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Werte-Erziehung
in einer
wertunsicheren Gesellschaft
Vorbemerkung
Unter diesem Titel hat der in Konstanz
Pädagogik lehrende Wolfgang BREZINKA Überlegungen vorgestellt (Pädagogische
Rundschau 48, 1994, 47 - 60), die wegen ihres klaren Standpunktes Aufmerksamkeit
verdienen. Sie werden deshalb im Folgenden zusammengefasst und dokumentiert.
1.0 Einführung
Der Begriff Werte" ist ein
hochabstrakter Allgemeinbegriff mit geringem Inhalt und riesigem Umfang (vgl. dazu die
Webseite Werte, Gegen-Werte, Unwerte").
Deshalb ist der Begriff Werte-Erziehung" unzulänglich, weil er ohne
Erläuterung unverständlich bleibt.
Also ist zu prüfen,
- aus welcher Gedankenwelt der
Begriff Werte-Erziehung stammt;
- was mit ihm gemeint ist.
2.0 Fünf Thesen zur
Werte-Erziehung
Dazu fünf Thesen.
These 1
Werte-Erziehung ist die
erziehungspolitische Antwort auf die Kulturkrise der liberalen, aufgeklärten,
säkularisierten Gesellschaften.
Die moderne Kulturkrise ist eine Orientierungs- und Wertungskrise.
Das gilt sowohl für die moralische Haltung einzelner Menschen als auch für
gesellschaftliche Normen und Institutionen.
Die gegenwärtige Wertordnung ist gekennzeichnet durch Wertepluralismus
und Unbeständigkeit und/oder Gegenläufigkeit von Normen; das Wertebewusstsein
vieler Menschen ist gekennzeichnet durch Wertewandel und Wertungsunsicherheit.
Die wichtigsten Ursachen:
- Schnelle Zunahme und Ausbreitung von
Wissen, Wohlstand, Freiheiten.
- Naturwissenschaftliches, historisches und
ökonomisches Wissen
o schwächt die mythisch-religiöse Denkweise,
o relativiert Glaubensgüter, Ideale, Einrichtungen,
o begünstigt die - trügerische - Annahme, Wissen und kritisches
Denken
genügten als Fundament für die eigene Lebensführung.
- Wohlstand schafft vielfältige
Wahlmöglichkeiten für die Verwendung von Freizeit.
Das
o überfordert das Bewertungs- und Entscheidungsvermögen,
o begünstigt Bindungsschwäche und Labilität,
o lenkt von gemeinsamen Vorhaben und Gemeinschaftsaufgaben ab.
- Die Erweiterung der Menschenrechte und
Grundfreiheiten bedeutet einen riesigen Gewinn. Sie
o mindert jedoch die Hilfen bei der Wertorientierung,
o schwächt Autoritäten und Institutionen.
- Kritik entlarvt
Ansprüche, die nicht legitimiert sind,
schafft jedoch keine Gewissheiten für Weltdeutung und Moral.
Insgesamt:
Wir sind in einem Grade auf Selbstbestimmung, Selbstverantwortung und Selbstkontrolle
angewiesen wie nie zuvor. Das kann den Einzelnen überfordern und das Gemeinwesen
durch Anarchie bedrohen. Es führt außerdem zu Individualisierung bis hin zum Verlust von
Gemeinsamkeiten.
These 2
- Werte-Erziehung ist lediglich ein neuer
Name für seit langem bekannte Erziehungsaufgaben.
Es sind dies die
o religiöse, weltanschauliche oder lebenskundliche Erziehung,
o moralische oder sittliche Erziehung,
o Rechtserziehung,
o staatsbürgerliche, politische und soziale Erziehung,
o ästhetische Erziehung.
- Wissen und Können genügen nicht dafür,
das Leben selbständig und sozialverantwortlich zu führen.
- Werteinstellungen und Werthaltungen sind
eine Sache des Charakters, der Persönlichkeit und ihrer Gesinnung.
- Werte-Erziehung befähigt die Menschen zu
Bindungen, die für die eigene Existenz wie für das Gemeinwesen zentral wichtig sind. Sie
ist ein Gegengewicht zur emanzipatorischen und zur einseitig wissenschaftsorientierten
Erziehung.
- Werte-Erziehung richtet sich gegen
rationalistische Irrtümer und bodenlose und/oder wirklichkeitsfremde Utopien. Sie zielt
auf die gemeinschaftsfähige Persönlichkeit, die Lebenssinn und inneren Halt von der
Liebe zu gemeinsamen Orientierungsgütern abhängig weiß.
