Home ] Nach oben ] Zurück ] Weiter ]

Neuere Grundlagenkritik an der Didaktik

Übersicht
1.0 Das Problemfeld
2.0 Neuere Grundlagenkritik an der Didaktik
       2.1 Postmoderne Positionen
       2.2 Konstruktivistische Ansätze
       2.3 Zusammenfassung
3.0 Bildungswissenschaftliche Entwicklungsarbeit
      3.1 Einwände
      3.2 Ein Gegenmodell
      3.3 Das zentrale Problem
4.0 Literaturnachweis
      4.1 Textgrundlage
      4.2 Quellenangaben

1.0 Das Problemfeld

Entwicklung und Situation der Allgemeinen Didaktik können je nach Standpunkt konstruktiv oder kritisch gesehen werden. Karl ASCHERSLEBEN hatte sich vor dem Hintergrund einer als unproduktiv empfundenen Vielfalt von Positionen zu dem Versuch entschlossen, "das Gemeinsame des bisherigen didaktischen Denkens" herauszuarbeiten (1983, S. 7). Auch Wilhelm H. PETERSZEN vertritt einen integrativen Standpunkt (1983, 2001).

Anders Manfred BÖNSCH. Er konstatiert (1995, S. 673): "Die Didaktik-Diskussion stagniert!" Daran anknüpfend, befürchtet Armin BERNHARD (1999, S. 649), es drohe ein "kultureller Rückstand didaktischer Theorieentwicklung gegenüber gesellschaftlichen Entwicklungstendenzen". Auch die Auseinandersetzung neuerer erziehungswissenschaftlicher Positionen mit den traditionellen Auffassungen von Didaktik führe nicht weiter, weil sie oftmals der "Logik abstrakter Negation" folgten.

Armin BERNHARD (1999) versteht die Grundlagenkritik an didaktischer Theorie als Herausforderung, eine kritische bildungstheoretische Position weiterzuentwickeln. In seinem Aufsatz skizziert und bewertet er zunächst die gegenwärtige Grundsatzkritik. Sodann versucht er, eine kritische Theorie der Didaktik zu "reformulieren", also wiederzugewinnen.
     Die Grundzüge dieser Überlegungen werden im Folgenden vorgestellt. Um den Satzbau zu entlasten, wird dabei auf die Form der indirekten Rede verzichtet. Die im Aufsatz formulierten Anwendungen auf die Didaktik des Schulfaches Pädagogik und auf dessen Zukunftsperspektiven sind zwar lesenswert, können aber aus Platzgründen hier nicht referiert werden.

Zurück zur Übersicht

2.0 Neuere Grundlagenkritik an der Didaktik

Alle Kritiken stimmen trotz unterschiedlicher Argumentationsansätze in einem Punkte überein: Sie betrachten die Schule und den dort praktizierten Unterricht als "extrem reform- und humanisierungsbedürftig" (a.a.O., S. 650). BERNHARD beschreibt zwei Grundfiguren der Kritik: die postmodernen Positionen (a.a.O., S. 650 f.) und die konstruktivistischen Ansätze (a.a.O., S. 651 f.)

2.1 Postmoderne Positionen

Die wesentlichen Stichworte postmoderner Denkangebote lauten:

  • Ende der Aufklärung,
  • Ende der gesellschaftlichen Emanzipationsphilosophien,
  • Ende der Bildung des Subjekts,
  • Ende der neuzeitlichen Identitätskonzeption.

