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Schlüsselqualifikationen
IV. Wie erwirbt man
Schlüsselqualifikationen?
1.0 Das Problemfeld
Schlüsselqualifikationen sind wichtig -
das steht außer Zweifel. Worin sie bestehen, wird auf der Webseite Schlüsselqualifikationen
I. Versuch einer Beschreibung" vorgestellt.
Nicht minder wichtig ist die Frage, wie sie erworben
werden können. Zu diesem Thema hat Franz E. WEINERT, Direktor des
Max-Planck-Institutes für psychologische Forschung, München, am 27. und 28. November
1994 im Rahmen der Loccum" Gespräche vor der Kultusministerkonferenz
referiert. Seine Überlegungen werden hier auf der Grundlage seiner Kurzfassung zur
Information" in Form von Thesen vorgestellt. Vgl. dazu auch den Literaturhinweis.
2.0 Wie erwirbt man
Schlüsselqualifikationen?
Erste These
Schlüsselqualifikationen lassen sich erwerben. Sie bestehen in allgemeinen Fähigkeiten,
Strategien, Regeln und Einstellungen, die bei der Lösung von Problemen und beim Erwerb
neuer Kompetenzen in möglichst vielen Inhaltsbereichen von Nutzen sind (z.B. Lernen
lernen, kreatives Denken, Teamfähigkeit).
Folgende Ebenen sind zu unterscheiden.
Schlüsselqualifikationen können verstanden werden als
-
Komponenten inhaltsspezifischer Expertise
(z.B. Informatik, Schach, usw.),
-
als Komponenten bereichsspezifischen
Wissens (z.B. naturwissenschaftliches Denken, experimentelle Methodik, usw.).
- als allgemeine Kompetenzen jenseits
inhaltsspezifischer Expertise und bereichsspezifischen Wissens (z.B. Strategien des
Lernens aus Texten, Planungskompetenz, usw.).
Zweite These
Je allgemeiner eine Regel oder Strategie ist (d.h. in je mehr unterschiedlichen
Situationen sie angewandt werden kann), um so geringer ist ihr Beitrag zur Lösung
anspruchsvoller inhaltlicher Probleme.
Dritte These
Intelligentes inhaltliches Wissen ist eine notwendige Voraussetzung für die Lösung
schwieriger Probleme und für den Erwerb neuer Kompetenzen in anspruchsvollen
Inhaltsgebieten (vgl. dazu Anhang 1 sowie die Webseite "Lernziel:
Intelligentes Wissen").
Vierte These
Je mehr jemand über sein Wissen weiß, um so mehr kann er es nutzen; je mehr jemand über
sein Lernen, Denken und Arbeiten weiß, um so besser kann er neue Probleme lösen oder das
notwendige Wissen dafür selbständig erwerben (metakognitive Kompetenzen).
Fünfte These
Schlüsselqualifikationen müssen in Verbindung mit dem intelligenten Erwerb flexiblen und
reflexiv nutzbaren inhaltlichen Wissens aufgebaut werden. Dem Erlernen oder dem Training
allgemeiner Strategien der Planung, Steuerung, Überwachung, Kontrolle und
Selbstbeurteilung des Problemlösens und Lernens kommt wichtige, aber begrenzte Bedeutung
zu (Vgl. dazu Anhang 2).
Sechste These
Damit Schlüsselqualifikationen vermittelt und erworben werden können, muss
inhaltsspezifisches Wissen prinzipien- oder regelorientiert, nicht aber faktenzentriert
aufgebaut werden. Das Lernen muss aktiv, interaktiv, variabel, flexibel sowie produktiv
sein. Es muss vom Erwerb metakognitiver Kompetenzen begleitet werden.
Siebte These
Selbständiges, selbstverantwortliches Lernen, Denken und Arbeiten hängen nicht nur von
der Verfügbarkeit kognitiver Kompetenzen ab, sondern auch von der Stärke der
Erkenntnismotivation, vom subjektiven Glauben an die eigene Selbstwirksamkeit und von der
Bereitschaft, kognitive Konflikte zu ertragen (Vgl. dazu Anhang 3).
