Über die Zukunft von Bildung Übersicht 1.0 Das Problemfeld "Wer nicht weiß, woher er kommt, kann nicht wissen, wohin er geht." So oder ähnlich formuliert, lautet ein gewichtiges Argument in Diskussionen über Bildung. Auch wer dem zustimmt, darf die Gültigkeit des Gedankens nicht überschätzen. Die Kenntnis der Herkunft ist allenfalls die notwendige Bedingung dafür, den richtigen Weg in die Zukunft zu erkennen, nicht aber auch die hinreichende. Helmut PEUKERT hat
sich mit dieser Problematik tiefschürfend auseinandergesetzt. Er nennt
(2000 S. 507) Bildung einen der großen Leitbegriffe, mit denen die
Menschen seit der Mitte des 18. Jahrhunderts Verständigung über sich
selbst suchten. Bildung hat ein Doppelgesicht. Indem sie sich mit dem Werden
der Kultur und ihrer Gehalte beschäftigt, wird sie von der Vergangenheit
bestimmt. Indem sie den historischen Prozess zu verstehen und ihn
selbstbestimmt zu gestalten versucht, wendet sie sich der Zukunft zu. Bildung muss also neu definiert werden. Diese Aufgabe stellt sich PEUKERT. Seine Überlegungen werden im Folgenden vorgestellt, doch schließt deren Dichte und Aspektvielfalt eine adäquate Wiedergabe aus. Hier kann es sich lediglich darum handeln, auf die Kerngedanken aufmerksam zu machen und damit zur Lektüre des Originaltextes anzuregen. Er hat den Charakter eines Vermächtnisses. 2.0 Reflexionen über die Zukunft von Bildung PEUKERT gliedert seine Analyse in drei Schritte. 2.1 Die gesellschaftlich-geschichtliche Situation Die Situation ist durch ein
Ansteigen der Weltbevölkerung bestimmt, das bislang nicht gekannte
Konsequenzen haben wird. Wenn die Biosphäre unter den Anforderungen einer
Multi-Milliarden-Menschheit nicht zusammenbrechen soll, müssen die Menschen
ihre Lebensgewohnheiten grundlegend ändern. Damit stellt sich eine außerordentliche
Herausforderung, die zu heftigen Spannungen oder gar Spaltungen führen kann
und unzählige Menschen ausschließt - nicht nur von materiellen Ressourcen,
sondern vor allem von jeder Teilhabe an primärer Bildung . 2.2 Notwendige Transformationen und deren konzeptionelle Voraussetzungen PEUKERT stellt die Frage,
ob wir die eigene Situation überhaupt zureichend erkennen und
Orientierungen für ein problemgerechtes Handeln finden können. Er sichtet
zunächst Neuansätze der Humanwissenschaften im 19. Jahrhundert, die durch
die Namen Charles DARWIN, Karl MARX und Sigmund FREUD charakterisiert
werden, Wenn man Bildung als den Erwerb der Fähigkeit versteht, Realität
zu erkennen und begründete Handlungsorientierungen zu erarbeiten, müssen
jedoch wissenschaftliche Entwicklung des 20. Jahrhunderts einbezogen werden. 2.3 Folgerungen für die Konzeption von Bildungsprozessen Jean PIAGET ist die
Einsicht zu verdanken, dass das Kind an seiner Entwicklung aktiv und kreativ
beteiligt ist. In seinem Handeln erfindet es die gegenständliche Welt, sein
Verhältnis zu sich und anderen gleichsam selbst und konstruiert somit die
Wirklichkeit. Erwachsene als die Repräsentanten einer historisch
ausgearbeiteten Sprache und Kultur müssen in ihrem erzieherischen Handeln
beim jungen Menschen die Fähigkeit zu kreativer Rekonstruktion und
Neukonstruktion voraussetzen. Deshalb sind sie auch verpflichtet, dem
Heranwachsenden den Raum für die Konstruktion einer eigenen Welt und eines
eigenen Selbst innovativ zu erschließen. Dabei geht es nicht nur um
additive Erweiterung von Wissen, sondern um die Transformation von
Erfahrungs- und Handlungsweisen, die PIAGET als »reflektierende Abstraktion«
bezeichnet hat. 2.4 Zusammenfassung Bildung darf nicht auf unmittelbare Verwendungszusammenhänge beschränkt werden. Sie muss diesen Bezug vielmehr brechen und reflektierende Urteilskraft freisetzen. Das ist die Voraussetzung dafür, gegen die Exklusion, das Ausschließen von Menschen vorzugehen und zur Transformation destruktiver Mechanismen beizutragen. Die systematische Erziehungswissenschaft hat die Aufgabe, die Elemente, Dimensionen und Bedingungen zu untersuchen, die solch ein Handeln entstehen lassen. Dabei geht es nicht um dogmatische Antworten. Vielmehr kommt es darauf an, Prozesse pädagogischer Bildung durch kritische Reflexion voranzubringen. 3.0 Literaturnachweis Der vorstehende Text beruht auf Reflexionen über die Zukunft von Bildung. Zeitschrift für Pädagogik 46 (2000) Nr. 4, S. 507 - 524 Der Aufsatz ist die überarbeitete Fassung einer Vorlesung, die PEUKERT am 10. Juli 1999 im Rahmen eines Symposions gehalten hat. Der Fachbereich Erziehungswissenschaft der Universität Hamburg hatte es aus Anlass seiner Emeritierung veranstaltet. Wenn Sie weiterführende Titel suchen, klicken Sie bitte auf „Literaturgrundlage". [ Zurück
zur Übersicht ] Ausgearbeitet von: Dr.
Manfred Rosenbach - letzte Änderung
am: 03.09.18
|