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Lernen ist Nachahmung

Soziales Lernen

Übersicht
1.0 Der Ur-Grund des Lernens
      1.1 Drei Grundformen menschlichen Lernens
      1.2 Die besondere Eigenart menschlichen Lernens
      1.3 Lernen als Aufgabe in der Gegenwart
2.0 Soziales Lernen
      2.1 Begriffsklärung
      2.2 Nachahmung – eine zentrale Kategorie der Sozialpsychologie
      2.3 Modelle
      2.4 Prozesse beim Beobachtungslernen
      2.5 Vier Wirkungen von Modellen
3.0 Bedeutung für Unterricht und Erziehung
      3.1 Unterricht
      3.2 Erziehung
      3.3 Folgerungen
4.0 Anhang: Spiegelneuronen
5.0 Literaturnachweise
      5.1 Grundlage dieses Textes
      5.2 Wirkung der Bildmedien
      5.3 Spiegelneuronen

1.0 Der Ur-Grund des Lernens

1.1 Drei Grundformen menschlichen Lernens

Vormachen und Nachmachen sind so selbstverständliche Formen des Lehrens und Lernens, dass sie auf den ersten Blick keiner besonderen Beachtung bedürfen. Dennoch erweist sich Nachahmung – Imitation – bei genauerer Betrachtung als die Grundlage der Kultur.

Der Primatenforscher Michael TOMASELLO (2003, 2006) beschreibt drei Grundformen menschlichen Lernens. Er sieht in ihnen die – im buchstäblichen Wortsinn – „Grund legenden“ Voraussetzungen der kulturellen Entwicklung.

  • Imitation – Nachahmung,

  • Instruktion – Unterricht,

  • Kooperation – Zusammenarbeit.

Diese Grundformen durchdringen einander, wobei die Nachahmung im Vordergrund steht. Dafür entwirft TOMASELLO folgenden Begründungszusammenhang.

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1.2 Die besondere Eigenart menschlichen Lernens

Durch Sequenzanalyse hat sich herausgestellt, dass die Unterschiede zwischen dem Genom des Menschen und dem des Schimpansen erstaunlich gering sind. Die Evolution des Menschen hat jedoch innerhalb – evolutionsbiologisch gesehen – sehr kurzer Zeit so große Unterschiede der kognitiven Fähigkeiten zwischen ihm und den übrigen Primaten hervorgebracht, dass sie mit den bekannten Mechanismen der Evolution nicht hinreichend erklärt werden können.

TOMASELLO hat sich deshalb die Aufgabe gestellt zu klären,

  • wie sich Verstehen als kognitive Fähigkeit während der Vorgeschichte und der Geschichte des Menschen entwickelte,

  • und wie sich diese Fähigkeit heute während der Ontogenese in einer Generation von Kindern nach der anderen entwickelt.

Dazu stellt er die These auf, dass die menschliche Kognition aufgrund der menschlichen Gemeinschaft so ist, wie sie ist (2003, S.10):

„Die menschliche Gemeinschaft stellte die adaptive Umgebung dar, 
in der sich die menschliche Kognition phylogenetisch entwickelte.“

Seine Erkenntnisse fasst er in einem Schlüsselbegriff zusammen. Er lautet (2003, S. 14; 2006, S. 20):

»Kumulative kulturelle Weitergabe«

Soziale und kulturelle Weitergabe von Fähigkeiten gibt es in mancherlei Spielarten auch bei Tieren, insbesondere den Primaten. Menschen jedoch nutzen eine einzigartige und außerordentlich effiziente Form der kulturellen Weitergabe. Kenntnisse und Fähigkeiten, die einmal erworben worden sind, gehen weniger oft verloren. TOMASELLO bezeichnet das als „Wagenheber-Effekt“. Er schreibt (a.a.O.):

„Der Vorgang der kumulativen kulturellen Evolution erfordert nicht nur Erfindungsgabe, 
sondern auch und ebenso sehr zuverlässige soziale Weitergabe, 
die ähnlich einem Wagenheber das Zurückfallen verhindern kann.“

Menschen können ihre kognitiven Fähigkeiten in einer Weise bündeln, die bei anderen Tierarten nicht zu beobachten ist, auch nicht bei den Primaten. Dafür muss es eine spezifische Voraussetzung geben. TOMASELLO sieht sie in der einzigartigen Fähigkeit jedes einzelnen Individuums gegeben, die anderen Individuen als ein ihm ähnliche Wesen zu verstehen.

