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Struktur der
Allgemeinbildung
in modernen Bildungssystemen
Übersicht
1.0 Das Problemfeld
2.0 Struktur der Allgemeinbildung
2.1 Drei Forschungsansätze
2.2 Moderne Allgemeinbildung im
Bildungssystem
3.0 Anwendung auf die Konzeption von PISA
4.0 Literaturnachweis
1.0 Das Problemfeld
Die Ergebnisse der PISA-Studie haben
sowohl in der Öffentlichkeit als auch in der Erziehungswissenschaft intensive
Diskussionen ausgelöst. Zu den erörterten Problemen gehört auch die Frage, wie diese
Ergebnisse bildungstheoretisch einzuschätzen sind und welche Folgerungen für
die Aufstellung eines Kerncurriculums an allgemeinbildenden Schulen zu ziehen sind.
Dietrich BENNER (2002) hat dazu Überlegungen vorgetragen,
die wegen ihres systematischen und grundlegenden Charakters hier vorgestellt werden.
2.0 Struktur
der Allgemeinbildung
2.1
Forschungsansätze
BENNER sieht vier Ansätze, die
dazu dienen können, die Struktur eines allgemeinbildenden Curriculums zu klären. Dies
sind
- die vergleichende Forschung.
Sie untersucht, wie sich Curricula entwickelt haben und gegenwärtig weiterentwickeln.
- der geschichtliche Ansatz.
Er orientiert sich an der historischen Entwicklung moderner Bildungssysteme und bestimmt
auf dieser Grundlage das Kerncurriculum und dessen Struktur.
- der systematische Ansatz.
Er untersucht die Struktur der Allgemeinbildung unter grundsätzlichem Blickwinkel und
versucht, Leitlinien für die Gestaltung des Unterrichts, aufgabenangemessene Didaktik
sowie vor allem für ein bildungstheoretisch fundiertes Curriculum zu gewinnen.
- empirisch-vergleichende
Leistungsmessungen.
Diese Forschungsstrategie versucht durch ihre Ergebnisse Einfluss auf die Definition
dessen zu nehmen, das sich als allgemeinbildendes Kerncurriculum weltweit durchsetzt.
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2.2 Moderne
Allgemeinbildung im Bildungssystem
Moderne Bildungssysteme zeichnen sich,
systematisch-historisch betrachtet, durch eine horizontale Struktur aus.
In ihr lösen die Lehr-Lernprozesse, die nur in schulischem Unterricht vermittelt und
eingeübt werden können, einander in einer Abfolge von Stufen ab. Sie folgen derart
aufeinander, dass das in der voraufgegangenen Stufe Gelernte in der folgenden Stufe
wirksam bleibt und dort vertieft und differenziert wird.
Entscheidend wichtig ist dabei, den Lernenden einen von
Stufe zu Stufe wechselnden Blick auf die Lerninhalte zu ermöglichen, aber auch
abzuverlangen. Daraus ergeben sich für jede Stufe spezifische Aufgaben.
- Die Elementarstufe
führt die Kinder in die Kunst des Zeichnens, Lesens, Schreibens und Rechnens ein. Sie
erweitert die in der familiären Erziehung erlernte Muttersprache um künstliche Formen der
Schriftsprache. Die Kinder lernen darüber hinaus, lesend, schreibend, rechnend und
zeichnend miteinander umzugehen. Im Sachkundeunterricht eignen sie sich auf diese Weise
neue Weltinhalte an.
- In der zweiten Stufe allgemeiner
schulischer Bildung
erweitern die jungen Menschen ihre Fähigkeit, im Medium der Muttersprache zu lernen,
dadurch, nun auch im Medium der Schriftsprache lernen und weiterlernen zu können.
Das Kerncurriculum der zweiten Schulstufe besteht aus
Kunden" (Wissensgebieten), die den Umgang erweitern, über neuzeitliche
Wissenschaft vermittelt werden und nur im Medium der Schriftsprache und ihrer
Zeichensysteme erlernt werden können. Sie werden in mathematisches, fremdsprachliches,
naturkundliches, gesellschaftlich-historisches, ästhetisches und religiöses Wissen und
Können ausdifferenziert.
Die Schule fördert hier Lernprozesse, die ohne künstliche
Vermittlung im Unterricht nicht stattfinden können, weil sie sich nicht mehr im
Zusammenleben der Menschen und der Generationen vermitteln lassen.
Bei der Aneignung der genannten Wissensgebiete ist wiederum ein
Blickwechsel erforderlich. Das Denken, Lernen und Handeln in unmittelbarer Welterfahrung
und zwischenmenschlichem Umgang wird überführt in die Erfahrungs- und Umgangsformen
eines wissenschaftsbezogenen und historischen Wissens und Könnens.
Kein Curriculum darf den Lernenden die Erfahrung
und die Anstrengung dieses Blickwechsels vorenthalten und die mit seinem Vollzug möglich
werdenden Reflexionen ersparen." (a.O. S. 74) Deren Aneignung ist
unverzichtbare Voraussetzung einer zeitgemäßen Mündigkeit.
- In der dritten Schulstufe
wird die explizite Reflexion des dargestellten Blickwechsels möglich. An die Stelle des
oben beschriebenen Curriculums der Wissensgebiete tritt ein wissenschaftspropädeutisches
Curriculum, das zu den Satzsystemen der modernen Wissenschaften und zu ihren
Erkenntnissen
hinführt.
Erforderlich ist dabei, die Lernenden so in die
wissenschaftlichen Aussagensysteme einzuführen, dass sie den Blickwechsel und die
Konstruktionen kennen lernen, die für die Entstehung dieser Satzsysteme bestimmend waren.
