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Lernen

in heterogen zusammengesetzten Lernverbänden

Übersicht
Vorbemerkung
1.0 Die Problemlage
      1.1 Passung als Voraussetzung von Motivation
      1.2 Lernprozesse sind individuell
2.0 Gemeinsames Lernen und Individualisierung
      2.1 Ein Dilemma und seine Bearbeitung
      2.2 Was ist gelungener Unterricht?
3.0 Unterrichtsorganisation
      3.1 Folgerungen
      3.2 Drei Typen von Aktionen und Interaktionen
4.0 Literaturgrundlage

Vorbemerkung

Die Ausführungen dieser Webseite beruhen auf Überlegungen, die sich mit der Integration behinderter Schüler in „Normal"schulen beschäftigen. Diese - in der Sekundarstufe I neue - Aufgabe zwingt zu didaktischen Konsequenzen, denen in relativ homogenen Lerngruppen ausgewichen werden konnte. Deshalb  lassen sich hier Probleme und Möglichkeiten von Binnendifferenzierung besonders deutlich herausarbeiten.

1.0 Die Problemlage

1.1 Passung als Voraussetzung von Motivation

In einer die Unterrichtspraxis mitbestimmenden lerntheoretischen Tradition konzentriert sich das Problem der schülerorientierten Anregung von Lernprozessen in der optimalen Dosierung des Schwierigkeitsgrades von Lernanforderungen als Voraussetzung der erfolgreichen Stimulierung von Lernprozessen.

Nach dem Prinzip der »Passung«, das nach Heinz HECKHAUSEN (1969, S. 212) von der motivations- und entwicklungspsychologischen Forschung vielfach erhärtet worden ist, „üben Aufgaben nur innerhalb einer mittleren Schwierigkeitszone einen Anreiz aus und motivieren den Schüler intrinsisch". Über- oder Unterforderung dagegen hat keinen Lernen und Entwicklung stimulierenden Effekt. So liegt der Schluss nahe, dass in Bezug auf die Lernanforderungen relativ homogene Lerngruppen für die Förderung der Schüler besonders geeignet erscheinen - die in ihrem sachstrukturellen Entwicklungsstand gleichartig eingeschätzten Schüler werden aus arbeitsorganisatorischen und ökonomischen Gründen zusammengefasst.

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1.2 Lernprozesse sind individuell

Lernprozesse vollziehen sich stets individuell und haben einen für den Lernenden spezifischen Stellenwert. Sich als Lehrer auf die Lernvoraussetzungen, Lerninteressen und Lernschwierigkeiten der einzelnen Schüler einzustellen bedeutet, die Frage nach lerngegenstandsbezogenen Vorkenntnissen und Fertigkeiten zu stellen. Heckhausens Hinweis auf die Bedeutung des sachstrukturellen Entwicklungsstandes und eine diesem entsprechende „Dosierung des Schwierigkeitsgrades" von gestellten Aufgaben heißt, das Problem des Unterrichtens auf die kognitive Dimension des Lernens und seine motivationspsychologischen Aspekte zuzuspitzen.

Optimale Förderung aller Schüler bedeutet daher,

  • jeden Einzelnen in seinen bereichsspezifischen Zusammenhängen wahr- und anzunehmen (jeden Schüler dort abholen, wo er sich befindet),
  • ihn gemäß seinem kognitiven, emotionalen und sozialen Entwicklungsstand und seinen Möglichkeiten entsprechend (Zone der nahe liegenden Entfaltung) zu fordern,
  • ihn in seinen individuellen Lernprozessen durch pädagogische und didaktische Anstrengungen zu unterstützen.

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2.0 Gemeinsames Lernen und Individualisierung

2.1 Ein Dilemma und seine Bearbeitung

Gemeinsames Lernen und Individualisierung der Lernanforderungen werden im Schulalltag
als konkurrierende, ja sich widersprechende Ansprüche erfahren. Eine allen Schülern geltende gemeinsame Lernsituation wird zumindest nach einiger Zeit von einigen als Über- oder Unterforderung erlebt, individualisierte Lernaufgaben dagegen minimieren - so scheint es - die auf den Unterrichtsgegenstand bezogenen Kommunikationsprozesse.

