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Erkenntnistheoretischer Ansatz

Die Formalstufen

1.0 Gliederung des Unterrichts - erkenntnistheoretisch gesehen

1.1 Johann Friedrich HERBART und die Didaktik

Johann Friedrich HERBART (1776 - 1841), Kants Nachfolger auf dem Königsberger Lehrstuhl für Philosophie, ist der erste moderne Didaktiker. Mit seinem weitgespannten pädagogischen Arbeiten hat er Pädagogik und Didaktik als Wissenschaften begründet und deren weitere Entwicklung entscheidend geprägt.

HERBARTs Schüler Karl Volkmar STOY (1815- 1885), Tuiskon ZILLER (1817 - 1882) und Wilhelm REIN (1847 - 1929) haben seine didaktischen Theorien aufgenommen, sie modifiziert und zur allgemein verbindlichen Grundlage von Unterricht ausgebaut. Ihre Lehre von den Formalstufen hat die Unterrichtspraxis lange Zeit geprägt.

In der didaktischen Theorie und der unterrichtlichen Praxis sind auch nach der Gegenbewegung der Reformpädagogik bis auf den heutigen Tag Elemente aus HERBARTs Didaktik präsent. Beachtet man deren Grenzen, so können ihre Vorzüge einen Beitrag zur Professionalisierung von Unterricht leisten.

Im Übrigen wäre es nicht gerecht, HERBART für eine Wirkungsgeschichte verantwortlich zu machen, die gar nicht in seiner Absicht lag.

1.2 HERBARTs wissenschaftlicher Ansatz

HERBART legte seiner Lehre von den Formalstufen einen erkenntnistheoretischen und assoziationspsychologischen Ansatz zugrunde. Er nahm an, die von ihm entwickelten bzw. aufgefundenen Gesetze des Unterrichts hätten universelle Gültigkeit.

Danach fügt sich ein Wissenselement an das andere, assoziiert sich mit den bereits vorhandenen und baut schließlich einen "Gedankenkreis" auf.

Im Unterricht bietet der Lehrer ein neues Wissenselement so an, das der Schüler es aufnehmen und in seinen Vorstellungsbestand eingliedern kann.

Jeder Neuerwerb von Wissen durchläuft also eine Folge von Stufen, die im Anschluss an J. J. WOLFF (1913) als »Formalstufen« bezeichnet werden. Deshalb muss auch jeder Unterricht diese Stufenfolge beachten.

Unterricht ist für Herbart immer ein erziehender Unterricht. Er soll der Oberflächlichkeit durch Vertiefung und der falschen Vielseitigkeit durch Besinnung vorbeugen. Zu diesem immer noch  aktuellen Thema finden Sie weitere Informationen auf der Webseite "Erziehender Unterricht".

2.0 Die Formalstufen

2.1 HERBARTs Urform

HERBARTs Grundannahmen sind eine theoretische, gleichsam prinzipielle Darstellung des Erkenntniserwerbs. Aus analytischen Gründen beschreibt HERBART den Lernprozess als eine Abfolge von Phasen oder Stufen. Er hat sie jedoch nicht als Gliederungsschema der einzelnen Unterrichtsstunde entworfen.

  • Phase der Vertiefung

1. Stufe - Klarheit
Das Vorwissen der Schüler wird geordnet und für den Unterricht bereitgestellt. Im Vorwissen wird also Klarheit geschaffen.

2. Stufe - Assoziation
Der Unterricht bietet den Schülern neue Wissenselemente an; die Schüler nehmen sie auf, assoziieren sie.

  • Phase der Besinnung

3. Stufe - System
Die Schüler ordnen die neu erworbenen Vorstellungen systematisch in den bereits vorhandenen Wissensbestand ein.

4. Stufe - Methode
Das neu erworbene (assoziierte) und eingeordnete (systematisierte) Wissenselement muss noch zu Bewusstsein gebracht, d. h. eingeübt und angewendet werden. Dieser Schritt heißt Methode.