Nur der Mensch kann sich also in die geistige Welt einer anderen Person hineinversetzen. Deshalb kann er nicht nur vom anderen, sondern auch durch den anderen lernen und sich so mit ihm identifizieren. Nachmachen, Vormachen, Zeigen, Unterweisen, Weitergeben, Vermitteln und Verbessern – dies alles in dem Rahmen einer sozial-kollektiven Dimension – haben eine unerhörte Dynamik der kulturellen Entwicklung in Gang gesetzt. Sie hat nicht in einem biologischen, sondern in einem historischen Zeitrahmen zu der Sonderstellung des Menschen geführt und die ebenso hoch wie differenziert entfaltete Kultur begründet, deren Zeitgenossen wir sind.

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1.3 Lernen als Aufgabe in der Gegenwart

Kinder, junge Menschen wachsen in die Kultur, die sie vorfinden, hinein und machen sie sich lernend zu eigen. Weil diese Leistung unzählige Male erbracht wird, scheint sie selbstverständlich, ist es aber nicht. Die Lernaufgabe ist – zumal in einer hochentwickelten Spätkultur – gigantisch. TOMASELLOs Überlegungen liefern den Schlüssel dafür, deren gelingende Bewältigung zu verstehen (a.a.O., S. 21).

Er besteht in der einzigartigen sozio-kognitiven Anpassung des Menschen für die Identifikation mit anderen. Sie befähigt die Kinder, durch Imitation und Verstehen in die Welt der Kultur einzudringen und am Kollektiv der menschlichen Kognition teilzuhaben. Zentral wichtig ist es bei diesem Prozess, die sprachlichen und anderen kommunikativen Symbole zu erwerben. TOMASELLO nennt für seine Forschungsergebnisse keine Ursachen. Diese dürften in einer neurologischen Struktur bestehen, die erst kürzlich entdeckt worden ist – den Spiegelneuronen. Weiterführende Informationen dazu finden im Anhang.

Folgt man den hier referierten Überlegungen, so sie führen sie dazu, die Aufgabe der Schule in einem anderen Licht zu sehen, als es traditionell üblich ist. Zu dieser Tatsache finden sie weiterführende Information auf der Webseite „Evolutionäre Pädagogik und Didaktik“; für eilige Surfer wird dort auf Nr. 1.3 hingewiesen.

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2.0 Soziales Lernen

2.1 Begriffsklärung

»Soziales Lernen« ist ein oft bemühter und überaus positiv besetzter Begriff. Deshalb ist es wichtig, sich über ihn zu verständigen. Guy LEFRANÇOIS (2006, S. 310) sieht zwei Aspekte:

Soziales Lernen

  • ist ein Prozess
    weil damit alle Lernvorgänge beschrieben werden, die in irgendeiner Weise in der Interaktion von Individuen auftreten oder deren Ergebnis sind;

  • ist ein Produkt,
    weil damit die Ergebnisse des Lernens durch Interaktion bezeichnet werden.

Beide Aspekte haben lediglich analytisch-beschreibende Funktion, weil sie in der Lebenswirklichkeit ineinander übergehen.

  • Das Ergebnis sozialen Lernens besteht darin, zu wissen, welches Verhalten im Umgang mit anderen Individuen

  • akzeptabel
    oder aber

  • erfolgreich

ist. Akzeptanz bzw. Erfolg sind keine generell gültigen Kategorien. Sie richten sich vielmehr nach den Maßstäben der Gruppe, der ein Individuum angehört. So kann z.B. zwischen den „Werten“ einer Gang von Halbwüchsigen und den Werten der Gesellschaft, wie zumal in Großstädten zu beobachten ist, eine krasse Diskrepanz bestehen.

Insgesamt stellt sich die Frage, woran sich das lernende Individuum orientiert und von welchen Zusammenhängen sein Lernen bestimmt wird.

