»Autorität« Anmerkungen zur Rehabilitierung eines verfemten Begriffs Übersicht 1.0 Das Problemfeld 1.1 Die aktuelle Situation Vielfältige Publikationen und Diskussionen machen vierzig Jahre nach dem Jahre 1968 deutlich, dass dieses Datum die Bundesrepublik Deutschland geprägt und verändert hat. Diese Tatsache wird unterschiedlich bewertet. Entsprechende Aussagen unterscheiden sich krass und bewegen sich zwischen den Polen der Glorifizierung einerseits und der Fundamentalkritik andererseits, sind aber nicht Gegenstand dieses Textes. Sowohl differenzierte als auch pointierte Vertiefungen dazu finden Sie u.a. bei Edgar WOLFRUM (2006), Wolfgang KRAUSHAAR (2008), Götz ALY (2008), Albrecht von LUCKE (2008), Norbert FREI (2008). Ein Charakteristikum der 68-Jahre ist – bis in unsere Zeit – der Kampf um die Deutungshoheit der Begriffe. Wie das alte Wort »Bedeutung« beweist, beschreiben, bezeichnen oder benennen Begriffe nicht lediglich eine Wirklichkeit, sondern deuten sie zugleich – wertend, bestätigend, ablehnend, verfemend. Dass seit einiger Zeit ein „Unwort des Jahres“ ausgesucht wird, kann hier als Beleg genügen. Wer im Wettstreit politischer Meinungsbildung den „treffenden“ Begriff zu formulieren vermag, der kann ein Thema – positiv, vor allem aber negativ – besetzen, vereinnahmen. Objektiv falsche Entscheidungen können dadurch der gebotenen Kritik entzogen und sachlich richtige Positionen aus der Diskussion entfernt, mundtot gemacht werden. Das Adjektiv »autoritär« bezeichnet ursprünglich ein Verhalten, das Autorität missbraucht oder sie sich anmaßt. Damals wurde es verallgemeinert und zu einer Art verbaler Allzweckwaffe gemacht, die sich gegen jeden, der als Gegner betrachtet wurde, wirksam einsetzen ließ. Auch der Begriff »Autorität« selbst und der von ihm bezeichnete Sachverhalt verfielen dem Verdikt. Seitdem ist beides verdächtig und geradezu verpönt. Das erweist sich inzwischen als Verlust, der nicht nur im öffentlichen Raum, sondern besonders im pädagogischen Feld weitreichende Folgen gezeitigt hat. 1.2 Der geistesgeschichtliche Hintergrund Die Kritik an der Autorität und deren bis heute von vielen empfundene Ambivalenz reichen bis in die Aufklärung zurück. Wie Hans-Georg GADAMER (1990, S. 277) treffend formuliert, „ist es die allgemeine Tendenz der Aufklärung, keine Autorität gelten zu lassen und alles vor dem Richterstuhl der Vernunft zu entscheiden“. Er versteht als „wirkliche Konsequenz der Aufklärung die Unterwerfung aller Autorität unter die Vernunft“ und sieht diese durch die Aufklärung geradezu „diffamiert“ (a. a. O., S. 283). In unserer Zeit hat die Kritik an missbrauchter und/oder angemaßter Autorität ein umfangreiches Schrifttum hervorgebracht. Als geradezu kanonisch gilt Theodor ADORNOs Analyse (1973/1994); eine repräsentative Auswahl einschlägiger Titel wird im Literaturverzeichnis aufgeführt. Im erzieherischen Feld hat diese Kritik dazu beigetragen, die Positionen einer »antiautoritären Erziehung« zu entwickeln. Hier wurde nicht nur autoritäre Erziehung im ursprünglichen Wortsinn abgelehnt, sondern Erziehung ohne Autorität entworfen. 