Ein Versuch, mit diesem Dilemma fertig zu werden, ist die zeitliche Entkopplung der Ansprüche:

  • Vorgesehen werden Unterrichtssituationen mit unterschiedlicher bzw. ausschließlicher Gewichtung jeweils einer der beiden Zielsetzungen;
  • vertraut wird auf eine sinnvolle Ergänzung der auf diese Weise angeregten Lernprozesse.

Dabei geht es darum, folgende Aspekte zu beachten:

  • gleichberechtigtes Zusammenleben und gemeinsame Lernerfahrungen,
  • gleiche Entwicklungs- und Entfaltungsmöglichkeiten in herausfordernden Lernsituationen,
  • ein wechselseitiges Anregen und Korrigieren, Helfen und Ertragen ohne einseitige, gleichgerichtete Anpassungszwänge,
  • soziales Lernen, d.h. wechselseitiges Kennen und Anerkennen, Akzeptanz und Toleranz, bejahte Gleichwertigkeit von erfahrener Verschiedenheit.

2.2 Was ist gelungener Unterricht?

Das Gütekriterium für gelungenen Unterricht läge nicht mehr darin, ob alle alles erreicht haben, sondern in zwei aufeinander zu beziehenden und nur miteinander gültigen Kriterien, nämlich

  • zum einen 
    darin, ob alle nach ihren je spezifischen Voraussetzungen optimal gefördert worden sind und sich möglichst weit entfalten konnten,

  • zum anderen  
    darin, in welchem Maße alle Schülerinnen und Schüler über die „Grenzen" ihrer Qualifikation hinweg interagieren können, auch in heterogen zusammengesetzten Lernverbänden.

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3.0 Unterrichtsorganisation

3.1 Folgerungen

Diese zu den Rahmenbedingungen passende Strategie ist eine Unterrichtsorganisation, die mit der Gleichförmigkeit des herkömmlichen Unterrichts - des Arbeitens im Klassenverband und des charakteristischen Arrangements von Lehrersteuerung und Schülerreaktion - bricht und den Unterricht in wechselnden, funktionalen Sozialformen - Einzel-, Team-, Gruppen- und Gesamtklassen-Arbeit - gestaltet.

Noch bedeutsamer als die mit einzelnen Gruppierungs- und Arbeitsformen verbundenen spezifischen Lernchancen erscheint das bei einer anregend und abwechslungsreich erlebbaren Unterrichtsorganisation sich verändernde Lernklima. Mit der Auflösung des Klassenverbandes als fiktiver Einheit nimmt die Wahrscheinlichkeit zu, dass der einzelne Schüler in seiner Individualität wahrgenommen wird - und dass er sich selbst und seine Mitschüler als Ernstgenommene und Ernstzunehmende erlebt und annehmen lernt. Durch persönliche Ansprache und Zuwendung, durch individuelle Hilfen und pädagogische Unterstützung, durch eine behutsame Einflussnahme auf soziale Interaktionsprozesse und die Förderung von toleranten und kooperativen Verhalten besteht die Möglichkeit, im Sinne der Zielsetzung integrationspädagogischer Arbeit zu wirken.

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3.1 Das Konzept der Binnendifferenzierung

Unverzichtbar für einen binnendifferenzierenden Unterricht sind gemeinsame Erörterungen der zentralen Inhalte und Probleme (des Minimalkanons) von Unterrichtseinheiten, die Aussprache über gemeinsame Erfahrungen und Erlebnisse, die Diskussion von Arbeitsvorhaben, Arbeitsschritten und Arbeitsergebnissen. Es hat den Anschein, dass dieser sachorientierte Austausch in nicht unbedenklicher Weise vernachlässigt wird.