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2.2 Nachahmung – eine zentrale Kategorie der Sozialpsychologie

Vergegenwärtigt man sich die Argumente TOMASELLOs, so ist es geradezu eine Binsenweisheit, dass Lernen weitgehend durch Beobachten eines Vorbildes oder Modells, also durch Nachahmung stattfindet. Für alle Fähigkeiten und Fertigkeiten der elementaren Lebensbewältigung ist das selbstverständlich. Ebenso gilt es auch in der entwickelten Kultur für das Erlernen handwerklicher, technischer oder künstlerischer Fertigkeiten. Anders gesagt: Kaum eine komplexe Fähigkeit kann nur durch Zufall oder Versuch und Irrtum erlernt werden, sondern nur durch eine Kombination von Nachahmung und Instruktion. Lernen ereignet sich in der Interaktion zwischen Individuen.

Mithin ist Imitation, Lernen durch Nachahmung von fundamentaler Bedeutung, denn es ist geradezu der Inbegriff des sozialen Lernens. Das hat insbesondere Albert BANDURA herausgearbeitet. Während Imitationslernen zunächst nur als eine Spielart des operanten Lernens verstanden wurde, hat BANDURA erkannt, dass kognitive Aktivitäten wie Vorstellung, und Erwartung bedeutsam sind, und eine sozial-kognitive Theorie des Lernens entworfen (LEFRANÇOIS a.a.O., S. 312).

Ihr Kerngedanke lautet wie folgt:

  • Wir Menschen sind in hohem Grade fähig,

  • die Konsequenzen unseres Verhaltens gedanklich vorwegzunehmen,

  • sie in Symbolen darzustellen, z.B. in bildlicher oder sprachlicher Form,

  • den Zusammenhang von Ursache und Wirkung zu erfassen.

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2.3 Modelle

In den Mittelpunkt seiner Überlegungen stellt BANDURA das Modell, weil Modelle einen großen Teil unseres Lernens bestimmen.

Als Modell werden nicht nur reale Personen verstanden. Auch mündliche oder schriftliche Instruktionen, Bilder, Charaktere eines Buches, Theaterstücks, Films oder Cartoons, ferner – und vor allem – computergestützte Simulationen können Modelle sein. Insgesamt werden sie als symbolische Modelle bezeichnet. Deshalb empfiehlt LEFRANÇOIS folgende Definition (a.a.O., S. 312):

Jede Repräsentation eines Verhaltensmusters stellt ein Modell dar.

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2.4 Prozesse beim Beobachtungslernen

Beobachtungslernen findet nicht einfach als solches statt, sondern unterliegt vier Voraussetzungen (LEFRANÇOIS a.a.O., S. 313 f.).

  • Aufmerksamkeit
    Nur was dem Lerner wichtig ist und Bedeutung für ihn hat, erregt seine Aufmerksamkeit und löst ein Lernen durch Nachahmung aus.

  • Erinnerung
    Der Lerner muss imstande sein, das Beobachteten zu behalten und sich dessen zu erinnern – mündlich, schriftlich, bildlich, gedanklich.

  • Motorische Reproduktion 
    Der Lerner muss physisch und motorisch in der Lage sein, die visuell oder verbal repräsentierten Handlungen in eigenes tatsächliches Verhalten umzusetzen. Ferner muss er seinen Lernvorgang überwachen und korrigieren können.

  • Motivation
    Der Lerner braucht tragfähige Motive dafür, den Lernvorgang auszuführen. Eine entsprechende Motivation kann sich extrinsisch aus den Umständen ergeben, sie kann auch intrinsisch aus einer Entscheidung des Lerners folgen.

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2.5 Vier Wirkungen von Modellen

Modelle können in viereierlei Weise wirken:

  • Modelleffekt
    Die Beobachtung eines Modells führt bei dem beobachtenden Individuum zu einem neuen Verhalten.

  • Auslöseeffekt
    Die Beobachtung eines Modells regt bei dem beobachtenden Individuum zu einem ähnlichen Verhalten an.

  • Enthemmungseffekt
    Das beobachtende Individuum zeigt ein entsprechendes Verhalten, wenn das beobachtete Modell für sein Verhalten belohnt wurde.

