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Legalität, Legitimität,
Loyalität
Übersicht
1.0 Der Problemhorizont
1.1 Gesetzestreue in der Zeit des
Nationalsozialismus
1.2 Regierungskriminalität"
- auch ein Problem der Gegenwart
2.0 Das Grundproblem
2.1 Kann Gehorsam Unrecht sein?
2.2 Legalität und Legitimität im Verfassungsrecht
2.3 Gesetzliches Unrecht und
übergesetzliches Recht"
3.0 Legalität und Legitimität in der Bundesrepublik Deutschland
3.1 Grundlagen
3.2 Die zentralen Vorschriften des
Grundgesetzes
3.3 Zehn Thesen zur Loyalität
3.4 Ein notwendiger Kommentar
zum Begriffsverständnis
4.0 Zusammenfassung
5.0 Literaturnachweis
6.0 Anhang: Ausführliche Textzitate
1.0 Der
Problemhorizont
Alle Staaten haben in Geschichte und
Gegenwart an ihre Bürger den Anspruch auf Gehorsam - Loyalität (Gesetzestreue) -
gerichtet. Immer geht es bei der Erörterung dieses zentralen Thema um die Frage, ob und
unter welchen Bedingungen ein politischer Anspruch auf Gehorsam rechtmäßig ist.
Allgemeiner formuliert, geht es in Politik und Gesellschaft um das Verhältnis von Rechtstaatlichkeit
und Gerechtigkeit.
Dass dieses Verhältnis spannungs- und
konfliktreich sein kann, zeigt der bittere Ausspruch der Bürgerrechtlerin Bärbel
BOHLEY:
Wir wollten
Gerechtigkeit - und bekamen den Rechtsstaat."
Wie sich der Begriff »Rechtsstaat«
entwickelt hat und was sein Inhalt sein kann oder sollte, kann hier nicht
dargestellt werden. Nachlesen lässt es sich bei Ernst-Wolfgang BÖCKENFÖRDE
(2000, S. 143 - 169).
1.1
Gesetzestreue in der Zeit des Nationalsozialismus
Die geistige Auseinandersetzung mit dem
Nationalsozialismus und der von ihm errichteten Gewaltherrschaft hat unser
Bewusstsein für diese Problematik geschärft und die schrecklichen Folgen kritikloser
Loyalität in exemplarischer Weise deutlich gemacht.
Der Respekt vor dem geschriebenen Recht und mangelnde
geistige Kraft haben damals viele Menschen zu erkennen gehindert, dass Hitler und seine
Gefolgsleute dem Unrecht das Gewand des Rechtes umgelegt hatten. Das begann mit dem
Ermächtigungsgesetz" vom 24. März 1933. Es folgten u.a. das Gesetz zur
Wiederherstellung des Berufsbeamtentums" vom 7. April 1933 und die sog. Nürnberger
Gesetze vom September 1935, die insbesondere der Entrechtung der Deutschen jüdischer
Herkunft dienten.
Vor allem den Juristen, insgesamt auch den Beamten
und den Offizieren wird vorgeworfen, ihr kritikloser Gesetzesgehorsam habe das
Funktionieren der Gewaltherrschaft überhaupt erst möglich gemacht. Sie alle waren
jedoch durch ihre Ausbildung dem Rechtspositivismus verpflichtet. Für diese Denkschule
sind - plakativ formuliert - Gesetz und Recht identisch. Ihren exemplarischen
Ausdruck fand dieses Denken später in dem Ausspruch von Hans Filbinger (ehemals
Ministerpräsident von Baden-Württemberg, als früherer Marinerichter an Todesurteilen
beteiligt):
Was damals
Recht war, kann heute nicht Unrecht sein."
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1.2
Regierungskriminalität" - auch ein Problem der Gegenwart
War die DDR ein Unrechtsstaat? Diese
Frage wird in der politischen Auseinandersetzung und in der Rechtsprechung unterschiedlich
beantwortet. Selbstverständlich galt in der DDR wie in jedem modernen Staat eine in
Gesetzen ausgestaltete Rechtsordnung. Dennoch gab es auch Gesetze, die den durch die
UN-Deklaration der Menschenrechte vorgegebenen Standards nicht entsprachen und Unrecht in
Gesetzesform waren. Als Beispiel kann hier das Grenzgesetz von 1982 genügen. Für Egon
Krenz, den ehemaligen Staatsratsvorsitzenden der DDR, war das ebenso wenig einsichtig wie
ehedem für Hans Filbinger.
