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Vier Ohren müsste man haben ...

... vor allem wenn man Lehrer oder Lehrerin ist.

Eine Nachricht ist eine Nachricht.

Ja, was denn sonst?
Friedemann SCHULZ VON THUN skizziert in Band 3 seines bemerkenswerten Buches „Miteinander reden" (1998, S. 53 f. ) eine Szene, die Ihnen bekannt vorkommen könnte.

In Ihrer Klasse ging es ja hoch her in der letzten Stunde",
sagte der Schulleiter zum Referendar.

Der Referendar hört die Nachricht - und grübelt. Was hat der Schulleiter gesagt - nein, was hat er gemeint? Ja, es war gestern recht laut gewesen. Das brauchte der Schulleiter dem Referendar nicht erst zu sagen, weil der es selbst erlebt hatte. Was also wollte er ihm „eigentlich" sagen?

„Ich bin unzufrieden?" „Was war denn los?" „Ich halte Sie für unfähig." „Ich mache mir Sorgen um Sie, denn ich habe mir in diesem überalterten Kollegium viel von Ihrer Mitarbeit versprochen." „Stellen Sie das ab, sonst schreibe ich Ihnen ins Gutachten, dass Sie keine Disziplin halten können!" „Nicht verzagen, das ist mir damals auch so gegangen." „Wo drückt denn der Schuh? Vielleicht kann ich Ihnen ja helfen."

Die vier Seiten einer Nachricht

Bringen wir es auf eine Formel.

Jede Sachaussage enthält auch eine Beziehungsaussage, eine Selbstaussage und einen Appell, und in der Regel durchdringen diese Aspekte auch noch einander. Die Aussage einer Nachricht - ihre „Botschaft" - liegt also nicht von vornherein fest. Jede Nachricht enthält vier Aspekte, anders gesagt, vier mögliche Botschaften.

  • Sachinhalt
    Jede Nachricht enthält einen Sachinhalt:
    „Worüber ich informiere."
  • Selbstoffenbarung
    Jede Nachricht enthält auch Informationen über die Person des Senders. Das kann gewollte Selbstdarstellung sein, öfter aber handelt es sich um unbewusste und/oder ungewollte Selbstaussagen:
    „Was ich von mir selbst kundgebe."
  • Beziehung
    Aus der Nachricht geht ferner hervor, wie der Sender den Empfänger sieht und wie er die Beziehung zwischen sich und dem Empfänger bestimmt:
    „Was ich von dir halte und wie wir zueinander stehen."
  • Appell
    Nachrichten haben auch die Funktion, auf den Empfänger Einfluss zu nehmen:
    „Wozu ich dich veranlassen möchte."

Nutzanwendung für didaktisches und erzieherisches Handeln

Sie liegt auf der Hand.

  • Selbstaussage
    Der Verfasser ist davon überzeugt, dass Schule eine hochkomplexe Kommunikationssituation ist.
  • Beziehungsaspekt
    Er hält die Leser dieser Skizze für aufgeschlossene Menschen, die sich für eine unkonventionelle Betrachtungsweise interessieren könnten.
  • Appell
    Und er will dazu anregen, wahrnehmungsfähiger zu hören und bewusster zu sprechen.

Hier können Sie aufhören zu lesen und weitersurfen.

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Wenn Sie aber auf dieser Welle bleiben wollen, finden Sie hier noch
vertiefende Informationen.

Zusammenhänge und Auswirkungen

Das Sender-Empfänger-Modell

Die Verständigung von Mensch zu Mensch wird in der Fachsprache meist als Kommunikation bezeichnet. Insbesondere die sprachliche Kommunikation wird mit einem Modell beschrieben, das allgemein anerkannt ist und aus folgenden Elementen besteht:

Ein Mensch möchte einem anderen etwas mitteilen. Er ist der „Sender", seine Mitteilung ist die „Nachricht".

