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»Identität«
Übersicht
1.0 Ein Modebegriff
?
1.1
Begriff und Funktion
1.2 Definitionen
2.0 Identitätsfindung - das zentrale Thema
2.1 Zwei Komponenten von Identität
2.2 Zeit und Zukunft - die dritte
Komponente von Identität
3.0 Ansätze zur Beschreibung von Identität
4.0 Identität nach Gottfried
HEINELT
5.0 Identität nach James GARBARINO
5.1 Das Konzept
5.2 Sozialisationsbedürfnisse des Jugendlichen
5.3 Der
Übergang von der Kindheit zur Jugend
5.4 Der Übergang von der Jugend zum Erwachsenenalter
5.5 Folgerungen
6.0 Anhang:
»Entwicklungsaufgaben«
7.0 Literaturnachweis
1.0 Ein
Modebegriff ?
1.1 Begriff und
Funktion
Der Begriff »Identität« scheint
ein Modebegriff geworden zu sein. Er ist nicht eindeutig definiert und wird uneinheitlich
verwendet. Dennoch enthält er einen wichtigen Begriffskern, der in Psychologie und
Soziologie gemeinsam ist. Er lässt sich in dieser schlichten Frage beschreiben:
Wer bin ich?
Der Begriff Identität besagt, dass ein
Individuum zu einer geschlossenen Einheit heranwächst. Erst so kann es sich wirkungsvoll
mit der sozialen Umwelt auseinandersetzen.
In letzter Zeit ist für den Begriff Identität auch der Begriff
Selbstkonzept" üblich geworden.
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1.2
Definitionen
Zunächst seien zwei provisorische
Definitionen vorgestellt.
- Definition 1
Identität ist die Überzeugung des Menschen, inmitten des Wechsels der
eigenen Entwicklung und bei Veränderung der Umwelt derselbe/dieselbe Person
zu bleiben.
- Definition 2
Identität definiert eine Person als einmalig und unverwechselbar -
und zwar in zweierlei Hinsicht:
o durch das Individuum selbst,
o durch die soziale Umgebung.
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2.0 Identitätsfindung
- das zentrale Thema
Seine Identität zu finden ist das zentrale
Problem des jungen Menschen.
Es schließt alle anderen Entwicklungsaufgaben (Details
im Anhang) und Probleme des Jugendalters in sich ein:
- die Ablösung vom Elternhaus,
- die Anerkennung der
Geschlechtsrolle,
- die Vorbereitung auf den Beruf,
- die Auseinandersetzung mit den
tradierten Werten.
- Die Übernahme von beruflichen
Aufgaben, die Gründung einer Familie sowie Verantwortung in der Gesellschaft vertiefen
und erweitern die Identität.
Insgesamt ist Identitätsfindung ein lebenslanger
Prozess, der das Individuum immer wieder mit Problemen konfrontiert. Auf
der Webseite "Entwicklung
der Persönlichkeit -
eine Abfolge »psycho-sozialer Krisen«" wird
dieses Thema im Einzelnen entfaltet.
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2.1 Zwei
Komponenten von Identität
Wie aus der zweiten Definition folgt,
enthält Identität - was ein Individuum wirklich" ist - zwei Komponenten, und
zwar
- die Person, für die man sich selbst
hält;
- die Person, für die einen die anderen
halten.
Dafür sind auch die Begriffe privates
Selbst" und soziales Selbst" üblich. Da die persönliche
Identität vor allem eine kognitive Leistung der Begriffsbildung ist, spricht man
neuerdings auch vom Selbstkonzept.
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2.2 Zeit und
Zukunft - die dritte Komponente von Identität
Der Aufbau von Identität findet in der
Zeit und im Hinblick auf ein zukünftiges Leben statt. So tritt zu den beiden erörterten
Komponenten eine dritte hinzu; sie besteht in folgenden Fragen:
- Wie möchte ich werden, und wie glaube
ich zu werden?
- Wie möchten andere mich haben, und
welches Entwicklungsergebnis erwarten sie?