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2.0 Das
Grundproblem
2.1 Kann
Gehorsam Unrecht sein?
Kann ein Mensch Unrecht tun, wenn er den
Gesetzen und den Anordnungen der staatlichen Ordnung folgt, in der er lebt?
Diese Frage und mögliche Antworten sind in einen komplexen
Horizont eingebettet und berühren außer der Rechtslehre Grundfragen von Philosophie
(Erkenntnistheorie einschließlich Ideologiekritik, Ethik, Rechtsphilosophie), Theologie,
Staatstheorie und Politikwissenschaft.
Im Kern geht es immer um die Möglichkeit, wenn nicht gar
Tatsache, dass von Menschen gesetztes Recht in einen Konflikt mit der Idee der
Gerechtigkeit" (BVerfGE 3, 233) gerät. Sie ihrerseits wird - in welcher Form
immer - als vorgegeben (transzendent) und als menschlicher Setzung entzogen verstanden.
Diesem Denken entspricht vor allem die im Naturrecht wurzelnde Überzeugung, dass
es unveräußerliche Menschen- und Freiheitsrechte gebe. Vertiefungen zu diesem
Thema finden Sie auf der Webseite Naturrecht - ein
Klärungsversuch".
Um einem möglichen Missverständnis vorzubeugen:
Keinesfalls dienen diese Überlegungen dazu, den Rang der geschriebenen Gesetze
herabzusetzen. Im Gegenteil: Ohne wenn und aber geltende Gesetze sind die unerlässliche
Voraussetzung für eine Rechtssicherheit, auf die sich alle Bürger verlassen können und
die damit Gerechtigkeit möglich macht.
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2.2 Legalität
und Legitimität im Verfassungsrecht
Fachsprachlich formuliert, handelt es
sich um den Gegensatz von Legalität und Legitimität.
Gesetze und die in ihnen ausgesprochenen Gebote sind zwar legal,
d.h. rechtmäßig und formal korrekt, können jedoch inhaltlich illegitim, also
ungerecht sein. Umgekehrt kann es ein Verhalten von Bürgern geben, das inhaltlich legitim
ist, jedoch gegen geltendes Recht verstößt und damit illegal ist.
Exemplarisch für diese Problematik sei aus einem Urteil des
Bundesgerichtshofes vom 29. Januar 1952 (1 StR 563/51, BGHSt 2, 234 [237]) zitiert, in dem
die Mitwirkung an der Deportation der Juden in die Vernichtungslager strafrechtlich
gewürdigt wurde.
Die Freiheit eines Staates, für
seinen Bereich darüber zu entscheiden, was Recht und was Unrecht ist, mag noch so weit
bemessen werden, sie ist doch nicht unbeschränkt."
Die Bundesrichter beschreiben (a.a.O.)
als Grenze dieser Freiheit den
Kernbereich des
Rechts, der nach allgemeiner Rechtsüberzeugung von keinem Gesetz und keiner
obrigkeitlichen Maßnahme verletzt werden darf. Er umfaßt bestimmte als
unantastbar geltende Grundsätze des menschlichen Verhaltens, die sich bei allen
Kulturvölkern auf dem Boden übereinstimmender sittlicher Grundanschauungen im Laufe der
Zeit herausgebildet haben."
Der Übersichtlichkeit halber ist die
Passage gekürzt worden. Sie finden den vollständigen Text, eine weitere wichtige Passage
aus der Urteilsbegründung sowie Hinweise auf die Rechtsprechung des
Bundesverfassungsgerichts im Anhang.
Der hier beschriebene Gegensatz tritt nicht nur in Staaten mit
vor- oder undemokratischen Verfassungen auf, sondern auch in Staaten, deren Verfassungen
den Ideen der Aufklärung verpflichtet sind. Die Vereinigten Staaten sind dafür ein
Beispiel, dessen Widersprüchlichkeit die beiden Namen Henry David THOREAU und Martin
Luther KING aufzeigen.
So gibt es eine Reihe von Verfassungen, die im Anschluss an
Artikel 2 der Erklärung der Menschenrechte" vom 26. August 1789 ein Recht
auf Widerstand einräumen.
