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    Allgemeinbildung 
     
    KLAFKIs neuer Beschreibungsversuch 
    1.0 Die Ausgangsposition 
    Wolfgang KLAFKI hat sich
    seit dem Erscheinen seiner frühen Arbeiten zur bildungstheoretischen Didaktik mit den
    Positionen der erfahrungswissenschaftlich und der gesellschaftskritisch- 
    ideologiekritisch orientierten Didaktik intensiv auseinandergesetzt und aus ihnen
    wesentliche Impulse aufgenommen. Er bezeichnet seinen in den Jahren 1975 bis 1991
    gewonnenen Ansatz als kritisch-konstruktive Didaktik und versteht sie als in sich
    konsistentes, integratives Konzept". 
         Obwohl sich also KLAFKI von den Positionen einer rein
    geisteswissenschaftlich orientierten Didaktik gelöst hat, bleibt er weiterhin
    ausdrücklich der bildungstheoretischen Didaktik verpflichtet.  
    Er hält 
    die
    Fundierung der Didaktik in einer Bildungstheorie für notwendig". 
    2.0 Allgemeinbildung bei KLAFKI 
    In einer ersten Studie untersucht KLAFKI
    den klassischen Bildungsbegriff auf seine Bedeutung, Aktualität und Grenzen. Auf dieser
    Grundlage entwickelt er in einer weiteren Studie Grundzüge eines zeitgemäßen Konzepts
    von Allgemeinbildung. 
    Die folgende Zusammenfassung seiner
    Überlegungen richtet sich nach dieser Gliederung. 
    2.1 Klassische
    Bildungstheorien und allgemeine Bildung 
    KLAFKI sieht in den klassischen
    Bildungstheorien drei bestimmende Merkmale: 
      - Bildung als Befähigung zu
        vernünftiger Selbstbestimmung
 
        In zahlreichen, teils bedeutungsgleichen, teils bedeutungsähnlichen Begriffen wird die Gewinnung
        von Autonomie, die Befähigung zu vernünftiger Selbstbestimmung als
        wesentliches Ziel von Bildung beschrieben. Die zentrale Vollzugsform von Bildung ist die Selbsttätigkeit. 
     
    
      - Bildung als Entwicklung des Individuums
        in der Auseinandersetzung mit objektiv-allgemeinen Inhalten
 
        Bildung kann nur in Prozessen der Aneignung und Auseinandersetzung mit bedeutsamen Inhalten
        gewonnen werden. Hier stellt sich die Leitfrage nach Kriterien, die der Auswahl - sowohl
        in Lehrplänen als auch in der Unterrichtsplanung des einzelnen Lehrers - zugrunde liegen.  
        Allgemeine Bildung ist immer auch Bildung für alle, nicht nur für eine Elite. 
     
    
      - Bildung im Spannungsfeld zwischen
        Individualität und Gemeinschaftlichkeit
 
     
    Angesichts der Schlüsselprobleme
    unserer gesellschaftlichen und individuellen Existenz - so KLAFKIs Zusammenfassung -
    genügt der Rückgriff auf die Antworten der Klassiker nicht.  
    Er beschreibt die Aufgaben von Allgemeinbildung  
      - als Bildung für alle
        zur Selbststimmungs-, Mitbestimmungs- und Solidaritätsfähigkeit,
 
      - als kritische Auseinandersetzung mit einem
        neu zu durchdenkenden Gefüge des Allgemeinen als des uns alle Angehendenden
        und 
 
      - als Bildung aller
        uns heute erkennbaren humanen Fähigkeitsdimensionen des Menschen.
 