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3.0 Ansätze
zur Beschreibung von Identität
Im Folgenden werden zur Vertiefung und
Beschreibung von Identität sowie zur Verständigung über deren zentrale Aspekte zwei im
Einzelnen unterschiedliche Ansätze vorgestellt. Sie stammen von Gottfried HEINELT
und James GARBARINO.
Das von Erik ERIKSON entwickelt Konzept wird auf
der Webseite Entwicklung der Persönlichkeit -
eine Abfolge »psycho-sozialer Krisen«" gesondert vorgestellt.
»Identität« ist auch Gegenstand der Gehirnforschung.
Vertiefungen dazu finden Sie auf der Webseite "Ich
und Persönlichkeit - Ihre Entwicklung in der Sicht der Neurowissenschaften".
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4.0 Identität
nach Gottfried HEINELT
HEINELT sieht vier
Betrachtungsebenen:
- Identität setzt Selbstwahrnehmung und
Selbstreflexion voraus.
- Identität seht im Spannungsfeld von Sein
und Sein-Können.
- Identität beruht auf Selbstannahme.
- Identität wird über die Gruppe
vermittelt.
Für den erfolgreichen Verlauf von
Identitätsbildung und -findung - die Feldunabhängigkeit" - sieht HEINELT
folgende Merkmale:
- Einsicht in das eigene Innenleben,
- aktive Auseinandersetzung mit der Umwelt
statt passiver Hinnahme,
- kräftiges Selbstgefühl,
- Bereitschaft, die eigenen Besonderheiten
zu akzeptieren.
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5.0 Identität
nach James GARBARINO
5.1 Das Konzept
James GARBARINO bettet
sein Verständnis von Identitätsfindung in das Wechselspiel von Entwicklung und
Sozialisation ein und formuliert folgende Grundannahmen in Form von Thesen.
- Entwicklung findet immer im sozialen
Kontext statt - freilich nicht in einer abstrakten Gesellschaft", sondern in
konkreten Bezügen: in Familien, die in eine Nachbarschaft eingebettet sind, und Schulen,
die Teil einer Gemeinde sind.
- Ein günstiges Klima der sozialen Umwelt
ist für die menschliche Entwicklung von zentraler Bedeutung. Aus der Sicht des
Individuums und der Gruppe ist die Balance von belastenden und entlastenden
Bedingungen besonders wichtig.
- Wichtige menschliche Phänomene werden
durch eine Vielzahl von Faktoren bestimmt. Dabei sind nicht die Haupteffekte
untersuchungswürdig, sondern vor allem die Ergebnisse von Wechselwirkungen.
- Menschliche Entwicklung wird weitgehend
von Kräften geformt, die den sich entwickelnden Organismus gar nicht direkt berühren.
Diese Effekte zweiter Ordnung" sind jedoch der Schlüssel zum Verständnis von
Entwicklungsphänomenen.
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5.2
Sozialisationsbedürfnisse des Jugendlichen
Als die beiden wichtigsten
Sozialisationsbedürfnisse des Jugendlichen beschreibt GARBARINO
- das Bedürfnis, sein Selbstkonzept mit den
biologischen, kognitiven und sozialen Veränderungen, die den Übergang von der
Kindheit zur Jugend begleiten, in Einklang zu bringen;
- das Bedürfnis, Schlüsselrollen der
Erwachsenen zu lernen und einzuüben, um auf diese Weise den Übergang von der Jugend
zum Erwachsenenalter zu meistern.
5.3 Der
Übergang von der Kindheit zur Jugend
Für diese Zeit kommt es besonders darauf
an, ob der Jugendliche tragfähige und dauerhafte mitmenschliche Beziehungen hat. Sie
müssen im Wesentlichen folgende Bedingungen erfüllen:
- Von Personen stammende, ermutigende und
konstruktive Rückmeldungen über Verhalten und Entwicklung;
- Unterstützung bei dem Bemühen, mit den
eigenen Emotionen zurechtzukommen und affektive Impulse zu kontrollieren;
- Definition von Erwartungen;
- Integration und Einbindung in größere
Gemeinschaften.
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5.4 Der
Übergang von der Jugend zum Erwachsenenalter
Für diese Zeit am bedeutsamsten ist das Rollenproblem.
