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Transfer
Übersicht
1.0 Der Problemhorizont
1.1 Der Grundgedanke
1.2 Der Begriff Transfer
1.3 Definition des Lernens
2.0 Psychologische Grundlagen des Transferbegriffs
2.1 Sechs Grundelemente des
Transfers
2.2 Nachtrag 2005
3.0 Folgerungen für die Schulpädagogik
3.1 Erziehung und Unterricht
3.2 Unterrichtspraxis
4.0 Literaturgrundlage
1.0 Der Problemhorizont
1.1 Der
Grundgedanke
Jedes Wissen - beziehe es sich auf
Handlungen oder auf gedankliche Strukturen - ist zunächst auf seinen konkreten Gegenstand
begrenzt. Über diese Grenzen hinaus kann es jedoch auch auf Gegenstände angewandt
oder übertragen werden, die dem Ursprungsgegenstand, wie immer im einzelnen,
ähnlich sind.
Jedem Wissen wohnt also die Möglichkeit der Verallgemeinerung
oder Generalisierung inne.
In der Didaktik entspricht diesem Gedanken das Prinzip des Exemplarischen:
Jeder konkrete Inhalt steht stellvertretend für allgemeine Inhalte.
Wäre es anders, müsste jedes Handlungs- und Sachwissen einzeln erlernt werden. Kein Lernender und kein Lehrender könnte das
leisten. Die didaktischen und bildungstheoretischen Aspekte dieser Thematik werden auf der Webseite
"Das Elementare im
Unterricht" dargestellt.
Mithin ist es ein zentrales Ziel von
Unterricht, die Schüler zur selbständigen Anwendung ihres Wissens zu befähigen.
Gelerntes soll übertragen werden können.
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1.2 Der Begriff
Transfer
Der Begriff Transfer stammt von dem
lateinischen Verbum transferre, übertragen ab. Auf den ersten Blick
scheint er selbstverständlich, doch bei genauer Betrachtung wird deutlich, dass er in der
psychologischen und in der didaktischen Fachsprache durchaus verschiedene Sachverhalte
beschreibt. Seine Handlichkeit spiegelt Eindeutigkeit vor und verhüllt die Unterschiede.
Deshalb bleibt auch verborgen, dass nicht einmal die Sache selbst unumstritten ist.
Somit sind Klärungen nötig; sie
sollen einmünden in Verständigungen.
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1.3 Definition
des Lernens
Die weiteren Ausführungen gründen auf
einem Verständnis von Lernen, das in den Bausteinen zum Thema Lernziele"
erörtert und insbesondere in den Bausteinen Der Begriff Lernziel"
sowie Lernen und die Arten des
Lernens" dargestellt wird. Darum hier nur eine knappe Definition:
- Lernen ist jede dauerhafte Veränderung
einer Verhaltens- oder Erkenntnisstruktur eines Menschen. Es vollzieht sich in dessen
Auseinandersetzung mit seiner natürlichen und soziokulturellen Umwelt. Lernen ist weder
lediglich organisch noch ausschließlich reifungsbedingt.
- Lernprozesse verändern also die
strukturelle und/oder affektive Basis des Verhaltens. Als Folge davon ändert sich das
beobachtbare Verhalten oder bestehen die Voraussetzungen zu einem veränderten Verhalten.
- Ein Verhalten dieser Art kann komplex sein
und z. B. in einer Handlung, Operation, Erklärung, Problemlösung bestehen. Eine stabile
Struktur einer konkreten Verhaltensweise wird als Schema bezeichnet.
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2.0
Psychologische Grundlagen des Transferbegriffs
Der Begriff Transfer wird in der Didaktik
sehr eng auf anspruchsvolle Aufgabenstellungen bezogen. Im diesem Baustein wird er als
Fachausdruck der Psychologie für alle Formen des Anwendens
verwandt.
2.1 Sechs
Grundelemente des Transfers
Erstes Element
Lernen und Anwenden müssen klar voneinander unterschieden werden.
Das bedeutet:
- Lernen ist der erstmalige Aufbau
eines Verhaltens oder eines kognitiven Repertoires sowie dessen Festigung.
- Transfer bezeichnet die Bewältigung
einer neuen Situation mit Hilfe dieses Verhaltens oder kognitiven Repertoires.
