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»Elf Einsprüche
gegen die didaktischen Betrieb«
- Appell zu Selbstkritik und
Besinnung -
Übersicht
1.0 Das Problemfeld
2.0 Die Analyse
3.0 Die Themen
4.0 Den Bildungsvorgang wiedergewinnen
5.0 Literaturnachweis
1.0 Das Problemfeld
Der Begriff »Didaktik« und die von ihm
bezeichnete Sache gehören zu den unbestrittenen Leitbegriffen des öffentlichen Lebens.
Für uns Lehrer ist er Fundament unseres Handelns und Säule unseres
Selbstverständnisses. Gerade deswegen ist hier ein Buch vorzustellen, ohne dessen
Berücksichtigung die »Grundzüge der Allgemeinen Didaktik« eine breite Lücke
aufwiesen.
Andreas GRUSCHKA schreibt (2002,
S. 19):
"Wenn immer stärker in die
öffentliche Diskussion gezerrt wird,
wie wenig wirkungsvoll Unterricht ist, wird sich die Didaktik vielleicht
doch mit den Beschränkungen beschäftigen müssen,
die sie theoretisch unbegriffen in sich aushält."
Die Ergebnisse von TIMSS und mehr noch
PISA sowie deren Echo in der Öffentlichkeit - wie immer sie im Einzelnen zu
interpretieren sind - zwingen auch zu der Frage, ob Didaktik das leistet, was sie leisten
sollte. Andreas GRUSCHKA geht ihr in radikaler, d.h. die Wurzeln aufspürender und
bloßlegender Analyse nach. Die Lektüre kann - und soll wohl auch - erschüttern, um
naive Selbstgewissheit zu Selbstkritik anzuregen und notwendige, also Not wendende
Besinnung anzubahnen.
Unmöglich können hier 463 Seiten einer dichten, manchmal
geradezu massiven Argumentation angemessen referiert werden. Grundlinien
jedoch lassen sich darstellen.
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2.0 Die Analyse
GRUSCHKA setzt bei dem
alten Streit an, ob Bildung oder Vermittlungsmethode Gegenstand der Didaktik seien. So
konnte gleichsam arbeitsteilig der Aufgabe ausgewichen werden, "Didaktik als
Problem von Inhalt und Methode der Vermittlung" theoretisch zu
fassen (a.a.O., S. 9). Er erinnert an Herwig BLANKERTZ. Dieser hatte, an Siegfried
BERNFELDs scharfe Kritik anknüpfend, festgestellt: (1975/2000, S. 11 f.), Kritik
an der Didaktik sei berechtigt,
- weil die Praxis nicht leistet, was sie
leisten soll und nicht nur hinter ihren Intentionen zurückbleibt, sondern oft genug das
Gegenteil dessen bewirkt, was will,
- und weil die Theorie von den Mängeln der
Praxis ablenkt, teil durch ideologisierende Bestätigung und Überhöhung, teils durch
Spekulationen über die Zielproblematik.
GRUSCHKA beschreibt den
Kern seiner Kritik (a.a.O., S. 402):
"Wo die Didaktisierung der Stoffe
nicht nur Mittel zum Zweck ist, sondern zum Selbstzweck des Unterrichts gerät, die Sache
damit hinter der didaktischen Inszenierung verschwindet, ist nichts anderes als didaktische
Betriebsamkeit festzustellen."
Seine Einwände richten sich also nicht
gegen Didaktik, sondern deren Verkommen zu »didaktischem Betrieb« (a.a.O., S. 20) - im
Gegenteil. Er kritisiert, dass Didaktik sich ihrer ureigenen Aufgabe entledigt habe - der
Vermittlung von Bildungsinhalten (a.a.O., S. 11):
"Nunmehr geht es um Methoden, die
auch noch die Vermittlung von überhaupt etwas abschaffen, indem sie sich als
Kommunikationstraining, psychotechnische Einstimmung und Sinnenstimulation, Moderation von
Meinungen und Diskussionen anstelle von Unterricht inszenieren."
Deshalb sei es nicht verwunderlich, dass
die Didaktik ihren wissenschaftlichen Gegenstand an andere Disziplinen verloren habe
(a.a.O., S. 13):
"Das, was wir in der Schule lernen,
behandelt klarer die Systemtheorie und nicht mehr die Didaktik. Die Didaktik legt danach
aus, was vermittelt werden sollte, die Soziologie beschäftigt sich damit, was real (als
Wissensform, Habitus, Unterscheidungsvermögen, Halbbildung) vermittelt wird."
GRUSCHKA ruft, BLANKERTZ folgend, zu
systematischer Selbstkritik der Didaktiker auf und will dafür mit seinen Studien
"das Terrain ebnen" (a.a.O., S. 19). Seine Leitfrage lautet:
"Was müsste eine Theorie
der Didaktik enthalten, die sowohl die soziale Tatsache »Vermittlung« rational aufklärt
als auch die didaktischen Täuschungen darüber, was Vermittlung ist und wie sie wirken
sollte?"
Eine ausgeführte Theorie der Vermittlung
müsste ferner alle Modelle einer Unterrichtslehre als Technologie kritisch
sichten, die Regelungsmechanismen zu entfalten verspricht, um beliebige Ziele
durch geeignete Mittel zu erreichen. Und schließlich müsste sie das Versprechen
der Didaktik problematisieren, ein Inventar an zuverlässig wirksamen
Unterrichtsmethoden bereitzustellen.