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2.3
Gesetzliches Unrecht und übergesetzliches Recht"
Die hier dargestellte Problemlage brach
mit dramatischer Schärfe auf, als nach dem Sturz des NS-Regimes dessen Verbrechen zu
ahnden und deren Täter zur Rechenschaft zu ziehen waren. 1946 hat Gustav
RADBRUCH,
Professor für Strafrecht und Rechtsphilosophie in Heidelberg, in der Weimarer Republik
Justizminister, unter dem in der Überschrift zitierten Titel einen Aufsatz
veröffentlicht, der geradezu kanonischen Rang erhalten hat.
Die zentrale Passage -
oft als Radbruch-Formel" bezeichnet - wird hier zitiert (1946,
S. 106 = 1990, S. 89).
Der Konflikt zwischen der
Gerechtigkeit und der Rechtssicherheit dürfte dahin zu lösen sein, daß das
positive, durch Satzung und Macht gesicherte Recht auch dann den Vorrang hat, wenn es
inhaltlich ungerecht und unzweckmäßig ist, es sei denn, daß der Widerspruch des
positiven Gesetzes zur Gerechtigkeit ein so unerträgliches Maß erreicht, daß das Gesetz
als »unrichtiges Recht« der Gerechtigkeit zu weichen hat.
Es ist unmöglich, eine schärfere Linie zu ziehen zwischen den
Fällen des gesetzlichen Unrechts und den trotz Unrechts dennoch geltenden Gesetzen. Eine
andere Grenzziehung aber kann mit aller Schärfe vorgenommen werden: Wo Gerechtigkeit
nicht einmal erstrebt wird, wo die Gleichheit, die den Kern der Gerechtigkeit ausmacht,
bei der Setzung positiven Rechts bewußt verleugnet wurde, da ist das Gesetz nicht
etwa nur »unrichtiges Recht«, vielmehr entbehrt es überhaupt der Rechtsnatur.
Denn man kann Recht, auch positives Recht, gar nicht anders definieren denn als eine
Ordnung und Satzung, die ihrem Sinn nach bestimmt ist, der Gerechtigkeit zu dienen.
An diesem Maßstab gemessen sind ganze Partien
nationalsozialistischen Rechts niemals zur Würde geltenden Rechts gelangt."
Wenn Sie sich von der Komplexität der
Materie sowie der Einbettung von RADBRUCHs Argumentationslinien in den zeitgenössischen
Problemzusammenhang einen eigenen Begriff verschaffen wollen, finden Sie den
vollständigen Text des Aufsatzes auf der Webseite .Gesetzliches
Unrecht und übergesetzliches Recht". Neuerdings kann
die bemerkenswerte Entwicklung in RADBRUCHs
Denken bei Christoph M. SCHEUREN-BRANDES (2006) nachvollzogen werden.
Eine ausführliche Darstellung der Problematik finden Sie bei
Wikipedia.
Das Bundesverfassungsgericht hat u.a. in
seinem Urteil vom 18. Dezember 1953 - 1 BvL 106/53 - BVerfGE 3, 225 [232] ausgeführt:
Gerade die Zeit des
nationalsozialistischen Regimes in Deutschland hat gelehrt, daß auch der Gesetzgeber
Unrecht setzen kann, daß also, soll die praktische Rechtsübung solchen geschichtlich
denkbaren Entwicklungen nicht ungewappnet gegenüberstehen, in äußersten Fällen die
Möglichkeit gegeben sein muß, den Grundsatz der materialen Gerechtigkeit höher zu
werten als den der Rechtssicherheit, wie er in der Geltung des positiven Gesetzes für
die Regel der Fälle zum Ausdruck kommt."
Geistesgeschichtliche
Anmerkung
Der Grundgedanke der
Radbruch-Formel - sie zu akzeptieren fällt dem der Gerechtigkeit
verpflichteten Zeitgenossen nicht leicht - findet sich bereits bei Johann
Wolfgang von GOETHE. In der Belagerung von Mainz" schreibt
er:
Es liegt nun einmal
in meiner Natur, ich will lieber eine Ungerechtigkeit begehen, als
Unordnung ertragen." (1986, S. 548 f.)