  • Hemmungseffekt
    Das beobachtende Individuum zeigt ein Verhalten nicht mehr, wenn das für sein Verhalten bestraft wurde.

Besonders wirksam ist dabei die Beziehung des beobachtenden Individuums zum beobachteten Modell. Kinder und Jugendliche imitieren Modelle, die ihnen aus persönlicher Zuneigung oder wegen deren sozialen Prestiges wichtig sind. Die Imitation ist nicht selten sehr ausgeprägt und geht bis zur Identifikation mit dem Modell.

Unverkennbar liegt diesen Auffassungen die Theorie der operanten Konditionierung zugrunde. BANDURA geht jedoch über diesen Ansatz hinaus. Unbestreitbar wird unser Verhalten durch mächtige biologische Kräfte geformt. Dennoch bezeichnet er es als das Wichtigste: Wir sind die Handelnden, wir sind für unsere Handlungen verantwortlich.

In diesem Zusammenhang stellt BANDURA heraus: Sogar beim operanten Lernen ist am wichtigsten unsere Fähigkeit zu denken, zu symbolisieren, Ursache-Wirkung-Beziehungen zu erkennen, die Folgen eigenen wie auch fremden Handelns gedanklich vorwegzunehmen. Ferner streben wir danach, die Kontrolle über Ereignisse zu behalten, die wir beeinflussen LEFRANÇOIS (a.a.O., S. 318).

Dazu dienen drei Kontrollsysteme. Sie wirken in der Verhaltenssteuerung eng zusammen.

  • Stimuluskontrolle

  • Ergebniskontrolle

  • Symbolische Kontrolle

Für verantwortliches Handeln am wichtigsten ist die symbolische Kontrolle. Dabei handelt es sich um alle Denk- und Entscheidungsprozesse, die das eigene Handeln durch Reflexion steuern und dem Handelnden gestatten, sich selbst als Urheber seiner Handlungen zu erleben. Wichtige Elemente sind

  • Intentionalität,

  • Vorausschau,

  • Selbstreaktivität und Selbstreflexion.

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3.0 Bedeutung für Unterricht und Erziehung

3.1 Unterricht

Imitationslernen ist für alle Lerngegenstände wichtig, bei denen es wesentlich auf den Erwerb motorischer Fähigkeiten ankommt. Das sind Handwerke aller Art, alle Disziplinen des Sports, Musikinstrumente, nicht zuletzt Sprachen. Didaktische Einzelheiten brauchen hier nicht erörtert zu werden.

3.2 Erziehung

Die Bedeutung wenn nicht gar Brisanz des Beobachtungslernens folgt aus der medientechnologischen Revolution; die zu Fernsehen, Video und Computertechnik geführt hat. Wie LEFRANÇOIS (a.a.O., S. 316) betont, sind die älteren Lerntheorien lange Zeit vor dieser medientechnologischen Revolution formuliert worden, konnten sie also nicht berücksichtigen. BANDURA hingegen bezieht die außerordentliche Macht der symbolischen Medien in seine Überlegungen ein.

Die Wirkung der Bildmedien, insbesondere des Fernsehens und der Computerspiele wird in der Öffentlichkeit wie in der Fachwissenschaft breit diskutiert. An dieser Stelle soll jedoch allein die Bedeutung und mögliche Wirkung von Modellen bzw. Vorbildern betrachtet werden. Im Literaturverzeichnis finden Sie unter Nr. 5.2 weiterführende Informationen.

  • Fernsehen und Video

Einwände gegen die Inhalte des Fernsehens, vor allem gegen dessen fiktionale Programme, werden immer wieder mit dem Argument abgewiesen, das Fernsehen bilde lediglich die Wirklichkeit ab. Weder sei das Fernsehen für die Konflikte und Problematik der Realität verantwortlich, noch dürften sie ihm zur Last gelegt werden, wenn es seiner Berichtspflicht und dem Unterhaltungsbedürfnis des Publikums genüge.