Am Ende seiner Einleitung (a.a.O., S. 21) wendet er sich gegen
ein didaktisches Denken, das ein "pädagogisch überstrapaziertes
Sollen" entwirft, statt mit klarem Blick zu erkennen, was wirklich
geschieht. So fordert er zusammenfassend eine Theorie der Vermittlung,
die zu klären hat,
- wie wird auf der Seite der Lehrer
real vermittelt,
- wie wird auf der Seite der
Schüler real angeeignet,
- wie wird aus der Sache eine der
Didaktik,
- wie wird die Vermittlung als
Kompetenz angeeignet,
- und wie entsteht daraus
Vermittlung im Unterricht?
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3.0 Die Themen
In elf Kapiteln versucht GRUSCHKA,
Antworten auf diese Fragen zu gewinnen. Sie zu referieren ist in diesem Rahmen unmöglich,
doch seien wenigstens die Themen aufgeführt. In ihrer pointierten Formulierung
konkretisieren sie oben Referiertes und machen selbst dann neugierig, wenn der Leser dem
Autor nicht in allem folgen will oder kann. Lediglich Grundgedanken des Schlusskapitels
werden in Ansätzen ausgeführt.
- Kapitel 1
Annäherung an die Didaktik -
die Sicht des Schülers, des Lehrers und die Erscheinungsweise des Gegenstandes
- Kapitel 2
Sinnbilder für das Didaktische -
Belehrungen durch die Kunst
- Kapitel 3
Das didaktische Dreieck -
eine theoretische Reformulierung
- Kapitel 4
Zur Vorgeschichte der Vermittlung -
die Skepsis des Sokrates und die Emphase des Comenius
- Kapitel 5
Die Verwissenschaftlichung des Dritten
durch Aufklärungspädagogen, Neuhumanisten und Zeitgenossen
- Kapitel 6
»Was wir in der Schule lernen« -
der soziale Sinn der Vermittlung
- Kapitel 7
Die Überwindung der Didaktik durch Didaktik -
Fluchtversuche der Reformpädagogik aus der Vermittlung
- Kapitel 8
Das Lehren des Lehrers durch Selbsterziehung,
Selbstbildung und Professionalität der Didaktik
- Kapitel 9
Die Verselbständigung der Vermittlung mittels Didaktisierung -
avancierte Konzepte als Totengräber der Didaktik
- Kapitel 10
Der Siegeszug totalisierender Vermittlung -
Entwicklungen in Kultur, Ökonomie, Politik und Recht
- Kapitel 11
Rückwege aus der Vermittlung -
über die Wiedergewinnung des Bildungsvorganges
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4.0 Den
Bildungsvorgang wiedergewinnen
"Wo bleibt das Positive?" So -
mit Erich KÄSTNER - zu fragen liegt nach diesen wuchtigen »Elf Einsprüchen« nahe.
GRUSCHKA fordert nicht etwa, die Vermittlung abzuschaffen. Vielmehr gehe es darum,
Rückwege zu finden und Vermittlung als Bildungsprozess lebendig zu machen. Er will
das in drei Schritten leisten:
- Die handwerklichen Bedingungen
müssen gekennzeichnet werden, die eine anregungsreiche und solide Lehrtätigkeit von
missratenen Formen der Vermittlung zu unterscheiden erlaubt.
- Gezeigt werden muss, auf welche Weise so
viel wie möglich von der Sache zum Gegenstand der Vermittlung gemacht
und diese jeweils mit der Sache verbunden werden kann, zu der sie im
Bildungsprozess des Subjektes wird.
- Gezeigt werden soll, wie das
bildungstheoretische Verständnis von Didaktik in die Erforschung stattfindender
Vermittlung umgesetzt werden kann. Dann kann auch die Frage beantwortet werden, wie mit
deren grundsätzlich gegebener technologischen Nichtverfügbarkeit umgegangen werden kann.
Rückwege sind mühsam und unsicher,
arbeits- und zeitaufwendig. Kann es eine radikale Abkürzung geben? GRUSCHKA nennt
(a.a.O., S. 411) die Besinnung auf gutes Handwerk. Sie habe als eine nüchterne
Perspektive für die Erweiterung von Professionalität ihren Stellenwert. Er verweist auf
Jürgen DIEDERICHs pragmatischen Standpunkt: Didaktisches Handeln sollte technisch darauf
gegründet werden, mögliche negative Prozesse zu vermeiden. Es komme nicht darauf
an, nach den Mitteln der Didaktik zu fahnden, mit denen versprochen werden kann, dass man
allen alles allseitig vermittelt, sondern
"nach den
didaktischen Wegen zu suchen, die
die geringsten Einschränkungen des Lernens nach sich ziehen."
5.0
Literaturnachweis
- Andreas GRUSCHKA
Didaktik
Das Kreuz mit der Vermittlung
Elf Einsprüche gegen den didaktischen Betrieb
Wetzlar 2002
- Dazu die Rezension von
Jürgen DIEDERICH
Zeitschrift für Pädagogik 48 (2002) Nr. 4, S. 636 - 639
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Ausgearbeitet von: Dr. Manfred Rosenbach -
letzte Änderung am: 15.01.08
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