Nur dann können sie sachkundig mit den Errungenschaften neuzeitlicher Wissenschaft und
Technik umgehen. Zwischen Umgangserfahrungen und wissenschaftlich vermittelten Erfahrungen
muss sorgfältig unterschieden werden.
Darüber hinaus ist zu zeigen, dass wissenschaftliche
Theorien aufgrund ihrer hypothetischen und historischen Annahmen keine ontologischen und
metaphysischen Einsichten bereitstellen und darum auch nicht unmittelbar ontologisch oder
metaphysisch interpretiert werden können." (a.O. S. 76)
Es sei ein Irrtum anzunehmen, die Aussagensysteme der
neuzeitlichen Wissenschaften könnten Auskunft über eine innere Ordnung und
Zweckmäßigkeit der Natur geben und damit Orientierungshilfe für zweckmäßiges und
sinngerichtetes Handeln leisten.
BENNER fasst diese Überlegungen in der
folgenden Übersicht zusammen (a.O S. 77).
- Elementarstufe des
allgemeinbildenden Unterrichts
o Inhalte:
Lesen, Schreiben, Rechnen, Zeichnen, Sachkunde
o Aufgabe:
Lernen, mit Weltinhalten und Mitmenschen im Medium der Schriftsprache
umzugehen
o Blickwechsel:
Blickwechsel von gesprochener Sprache und unmittelbaren Interaktionen
zu Schriftsprache und schriftlicher Kommunikation
- Schulstufe der über Wissenschaft
vermittelten Weltkunden
o Inhalte:
Mathematik, Fremdsprachen, Naturkunde, Sozialkunde,
Geschichtskunde, Kunst und Religion
o Aufgabe:
Aneignung elementarer, an die Beherrschung der Schriftsprache gebundener
und ohne Schule nicht tradierbarer Kulturbereiche
o Blickwechsel:
Übergang von einfachen Erfahrungs- und umgänglichen Lernformen
in solche eines Lernens jenseits der Einheit von Leben und Lernen
- Schulstufe
wissenschaftspropädeutischer Wissens- und Reflexionsformen
o Inhalte:
Wissenschaftspropädeutik elementarer Wissensformen,
Wissenschaftsbereiche und Handlungsfelder
o Aufgabe:
Ausdifferenzierung historischer und praktischer Wissensformen
und Einübung in Unterscheidungen einer nicht -fundamentalistischen Kritik
o Blickwechsel:
Übergang von alltäglichen in wissenschaftsbezogene und von diesen
in ausdifferenzierte praktische Weltverhältnisse und Reflexionsformen
BENNER merkt an, dass viele Lehrpläne
diese aus bildungstheoretischer Sicht unverzichtbare und durch nichts zu ersetzende
Reflexionsstruktur in der Regel nur defizitär und rudimentär" präsentierten. Vor
allem aber kritisiert er die Neigung, die Lehrpläne mit gesamtgesellschaftlichen Aufgaben
und Zielvorstellungen zu belasten, die in Schulen erwiesenermaßen nicht einzulösen
seien. Darüber würden die hier beschriebenen Grundaufgaben von Unterricht
vernachlässigt oder unter den Postulaten eines Schlüsselproblem-Humanismus bis zur
Unkenntlichkeit entstellt." Er plädiert daher dafür, ein Kerncurriculum
herauszuarbeiten und andere Aufgaben an die Gesellschaft zurückzugeben.
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3.0 Anwendung
auf die Konzeption von PISA
Dieser Baustein verfolgt nicht die
Absicht, Konzeption und Ergebnisse der PISA-Studie zu erörtern. Dennoch sollen einige
Aspekte kurz erwähnt werden, die BENNER auf der Basis der hier vorgetragenen
Überlegungen sieht. Er führt aus:
- PISA konzentriert sich auf Fragen der
Produktqualität. Die Prozessstruktur wird vernachlässigt, wichtige hermeneutische
Kompetenzen werden ausgeklammert.
- Die von PISA erreichte Reliabilität
ist beachtlich.
Damit PISA auch eine bildungstheoretische Validität zuerkannt werden kann, sind
Weiterentwicklungen erforderlich.
- Wenn also Sprache, Mathematik, Geschichte
und mehrperspektivische Reflexivität zum Kernbestand allgemeiner Bildung gehören,
müssen Aufgaben so formuliert werden, dass dieser Kernbestand fachbezogen und zugleich
fächerübergreifend thematisiert wird.
- Zwischen den Testergebnissen und Aussagen
über Unterricht - der von PISA bisher nicht untersucht wurde - muss angemessen
unterschieden werden. Die Testergebnisse zeigen nur einen Ausschnitt dessen, das
Schüler gelernt oder auch nicht gelernt haben.
Eine Erweiterung von PISA ist vor allem
erforderlich, um damit unkontrollierte und nicht bedachte Auswirkungen auf die Entwicklung
des Kerncurriculums vermeiden zu können.
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4.0
Literaturnachweis
Dieser Text beruht im Wesentlichen auf
dem Aufsatz von
Dietrich BENNER
Die Struktur der Allgemeinbildung im Kerncurriculum moderner Bildungssysteme
Ein Vorschlag zur bildungstheoretischen Rahmung von PISA
Zeitschrift für Pädagogik 48 (2002) Nr. 1, S. 68 - 90.
Um die einzelnen Bausteine zu entlasten,
werden auch in diesem thematischen Bereich die Literaturnachweise in einem gesonderten
Baustein Literaturgrundlage" zusammengefasst.
Wenn Sie also Zitate nachlesen wollen oder weiterführende Titel suchen, klicken Sie bitte
auf Literaturgrundlage".
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Ausgearbeitet von: Dr. Manfred Rosenbach -
letzte Änderung am: 15.01.08
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