1.3 Gegenstand und Zielsetzung dieses Textes Abstrahiert man von den überaus problematischen Begleiterscheinungen des 68-ziger Protestes, die damals vor allem in Hochschulen und Gymnasien zu beobachten waren und vielfach auch schmerzlich erlebt wurden, so wird der Kern des Problems sichtbar – die Ausübung von Herrschaft und deren Legitimation. „Ausübung überflüssiger Herrschaft“ wurde damals geradezu zu einem Schlüsselbegriff. Deshalb wird hier zunächst die Herkunft des Begriffs »Autorität« und seine Einbettung in das Bedeutungsfeld »Macht und Herrschaft« gesichtet. Daran anschließend soll versucht werden, dessen einseitig-negative Besetzung zu überwinden und ein konstruktives Verständnis zu gewinnen. 2.0 Das Begriffsfeld »Macht und Herrschaft« 2.1 Anmerkungen zur Wortgeschichte Der Begriff »Autorität« stammt von dem lateinischen Wort »auctoritas« ab. Dessen spezifische Bedeutung kann erst herausgearbeitet werden, wenn es zu anderen Begriffen des Wortfeldes »Macht« in Beziehung gesetzt wird. Die Sprache der Römer, die sich bekanntlich auf Machtausübung und Herrschaft verstanden, kennt die folgenden Begriffe:
Der abstrakte Begriff »auctoritas« geht auf den konkreten Begriff »auctor« zurück, der von dem Verbum »augere«, mehren, abgeleitet ist. Ein »auctor« ist – wörtlich verstanden– ein »Mehrer«. In der altrömischen Gesellschaft ist das ein »Mehrer des Rechts« im weitesten Sinne des Wortes. Wichtige Verträge werden heutzutage von einem Notar beurkundet. Im alten Rom erhielten sie ihre Rechtskraft durch die Gegenwart eines »auctor«, also eines angesehenen Mannes, der glaubwürdiger Zeuge und Bürge des Vertragsschlusses war. Vertiefungen dazu finden Sie bei Dolf STERNBERGER (1959, S. 12 ff.), Horst RABE (1972/2004, S. 383 f.) und vor allem, grundlegend, bei Richard HEINZE (1925, S. 348 - 366). Prüft man den Sprachgebrauch des Wortes »auctor«, so sind zwei Bedeutungsebenen zu finden.
Der abstrakte Begriff »auctoritas« nimmt alle diese Bedeutungsschattierungen auf und verallgemeinert sie. Er bezeichnet folgende Aspekte.
Diese Übersicht macht ohne weitere Argumente deutlich, dass »Autorität« im pädagogischen Feld ein Begriff ist, dessen Bedeutung kaum überschätzt werden kann. Also lohnt es sich, ihn für die erzieherische Arbeit wiederzugewinnen. Für Skeptiker könnte es eine Brücke sein, wenn man bei der Verwendung des Begriffes »Autorität« auch an »Kompetenz«, »Authentizität« und »Integrität« denkt. 2.2 Funktion von Autorität und deren Rehabilitierung Ganz allgemein lässt sich »Autorität« als das Vermögen verstehen, die Zustimmung anderer zu gewinnen. Philippe FORAY (2008, S. 616, 625) engt dieses Verständnis ein und definiert Autorität als „die Macht, Gehorsam durchzusetzen, ohne auf Zwangsmaßnahmen zurückzugreifen“. Sie wirkt als „moralische“ Macht nur dann, wenn diejenigen sie anerkennen, über die sie ausgeübt wird. Hans-Georg GADAMER formuliert in exemplarischer Form die gedankliche Grundlage dieses Verständnisses von Autorität (1990, S. 283 ff.). Er argumentiert im Wesentlichen wie folgt.