Im Mittelpunkt der Kritik steht die "Illusion" der "objektiven Didaktik". Damit ist die wissenschaftliche Reflexion des Gesamtfeldes von Lehren und Lernen gemeint. Dieser und damit zugleich dem Prinzip einer kritisch-aufklärerischen Erschließung der Realität wird der Kampf angesagt. Die Intention der traditionellen Unterrichtstheorie, junge Menschen zu mündigen Persönlichkeiten heranwachsen zu lassen, wird als "Mythos" abgetan.
     Statt dessen wird eine "postmoderne Lerngemeinschaft" ohne Definitionsmacht der Lehrenden proklamiert. Ziel ist die "Entwicklung der Selbstorganisation und Selbstregulation lebender Systeme". Eine Erörterung dieser Thematik finden Sie auch auf der Webseite "Bildung oder Selbstorganisation"

Zurück zur Übersicht

2.2 Konstruktivistische Ansätze

Wesentlich stärker ist die didaktische Diskussion durch den Konstruktivismus beeinflusst worden (vgl. dazu die Webseite "Konstruktivismus und Didaktik"). Dessen Grundgedanke, die Realität sei prinzipiell nicht zu erkennen, grenze die Wirklichkeitskonstruktionen aus der unterrichtlichen Realität aus. Ziel sei deswegen die erfolgreiche Selbstorganisation in einer nicht erkennbaren Welt.
     Unterricht wird auf dieser Grundlage als "intersubjektive Wirklichkeitskonstruktion" definiert. Wissen werde nicht reproduziert, sondern konstruiert. Deshalb müssten Lernräume zur Verfügung gestellt werden, in denen die Konstruktion von neuem Wissen möglich ist.

2.3 Zusammenfassung

Die dargestellten Positionen stimmen trotz unterschiedlicher Ableitungen in einem wichtigen Punkte überein:

Sie streiten der Intention, das Gesamtfeld didaktischen Handelns von seinen Bedingungsstrukturen her zu reflektieren, den Sinn ab.

Zurück zur Übersicht

3.0 Bildungswissenschaftliche Entwicklungsarbeit

3.1 Einwände

BERNHARD verweist summarisch auf die Einwände, die u.a. Dietrich BENNER / Karl F. GÖSTEMEYER (1987) und Albert SCHERR (1992) gegen die referierten Aufstellungen vorgetragen haben. Er selbst vermisst vor allem die systematische Reflexion der gesellschaftlichen Rahmenbedingungen von Unterricht. Die Fundamentalkritik ignoriere, dass schulische Lehr- Lernprozesse durchgängig gesellschaftlich bestimmt seien (a.a.O., S. 653). Somit erscheine Unterricht als gesellschaftsferner Raum von Konstruktionsspielen der beteiligten Subjekte.

3.2 Ein Gegenmodell

Ein Gegenmodell bildungswissenschaftlicher Entwicklungsarbeit beruht für BERNHARD auf einer kritischen Theorie der Gesellschaft und der Bildung. Eine solche Theorie müsse die gesellschaftspolitischen Verwendungszusammenhänge didaktischer Modelle und Problemstellungen grundlegend einbeziehen. Unterricht sei eine Veranstaltung, auf der spezifische gesellschaftliche Zwänge und politische Zugriffe lasteten (a.a.O., S. 654).

Zurück zur Übersicht

3.3 Das zentrale Problem

Bildungswissenschaftlicher Entwicklungsarbeit steht vor einem zentralen Problem:

Wie soll die wechselseitige Erschließung von Subjekt und Welt
unter fremdbestimmten Bedingungen stattfinden?

Sie setzt voraus, dass die Entwicklung des menschlichen Individuums aus einem Zusammenwirken von fremdbestimmter Vergesellschaftung und Selbstentwurf zu begreifen ist.

"Die Gesellschaft mit ihren zerfallenden Traditionen und ihren fragilen Sozialisationsmilieus, ihren ästhetischen Verführungsräumen und kulturindustriellen Welten erfordert mehr denn je das, was die bildungstheoretische Didaktik (Wolfgang KLAFKI 1967, S. 43; vgl. die Webseite "Kategoriale Bildung") herausgearbeitet hat:

das »Erschlossensein« der Wirklichkeit für die lernenden Subjekte
und gleichzeitig
ihr »Sich-Erschließen« bzw. ihr »Erschlossenwerden« für diese Wirklichkeit."