Diese Argumentation verkennt eine verhängnisvolle Dialektik. Betrachter einer Fernsehsendung können das Abbild einer tatsächlichen oder auch nur fiktionalen Wirklichkeit als Vorbild, als Modell für eigenes Handeln erleben. Wie oben dafür definiert, repräsentieren Modelle Verhaltensmuster, werden dem Betrachter Identifikationsangebote gemacht. „Sturm der Liebe“, „Verbotene Liebe“, „Lindenstraße“, um nur drei aktuelle Beispiele zu nennen, und viele weitere Soaps fungieren auf diese Weise als Trendsetter. Das gilt zumal dann, wenn dort in der Gesellschaft diskutierte Themen aufgegriffen und moderne, jedoch nicht selten ambivalente Wertvorstellungen geradezu volkspädagogisch propagiert werden. Vollends nachdenklich machen muss die große Zahl von Krimiserien auf allen Kanälen und zu den besten Sendezeiten.

  • Computerspiele

Für Computerspiele gilt Entsprechendes, doch kommt hier ein überaus wirkungsvoller Aspekt hinzu. Der Betrachter wird hier zum agierenden Teilnehmer gemacht. Z.B. werden gewaltbetonte Handlungsmuster nicht lediglich beobachtet, sondern durch eigene Teilnahme am Geschehen nachvollzogen und eingeübt, der Betrachter wird zum Lehrling. Auch das Prinzip der videogestützten Simulation erweist sich als eine Form von Ausbildung.

Die hier skizzierten Wirkungen gelten keineswegs für alle Betrachter visueller Medien. Verkehrt ist es jedoch, daraus abzuleiten, dass sie deswegen überhaupt nicht auftreten. Menschen mit einer – aus welchen Gründen immer – entsprechenden seelischen Disposition können problematische Verhaltensmuster zu unmoralischem bis hin zu verbrecherischen Handeln anregen.

Keinem Zweifel kann unterliegen, dass Bilder virtueller Wirklichkeiten das Seelenleben der Betrachter formen – je jünger diese sind, desto wirkungsvoller. Man mag es für unbewiesen halten, dass der Erfurter Abiturient Robert Steinhauser allein durch Killerspiele zu seinem verhängnisvollen Amoklauf angeregt worden ist (Zu Einzelheiten und Hintergrund s. die Webseiten http://www.rhetorik.ch/Aktuell/Aktuell_Mai_17_2002.html sowie http://www.tobias-elze.de/vortr/amok.pdf).Ganz bestimmt jedoch gilt der Wirkungszusammenhang für die – meist überaus drastische – Darstellung von körperlicher Gewalt als erfolgreiches Mittel der Konfliktbewältigung. Die Modellfunktion dieser Botschaft ist eindeutig: So musst du handeln, wenn du dich durchsetzen willst.

Sich dieser Botschaft entziehen kann nur, wer seelisch gefestigt ist. Das führt in das Zentrum der erzieherischen Aufgaben.

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3.3 Folgerungen

An dieser Stelle ist nur eine kurze Skizze möglich.

  • Generell gilt:  
    Die Mechanismen des Lernens durch Nachahmung durchdringen unser Leben und sind außerordentlich wirksam.

  • Folgerung für eigenes Verhalten:      
    Alle Erwachsenen müssen bei ihrem Verhalten daran denken, dass sie für andere ein Modell sein können. Dazu ein Beispiel. Wer hätte nicht schon bei sich selbst den Impuls erlebt: „Wenn der/die das macht, dann mache ich das auch so.“ Die viel erörterte Verwilderung der Sitten, z.B. im Straßenverkehr, dürfte hier ihren Ursprung haben. Schlechte Beispiele verderben gute Sitten – das wusste man schon immer.

  • Verhalten von Eltern, Lehrern, Erziehern:      
    Alle Menschen, die erzieherische Aufgaben wahrnehmen, müssen sich bei ihrem Verhalten der Tatsache bewußt sein, dass sie immer auch als Modelle wirken. Leider gilt das nur bedingt für erwünschte positive Verhaltensformen. Desto zuverlässiger ist die Modellwirkung eigener – wie immer – problematischer Verhaltensweisen. Wer erzieherische Forderungen erhebt, sie aber selbst nicht erfüllt, untergräbt zudem Autorität und Vertrauen.