3.0 »Autorität« als Gegenstand aktueller Fachdiskussion Vor dem Hintergrund der vorstehenden Darlegungen ist es verständlich, dass über »Autorität« und ihre Funktionen im erzieherischen Feld inzwischen wieder nachgedacht und diskutiert wird. Der »Zeitschrift für Pädagogik« ist dafür zu danken, dass sie den Thementeil des Heftes 5/2007 mit dem Titel »Pädagogische Autorität« veröffentlicht hat. An dieser Stelle können nur einige der dort erörterten Überlegungen skizziert werden. 3.1 Formen und Funktionen von Autorität Alexandre KOJÈVE hat – in idealtypischer Analyse – vier Aspekte von Autorität beschrieben (zitiert nach Roland REICHENBACH, 2008, S. 657 f.), und zwar die Autorität
Dem entsprechen vier Funktionsebenen:
Diese Typologie arbeitet knapp, aber eindrucksvoll Aufgaben heraus, die im pädagogischen Feld tätige Menschen wahrzunehmen haben, d. h. sie zu erkennen und zu erfüllen. Sie beziehen ihre Glaubwürdigkeit und Anerkennung
3.2 Autorität in der Erziehung – schädlich, überflüssig, notwendig? Ziel und Form von Erziehung enthalten einen Grundwiderspruch, den kein Geringerer als Immanuel KANT auf den Punkt gebracht hat (vgl. dazu die Webseite "Immanuel KANT – Die pädagogische Theorie", dort insbesondere Nr. 5). In moderner Sprache formuliert, lautet er: Der Mensch kann nicht ohne Fremdbestimmung zur Selbstbestimmung fähig werden. Das setzt Existenz und Einwirkung von Autorität voraus. Demgegenüber vertritt Jean-Jacques ROUSSEAU zu ungefähr gleicher Zeit den Standpunkt, Autorität habe in der Erziehung keinen Platz. So vernünftig sie auch sei, bewirke sie das Gegenteil dessen, was sie bezwecke. Mehr noch – gerade weil sie vernünftig sei, erweise sie sich als kontraproduktiv (zitiert nach Philippe FORAY, 2008, S. 619). In der Gegenwart oszilliert die Diskussion zwischen nostalgisch verklärtem Rückgriff auf überkommende Autoritätskonzepte einerseits und konsequenter Verbannung der Autorität aus der Erziehung andererseits. Weder der eine noch der andere Standpunkt werden jedoch den in unserer Zeit gestellten Aufgaben von Erziehung gerecht. Vierzig Jahre nach 1968 ist die überkommene Position zweifelsohne obsolet. Auf der anderen Seite ist es unrealistisch und darüber hinaus verantwortungslos, Kinder und Jugendliche in ihrer Entwicklung und ihrem Lernen lediglich „zu begleiten“, also sich selbst zu überlassen. Wir dürfen sie nicht mit einer Verantwortung belasten, die ihre intellektuellen wie seelischen Möglichkeiten übersteigt, sondern müssen uns einer Verantwortung stellen, der wir uns auch mit vermeintlich edelmütigen oder "demokratischen" Argumenten nicht entziehen dürfen. Dazu hat der ehemalige Leiter des Internat Salem, Bernhard BUEB, Überlegungen vorgetragen, die ernst genommen werden sollten, auch wenn sie - auf den ersten Blick und vordergründig - gängigen Überzeugungen nicht entsprechen. Mithin ist Erziehung ohne »Autorität« nicht möglich. Da Erziehung und
Unterricht als ein kommunikatives Geschehen zu verstehen sind (vgl.
dazu Roland REICHENBACH, 2007, S. 655), kann nicht übersehen werden,
dass damit eine komplementäre Situation mit einem Kompetenz- und
Machtgefälle besteht. Diese Tatsache wird als problematisch, vielfach sogar
als anstößig erlebt, wenn der gleiche Rang aller Menschen schematisch
verstanden und zum Maßstab gemacht wird. Die erzieherische
Konstellation mag komplementär sein, doch ist damit lediglich ein
Teilaspekt der erzieherischen Beziehung bestimmt. Wir sind darin frei, sie
nicht durch „autoritäres“ Gebaren zu belasten, mithin „symmetrisch“
zu gestalten. Wie das im Einzelnen zu leisten ist, kann hier nicht
entfaltet werden. Als Leitlinie kann jedoch die »Goldene Regel« dienen, Weiterführende Informationen zu den erzieherischen Aufgaben finden in den Texten auf der Webseite "Erziehung - Aufgaben, Grenzen, Legitimation". 4.0 Literaturgrundlage 4.1 »Pädagogische Autorität« als aktuelles Thema in der Zeitschrift für Pädagogik
4.2 Weitere Literatur zum Thema
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von: Dr.
Manfred Rosenbach - letzte Änderung
am: 14.09.08
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