Der Übergang von einer ehe psychologisch zu verstehenden Kindheit in ein eher
soziologisch zu deutendes Erwachsenenalter macht die eigentliche Dynamik aus.
Erwachsensein lässt sich im Wesentlichen
durch drei Rollen beschreiben. Sie begründen die Familie als eine Einrichtung
- für die biologische Reproduktion,
- als eine ökonomische Einheit,
- als eine politische Einheit.
Mithin basieren Familien auf den Rollen
- des Arbeiters,
- des Erzeugers,
- des Bürgers.
Die Lebensqualität Jugendlicher lässt
sich daran messen, ob Anreiz und Gelegenheit gegeben sind, diese Rollen zu meistern.
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5.5 Folgerungen
Auf dieser Grundlage ergeben sich wichtige
Folgerungen.
- Die verantwortungsvolle Ausübung dieser
Rollen ist die funktionale Beschreibung kompetenten Erwachsenenseins. Sie kann ohne
wirksame Unterstützung des Jugendlichen nicht gemeistert werden. Der Abstand zwischen der
idealen und der tatsächlichen Rolle ist ein wichtiges Merkmal für die
Lebensqualität einer Gesellschaft.
- Das Erlernen einer Rolle,
insbesondere der
des Erwachsenen, vollzieht sich weitgehend durch das Lernen am Modell. Dabei kommt
es darauf an, ob der Lernende motiviert ist, die Rolle des Modells zu übernehmen, und ob
die Rolle als ausführbar erlebt wird.
- Erwachsenenrollen werden abgewertet, wenn
die Werte, die mit Arbeit, Familienleben und Bürgerschaft verbunden sind,
untergraben und dadurch entwertet werden. Erwachsensein wird unmöglich gemacht, wenn
o der Zugang zum Beruf verwehrt wird
o und die Kosten, die es mit sich bringt, gute Eltern und gute Bürger zu
sein,
die Möglichkeiten des einzelnen überschreiten.
Die sozialen und
kulturellen Veränderungen der Gegenwart lassen es für die jungen Menschen
immer schwieriger werden, in ihrer Entwicklung sich in gesellschaftliche
Systeme zu integrieren und dabei zugleich eine personale Identität
aufzubauen. Die nehmende Individualisierung hat erschwerende Folgen (nach
Ulrich BECK 1996):
- Die Menschen werden aus
ihren traditionellen Sozialformen herausgelöst, deren Bindungswirkungen
lassen zunehmend nach.
- Die traditionellen
Sozialisationsinstanzen werden infragegestellt und verlieren an
Bedeutung. Selbstverständliche Sicherheiten in Handlungswissen,
Glauben, Wert- und Normvorstellungen, Interaktionsformen gehen verloren.
- Neue Formen der sozialen
Einbindung führen zu Standardisierung und Abhängigkeit von
Institutionen.
Somit ist deutlich, dass in der
gegenwärtigen Situation die Identitätsfindung junger Menschen gefährdet ist und sie in
besonderem Maße auf verständnisvolle Begleitung angewiesen sind.
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6.0
Anhang: »Entwicklungsaufgaben«
Das Konzept der Entwicklungsaufgaben
wurde von Robert J. HAVINGHURST erarbeitet. Dessen zentraler Gedanke
besteht darin, Entwicklungsaufgaben als Lernaufgaben zu verstehen.
Entwicklung ist ein danach ein Lernprozess, der die gesamte Lebensspanne
umfasst und in der Auseinandersetzung mit den realen Anforderungen des
Lebens in der menschlichen Gesellschaft verläuft. Drei zentrale
Aspekte sind zu nennen:
- physische Reifung,
- gesellschaftliche
Erwartungen,
- individuelle Zielsetzungen
und Werte.
Die speziellen
Entwicklungsaufgaben des Jugendalters, insbesondere des Übergangs zwischen
Kindheit und frühem Erwachsenenalter, lassen sich in folgender Übersicht
darstellen (Rolf OERTER - Leo MONTADA 1982, S. 270). Hier nicht sichtbar zu
machen sind die vielfältigen Vernetzungen zwischen den einzelnen Aufgaben; sie sind
jedoch offenkundig.
