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Andere Sicht auf Didaktik -

Angebote aus Wissenschaftstheorie und Naturwissenschaften

Übersicht
1.0 Vorbemerkung
2.0 Teleonomie versus Teleologie
       2.1 Teleologisches Denken
       2.2 Teleonomes Denken
       2.3 Dominanz des teleologischen Denkens und deren Überwindung
3.0 Konzepte für andere Sichtweisen
4.0 Literaturnachweis

1.0 Vorbemerkung

Nicht nur in der Wissenschaftstheorie, sondern auch in den Naturwissenschaften sind Einsichten gewonnen worden, die dazu anregen, wenn nicht gar zwingen, Aufgaben und Probleme von Erziehung und Unterricht anders als herkömmlich zu betrachten.
     Auf dieser Webseite werden dazu einige Grundgedanken vorgestellt. Sie entlasten die Darstellung den weiteren Webseiten, auf denen die einzelnen Theorieangebote beschrieben werden.

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2.0 Teleonomie versus Teleologie

Alfred K. TREML hat kürzlich (2002, S. 652 ff. ) wieder zu Bewusstsein gebracht, dass es zwei grundlegend unterschiedliche Weisen des Weltverständnisses gibt -

  • die teleologische Sichtweise,
  • die teleonome Sichtweise.

Beide Welterklärungsmuster haben ihre Wurzeln im philosophischen Denken der Antike. Die beiden Begriffe enthalten das griechische Wort »telos«, »das Ende« »das Ziel«, »der Zweck«.

2.1 Teleologisches Denken

In dieser Sichtweise verlaufen Entwicklungen auf ein Ziel hin. Die Ordnung der Welt wird durch ihre Zielorientierung erklärt. Die Wirklichkeit ist zweckmäßig geordnet, weil sie teleologisch, auf ein Ziel hin, verfasst ist. Die absichtliche Zwecksetzung bestimmt das Geschehen.
     "Am Anfang des menschlichen Denkens war der Zweck." Mit diesen Worten beginnt Nicolai HARTMANN (1966, S. 1) seine Untersuchung des teleologischen Denkens. ARISTOTELES (384/3 - 322 v.Chr.) hat diesem Denken die systematische Form geschaffen.

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2.2 Teleonomes Denken

Der Begriff »Teleonomie« geht, wie Ernst MAYR berichtet (1988, S. 70) auf C. S. PITTENDRIGH, 1958, zurück und wird von Jacques MONOD (1976, S. 17, 21) zentral verwendet. Er bezeichnet folgende Sichtweise: Vorgefundene bzw. zufällig entstandene Gegenstände oder Vorgänge erweisen sich als "zweckmäßig", weil sie sich für eine bestimmte Funktion eignen. Solch ein Gegenstand oder Vorgang verdankt also seine Zielgerichtetheit dem Wirken eines Programms (TREML a.a.O., S. 656, MAYR 1988, S. 61). In dieser Sicht also folgt Entwicklung aus einer Zweckmäßigkeit, die durch Funktionen bestimmt wird (vgl. auch Bernhard KYTZLER, 2001, Nr. 5708).
     Diese Auffassung vertrat erstmals der griechische Naturphilosoph EMPEDOKLES (483/2 - 423 v.Chr.), wie ARISTOTELES selbst mit seinem Bericht vermuten lässt (Phys. II,8 198 b 10 - 199 a 7 ed. Bekker; vgl. Hermann DIELS, Fragmente der Vorsokratiker 31, frgg. B 61,2 Z.18 und B 62,3).

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2.3 Dominanz des teleologischen Denkens und deren Überwindung

ARISTOTELES hat mit seinem teleologischen Denksystem die europäische Geistesgeschichte geprägt. Offenbar entspricht sie dem menschlichen Bedürfnis nach Sinn (vgl. Nicolai HARTMANN, 1966, S. 2 ff., S.7 f.,). Rupert RIEDL (1981, S. 148, vgl. S. 158 ff.) zählt die Sinn-Hypothese und ihre Konsequenzen zu den ältesten Regungen der menschlichen Seele. Insbesondere die Pädagogik ist durch teleologisches Denken bestimmt und kann geradezu als "eines seiner letzten Bollwerke" (TREML a.a.O., S. 663) gelten. Erziehung wird von ihren Intentionen her definiert, funktionale Erziehung jedoch wird skeptisch gesehen.

