Gedächtnisschulung Übersicht 1.0 Bessere Gedächtnisleistung durch bewusste Denkarbeit Es
gibt kein schlechtes Gedächtnis, Kann diese Aussage in einer Zeit aktuell sein, der dank der elektronischen Speichermedien komfortable und zuverlässige Hilfen zur Verfügung stehen, die den Kopf entlasten und für Wichtigeres frei machen? Sind Sie sich sicher? Oder zögern Sie mit einer Antwort? Vielleicht macht sie ein kleiner Text nachdenklich, den Sie hier nachlesen können. Die Leistung des Gedächtnisses hängt in beachtlichem Grade von der Bewusstheit und Qualität der Denkarbeit ab. Bewusstes und systematisches Denken ist also eine wichtige Voraussetzung für bessere Gedächtnisleistungen. Folgende Grundsätze können die Denkarbeit im Hinblick auf bessere Gedächtnisleistungen strukturieren helfen:
Diese Grundsätze lassen sich zu dem einprägsamen Dreischritt W-A-V zusammenfassen:
Der letzte Grundsatz ist besonders wichtig und effektiv – das Visualisieren von Gegenständen, aber auch von Begriffen zu üben. Der nächste Schritt besteht darin, sich zwei Begriffe in einer prägnanten Situation vorzustellen. Je origineller die Bildideen sind, die dabei verwendet werden, desto größer der Erfolg. Eine detaillierte Anleitung finden Sie u.a. bei Christiane Stenger, 2004, S. 56 ff. 2.0 Gedächtnisorte – ein Klassiker der Merktechnik Bessere Gedächtnisleistungen lassen sich durch systematische Merktechnik erzielen. Ein plastisches Beispiel ist die sog. „Eselsbrücke". Gedächtnisleistungen, in denen eine Person gut ist (z.B. räumliche Orientierung, bildliche Vorstellungskraft), werden mit solchen verknüpft, in denen diese Person weniger leistungsfähig ist (z.B. Zahlengedächtnis). Schon in der Antike gab es eine nach diesem Grundgedanken funktionierende Methode, die den Rednern zu bemerkenswerten Gedächtnisleistungen verhalf – die sog. »Festen Plätze« oder »Gedächtnisorte« (Zur Geschichte s.u. unter Nr. 3). Daraus ist die sog. Stereotypenreihe hervorgegangen. Der zu merkende Wissensstoff wird mit bildhaft vorgestellten Plätzen, z.B. in einer Wohnung, verknüpft. Diese Plätze müssen in einer strikt einzuhaltenden Reihenfolge vorab eingeprägt werden. Die Verbindung zwischen den Merkorten und dem Lernstoff wird hergestellt, indem man in der Phantasie von einem Platz zum anderen geht und dort den Stoff Punkt für Punkt gleichsam ablegt. In derselben Reihenfolge werden die Lerngegenstände vor dem geistigen Auge sichtbar und können abgerufen werden. Den gleichen Zweck erfüllt in verbesserter Form eine bildhaft aufgebaute Reihe von Hilfswörtern – Stereotypenreihe –, die am besten selbst mnemotechnisch angelegt wird; dabei genügen im allgemeinen zwanzig Plätze. Sie wird zunächst dargestellt. Mithin werden die Grenzen des Arbeitsgedächtnisses überwunden, indem der Lernstoff mit verläßlichen Komponenten des Langzeitgedächtnisses verknüpft und dafür das bildhafte Vorstellungsvermögen genutzt wird. 2.1 Die Stereotypenreihe Hier wird im Anschluß an Wolfgang ZIELKE (1980, S. 314 ff.) ein bewährtes Beispiel vorgestellt, das das Prinzip deutlich macht und nach Bedarf individuell abgewandelt werden kann. Da die Merkbegriffe an die Zahlen 1 bis 20 anschließen, ist es besonders leicht, sich die Stereotypenreihe einzuprägen.