These 3
Der Staat hat in den öffentlichen
Schulen für die Werteinstellungen zu sorgen, die allen Bürgern gemeinsam sein sollen,
weil von ihnen das geordnete Zusammenleben der Bürger und der Fortbestand der Nation
abhängen. Staatliche Werte-Erziehung muss vor allem Grundwerte-Erziehung sein.
- Die Rücksicht auf die Glaubens- und
Gewissensfreiheit der Bürger zwingt den Staat, das Schulwesen in
weltanschaulich-religiösen Fragen wertneutral zu gestalten.
- Die Schule muss jedoch zu den
unverzichtbaren Bürgertugenden und den Grundpflichten gegenüber dem Gemeinwesen
erziehen. Dazu gehören
o Gemeinsinn,
o Gehorsam gegenüber den Gesetzen,
o Anerkennung des staatlichen Gewaltmonopols und Friedenspflicht,
o Leistungswille und Dienstbereitschaft,
o demokratische Einstellung und Toleranz,
o aufgeklärter Patriotismus.
These 4
Die Bindungen an gesellschaftliche
Grundwerte sind notwendig, reichen aber nicht aus. Die weltanschauliche, m.a.W. die
spirituelle" Erziehung ist Aufgabe der Eltern und der Glaubensgemeinschaften.
Deren Werte-Erziehung soll die Schule achten und fördern.
- Die Einflussmöglichkeiten der Schule
genügen weder für die Wertorientierung der Person noch für die moralische Absicherung
des Gemeinwesens.
- Der Staat kann die dazu notwendige
sittliche Kultur nicht hervorbringen, sondern muss sie voraussetzen.
- Niemand kann die Sinn und Halt gebenden
Orientierungsgüter aus sich selbst gewinnen, jeder ist dazu auf Überlieferung, Tradition
angewiesen.
- Sie und die daraus resultierenden
Gefühlsbindungen können am besten in der Familie vermittelt und zum seelischen Besitz
werden. Im Kern geht es darum, Mut zu Wertbindungen und zu einer wertgebundenen Erziehung
zu gewinnen.
These 5
Werte-Erziehung ist nur
ein zusammenfassender Name für vielfältige erzieherische Teilaufgaben. Deshalb
gibt es für sie auch keine geschlossene oder einfache Strategie.
Es lassen sich jedoch konstitutive Elemente von Werte-Erziehung
beschreiben.
- Die Methoden müssen auf den Rang der
Erziehungsziele sowie auf Alter, seelische Verfassung und Lebenssituation der Lernenden
abgestimmt sein.
- Indirekte Erziehung ist wirksamer als
direkte. Besonders bedeutsam ist die Wirkung von guten Vorbildern, weil sie Lernen am
Modell ermöglichen.
- Wichtig ist es auch, den gemeinsamen
Lebensraum so zu ordnen, dass von ihm mehr günstige als schlechte Einflüsse ausgehen.
- Daneben muss es den Willen zu Idealen und
den Mut zu - belohnenden oder auch strafenden - Sanktionen geben. Passives,
gleichgültiges, diffus gewährendes Verhalten von Erziehern schadet der
Wertungssicherheit und der moralischen Anstrengungsbereitschaft der zu Erziehenden.
- Sympathie und Antipathie zwischen Erzieher
und Zu-Erziehendem tragen wesentlich zu Gelingen oder Misslingen bei.
- Gute Lebensordnungen und Halt gebende
Ideale sind stets gefährdet. Nach innen müssen sie gegen Zweifel und Trägheit
verteidigt werden, nach außen gegen Angriffe von Gegnern. Wer Bindungen bewahren will,
muss für sie eintreten.
- Die hier skizzierten indirekten Methoden
sind unentbehrlich, reichen aber nicht aus. Information und Aufklärung über
Wertbewusstsein und Wertordnungen müssen hinzukommen, vor allem jedoch Anleitung zum
vernünftigen Werten, Wählen und Entscheiden.
3.0 Schlussbemerkung
Bei aller Verschiedenheit der Ideale, die
in einer pluralistischen Gesellschaft gelten, muss es einen
Grundbestand an
gemeinsamen Orientierungsgütern
geben. Ihn an die nächste Generation
weiterzugeben bleibt die zentrale Berufsaufgabe der Lehrerschaft.
Die
zusammenfassende Literaturgrundlage
für das Thema Werte-Erziehung finden sie hier: Literaturgrundlage
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Ausgearbeitet von: Dr. Manfred Rosenbach -
letzte Änderung am: 20.10.08
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