  • Aufgabe von Eltern, Lehrern, Erziehern:      
    Aufgaben, Ziele und Konzepte der Erziehung werden an anderer Stelle ausführlich erörtert. Eine Themenübersicht finden Sie auf der Webseite Hier geht es um einen zentralen Aspekt, den auch BANDURA in seinem Konzept als »personal agency« herausstellt. Erziehung sollte Kindern ein positives Selbstkonzept vermitteln, das sie ein »Gefühl persönlichen Einflusses« erleben lässt (LEFRANÇOIS, a.a.O., S. 323).

Das heißt u.a.:

  • Erfolgserlebnisse möglich machen,

  • Demütigungen vermeiden,

  • Einschüchterung unterlassen,

  • Selbständigkeit und Eigenverantwortung fördern,

so dass sich junge Menschen als selbstsichere Urheber ihrer Handlungen erleben und zu urteilssicherer Distanz gegenüber Fremdeinflüssen fähig werden.

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4.0 Anhang: Spiegelneuronen

Die Spiegelneuronen wurden 1991 in Parma von Vittorio GALLESE, Giacomo RIZZOLATTI und Mitarbeitern  zufällig entdeckt. Diese Nervenzellen lösen im Hirn eines Individuums, während es das Verhalten anderer Individuen betrachtet, die gleichen Aktivitäten aus, als wenn es selbst in dieser Weise agierte. Der Begriff »Spiegelneuron« verdeutlicht also die spiegelbildliche Aktivierungsform dieser Nervenzellen.

Weitere Forschungen in den Jahren seit 1996 führten zu Ergebnissen, die sich wie folgt zusammenfassen lassen (Peter MARKL, 2007):

Die Spiegelneuronen befähigen Menschen und Primaten dazu, sich in die Bewegungen und Empfindungen eines Gegenübers hineinzudenken.

Offenbar werden sensorische Informationen im Gehirn über den gleichen Mechanismus kodiert wie motorische Informationen. Das heißt: Visuelle Information – etwa beim Beobachten eines komplizierten Griffs auf der Gitarre – wird empfangen und dann in neuronale Signale zur Ausführung des gleichen Gitarrengriffs umgesetzt. Kognition und Aktion sind demnach miteinander verschränkt.

RIZZOLATTI führt dazu aus (zitiert nach Peter MARKL, 2007):

„Wenn bei diesem Prozess das System der Spiegelneuronen eine Brücke bildet, dann liefert es nicht nur ein Verständnis der Aktionen, Intentionen und Emotionen Anderer. Es könnte sich zu einer wichtigen Komponente der menschlichen Fähigkeit entwickelt haben, durch Beobachtungen komplexe kognitive Fähigkeiten zu erlernen.“

Wahrscheinlich ist die Evolution von Spiegelneuronen eine späte evolutionäre Errungenschaft. Die Entwicklung eines leistungsfähigen Systems von Spiegelneuronen dürfte ein entscheidender Schritt in der Richtung hin zur Evolution der Menschen gewesen sein, der ihn von den anderen Primaten grundlegend unterscheidet.

In der Fachwelt wurden die Spiegelneuronen als epochale Entdeckung gewürdigt. So äußerte sich der Neurowissenschaftler Vilayanur RAMACHANDRAN, Universität San Diego, wie folgt (zitiert nach Peter MARKL, 2005):

„Ich sage voraus, dass die Entdeckung der Spiegelneuronen für die Psychologie so bahnbrechend sein wird, wie es die Entdeckung der Struktur der DNA für die Genetik war: Sie wird ein einheitliches Rahmenprogramm hervorbringen, das dazu beitragen wird, ein ganzes Spektrum von mentalen Fähigkeiten zu erklären, die bisher mysteriös und Experimenten unzugänglich geblieben sind.“

Neuerdings werden diese Aufstellungen kritisch gesehen. Gregory Hickok spricht in seinem Buch "Warum wir verstehen, was andere fühlen" (München 2015) vom "Mythos Spiegelneuronen".