Zweites Element
Mithin besteht ein Verhalten dieser Art darin, dass der Lernende die in der Lernsituation
aufgebaute Struktur rekonstruiert.
Das kann in unveränderter oder auch abgewandelter
Form geschehen,
und zwar jeweils entweder
am gleichen Gegenstand wie in der Lernsituation oder an einem
neuen Gegenstand.
Infolgedessen gibt es vier
Möglichkeiten für die Rekonstruktion einer Struktur:
|
bei vertrauten
Bedingungen |
bei neuen
Bedingungen |
in unveränderter
Form |
Reproduktion |
Anwendung
(Transfer) I |
in veränderter Form |
Transformation |
Anwendung
(Transfer) II |
Diese vier Formen sind
nicht gegeneinander abgegrenzt, sondern gehen kontinuierlich ineinander
über. Man kann
sich den Zusammenhang in Form einer Fläche vorstellen, die von zwei Ordinaten gleichen
Ranges eingefasst ist. Somit lässt sich jeder beliebige Fall einer konkreten Anwendung in
seiner Beziehung zu den beiden Bestimmungsgrößen darstellen.
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Damit wird eine didaktisch sehr
bedeutsame Möglichkeit deutlich:
Bei der Konstruktion von
Anwendungsaufgaben können die beiden Bestimmungsgrößen so behutsam verändert werden,
dass die jeweilige Aufgabe die Fähigkeit der Schüler zum Transfer fördert, aber nicht
überfordert.
Drittes Element
Aus diesen Überlegungen lässt sich als Wesen des Transfers festhalten:
- Eine in einer bestimmten Lernsituation
aufgebaute Struktur wird in der Begegnung mit einem neuen Fall wiedererkannt oder bei der
Bewältigung einer neuen Situation wiederhergestellt.
- Bei der erkennenden Anwendung wird ein
neuer Gegenstand im Lichte eines bekannten Begriffsinhaltes strukturiert und damit geistig
erfasst.
- Bei der herstellenden Anwendung wird eine
bekannte Struktur in einer neuen Situation wiederhergestellt.
Viertes Element
Transfer gelingt nicht gleichsam automatisch.
Das bedeutet:
- Eine bekannte Struktur wird unter neuen
Bedingungen nur durch ein äußeres
oder inneres Tun am neuen Erkenntnisobjekt wiedererkannt.
- Die vom Lernenden aufgebauten Strukturen
lassen sich zwar auf eine Vielzahl von Situationen anwenden, doch können sie nur in
Grenzen verallgemeinert werden.
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Fünftes Element
Eine kognitive Struktur wird immer anhand eine bestimmten Falles
aufgebaut.
Darum kann eine Transferleistung nur in Bezug auf die Lernleistung bestimmt werden.
Dabei ist die Ähnlichkeit bzw. Verschiedenheit
von Lern- und Anwendungssituation wichtig,
und zwar
- in inhaltlicher Hinsicht,
- in medialer Hinsicht (Vermittlung
durch Handlung, Anschauung, Symbole),
- in Bezug auf Einfachheit bzw.
Komplexität,
- in Bezug auf die soziale Situation
und ihre Rollenanforderungen.
Sechstes Element
Das Gelingen von Transfer bzw. seine Begrenztheit hängt insbesondere von dem Medium
ab,
das eine Wissensstruktur darbietet und vermittelt. Zu unterscheiden sind drei Ebenen,
und zwar
- handlungsgebundene (enaktive)
Darstellung,
- bildhafte (ikonische) Darstellung,
- symbolische (an Zeichensysteme
gebundene) Darstellung.
Insbesondere die Umsetzung von Wissen,
das durch Zeichensysteme und/oder Anschauung gewonnen wurde, in Handlung ist ein uraltes
und noch nicht überzeugend gelöstes Problem.
2.2
Nachtrag 2005
Die vorstehenden Aussagen
lassen sich auch kompakter fassen.
Elsbeth STERN und Ralph SCHUMACHER
formulieren den Kern der Transferproblematik wie folgt (2004, S. 124):
"Transfer kann nur gelingen, wenn bei einer Transferaufgabe die
gleichen Wissenselemente genutzt werden können wie bei den Aufgaben, mit
denen diese Strategien eingeübt wurden. Stimmen die Wissenselemente nicht
überein, bleibt der Lerntransfer aus."