In den Maximen und
Reflexionen" (833) schreibt er:
Es ist besser, daß
Ungerechtigkeiten geschehen, als daß sie auf ungerechte Weise gehoben
(sic) werden." (1991, S. 867)
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3.0 Legalität
und Legitimität in der Bundesrepublik Deutschland
3.1 Grundlagen
Der Parlamentarische Rat hat sich bei
Formulierung des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland" intensiv
mit den Erfahrungen auseinandersetzt, die uns Hitlers Gewaltherrschaft auferlegt hat. Er
hat daher den Versuch gemacht, Legalität und Legitimität auf das engste miteinander zu
verknüpfen. Das Bundesverfassungsgericht führt dazu (a.a.O. S. 233) fast schon
pathetisch aus:
In entschiedener Abkehr von einer
Haltung, die in Recht und Gerechtigkeit keine Werte zu sehen vermochte, war der
Parlamentarische Rat bemüht, im Grundgesetz die Idee der Gerechtigkeit zu
verwirklichen."
Das Bundesverfassungsgericht hat ferner
in Leitsatz 1 seines Urteils vom 15. Januar 1958 -1 BvR 400/51 - BVerfGE 7, 198, festgestellt:
Die Grundrechte sind in erster
Linie Abwehrrechte des Bürgers gegen den Staat;
in den Grundrechtsbestimmungen des Grundgesetzes verkörpert sich aber auch eine
objektive Wertordnung, die als verfassungsrechtliche Grundentscheidung für alle
Bereiche des Rechts gilt."
Damit bezieht sich das Gericht auf
Feststellung, mit der es bereits 1952 (BVerfGE 2, 12) die Bedeutung der Grundwerte
hervorgehoben hatte:
Die Grundordnung
ist eine wertgebundene Ordnung."
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3.2 Die
zentralen Vorschriften des Grundgesetzes
Als Voraussetzung für alle weiteren
Überlegungen müssen hier die zentralen Vorschriften des Grundgesetzes zitiert
werden.
Artikel 1
(1) Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen
ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.
(2) Das Deutsche Volk bekennt sich darum zu unverletzlichen und unveräußerlichen
Menschenrechten als Grundlage jeder menschlichen
Gemeinschaft, des Friedens
und der Gerechtigkeit in der Welt.
(3) Die nachfolgenden Grundrechte binden Gesetzgebung, vollziehende Gewalt
und Rechtsprechung als unmittelbar geltendes Recht.
Artikel 19
(1) ... (Grundrechte können, soweit sie überhaupt eingeschränkt werden dürfen,
nur durch allgemeines Gesetz eingeschränkt werden.)
(2) In keinem Fall darf ein Grundrecht in seinem Wesensgehalt angetastet werden.
(3) ...
(4) Wird jemand durch die öffentliche Gewalt in seinen Rechten verletzt,
so steht ihm der Rechtsweg offen. ...
Artikel 20
(1) Die Bundesrepublik Deutschland ist ein demokratischer und sozialer Bundesstaat.
(2) Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Sie wird vom Volke in Wahlen und Abstimmungen
und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden
Gewalt
und der Rechtsprechung ausgeübt.
(3) Die Gesetzgebung ist an die verfassungsmäßige Ordnung, die vollziehende Gewalt
und die Rechtsprechung sind an Gesetz und Recht gebunden.
(4) Gegen jeden, der es unternimmt, diese Ordnung zu beseitigen, haben
alle Deutschen
das Recht auf Widerstand, wenn andere Abhilfe nicht möglich
ist.
Artikel 79
(1) ... (Änderung des GG nur durch Gesetz)
(2) ... (Zweidrittelmehrheit in Bundestag und Bundesrat)
(3) Eine Änderung dieses Grundgesetzes, durch welche ... die in den Artikeln 1
und 20
niedergelegten Grundsätze berührt werden, ist unzulässig.