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5.0 Literaturnachweise

5.1 Grundlage dieses Textes

  • Albert BANDURA
    Lernen am Modell
    Ansätze zu einer sozial-kognitiven Lerntheorie
    Stuttgart 1976

  • ders.
    Sozial-kognitive Lerntheorie
    Stuttgart 1979

  • Guy R. LEFRANÇOIS
    Psychologie des Lernens
    Berlin Heidelberg New York 2006, 4., überarbeitete und erweiterte Auflage

  • Manuel MÖLLER
    Konstruktivismus und Nativismus
    Die Debatte zwischen Jean Piaget und Noam Chomsky
    Chemnitz 2006
    http://archiv.tu-chemnitz.de/pub/2006/0036/data/ma.pdf

  • Michael TOMASELLO
    Imitation als Kern der Kultur
    in:
    Gerold BECKER – Imbke BEHNKEN – u.a. (Hrsg.)
    Seelze 2006, S. 20 – 21
    sowie in:
    ders.
    Die kulturelle Entwicklung des menschlichen Denkens
    Frankfurt am Main 2003, 2. Auflage, S. 14 – 20

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5.2 Wirkung der Bildmedien

Im Internet finden Sie schnell zugängliche Grundinformationen zur Wirkung von Bildmedien:

Eine systematische Einordnung der Problematik finden Sie bei folgenden Autoren:

  • Dieter SPANHEL
    Medienerziehung
    Erziehungs- und Bildungsaufgaben in der Mediengesellschaft
    Handbuch Medienpädagogik, Band 3
    Stuttgart 2006

  • Manfred SPITZER
    Vorsicht Bildschirm!
    Der Einfluss der Bildmedien auf die Entwicklung 
    von Kindern und Jugendlichen
    Müllheim 2006
    München, dtv 2006

  • ders.
    Vorsicht Bildschirm
    Elektronische Medien, Gehirnentwicklung, Gesundheit und Gesellschaft
    Stuttgart 2006, 4. Auflage

  • Peter WINTERHOFF-SPURK
    Kalte Herzen
    Wie das Fernsehen unseren Charakter formt
    Stuttgart 2005
    Der Band enthält ein umfassendes Literaturverzeichnis

  • ders.
    Fernsehen
    Psychologische Befunde zur Medienwirkung
    Bern, Stuttgart, Toronto 1986

  • ders.
    Fernsehen
    Fakten zur Medienwirkung
    Bern, Göttingen, Toronto 2001, 2., völlig überarbeitete und ergänzte Auflage

  • ders.
    Medienpsychologie
    Eine Einführung
    Stuttgart 2004, 2., überarbeitete und erweiterte Auflage

  • Olaf ZIMMERMANN - Theo GEISZLER (Hrsg.)
    Streitfall Computerspiele
    Computerspiele zwischen kultureller Bildung, Kunstfreiheit und Jugendschutz
    Deutscher Kulturrat Berlin, 2007
    Zusammenstellung der Artikel aus "Politik und Kultur"
    Nr. 02/07 http://www.kulturrat.de/puk/puk02-07.pdf
    Nr. 03/07 http://www.kulturrat.de/puk/puk03-07.pdf

Für weitere Informationen wird auf folgende Webseiten verwiesen:

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5.3 Spiegelneuronen

Im Internet schnell zugängliche Grundinformationen finden Sie bei

Hingewiesen wird ferner auf folgende Titel:

  • Joachim BAUER
    Warum ich fühle, was du fühlst
    Intuitive Kommunikation und das Geheimnis der Spiegelneurone
    Hamburg 2005, München 2006

  • Gregory Hickok
    Warum wir verstehen, was andere fühlen
    Der Mythos der Spiegelneuronen
    München 2015

  • Giacomo RIZZOLATTI – Leonardo FOGASSI – Vittorio GALLESE
    Mirrors in the Mind
    Scientific American 295 (2006) Nr. 5, S. 30 – 37

Die Literaturnachweise für die weiteren Webseiten 
dieses thematischen Bereiches finden Sie hier.

Ein zusammenfassendes Literaturverzeichnis
für die Themengruppe »Lernen – Voraussetzungen, Möglichkeiten, Probleme«
finden Sie hier.


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Ausgearbeitet von:     Dr. Manfred Rosenbach -       letzte Änderung am: 24.05.15
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