Transfer kann auch
misslingen - das zeigt folgende Karikatur.
Die
Folgerungen für Verständnis und Anlage des Unterrichts werden auf der folgenden
Webseite dargestellt.
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3.0 Folgerungen
für die Schulpädagogik
3.1 Erziehung
und Unterricht
Aus den dargestellten
Sachverhalten ergeben sich Folgerungen für Erziehung
und Unterricht.
Auf der erzieherischen Ebene
gilt, dass Mündigkeit in geistiger Hinsicht an zwei Bedingungen gebunden ist, und zwar an
- die Verfügbarkeit geeigneter
Begriffe und Operationen,
- die Fähigkeit, sie auf neue
Fälle anzuwenden.
Die Spannung zwischen individuellem
Wollen und sozialem Sollen muss hier außer Betracht bleiben.
Auf der unterrichtlichen Ebene müssen
zwei Ebenen miteinander verknüpft werden, und zwar
- die inhaltliche (materiale) Ebene,
- die formale (funktionale) Ebene.
Anders gesagt:
- Sachwissen und Verfahrenswissen
müssen einander ergänzen.
Methodische Schulung ist nur in
Verbindung mit einer breit angelegten inhaltlichen Bildung sinnvoll. Sie besteht nicht in
Vielwisserei, sondern in der Kenntnis der wesentlichen Strukturen des jeweiligen
Gegenstandsbereiches.
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3.2
Unterrichtspraxis
Wendet man die vorstehenden Einsichten
auf didaktisches Handeln an, so lassen sich die folgenden sechs Thesen formulieren:
Erste These
Praktische Übung ist das Bindeglied zwischen Wissen und Anwendung. Dabei kommt es vor
allem auf die Entwicklung von Handlungsplänen an.
Zweite These
Anwendungen im Unterricht dienen vor allem dazu, die aufgebauten Begriffe und Operationen
von ihrer gegenständlichen Gebundenheit an die Bedingungen des Einführungsbeispieles zu
lösen und so den selbständigen Transfer vorzubereiten.
Dritte These
Damit im Unterricht ungelenkte und anspruchsvollere Anwendungen möglich werden, müssen
die Anwendungsleistungen der Schüler durch geeignete Impulse strukturiert und gelenkt
werden. Hinweise für deren Formulieren folgen aus den oben vorgestellten Tabelle.
Vierte These
Die Gestaltung des Unterrichts muss es den Schülern ermöglichen, zunehmend von
zufälligen und situationsgebundenen Elementen zu abstrahieren sowie bewusst und methodisch
zu verallgemeinern. Analyse und Reflexion ("Arbeitsbesinnung")
können dazu beitragen, den Schülern mehr und mehr selbständige Anwendungsleistungen zu
ermöglichen.
Fünfte These
Im Anschluss an Thesen 2 und 3 lassen sich vier Schwerpunkte von Leistungen
unterscheiden, und zwar
- Reproduktionsleistungen,
- Umformungsleistungen,
- Anwendungsleistungen,
- Kreativ-schöpferische Leistungen.
Als Leistung wird hier ein beobachtbares
Verhalten verstanden, das nach einem Gütemaßstab
(nach HECKHAUSEN) bewertet werden kann.
Sechste These
Für das Gelingen von Transfer ist die sachliche und soziale Anwendbarkeit wichtig. Der
eigentliche Transferwert, mithin der Bildungswert des Gelernten ist vor allem durch dessen
lebenspraktischen Bezug gegeben.
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4.0
Literaturgrundlage
Die vorstehenden Ausführungen beruhen im
Wesentlichen auf
- Helmut MESSNER
Wissen und Anwenden.
Zur Problematik des Transfers im Unterricht
Stuttgart 1978
Die bildungstheoretische Problematik,
insbesondere mit den Positionen von Wolfgang KLAFKI,
Karl ODENBACH und Martin WAGENSCHEIN, wird aufgearbeitet
von
- Wilhelm H. PETERSZEN
Handbuch der Unterrichtsplanung
Grundfragen, Modelle, Stufen, Dimensionen
München 2000, 9., aktualisierte und überarbeitete Auflage, S. 56 f. und 68 f.
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Ausgearbeitet von: Dr. Manfred Rosenbach -
letzte Änderung am: 15.01.08
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