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Die Kunst des Fragens

Vorbemerkung

Die Frage als Lenkungsmittel des Unterrichts ist immer wieder Gegenstand kritischer Besinnung gewesen. Die am tiefsten gehende Kritik ist von Hugo GAUDIG formuliert worden (vgl. dazu die Webseite „H.G. kritisiert die Lehrerfrage"). Letzthin hat Hugo Stefan JAWORSKI in der Deutschen Lehrerzeitung (45/1993) einige Überlegungen vorgetragen, die hier vorgestellt werden. Der Autor ist Berufsschullehrer an der Axel-Bruns-Schule Celle.

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Gibt es sie - die Kunst des Fragens?

Aus Erfahrung weiß ich, wenn ich etwas wissen will, muß ich fragen. Das Wissenwollen ist so untrennbar mit dem Fragenkönnen verbunden. Wie ist das aber mit dem Fragenkönnen? Diese Frage zu beantworten, müßte mir leicht fallen, wo ich doch als Lehrer dauernd mit Fragen hantiere.

Weit gefehlt - unterscheide ich doch schon für mich zwei Kategorien von Fragen, die natürlichen und die artifiziellen. Natürliche Fragen stelle ich immer dann, wenn ich etwas nicht weiß - es also um die Vermehrung meines Wissens geht. Diese Art Fragen stehen immer am Anfang eines Lernprozesses, eines Prozesses, der mich verändert. Denn wenn mein Wissen auch nur um ein Lot zunimmt, habe ich mich ein Stück weit verändert. Um dieses Veränderungsprozesses willen findet Schule statt, besser noch, sollte Schule stattfinden.

Wie sieht die Wirklichkeit aus? Wir pflegen doch landauf, landab die Kunst des Fragens, um Schülern zu beweisen, daß sie keine Ahnung haben (das nennen wir dann Leistungskontrolle), um sie zu disziplinieren, um ihnen zu zeigen, daß sie auf dieser Schule eigentlich nichts zu suchen haben, um unseren Ärger, unsere Frustrationen auszuleben und, und, und ...

Alle diese Fragen nenne ich artifiziell - künstlich, weil sie einen Veränderungsprozeß bewirken, für den sie nicht beabsichtigt sind. Frage ich Schüler nach ihren Erfahrungen mit Fragen, so stelle ich immer wieder fest, daß sie diese artifiziellen Fragen fürchten und - unter ihnen leiden. Die Ängste und Leiden führen bei Schülern zur Unfähigkeit des Fragenkönnens und Fragenstellens.

Haben artifizielle Fragen also eine Wirkung, die den Lernprozeß eher behindert als fördert, sollte ich sie als einsichtiger Pädagoge lassen. Geht es mir doch darum, Lernprozesse in Gang zu bringen und in Gang zu halten - wenn möglich ein Leben lang.

Ich nehme folglich Abschied von artifiziellen Fragen - und stehe als praktizierender Pädagoge vor dem Nichts. Natürlich fragen, kann ich das überhaupt noch? Ich weiß doch so unendlich viel über meine Fächer, über das Leben, über die Schule, über, über, über ... Verzeihen Sie mir die Ironie. Seitdem meine Schüler und ich uns aufgemacht haben, natürlich zu fragen, entsteht eine Welt mit ganz neuen Dimensionen. Fach und fachliche Lösungen werden dynamisch. Schule entwickelt sich zum Ort des Fragens und Antwortensuchens. Die Arbeit in der Schule macht wieder Spaß.

Trotz aller Freude über die mögliche Lösung, ist die Frage noch nicht beantwortet, wie man natürlich fragt. Machen wir uns auf den Weg.

Jahrzehnte sind vergangen seit unserer Kinderzeit, als wir die Kunst des natürlichen Fragens beherrschten, als wir Eltern und allen, von denen wir meinten, daß sie es wissen müßten, "Löcher in den Bauch" fragten. Zu dieser Quelle müssen wir zurückkehren. Das ist nach so langer Zeit nicht immer leicht. Der Lohn des Zurückkehrens jedoch ist unvergleichlich hoch. Wir könnten mit unseren Schülern über die Welt, in der wir leben, staunen und fasziniert sein und letztlich, als Wichtigstes, uns freuen zu leben.


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Dieser Text wurde bearbeitet von:     Dr. Manfred Rosenbach -       letzte Änderung am: 15.01.08
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