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3.3 Zehn Thesen
zur Loyalität
Aus den vorstehenden Regelungen lassen
sich die folgenden Thesen ableiten:
1. |
In der Bundesrepublik
Deutschland sind Gesetze grundsätzlich nicht nur formal korrekt, also legal. Sie sind
auch legitim, weil sowohl ihre Formulierung als auch ihr Vollzug an die übergeordnete
Gültigkeit der Grundrechte gebunden ist. |
2. |
Bei dieser Sachlage darf von
jedem Bürger Respekt vor dem Gesetz erwartet werden. Der Bürger ist nicht dazu
berechtigt, die Beachtung der Gesetze davon abhängig machen, ob er mit ihnen
einverstanden ist. Gesetzesgehorsam ist immer auch der Respekt vor den Rechten anderer
Menschen. |
3. |
In der Bundesrepublik
Deutschland gilt jedes Gesetz solange als rechtmäßig, wie seine Unrechtmäßigkeit nicht
rechtsgültig festgestellt ist. Diese Feststellung ist allein dem
Bundesverfassungsgericht vorbehalten. |
4. |
Die Gesetzlichkeit hat nicht
nur die Aufgabe, den Bürger vor Übergriffen der staatlichen Gewalt zu schützen, sondern
auch rechtswidrige Handlungen von Bürgern zu unterbinden. Rechtswidrige Willkür, gleich
welcher Art und Begründung, stört den Rechtsfrieden und gefährdet die Freiheit. |
5. |
Die Rechtsordnung des
Grundgesetzes stellt ein umfassendes Instrumentarium (Verwaltungsgerichtsbarkeit,
äußerstenfalls Verfassungsbeschwerde) zur Verfügung, das Abhilfe schaffen kann, wenn
ein Bürger in seinen Rechten verletzt worden sein könnte oder verletzt worden ist. |
6. |
Autonomes", also
eigengesetzliches Handeln ist im wörtlichen Sinne weder legal noch legitim, sondern nur
als freiwillige Bindung an das Sittengesetz (Kategorischer Imperativ")
angemessen und gerechtfertigt. (Wenn Sie sich des Wortlauts vergewissern wollen, klicken
Sie hier.) |
7. |
Auch im freiheitlichen
Rechtsstaat kann der Konflikt zwischen der Notwendigkeit einer verbindlichen Rechtsordnung
und dem Bedürfnis nach Herrschaftsfreiheit nicht aufgelöst werden. |
8. |
Das Prinzip des Pluralismus
schließt es aus, dass irgendeine Gruppe von Menschen ein vermeintlich besseres Wissen
geltend macht. Deshalb gibt es keine Legitimation für Selbstjustiz, eigenmächtiges
Handeln oder direkte Aktionen". Das Mehrheitsprinzip allein, seinerseits
gebunden durch die Verfassungsgarantien, ist Grundlage aller Entscheidungen. |
9. |
Unvollkommenheiten in
Politik und Gesellschaft begründen in keinem Fall Rechtsbruch und Ungehorsam. Für ihre
Behebung gibt es rechtskonforme Möglichkeiten, insbesondere die vom Grundgesetz
garantierte Wahrnehmung der Grundrechte. Ein Blick auf die politischen Entwicklungen der
letzten Zeit zeigt, dass sie wirksamer sind, als es momentaner Ungeduld und Empörung
erscheint. |
10. |
Der Wortlaut des Art. 20
Abs. 4 GG regelt die Frage des Widerstandsrechtes abschließend und restriktiv. Er
beschränkt Widerstand auf die Verteidigung der Ordnung des Grundgesetzes gegen den
Versuch, sie abzuschaffen, und gestattet ihn allein für den Fall, daß nur noch durch
dieses letzte Mittel Abhilfe möglich ist.
In der Bundesrepublik Deutschland gibt es folglich kein
allgemeines Recht auf Widerstand als Mittel der politischen Auseinandersetzung.
Ziviler Ungehorsam" kann auch nicht mittelbar aus dem Grundgesetz als
gerechtfertigt abgeleitet werden. Das gilt selbst für den Fall, daß die Maßnahmen eines
Verfassungsorganes möglicherweise nicht mit dem Grundgesetz übereinstimmen.
Rechtskonforme Zustände auf rechtswidrige Weise herstellen zu
wollen ist ein Widerspruch in sich. Nicht der Zweck heiligt die Mittel, sondern die
Mittel entheiligen den Zweck. |
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Übersicht
3.4 Ein
notwendiger Kommentar zum Begriffsverständnis
Die vorstehenden zehn Thesen wirken
vielleicht formalistisch oder legalistisch. Auch mag die Bindung an die Gesetzlichkeit als
lästige Einschränkung empfunden werden. Vor allem dürfen sie nicht zu schwerwiegenden
Missverständnissen führen. Deshalb bedürfen die Begriffe »Widerstand« und
»Ziviler Ungehorsam« eines Kommentars.
Beide Begriffe sind - jeweils durch ihren zeitgeschichtlichen
Kontext bedingt - emotional überaus positiv besetzt. Sie laden deshalb dazu ein, sie auch
für Verhaltensweisen und Aktivitäten in Anspruch zu nehmen, die ganz anderer Natur sind,
als es die ursprünglich zugrunde liegenden Handlungen waren.