Achte These
Lernen und Leisten sind gleichermaßen wichtig. Unsere Schulen sind allerdings stärker
leistungs- als lernorientiert. In Leistungssituationen wird demonstriert, was jemand kann.
Fehler werden vermieden; man erzielt Erfolge oder erlebt Misserfolge. In Lernsituationen
will man Neues erfahren; aus Fehlern und Irrtümern lernt man. Mitschüler sind hier nicht
Konkurrenten, sondern Partner; Lehrer sind nicht Beurteiler, sondern Unterstützende.
Neunte These
Denken lernen, Lernen lernen und im Team arbeiten lernen sind nicht Aufgaben neuer
Unterrichtsfächer, sondern anspruchsvolle Ziele aller Fachgebiete. Zu ihrer
Verwirklichung sind Änderungen in den Lehrplänen, in der Lernorganisation und im
Wissenserwerb erforderlich.
Zehnte These
Wendet man Theorien zum Erwerb von Schlüsselqualifikationen auf die Probleme der
allgemeinen und der beruflichen Bildung an, so ist offenkundig: Übereinstimmung in den
Schlüsselqualifikationen ist nur auf einer sehr allgemeinen Ebene möglich
(Erkenntnisinteresse, Arbeitstugenden", allgemeine Planungs-, Handlungs- und
Bewertungskompetenzen). In besonders wichtigen inhaltsspezifischen Bereichen ist nur die
Gleichwertigkeit der Qualifikationen, nicht aber die Gleichheit möglich.
3.0 Anhänge
Anhang 1
Anhang 2
Intelligentes, flexibles Wissen
-
Lernen als tiefes Verstehen des wichtigen
Wissens (Prinzipien, Regeln)
-
Verbindung von Wissen (gewusst was) und
Können (gewusst wie)
-
Routinisierung und Automatisierung von
Wissens- und Könnensbausteinen sowie permanente Wiedereingliederung dieser Routinen in
Problemlösungen
-
Flexibilisierung des Wissens: Immer neue,
veränderte, auch radikal andere Aufgaben
-
Multiple Situierung des Wissens (bei
gleichzeitigem Erwerb von so genanntem Situationswissen, d.h. Wissen über die
Eigentümlichkeiten von Situationen, in denen die erworbene Kompetenz angewendet werden
soll)
- Reflexionen über das Wissen und seine
Nutzungsmöglichkeiten
Anhang 3
Tendenzen und Präferenzen der
Motivation bei kreativen Menschen
-
Hohe Neugier-, Lern- und
Erkenntnismotivation, nicht selten verbunden mit einer gelegentlichen
spielerisch-explorativen Problembehandlung
-
Hohes Anspruchsniveau gegenüber eigenen
Zielen und Leistungen
-
Mut zur
Originalität
-
Toleranz gegenüber
Widersprüchlichkeit,
Mehrdeutigkeit und Ungewissheit
-
Bereitschaft zu kognitiven
Konflikten
-
Fähigkeit zu eigenständiger, nicht
konformistischer Urteilsbildung
-
Produktive Verarbeitung von
Misserfolgen
- Zähigkeit In der Verfolgung eigener Ziele
bei gleichzeitiger Abwehr von Ablenkungen und/oder alternativen
Versuchungen
Literaturhinweis
- Joachim HOFFMANN - Monika KNOPF
Der Erwerb formaler Schlüsselqualifikationen
in:
Franz E. WEINERT (Hrsg.)
Psychologie des Lernens und der Instruktion
Enzyklopädie der Psychologie D I Bd.2, S. 49 - 82
Göttingen 1996
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Ausgearbeitet von: Dr. Manfred Rosenbach -
letzte Änderung am: 15.01.08
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