Eine zeitgemäß
modifizierende Erörterung des Konzepts finden Sie bei Gerold BECKER (2006,
S. 26 f.). Trotz aller gesellschaftlichen Verwerfungen und
Fehlentwicklungen, die gegenwärtig zu beobachten sind, sind jedoch dessen
Grundstrukturen weiterhin gültig.
Mittlere
Kindheit
(6 - 12 Jahre) |
Adoleszenz
(12 - 18 Jahre) |
frühes
Erwachsenenalter
(18 - 30 Jahre) |
1.
Erlernen körperlicher Geschicklich-
keit, die für gewöhnliche Spiele notwendig ist. |
1.
Neue und reifere Beziehungen zu Altersgenossen beiderlei Geschlechts
aufnehmen. |
1.
Auswahl eines Partners. |
2.
Aufbau einer positiven Einstellung zu sich als einem wachsenden
Organismus. |
2.
Übernahme der männlichen bzw. weiblichen Geschlechtsrolle. |
2.
Mit dem Partner leben lernen. |
3.
Lernen, mit Altersgenossen zurechtzukommen. |
3.
Akzeptieren der eigenen körper-
lichen Erscheinung und effektive Nutzung des Körpers. |
3.
Gründung einer Familie. |
4.
Erlernen eines angemessenen männlichen oder weiblichen sozialen
Rollenverhaltens. |
4.
Emotionale Unabhängigkeit von den Eltern und anderen Erwachsenen. |
4.
Versorgung und Betreuung der Familie. |
5.
Entwicklung grundlegender Fertig-
keiten im Lesen, Schreiben und Rechnen. |
5.
Vorbereitung auf Ehe und Familien-
leben. |
5.
Ein Heim herstellen, den Haushalt organisieren. |
6.
Entwicklung von Konzepten und Denkschemata, die für das Alltags-
leben notwendig sind. |
6.
Vorbereitung auf eine berufliche Karriere. |
6.
Eintritt in den Beruf. |
7.
Entwicklung von Gewissen, Moral und einer Wertskala. |
7.
Werte und ein ethisches System erlangen, das als Leitlinie für
Verhalten dient - Entwicklung einer Ideologie. |
7.
Verantwortung als Staatsbürger ausüben. |
8.
Erreichen persönlicher Unabhängigkeit. |
8.
Sozial verantwortliches Verhalten erstreben und erreichen. |
8.
Eine angemessene soziale Gruppe finden. |
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7.0
Literaturnachweis
Die vorstehenden beruhen im Wesentlichen
auf folgenden Veröffentlichungen:
-
Gerold
BECKER - Imbke BEHNKEN - u.a. (Hrsg.)
Lernen
Wie sich Kinder und Jugendliche Wissen und Fähigkeiten aneignen
Schüler 2006
Seelze 2006
-
James GARBARINO
Entwicklung im Jugendalter
Eine ökologische Perspektive
in:
Leo MONTADA
Brennpunkte der Entwicklungspsychologie
Stuttgart 1979, S. 300 ff.
-
Robert
J. HAVINGHURST
Developmental tasks and education
New York 1948, 7. Auflage 1982
-
Gottfried HEINELT
Einführung in die Psychologie des Jugendalters
Freiburg 1982
-
Regine
KATHER
Person
Die Begründung menschlicher Identität
Darmstadt 2006
-
Rolf OERTER - Leo MONTADA
Entwicklungspsychologie
Ein Lehrbuch
München 2002, 5. vollständig überarbeitete Auflage
-
Matthias
TRAUTMANN (Hrsg.)
Entwicklungsaufgaben im Bildungsgang
Wiesbaden 2005
Ein zusammenfassendes
Literaturverzeichnis für die Themengruppe "Entwicklungspsychologische Grundlagen des
Unterrichts finden Sie auf der Webseite "Literaturgrundlage".
Dort
wird auch eine Folge von Aufsätzen vorgestellt, die Ergebnisse der
Hirnforschung auf die Frage nach der menschlichen Persönlichkeit und ihrer
Entstehung anwendet.
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Ausgearbeitet von: Dr. Manfred Rosenbach -
letzte Änderung am: 15.01.08
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