So wird einerseits die vom Grundgesetz garantierte, wenn auch
Anstrengung oder Zivilcourage erforderlich machende Wahrnehmung und Ausübung der
Grundrechte nicht selten begrifflich überhöht. Wenn Bürger ihre Grundrechte wahrnehmen,
mag in der Öffentlichkeit als lästig empfunden werden oder stören, ist aber weder
Widerstand" noch Ungehorsam". Andererseits wird jedoch
rechtswidriges Verhalten immer wieder als Widerstand" oder als ziviler
Ungehorsam" ausgegeben, um berechtigter Kritik daran die sachliche oder moralische
Grundlage zu entziehen. Außerdem muss hier daran erinnert werden, dass das Beamtenrecht
(§ 22 Landesbeamtengesetz) Beamte im Konfliktfall dazu verpflichtet, rechtswidrigen
Aufträgen zu widersprechen und sie nicht auszuführen, wenn ihre Befolgung offensichtlich
gegen geltendes Recht verstieße.
Der Verfasser der »Bausteine« betont, dass seine Ausführungen
allein den Missbrauch der Begriffe abwehren sollen. Im Übrigen will er dazu beitragen,
dass die uns Lehrern anvertrauten jungen Menschen vor Irrtümern bewahrt werden - seien
sie durch Idealismus oder durch bloße Unkenntnis verursacht.
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4.0
Zusammenfassung
In der vordemokratischen Gesellschaft gab
es Freiheit nur für den, der sie sich durch das Recht des Stärkeren"
verschaffen konnte. Die Gewährleistung der Freiheit für alle Menschen durch eine
zuverlässig geltende Rechtsordnung ist ein gesellschaftlicher Fortschritt ersten Ranges,
hinter den man nicht einmal aus edlen Motiven zurückgehen sollte.
Deshalb definiert Immanuel KANT in der
Metaphysik der Sitten, Einleitung in die Rechtslehre" (1983, S. 337) das Recht
als den
Inbegriff der
Regeln,
unter denen die Willkür des einen mit der Willkür des anderen
nach einem allgemeinen Gesetz der Freiheit zusammen vereinigt werden kann."
Anmerkung: »Willkür« ist im zeitgenössischen Sprachgebrauch der »freie Wille«.
Abschließend sei die Schlusspassage aus
RADBRUCHs grundlegendem Aufsatz - vgl. dazu die Webseite Gesetzliches Unrecht und
übergesetzliches Recht" - zitiert (1946, S. 108 = 1990, S. 93):
Wir sind nicht der [...] Meinung,
daß »formaljuristische Bedenken« geeignet seien, »den klaren Tatbestand zu trüben«.
Wir sind vielmehr der Meinung, daß es nach zwölf Jahren Verleugnung der Rechtssicherheit
mehr als je notwendig sei, sich durch »formaljuristische« Erwägungen gegen die
Versuchungen zu wappnen, welche sich begreiflicherweise in jedem, der zwölf Jahre der
Gefährdung und Bedrückung durchlebt hat, leicht ergeben können. Wir haben die
Gerechtigkeit zu suchen, zugleich die Rechtssicherheit zu beachten, da sie selber ein Teil
der Gerechtigkeit ist, und einen Rechtsstaat wieder aufzubauen, der beiden Gedanken nach
Möglichkeit Genüge zu tun hat. Demokratie ist gewiß ein preisenswertes Gut, Rechtsstaat
aber ist wie das tägliche Brot, wie Wasser zum Trinken und wie Luft zum Atmen, und das
Beste an der Demokratie gerade dieses, daß nur sie geeignet ist, den Rechtsstaat zu
sichern."
Daraus folgt:
Legitimität und
Legalität sind
durch eine dialektische Wechselwirkung miteinander verwoben.
Einerseits bedürfen die Gesetze eines
Fundaments der Legitimität, andererseits muss die Legitimität in Gesetzen gefasst sein,
die alle Rechtsgenossen binden. In der Rechtslehre wird dieses Problem unter den
Stichworten »Konstitutionalismus« und »Legalismus«
(Ralf DREIER 1988) durchaus kontrovers erörtert. Letzthin ist mehrfach kritisiert worden,
das Bundesverfassungsgericht beginne sich von den metaphysischen Voraussetzungen des
Grundgesetzes zu entfernen (Sibylle TÖNNIES 1996, Konrad LÖW 1997) - vgl. dazu die
Webseite Die freiheitliche demokratische
Grundordnung".