2.2 Die Routenmethode Die Routenmethode ist anspruchsvoller, doch wer das Visualisieren und Verknüpfen von Begriffen geübt hat, dem steht ein sehr variables und leistungsfähiges Verfahren zur Verfügung, weil sich damit auch beliebig viele Begriffe in der richtigen Reihenfolge merken lassen. Hinweise zum Verfahren:
Eine ausführliche Darstellung des Verfahrens finden Sie bei Christiane Stenger, 2004, S. 93 ff. 3.0 Zur Entstehungsgeschichte der »Lernorte« In der Literatur finden sich zahlreiche Varianten dieser Technik. Ihre geistigen Wurzeln hat sie in der Antike. Die gesellschaftliche Bedeutung eines zuverlässigen Erinnerungsvermögens lässt sich in unserer Zeit nur schwer ermessen, weil wir uns ein Leben ohne Buchdruck und umfangreiche schriftliche Unterlagen kaum vorstellen können. Allein schon die Erfindung der Schrift selbst konnte jedoch damals als Gefährdung der - als lebenswichtig empfundenen - Gedächtniskraft angesehen werden, wie eine von PLATON in seinem Dialog Phaidros (274 c - 275 d) erzählte Sage und deren Interpretation zeigen. Die wissenschaftliche Grundlage der Mnemotechnik geht auf Aristoteles zurück. In seiner erkenntnistheoretischen Abhandlung „Über die Seele" schreibt er (432 a 17): „Die Seele denkt niemals ohne ein Vorstellungsbild." In seiner Abhandlung „Über Gedächtnis und Erinnerung" bezieht er sich auf diese Aussage. Dort formuliert er (449 b 31, 450 a 12 sowie 450 a 24)): „Denken können wir nur in und mit Bildern." „Alle vorstellbaren, imaginierbaren Dinge sind wesentlich Dinge des Gedächtnisses." Aristoteles kannte Gedächtnistechniken, wie folgende Zitate zeigen (Topica 163 b 24 ff. sowie Über die Seele 427 b 18): „Bei
einem Menschen mit geschultem Gedächtnis „Man
kann sich Dinge vor Augen führen, Der (namentlich nicht bekannte) Autor an Herennius ist die einzige ausführliche und damit wichtigste Quelle der Mnemotechnik. Er beschreibt die Methode in dem Abschnitt über das Gedächtnis (III, xvi, 28 - xxiv ). Alle späteren Autoren beziehen sich hierauf. Die zentrale Grunddefinition, durch die Jahrhunderte immer wieder zitiert, lautet (a.a.O., S. 29): „Das geschulte Gedächtnis beruht auf Orten und Bildern." Cicero schreibt die Erfindung der Gedächtnistechnik in seinem Werk „Über den Redner" 2, 86, 351 ff. dem griechischen Lyriker Simonides (557/56 – 468/67 v.Chr.) zu. Ihm folgt Quintilian in seinem Werk „Über die Ausbildung des Redners" XI, 2, 11 – 22. Er berichtet dort die dramatische Entstehungsgeschichte der Methode und beschreibt sie im Einzelnen. Als deren bizarre Vervollkommnung erwähnt er das System eines Metrodorus, der in den zwölf Sternbildern des Tierkreises 360 Gedächtnisorte gefunden haben soll. Zur wissenschaftlichen Einordnung der Methode gibt Ulric NEISSER (1996, S. 109 f.) einige höchst bemerkenswerte Hinweise, die deren stammesgeschichtliche Wurzeln freilegen. Alle Lebewesen sind darauf angewiesen, sich in ihrem Lebensraum zuverlässig orientieren zu können. Dazu dient ihnen eine »kognitive Landkarte«. Um ihre Aufgabe zu erfüllen, muss sie stabil sein, zugleich jedoch leicht verändert werden können. Das, so NEISSER (S. 110): "macht sie für Gedächtnisaufgaben geeignet." Ferner wird auf Hans-Joachim Markowitsch, 2002, S. 30 ff., sowie auf Mary J. Carruthers (1990) und Uwe FleCKner (1995) verwiesen. Ihre zentrale Bedeutung im Werk des Dichters James Joyce und deren geistesgeschichtlichen Hintergrund entfaltet Klaus Reichert (1991). Die geistesgeschichtlichen Fundamente behandeln Frances A. Yates (1990), Mary J. Carruthers (1990) und Barbara KUHN (1993). Friedhelm L. Müller (1996) untersucht den Autor an Herennius tiefschürfend und berücksichtigt dabei aktuelle Einsichten der Lernpsychologie. Mit den Metaphern für das Gedächtnis setzt sich Douwe DRAAISMA (1999) tiefschürfend auseinander. 4.0 Literaturgrundlage
5.0 Anhang Michael Althen schreibt (Frankfurter Allgemeine Zeitung Nr. 264 vom 1. November 2004):
* PLATONs Bericht - er wird von SOKRATES in einem Gespräch vorgetragen - lautet wie folgt:
Motivgeschichtlich nicht ohne Reiz ist Caius Julius CAESARs Bericht zur Ausbildung der gallischen Priester, der Druiden. Sie müssen alle für den Kult wichtigen Texte auswendig lernen. Schriftliche Aufzeichnungen zu benutzen ist ihnen strikt verboten. (Über den gallischen Krieg 6, 14, 3) Mit der Ambivalenz von Erinnern oder Vergessen als wichtigem Aspekt und zugleich zentralem Problem der zeitgenössischen Kultur setzt sich auseinander
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von: Dr.
Manfred Rosenbach - letzte Änderung
am: 15.01.08
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