  • Der Sender verschlüsselt die Nachricht in Zeichen. In der Regel sind das gesprochene oder geschriebene Worte.
  • Der Angesprochene ist der „Empfänger". Er muss die Nachricht entschlüsseln.
  • Aus der Reaktion des Empfängers kann der Sender erschließen, ob und wie er verstanden worden ist. Diese Rückmeldung wird oft als „Feedback" bezeichnet.
  • Die Nachricht wird oft durch mehr oder weniger starke „Störungen" verändert oder gar verzerrt.

Störungen sind ein Grundelement der Kommunikation. Oft werden sie gar nicht bemerkt, und dennoch entstehen durch sie Missverständnisse. Wird ein Missverständnis wahrgenommen, so kommt es zu Verstimmungen - das ist verdrießlich. Wird es nicht wahrgenommen, so kommt es zu Konflikten - das kann verhängnisvoll sein.

Störungen der Verständigung sind grundsätzlich nicht vom guten Willen der Beteiligten abhängig. Sie werden nicht vom Individuum verschuldet, mögen sie auch oft mit dem Individuum zu tun haben, sondern liegen in der Natur der Sache. Störungen sind also eine allgemein-menschlich gegebene Tatsache.

Mithin kommt es darauf an, die Mechanismen der Störungen zu erfassen und zu untersuchen, um sie bearbeiten zu können.

Die zentrale Ursache für Störungen

Die Botschaftenvielfalt - man muss geradezu von einer „Quadratur der Nachricht" sprechen - ist die zentrale Ursache von Verständigungsschwierigkeiten. Auch bei vermeintlich eindeutiger Sprechweise des Senders ist es keineswegs sicher, dass der Empfänger die Botschaft zutreffend erfasst, die der Sender übermitteln wollte.

Die Ursachen dafür liegen sowohl in der Person des Sprechenden als auch in der Person des Angesprochenen, d.h. in ihren Verständigungs- und Verstehensgewohnheiten. Die Art zu sprechen und die Art zu verstehen hängen eng mit der Persönlichkeitsstruktur eines Menschen zusammen, seinen Erlebnissen und Prägungen, seiner Lebensgeschichte insgesamt.

Besonders bedeutsam ist dabei die Tatsache, dass viele Menschen - sowohl als Sprecher als auch als Zuhörer - dazu neigen, eine der vier Seiten einer Nachricht situationsunabhängig und gewohnheitsmäßig zu bevorzugen.

1. Ursachen beim Sprechenden - dem „Sender"

Eine Botschaft kann in einer Nachricht nicht nur ausdrücklich - explizit - formuliert, sondern auch beiläufig - implizit - enthalten sein.

In der Regel ist mit einer ausdrücklichen Botschaft zusätzlich eine beiläufige Botschaft verbunden. Nicht selten ist die beiläufig vermittelte, verdeckte Botschaft die vom Sender - bewusst oder unbewusst - eigentlich gemeinte Botschaft.

Die Botschaft einer Nachricht kann auch durch andere nachrichtenartige Elemente, z.B. den Situationszusammenhang, die Art der Formulierung, durch Tonfall, Gestik und Mimik in eine andere Botschaft umgewandelt werden, die zu ihr in Widerspruch steht, aber das eigentlich Gemeinte übermittelt.

Nicht bewältigte Konflikte in der Seele des Senders können eine Nachricht zu einer Doppelbotschaft werden lassen, die den Empfänger in jedem Fall zu einer Reaktion veranlassen, die den Sender enttäuscht.

2. Ursachen beim Hörenden - dem „Empfänger"

Die Quadratur der Nachricht gilt nicht nur für den Sender, sondern auch den Empfänger. Auch die Gewohnheiten des Empfängers, eine Nachricht zu entschlüsseln, werden in gleicher Weise geformt, wie es für den Sender dargestellt wurde.

Eine zentrale Ursache für Störungen liegt also in der Tatsache, dass der Empfänger in der von ihm aufgenommenen Nachricht eine andere Botschaft vernimmt, als der Sender ihm vermitteln wollte.

Mithin wird deutlich, dass der Empfänger für das Gelingen oder Misslingen der Verständigung in erheblichem Grade selbst verantwortlich ist.