Die Problemschwerpunkte wechseln. In Zeiten der
Diktatur haben Machthaber die Gesetze zum Werkzeug des Unrechts gemacht. In der modernen
Demokratie können Bürger in Versuchung geraten, sich über die Gesetze hinwegzusetzen,
weil sie dafür eine Legitimation sehen - als wäre ein Jeder sein eigenes
Bundesverfassungsgericht.
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5.0 Literaturnachweis
Hier wird nur die Literatur verzeichnet,
auf die sich der Text des Bausteins unmittelbar bezieht. Alle weiteren Literaturangaben
dieser Themengruppe werden in der Literaturgrundlage"
zusammengefasst.
-
Ernst-Wolfgang BÖCKENFÖRDE
Entstehung und Wandel des Rechtsstaatsbegriffs
in:
Recht, Staat, Freiheit
Frankfurt am Main 2000, 3. Auflage, S. 143 - 169
-
Hubert
CANCIK
»Die Würde des Menschen ist unantastbar«
Religions- und philosophiegeschichtliche Anmerkungen zu Art. 1, Satz 1
GG
in:
Antik - Modern
Beiträge zur römischen und deutschen Kulturgeschichte
Stuttgart 1998, S. 267 - 291
-
ders.
Gleichheit und Freiheit
Die antiken Grundlagen der Menschenrechte
in:
Antik - Modern
Beiträge zur römischen und deutschen Kulturgeschichte
Stuttgart 1998, S. 293 - 315
-
Gustav RADBRUCH
Gesetzliches Unrecht und übergesetzliches Recht
Süddeutsche Juristenzeitschrift 1 (1946), S. 105 - 108
Gesamtausgabe Radbruch, herausgegeben von Arthur KAUFMANN
Heidelberg 1990, Band 3, S. 83 - 93
-
Johann Wolfgang GOETHE
Autobiographische Schriften der frühen zwanziger Jahre
Sämtliche Werke nach Epochen seines Schaffens,
München 1986,
Band 14, S. 548 f.
Wilhelm Meisters Wanderjahre, Maximen und Reflexionen
herausgegeben von Reiner WILD
München 1991,
Band 17, S. 867
herausgegeben von Gouthier-Louis FINK u.a.
-
Immanuel KANT
Werke in sechs Bänden, herausgegeben von Wilhelm WEISCHEDEL
Band IV
Schriften zur Ethik und Religionsphilosophie
Darmstadt 1983, S. 337
-
Konrad LÖW
Karlsruhe und das Sittengesetz
Rheinischer Merkur Nr. 21 vom 23. Mai 1997
-
Christoph Martin
SCHEUREN-BRANDES
Der Weg von nationalsozialistischen Rechtslehren zur Radbruchschen
Formel
Untersuchungen zur Geschichte der Idee vom "Unrichtigen Recht"
Paderborn 2006
-
Sibylle TÖNNIES
Der leere Wertehimmel über Karlsruhe
Frankfurter Allgemeine Zeitung Nr. 273 vom 22. November 1996
- Uwe WESEL
Recht, Unrecht, Gerechtigkeit
Von der Weimarer Verfassung bis heute
München 2003
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6.0 Ausführliche
Textzitate
Urteil des Bundesgerichtshofes
vom 29. Januar 1952 (1 StR 563/51, BGHSt 2, 234 [237])
Die Freiheit eines Staates, für
seinen Bereich darüber zu entscheiden, was Recht und was Unrecht ist, mag noch so weit
bemessen werden, sie ist doch nicht unbeschränkt. Im Bewußtsein aller zivilisierten
Völker besteht bei allen Unterschieden, die die nationalen Rechtsordnungen im einzelnen
aufweisen, ein gewisser Kernbereich des Rechts, der nach allgemeiner Rechtsüberzeugung
von keinem Gesetz und keiner obrigkeitlichen Maßnahme verletzt werden darf. Er umfaßt
bestimmte als unantastbar geltende Grundsätze des menschlichen Verhaltens, die sich bei
allen Kulturvölkern auf dem Boden übereinstimmender sittlicher Grundanschauungen im
Laufe der Zeit herausgebildet haben und die als rechtlich verbindlich gelten,
gleichgültig, ob einzelne Unterschiede nationaler Rechtsordnungen es zu gestatten
scheinen, sie zu mißachten."