2.2 Die Formalstufen als Unterrichtsprinzip

Tuiskon ZILLER

ZILLER übertrug die Formalstufen auf die Unterrichtspraxis und machte sie zu einer Unterrichtstechnik. Die Stufe der Klarheit gliederte er in Analyse und Synthese auf, so dass nunmehr fünf Stufen entstehen.

1. Stufe - Analyse
Zielangabe, Einstimmung und Aktivierung des Gedankenkreises bereiten die eigentliche Darbietung des Stoffes durch den Lehrer vor.

2. Stufe - Synthese
Der neue Stoff tritt hinzu. Er wird durch Vortrag, Erzählung, Vorlesen, fragend-entwickelndes Gespräch verfügbar gemacht.

3. Stufe - Assoziation
Die neuen Vorstellungen werden mit den alten verknüpft. Die Vergleichung führt zur Darstellung des Gemeinsamen.

4. Stufe - System
Die allgemein gewonnene Erkenntnis wird in eine Regel, ein Gesetz, einen Grundgedanken gefasst.

5. Stufe - Methode
Das Wissen wird in Können überführt, auf Einzelfälle angewendet und im Gebrauch des Neuen geübt.

Wilhelm REIN

REIN übernahm diese fünf Formalstufen und machte sie durch deutsche Bezeichnungen leichter verständlich. Sie heißen jetzt

  • Vorbereitung
  • Darbietung
  • Verknüpfung
  • Zusammenführung
  • Anwendung

3.0 Kritische Würdigung

3.1 Die Intention dieses Bausteins

Ohne Zweifel haben HERBART, STOY, ZILLER und REIN grundsätzliche Aspekte von Kenntniserwerb beschrieben. Sie sind auch heute noch im Unterricht präsent und können immer wieder beobachtet werden.

Dennoch ist es nicht die Intention dieses Bausteins, diese Gliederungsprinzipien gleichsam zu propagieren. Sie werden vor allem deswegen vorgestellt, weil nur so die historische Dimension didaktischen Nachdenkens gewonnen werden kann und die Würdigung anderer Gliederungsmodelle möglich ist.

3.2 Gegenbewegungen

Die Formalstufen waren ursprünglich ein fortschrittlicher Ansatz. Autoritäre Durchsetzung und schematisch-öde Anwendung haben jedoch zu deren dogmatischer Erstarrung geführt und ihren Wert verschüttet (vgl. dazu Franz E. WEINERT, 1996, S. 26). So kam es um die Jahrhundertwende in der Reformpädagogik zu mächtigen Gegenbewegungen.

Die Arbeitsschule

Die Auseinandersetzung mit den Herbartianern ist vor allem von Hugo GAUDIG und Otto SCHEIBNER geführt worden. Ihre Kritik war grundsätzlich erzieherisch orientiert. Die von ihnen entwickelte Theorie der Arbeitsschule wollte die Schüler durch freie geistige Selbsttätigkeit zur Persönlichkeit heranbilden.

Lernpsychologische Ansätze

Ein wesentlicher Neuansatz zur Gliederung des Unterrichts folgte aus modernen lernpsychologischen Erkenntnissen. Sie wurden im Anschluss an John DEWEY und Walter GUYER vor allem von Heinrich ROTH in die didaktische Diskussion und Praxis eingeführt. Dazu finden Sie Informationen auf der Webseite „Lernpsychologischer Ansatz - Sechs Schritte des Lernens".

4.0 Nachweise

  • »Formalstufen«
    in:
    Otto WILLMANN - Ernst Max ROLOFF
    Lexikon der Pädagogik
    Freiburg i.Br. 1913, Band 1, S. 1336 - 1342

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  • Franz E. WEINERT
    Lerntheorien und Instruktionsmodelle
    in:
    WEINERT
    Psychologie des Lernens und der Instruktion
    Enzyklopädie der Psychologie
    Themenbereich D, Ser. 1, 
    Pädagogische Psychologie, Band 2, S. 1- 48

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Ausgearbeitet von:     Dr. Manfred Rosenbach -        letzte Änderung am: 18.05.23
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