Teleonomes Denken tritt in der europäischen Geistesgeschichte erst im 19. Jahrhundert auf. Charles DARWIN hat es mit seinem epochalen Buch "Der Ursprung der Arten" 1859 zur Geltung gebracht.
     Seitdem muss das Verhältnis von absichtlicher Zwecksetzung und funktionaler Zweckmäßigkeit anders gewichtet werden. Teleonomie ist nicht die biologische Ausnahme, und Teleologie ist nicht die kulturelle Regel. Vielmehr muss Teleonomie in Natur und Kultur als Regel aufgefasst werden. Teleologie ist lediglich die seltene, auf den Nahbereich menschlichen Handelns beschränkte Ausnahme (TREML a.a.O., S. 659).

Wenn Sie zu diesen Überlegungen Vertiefungen suchen, können Sie sie bei Robert SPAEMANN (2005, S. 249 - 258) finden.

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2.4 Konsequenzen für die Pädagogik

Erziehung will Ziele und Absichten erreichen - das kann geradezu als ihr Wesensmerkmal gelten. Deshalb muss die hier dargestellte Sichtweise zu einem Verständnis von Pädagogik führen, das sich von den herkömmlichen Auffassungen fundamental unterscheidet und förmlich als provozierend, ja verstörend empfunden werden kann. TREML beschreibt sie wie folgt (a.a.O., S. 659):

Nicht die Zwecke der Erzieher entscheiden über die Erziehung,
sondern die Erziehung als Evolution entscheidet über die Zwecke, die erreicht werden.

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3.0 Konzepte für andere Sichtweisen

Vor dem dargestellten Hintergrund sind drei Ansätze vorzustellen, die eine neue Sicht auf Unterricht und Erziehung nahelegen.

  • Systemtheorie,
  • Evolutionstheorie,
  • Konstruktivismus.

Die meisten wissenschaftlichen Disziplinen untersuchen Gegenstände und Objekte, allgemein gesprochen, »Dinge« (SCHEUNPFLUG 2000,S. 17).
     Anders die Systemtheorie und die Evolutionstheorie. Beide Theorieansätze untersuchen

Verhältnisse, Relationen, Funktionen und Entwicklungen.

Sie unterscheiden sich durch den Gegenstand, den sie beschreiben:

  • Die Systemtheorie beschreibt soziale Systeme in Relation zu ihrer Umwelt.
  • die Evolutionstheorie beschreibt Veränderungen im Verhältnis zu einem zeitlichen »Vorher« und »Nachher«.

Der Konstruktivismus untersucht die Frage, auf welche Weise sich der Mensch "ein Bild von der Wirklichkeit macht". Die Antwort darauf ist von erheblicher Bedeutung für das Verständnis von Lernen und darauf fußender didaktischer Konzepte.
     Diese drei Ansätze enthalten vielfältige Berührungspunkte. Sie eignen sich dazu, in Erziehung und Unterricht zwar nicht alles anders, doch vieles besser zu erklären.
     Aus systematischen Gründen werden sie trotz der Zusammenhänge auf den folgenden Webseiten einzeln vorgestellt.

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4.0 Literaturnachweis

Hier werden nur die Titel aufgeführt, auf die sich dieser Text bezieht.
Ein zusammenfassendes Literaturverzeichnis sowie wichtige Grundlagenliteratur finden Sie auf der Webseite "Literaturgrundlage".

  • Nicolai HARTMANN
    Teleologisches Denken
    Berlin 1966, 2. Auflage

  • Bernhard KYTZLER
    Unser tägliches Griechisch
    Lexikon des griechischen Spracherbes
    Mainz 2001

  • Ernst MAYR
    Teleologisch und teleonomisch: eine neue Analyse
    in:
    Eine neue Philosophie der Biologie
    München/Zürich 1988, S. 51 - 86

  • Jacques Monod
    Zufall und Notwendigkeit
    München 1971, 4. Auflage 1976

  • Rupert RIEDL
    Biologie der Erkenntnis
    Die stammesgeschichtlichen Grundlagen der Vernunft
    Hamburg 1981

  • Annette SCHEUNPFLUG
    Evolutionäre Didaktik
    Unterricht aus system- und evolutionstheoretischer Perspektive
    Weinheim und Basel 2001

  • Robert SPAEMANN - Reinhard LÖW
    Die Frage Wozu?
    Geschichte und Wiederentdeckung des
    teleologischen Denkens
    München 1991, 3. Auflage, Serie Piper 748
    Neuauflage unter dem Titel
    Natürliche Ziele
    Geschichte und Wiederentdeckung des
    teleologischen Denkens
    Stuttgart 2005

  • Alfred K. TREML
    Evolutionäre Pädagogik
    Umrisse eines Paradigmenwechsels
    Zeitschrift für Pädagogik 48 (2002) Nr. 5, S. 652 - 669


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Ausgearbeitet von:     Dr. Manfred Rosenbach -        letzte Änderung am: 23.03.23
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