     
    2.2 Grundzüge eines neuen
    Konzepts von allgemeiner Bildung 
    KLAFKI setzt sich zunächst mit
    genereller Kritik am Bildungsbegriff auseinander und kommt zu dem Ergebnis, eine zentrale
    Kategorie wie der Bildungsbegriff sei weiterhin nötig, und zwar als 
    zentrierendes,
    übergeordnetes Kriterium für alle pädagogischen Einzelmaßnahmen. 
    Sodann entwickelt er die Grundzüge eines
    zeitgemäßen und zukunftsoffenen Bildungsbegriffes und sieht sie in neun
    Bestimmungen charakterisiert. Sie können hier nicht vollständig, sondern nur in
    Auswahl zentraler Argumente dargestellt werden.  
    KLAFKIs Zählung wird beibehalten, um den Bezug auf seinen Text sichtbar zu machen. 
    
      
        | 2 | 
        Bildung ist
        der Zusammenhang von drei Grundfähigkeiten,  
        nämlich (vgl. oben Nr. 2.1) 
          - als Fähigkeit zur Selbstbestimmung
            jedes Einzelnen über seine individuellen Lebensbeziehungen und Sinndeutungen
            zwischenmenschlicher, beruflicher, ethischer, religiöser Art;
 
          - als Mitbestimmungsfähigkeit, weil jeder
            Anspruch, Möglichkeit und Verantwortung für die Gestaltung unserer gemeinsamen
            kulturellen, gesellschaftlichen und politischen Verhältnisse hat;
 
          - als Solidaritätsfähigkeit, weil
            der eigene Anspruch auf Selbst- und Mitbestimmung nur gerechtfertigt ist, wenn er mit dem
            Einsatz für die Menschen verbunden wird, denen Selbst- und Mitbestimmung vorenthalten
            werden.
 
         
         | 
       
      
        | 3. | 
        Bildung als
        Allgemeinbildung" muss in dreifachem Sinne bestimmt werden:
          - Sie muss Bildung für alle sein.
 
         
        
          - Sie muss einen verbindlichen Kern des
            Gemeinsamen haben und deshalb Bildung im Medium des Allgemeinen sein. 
 
            Anders gesagt: Allgemeinbildung muss verstanden werden als 
            o Aneignung der die Menschen gemeinsam angehenden Frage-  
               und Problemstellungen ihrer geschichtlich gewordenen Gegenwart  
               und der sich abzeichnenden Zukunft 
            o und als Auseinandersetzung mit diesen gemeinsamen Aufgaben,  
               Problemen, Gefahren. 
            Das schließt die Auseinandersetzung mit der Gesamtheit der entsprechend bedeutsamen
            kulturellen Leistungen ein. 
         
        
          - Allgemeinbildung muss als
            
 
            Bildung in allen drei Grunddimensionen menschlicher Interessen und Fähigkeiten
            verstanden werden.  
            Sie ist mithin Bildung 
            o der kognitiven Möglichkeiten, 
            o der handwerklich-technischen Produktivität, 
            o der Ausbildung zwischenmenschlicher Beziehungsmöglichkeiten, 
            o der ästhetischen Wahrnehmungs-, Gestaltungs- und Urteilsfähigkeit, 
            o der ethischen und politischen Entscheidungs- und Handlungsfähigkeit. 
         
         | 
       
      
        | 5. | 
        Konzentration
        auf epochaltypische Schlüsselprobleme Bildung im Medium des Allgemeinen (s. oben Ziffer 2) bedarf eines Kriteriums, mit
        dessen Hilfe das für allgemeine Bildung Bedeutsame und Verbindliche bestimmt werden kann.
        KLAFKI gewinnt dieses Kriterium, indem er Allgemeinbildung versteht als das geschichtlich
        vermittelte  
          - Bewusstsein von zentralen Problemen der
            Gegenwart und - so weit vorauszusehen - der Zukunft, 
 
          - Einsicht in die Mitverantwortlichkeit
            eines jeden Einzelnen,
 
          - Bereitschaft zu deren Bewältigung.
 
         
        Bildung ist die Konzentration auf die
        für unsere Zeit typischen Schlüsselprobleme. Unter Verzicht auf eine Theorie des
        gegenwärtigen Zeitalters nennt KLAFKI folgende Kernelemente: 
          - Friedensfrage,
 
          - Umweltproblematik,
 
          - gesellschaftlich produzierte Ungleichheit,
 
          - Möglichkeiten und Gefahren der
            Steuerungs-, Informations- 
 
            und Kommunikationsmedien, 
          - Partnerschaft: 
 
            individueller Glücksanspruch, zwischenmenschliche Verantwortung 
            und Anerkennung des Anderen. 
         