Jede Rückmeldung, die der Empfänger dem Sender gibt, ist ihrerseits eine Nachricht. Auch sie hat wiederum vier Seiten. Deshalb kann ein Dialog sehr leicht zu einer Spirale von leichten oder auch schweren Missverständnissen werden.

Metakommunikation und Interaktion

Die dargestellten Mechanismen haben keineswegs schicksalhafte Natur. Zur Verständigung bereite Menschen sind ihnen nicht ausgeliefert, sondern können sie überwinden. Dazu ist es zunächst notwendig, sie zu erkennen und zu akzeptieren. Das macht es möglich, sich über die Voraussetzungen und Hintergründe von Störungen und Missverständnissen auszusprechen.

Für diese „Verständigung über Verständigung" hat sich der Begriff Metakommunikation eingebürgert.

Wenn auch auf dieser höheren Ebene dieselben Verständigungsschwierigkeiten erneut auftreten, bedarf es professioneller Hilfe, z.B. durch einen Erziehungs- oder Partnerschaftsberater.

Generell zeichnet sich diese Betrachtungsweise dadurch aus, dass sie die Ursachen nicht in den Individuen sucht, sondern in den Mechanismen der Verständigung; sie ist mithin psychologisch, nicht moralisch orientiert.

Ausblick

Diese Skizze kann nur einen Überblick geben. Ein vertieftes Verständnis menschlicher Kommunikation muss subtile Aspekte miteinbeziehen, wie sie vor allem in tiefenpsychologischen Betrachtungsweisen aufgedeckt werden.

1. Transaktionsanalyse

Die auf den Psychologen und Psychiater Eric BERNE zurückgehende Transaktionsanalyse greift zentrale Einsichten der Tiefenpsychologie auf und wendet sie auf die Verhaltensmuster an, in denen Menschen miteinander umgehen. Sie gewinnt dabei leicht zugängliche Möglichkeiten, Konflikte im Umgang mit anderen Menschen zu vermeiden oder wenigstens befriedigender zu bearbeiten.

Insbesondere trägt sie dazu bei, Situationen sicherer zu interpretieren und das eigene Verhalten bewusster zu gestalten. Zur Einführung eignen sich folgende Titel:

  • Rüdiger ROGOLL
     Nimm dich, wie du bist 
    Freiburg 1999, 11. Auflage, Herder TB 4046
  • Thomas A. HARRIS
    Ich bin o.k. du bist o.k. 
    Reinbek 1975 ff. Rowohlt Sachbuch 16916

2. Sprechakttheorie

Die Tiefenstruktur der sprachlichen Verständigung wird in der Sprechakttheorie untersucht. Die von ihr gewonnenen Erkenntnisse ähneln in großen Zügen den in diesem Text dargestellten Fakten. Sie vermitteln jedoch spezielle Einblicke in Funktion und Wirkung der Sprache. Deutlich werden hier vor allem die Zusammenhänge zwischen syntaktischer Form sowie beabsichtigter und tatsächlicher Wirkung sprachlicher Äußerungen.

Insbesondere Lehrer erhalten hier zahlreiche Anregungen, für die sprachliche Lenkung des Arbeitsprozesses differenzierte und variable Formen zu entwickeln und damit das Impulsrepertoire zu erweitern. Dazu finden Sie detaillierte Informationen auf den Webseiten „Sprachliche Impulse" und „Fragen als Mittel der Lenkung".

Literaturgrundlage

Die vorstehenden Ausführungen beruhen im Wesentlichen auf Band 1 des insgesamt dieses außerordentlich lesenswerten Titels

  • Friedemann SCHULZ VON THUN
    Miteinander reden
    Band 1: Störungen und Klärungen
    Psychologie der zwischenmenschlichen Kommunikation
    Reinbek 1981 ff., Rowohlt Sachbuch 17489
    Band 2: Stile, Werte und Persönlichkeitsentwicklung
    Reinbek 1989 ff., Rowohlt Sachbuch 18496
    Band 3: Das „Innere Team" und situationsgerechte Kommunikation
    Reinbek 1998, Rowohlt Sachbuch 60545

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Ausgearbeitet von:     Dr. Manfred Rosenbach -        letzte Änderung am: 24.07.09
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