Integration kann nur durch Kooperation der Beteiligten gelingen, und diese ist nur zu erreichen, wenn der Unterricht tatsächlich einen gemeinsamen Gegenstand hat, aber nicht von jedem Schüler erwartet wird, dass er denselben sachstrukturellen Entwicklungsstand, wohl aber die Ziele des verbindlich festgelegten Minimalkanons erreicht.

Unterschiedliche Lernziele als Voraussetzung für optimale Lernfortschritte des Einzelnen, gemeinsamer Lerngegenstand bei verbindlichem Minimalkanon als Bedingung sozialer Integration, so ließe sich das Konzept charakterisieren.

Die didaktische Vorbereitung der Individualisierung der Lernanforderungen muss auf der Grundlage einer Sachstrukturanalyse methodisch-mediale Hilfen für die Gegenstandsaneignung bereitstellen und aus einer Handlungsstrukturanalyse die notwendigen lernstrukturellen - und komplettierend quasitherapeutischen - Hilfen für die planmäßige Entwicklung der Wahrnehmungs-, Denk- und Handlungskompetenz ermitteln, um sie mit der Individualisierung der Lernwege zu einer Individualisierung der Lernziele bei gesichertem gemeinsamem Wissens- und Könnensstand (Minimalkanon) zu führen.

Die Arbeit in heterogen zusammengesetzten Lernverbänden gestattet neben Gesprächen und wechselseitiger Hilfen zum Kern des Minimalkanons übersteigend gestaltete Lernsituationen und daneben auch Einzelarbeit (Beschäftigung mit persönlich interessierenden Themen, Arbeit mit programmierten Medien, Anfertigen von Texten u. Ä..).

3.2 Drei Typen von Aktionen und Interaktionen

In den unter pädagogischer Einflussnahme gebildeten Lerngruppen lassen sich drei intentional unterschiedliche Aktions-/Interaktionstypen ausmachen; sie werden plakativ wie folgt typisiert:

  • Einer für alle:
    Arbeit an einer Aufgabe, die Arbeitsteilung und Kooperation erfordert - es entsteht ein gemeinsames Produkt;
  • alle für einen:
    Arbeit an der gleichen Aufgaben, die Kommunikation mit der Zielsetzung, gleichen Kenntnis-, Erkenntnis- und Fertigkeitsstand zu erlangen, auferlegt - es entsteht der gleiche sachstrukturelle Entwicklungsstand;
  • jeder für sich:
    Arbeit an der gleichen Aufgabe, die von den Schülern individuell zu bearbeiten ist - jeder Schüler fertigt ein eigenes Produkt; die Schüler besprechen aber ihre eigenen Lösungsideen miteinander und vergleichen ihre Resultate; wenn dabei Unterschiede auftreten, werden diese zunächst innerhalb der Gruppe zu klären versucht, erst wenn das nicht gelingt, bringt der Lehrer seine Kompetenz ein (Prinzip der minimalen Hilfe).

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4.0 Literaturgrundlage

Die vorstehenden Ausführungen wurden angeregt durch folgende Autoren:

  • Klaus RIEDEL
    Gemeinsam lernen bei differenzierten Lernanforderungen
    Die Deutsche Schule 83 (1991) H. 4, S. 444 - 460

  • Ulrich BLEIDIECK
    Über das Versprechen der Didaktik, alle Menschen alles zu lehren
    Ergänzungen zum Aufsatz von Klaus RIEDEL
    Die Deutsche Schule 83 (1991) H. 4, S. 461 - 473

  • Heinz HECKHAUSEN
    Förderung der Lernmotivierung und der intellektuellen Tüchtigkeiten
    In: 
    Heinrich ROTH (Hrsg.)
    Begabung und Lernen
    Deutscher Bildungsrat. Gutachten und Studien der Bildungskommission
    Band 4, Stuttgart 1969, S. 212)

Neuerdings ist folgende praxisorientierte Publikation erschienen:

  • Heinz Klippert
    Heterogenität im Klassenzimmer
    Wie Lehrkräfteeffektiv und zeitsparend damit umgehen können
    Weinheim 2010

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Ausgearbeitet von:     Dr. Manfred Rosenbach -        letzte Änderung am: 03.04.10
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