        Allgemeine Bildung im Sinne der
        dargestellten Elemente beschränkt sich nicht auf die Erarbeitung von Erkenntnissen,
        sondern bezieht die Entwicklung von Einstellungen und Fähigkeiten ein. KLAFKI
        nennt die folgenden Komponenten: 
          - Kritikbereitschaft und -fähigkeit - auch
            sich selbst gegenüber,
 
          - Argumentationsbereitschaft und
            -fähigkeit,
 
          - Empathie als Fähigkeit, eine
            Situation,
            ein Problem, eine Handlung aus der Sicht 
 
            des jeweils anderen sehen zu können,  
          - Fähigkeit zu mehrdimensionalem und
            komplexem Zusammenhangsdenken, also 
 
            zu vernetztem Denken". 
         
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        | 6. | 
        Vielseitige
        Fähigkeits- und Interessenentwicklung Die Konzentration auf Schlüsselprobleme birgt die Gefahr der inhaltlichen
        Einseitigkeit und der emotionalen Überforderung in sich. Sie bedarf also eines Gegenpols,
        indem Zugänge eröffnet werden 
          - zu unterschiedlichen Möglichkeiten
            menschlichen Selbst- und Weltverständnisses
 
          - und zu verschiedenen kulturellen
            Aktivitäten,
 
          - also zu frei wählbaren
            Interessenschwerpunkten.
 
         
        Außerdem ist es notwendig,  
          - Offenheit für neue Erfahrungen und die
            Modifikation bisherigen Wissens zu gewinnen,
 
          - sich Grundkategorien für das Gewinnen
            neuer Erfahrungen, Erkenntnisse und Einsichten 
 
            sich anzueignen, 
          - die Bereitschaft zur Beschaffung und
            Verarbeitung neuer Informationen zu entwickeln.
 
         
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        | 8. | 
        Der
        Stellenwert instrumenteller Fähigkeiten und sekundärer" Tugenden Erfolgreiches Lernen im Sinne des dargestellten
        Bildungsbegriffes setzt die Beherrschung vieler instrumenteller Fertigkeiten voraus.
        Darüber hinaus muss der Lernende auch über Tugenden wie Selbstdisziplin,
        Konzentrationsfähigkeit, Ausdauer, Anstrengungsbereitschaft, Gewissenhaftigkeit,
        Rücksichtnahme usw. verfügen. 
             Diese sekundären" Tugenden sind zwar wichtig, doch
        keine Werte an sich; sie stehen vielmehr im Dienst übergeordneter Bildungsziele.
        Vertiefungen zu dieser Problematik finden Sie auf der Webseite Tugenden oder
        Werte - I. Die Kardinaltugenden"   | 
       
     
     
3.0 Literaturnachweis 
      - Wolfgang KLAFKI
 
        Neue Studien zur Bildungstheorie und Didaktik 
        Zeitgemäße Allgemeinbildung und kritisch-konstruktive Didaktik 
        Weinheim 1996, 5. Auflage 
     
    Darin vor allem: 
      - Die Bedeutung der klassischen
        Bildungstheorien für ein zeitgemäßes Konzept allgemeiner Bildung
 
        S. 15 - 41 
      - Grundzüge eines neuen
        Allgemeinbildungskonzepts
 
        Im Zentrum: Epochaltypische Schlüsselprobleme 
        S. 43 - 81 
      - Grundlinien kritisch-konstruktiver
        Didaktik
 
        S. 83 - 138 
     
    
      - Wolfgang KLAFKI
 
        "Schlüsselprobleme" als thematische Dimension einer zukunftsbezogenen
        "Allgemeinbildung" 
        Zwölf Thesen 
        Die Deutsche Schule, Beiheft 1995, S. 9 - 14 
      - Hermann GIESECKE
 
        Was ist ein "Schlüsselproblem"? 
        Anmerkungen zu Wolfgang Klafkis "neuem Allgemeinbildungskonzept" 
        Neue Sammlung 37 (1997) H. 4, S. 563 - 583 
      - ders.
 
        "Schlüsselprobleme" in der Diskussion 
        Kritik einer Kritik 
        Neue Sammlung 38 (1998) H. 1, S. 103 - 124 
     
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    Ausgearbeitet von:     Dr. Manfred Rosenbach -
           letzte Änderung am: 15.01.08 
    
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