Im argumentativen Zusammenhang der
Urteilsbegründung äußern sich die Bundesrichter über die oben genannte Grenze zwischen
Recht und Unrecht wie folgt (a.a.O. S. 238 f.):
Im einzelnen kann zweifelhaft sein,
wo die Grenze zu ziehen ist zwischen dem Bereich, in dem der Staat darüber befinden darf,
was Recht und Unrecht sein soll, und jenem anderen Bereich, in dem auch der Staat mit
seinen Maßnahmen Bindungen und Beschränkungen unterliegt.
Sie ergibt sich heute aus Art. 1- 19 des Grundgesetzes, in denen
die von Gesetzgebung, Rechtsprechung und Verwaltung in gleicher Weise zu achtenden
Grundrechte näher beschrieben sind. Sie ergab sich aber auch schon für die Zeit, in der
die Angeklagten die ihnen zur Last gelegten Untaten begingen, aus dem Grundgedanken der
Gerechtigkeit und Menschlichkeit, wie er im Bewußtsein der Allgemeinheit lebt.
Mit diesem Grundgedanken ist der Gedanke der Gleichheit
untrennbar verbunden. Anordnungen, die die Gerechtigkeit nicht einmal anstreben, den
Gedanken der Gleichheit bewußt verleugnen und die bei allen Kulturvölkern gemeinsamen
Rechtsüberzeugungen, die sich auf den Wert und die Würde der menschlichen
Persönlichkeit beziehen, schaffen kein Recht, und ein ihnen entsprechendes Verhalten
bleibt Unrecht.
Bei ganz offensichtlich groben Verstößen gegen den
Grundgedanken der Gerechtigkeit und Menschlichkeit ist nicht nur die Rechtmäßigkeit
einer staatlichen Maßnahme zu verneinen; die Gröblichkeit und Offensichtlichkeit der
Verletzung wird regelmäßig auch ein sicheres Anzeichen dafür sein, ob diejenigen, die
die Maßnahme anordneten, durchführten oder förderten, im Bewußtsein der
Widerrechtlichkeit handelten."
Besonderes Interesse verdient der Beschluss
des Bundesverfassungsgerichts vom 19. Februar 1957 - 1 BvR 357/52 - BVerfGE 6,
132 [192 - 197]. Hier wird in umfassender und gründlicher Argumentation die Frage
erörtert, inwieweit der Verwaltungsapparat auch bei normalen Aufgaben und deren
ordnungsmäßiger Erledigung zur Preisgabe des gesetzmäßigen Handelns gezwungen war. So
heißt es in der Begründung [197] zusammenfassend:
Denn die gesamte Verwaltung ist in
ihrem Kern durch eine politische Pervertierung mitbetroffen, wenn sie nur dort
sachlich und fachlich bleiben kann, wo - und solange wie - die herrschende
parteipolitische Auffassung der Sache nach zufällig nicht berührt wird, während sie
überall dort parteipolitischen Belangen dienen muß, wo der Staat die Ziele der
herrschenden Partei zu seinen staatlichen Aufgaben gemacht hat und ihre Beachtung
schlechthin, d.h. ohne Rücksicht auf rechtsstaatliche Bedenken von seinen Beamten
verlangt."
Weiter unten [198] setzt sich das Gericht
mit der Frage auseinander, ob die gesetzlichen Bestimmungen (sc. der NS-Zeit)
überhaupt rechtswirksam gelten konnten", und bejaht sie.
Dann jedoch führt es aus:
Das Bundesverfassungsgericht [...]
hat nicht übersehen, daß im Dritten Reich die Grundlage der
Regierungsgesetzgebung, das sogenannte Ermächtigungsgesetz, von der damaligen Rechtslage
aus beurteilt, hinsichtlich seiner verfassungsrechtlichen Wirksamkeit schwersten Bedenken
unterliegt. Es hat auch nicht übersehen, daß unter der nationalsozialistischen
Gewaltherrschaft Gesetze mit einem solchen Maße von Ungerechtigkeit und
Gemeinschädlichkeit erlassen worden sind, daß ihnen jede Geltung als Recht abgesprochen
werden muß (vgl. Radbruch, Rechtsphilosophie, 4. Auflage S. 336)."
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Ausgearbeitet von: Dr. Manfred Rosenbach -
letzte Änderung am:
09.03.24
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