Dieser fundamentale bildungstheoretische Grundsatz gilt erst recht, wenn das Verständnis von Bildung neu gefasst wird. In einer von Widersprüchen gekennzeichneten Gesellschaft mit prekären Sozialisationsbedingungen verläuft Bildung nicht harmonisch und linear fortschreitend. Sie ist vielmehr ein Zwängen und Brüchen unterliegendes Geschehen, in dessen Verlauf die wechselseitige Erschließung von »Ich« und »Welt« strukturellen sozialen Hindernissen ausgesetzt ist (a.a.O., S. 654).

Bildung ist somit ein

"schmerzlicher und krisenhafter Prozess der Umstrukturierung und Neuorganisation bisheriger kindlicher Erfahrungswelten, der aus der Konfrontation miteinander konkurrierender gesellschaftlicher Weltauffassungen entzündet wird."

Eine in diesem Sinne kritische Didaktik macht es notwendig, eine Theorie der Bildungsinhalte mit einer Theorie der Bildungssubjekte zu verbinden. Im Prozess der wechselseitigen Erschließung von Bildungsgegenstand und lernendem Subjekt geht es weder um Tyrannei der Bildungsinhalte noch um subjektivistische Selbsterbauung. Für eine emanzipative Selbstfindung des Subjekts müssen

"die Wirklichkeitskonstruktionen [...] mit Bildungsinhalten in Konfrontation gebracht
und in ein erweitertes Welt- und Selbstverständnis übertragen werden."

Zurück zur Übersicht

4.0 Literaturnachweis

4.1 Textgrundlage

Die vorstehenden Ausführungen beruhen im Wesentlichen auf dem Aufsatz von

  • Armin BERNHARD
    Neuere Grundlagenkritik an der Didaktik
    Folgerungen für eine bildungswissenschaftliche Entwicklungsarbeit
    unter besonderer Berücksichtigung des Schulfaches Pädagogik
    Zeitschrift für Pädagogik 45 (1999) Nr. 5, S. 649 - 666

4.2 Quellenangaben

Ausgewählte Literatur, auf die im o.g. Aufsatz sowie im Text dieses "Bausteins" Bezug genommen wird:

  • Karl ASCHERSLEBEN
    Didaktik
    Stuttgart 1983
  • Dietrich BENNER - Karl Friedrich GÖSTEMEYER
    Postmoderne Pädagogik
    Analyse oder Affirmation eines gesellschaftlichen Wandels
    Zeitschrift für Pädagogik 33 (1987), Nr. 1, S. 61 - 82
  • Manfred BÖNSCH
    Kritisch-aufklärerische Didaktik
    Pädagogische Rundschau 49 (1995) H. 6, S. 673 - 685
  • Franz GRUBAUER (Hrsg.)
    Subjektivität - Bildung - Reproduktion
    Perspektiven einer kritischen Bildungstheorie
    Weinheim 1992
  • Wolfgang KLAFKI
    Studien zur Bildungstheorie und Didaktik
    Weinheim 1967, 9. Auflage
  • Edmund KÖSEL
    Die Modellierung von Lernwelten
    Ein Handbuch zur subjektiven Didaktik
    Elztal-Dallau 1993
  • Hermann KRÜSSEL
    Konstruktivistische Unterrichtsforschung
    Der Beitrag des Wissenschaftlichen Konstruktivismus
    und der Theorie der personalen Konstrukte für die Lehr-Lern-Forschung
    Frankfurt am Main 1993
  • Wilhelm H. PETERSZEN
    Lehrbuch Allgemeine Didaktik
    München 1983,
    6., veränderte, aktualisierte und erweiterte Auflage 2001
  • Albert SCHERR
    Bildung als Entgegensetzung zu systemischer Autopoiesis
    und individuelle Ohnmacht
    in:
    Franz GRUBAUER
    Subjektivität - Bildung - Reproduktion
    Weinheim 1992

Ein zusammenfassendes Literaturverzeichnis sowie wichtige Grundlagenliteratur finden Sie auf der Webseite "Literaturgrundlage".


[ Zurück zur Übersicht ]
Home ] Nach oben ] Zurück ] Weiter ]


Ausgearbeitet von:     Dr. Manfred Rosenbach -        letzte Änderung am: 15.01.08
-