliche Entwicklung des einzelnen Schülers bedeutsam.

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3.3 Mögliche Dimensionen des Unterrichtsthemas

Aus den vorstehenden Kategorien lässt sich eine Matrix bilden. Sie kann dazu dienen, mögliche Themen zu untersuchen, zu erschließen und für Unterricht auszuwählen.

Zeitdimension Sachdimension Sozialdimension Individualdimension
Ablehnung x x x x
Begegnung x x x x
Konflikt x x x x
Desinteresse x x x x

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3.4 Leitfragen für die Unterrichtsgestaltung

Die Kategorien »Variation«, »Selektion« und »Stabilisierung« eignen sich auch dazu, Leitfragen zur Unterrichtsgestaltung zu entwickeln. Vertiefende Informationen zu diesen Begriffen finden Sie auf der Webseite „Evolutionäre Pädagogik und Didaktik". Wenn Sie eine Begriffserklärung suchen, klicken Sie hier.

o Variation:
Die Schüler einer Lerngruppe reagieren auf Lernangebote unterschiedlich. Deshalb ist es sinnvoll, mehrere Zugänge zu einem Thema vorzusehen.
     Daraus ergeben sich folgende Fragen:

  • Wie kann auf unterschiedliche Zugänge von Schülern sinnvoll regiert werden?
  • Welche Angebote können eigene gedankliche Aktivität und eigenverantwortliches Lernen anregen?
  • Wie kann durch diese Angebote sowohl die sinnliche Wahrnehmung bedient als auch das abstrakte Denken geschult werden?
  • Können zur Lösung eines Problems unterschiedliche Weg eingeschlagen werden?
  • Gibt es verschiedene Handlungsmöglichkeiten? Was spricht für, was gegen sie?
  • Welche Angebote wirken wie auf wen? Wie können Wirkungen im Unterricht sichtbar werden? Welche Folgen können sie haben?

o Selektion:
Damit produktiver Unterricht stattfinden kann, muss die Fülle der Möglichkeiten eingegrenzt werden.
     Dazu können folgende Leitfragen dienen:

  • Welche Gesprächsimpulse können die Kommunikation strukturieren und auf ein bestimmtes Thema konzentrieren?
  • Wie kann das Ergebnis der unterrichtlichen Kommunikation festgehalten und gesichert werden?
  • Soll eine Lernergebnisüberprüfung stattfinden?
  • Wenn ja, wie soll sie gestaltet werden?
  • Gibt es verschiedene Handlungsmöglichkeiten? Was spricht für, was gegen sie?

o Stabilisierung:
Produktive Kommunikation im Unterricht und sinnvolle Lernerfahrungen sind nur möglich, wenn eine stabile Unterrichtssituation geschaffen werden kann. Dazu tragen insbesondere berechenbare Erwartungen und Anforderungen sowie die Vermeidung von Störungen bei.
     Daraus ergeben sich folgende Fragen:

  • Wie können Erwartungen klar und konsequent geäußert werden?
    An welcher Stelle im Unterricht werden sie deutlich?
  • Sind die inhaltlichen Anforderungen des Unterrichts offengelegt worden und dadurch einsichtig?
  • Werden erreichte Standards festgehalten?
    Sind Rückkopplungen vorgesehen, die Aufschluss darüber zulassen, ob die angestrebte Klarheit erreicht worden ist?
  • Welche kritischen und instabilen Situationen können im Unterricht auftreten?
    Wird genug auf stabilisierende Faktoren geachtet, um unkontrollierbare Entwicklungen zu vermeiden?
  • Wie können die Stärken des sozialen Systems »Klasse« bzw. »Lerngruppe« im Unterricht genutzt werden?
  • Gibt es verschiedene Handlungsmöglichkeiten? Was spricht für, was gegen sie?

o Kontingenz
Mit Zufällen und unerwarteten produktiv umgehen zu können ist wichtig, um "anschlussfähig" zu werden. Die Vorbereitung auf unspezifische Situationen ist   also eine spezifische Aufgabe des Unterrichts. Deshalb sollte ein Unterrichtsthema auch unter folgenden Aspekten befragt werden:

An welcher Stelle bietet das Thema
     Zugang zum Umgang mit
    o  Nichtwissen,
     o Unsicherheit,
     o Ungewissheit?

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3.5 Zusammenfassende Empfehlungen

Aus diesen Überlegungen ergibt sich eine umfangreiche Fülle von Möglichkeiten. Aus ihnen ist eine Auswahl zu treffen. Kann es Kriterien geben, die das Gelingen des geplanten Unterrichts wahrscheinlicher machen? Aus Sicht der Evolutionstheorie scheinen folgende Strategien erfolgreich:

  • Alle drei Mechanismen der Evolutionstheorie sollten berücksichtigt werden.
    Das bedeutet:
    Im Unterricht insgesamt (nicht in jeder einzelnen Stunde) müssen alle drei Elemente angemessen bedient werden.
  • Soviel Variation wie möglich, soviel Stabilisierung wie nötig.
    Das bedeutet:
    Unterricht ist ein komplexes Spannungsfeld, auf das gegensätzliche Faktoren einwirken:
    o Bewahrung und Wandel,
    o Sicherheit und Herausforderung,
    o Stabilität und Veränderung,
    o Flexibilität und Starrheit.

Das Gleichgewicht zwischen diesen Polen muss immer wieder gesucht und von neuem geschaffen werden.
     Dazu können folgende Strategien dienen:

  • Offensives Suchen und Erproben von neuen, der jeweiligen Klasse angemessenen Sozial- und Interaktionsformen sowie Verwendung vielfältiger Methoden.
  • Hohe Anteile eigenverantwortlichen Arbeitens im Unterricht.
    Hohe Anteile des Erklärens unterschiedlicher Wege- auch im Frontalunterricht.
  • Bündelung und Verstärkung positiver Akzente im Klassenklima.
  • Gleichzeitiges Ansetzen an mehreren Punkten.
  • Erreichtes stabilisieren.
  • Ressourcen bündeln, indem mit Kollegen systematisch zusammengearbeitet wird.
  • Chancen erkennen und entscheidungssicher nutzen.
  • Grenzen erkennen und sie akzeptieren - nicht resignativ, sondern offensiv.

4.0 Literaturnachweis

  • Jürgen MILCHERT
    Pädagogische Grundgedanken II
    in:
    Europaschule Köln (Hrsg.)
    »Du - ich - wir in der Welt« - Interkulturelles Lernen
    Dokumentation eines Schulversuchs
    der Europaschule Köln/Gesamtschule Zollstock
    Soest 1994
  • Annette SCHEUNPFLUG
    Evolutionäre Didaktik
    Unterricht aus system- und evolutionstheoretischer Perspektive
    Weinheim und Basel 2001

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Ausgearbeitet von:     Dr. Manfred Rosenbach -        letzte Änderung am: 15.01.08
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