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Was auch gelernt wird

- Der unsichtbare Lehrplan -

1.0 Der Begriff und sein Hintergrund

Der Begriff ‘hidden curriculum’ stammt aus den Vereinigten Staaten. Korrekt übersetzt, bezeichnet er sachlich nüchtern den verborgenen oder den unsichtbaren Lehrplan. Die radikale Gesellschaftskritik der siebziger Jahre hat ihn aufgegriffen. Als „Heimlicher Lehrplan" wurde er in der Bundesrepublik Deutschland zum zentralen Vorwurf einer Schulkritik, die die offiziellen Ziele des Schulwesens für verlogen erklärte.
     Das ,Wort ‘heimlich’ löst negative Assoziationen aus und gehört eng zu dem Verbum verheimlichen’. Verheimlichen muss man böse Absichten, und genau das war gemeint. Hinter einen schönen Fassade solle das „eigentliche" Ziel von Schule versteckt werden - die jungen Menschen für den "Kapitalverwertungsprozess" abzurichten und so um ihr Recht auf Selbstverwirklichung, auf Emanzipation zu betrügen. Die Schule diene nur dazu, „die Gesellschaft zu reproduzieren", das „System zu stabilisieren".
     Dieser Vorwurf ist widersinnig. Das wird gerade jetzt deutlich, in einer Zeit, in der ein ganz anderer Vorwurf - womöglich zu Recht - erhoben wird: Die Schule leiste nicht genug für die notwendige Entwicklung der Gesellschaft und gefährde damit die Zukunftschancen der jungen Generation.
     Dennoch damit ist der Sachverhalt, den der Begriff ‘unsichtbarer Lehrplan’ beschreibt, nicht erledigt, er liegt jedoch auf einer anderen Ebene. Der Pädagoge und Philosoph Eduard SPRANGER hat ihn in seinem letzten, 1962 kurz vor seinem Tode erschienenen Buch tiefschürfend beschrieben. Dessen Titel lautet:

„Das Gesetz der ungewollten Nebenwirkungen in der Erziehung".

Spranger hat das Wort ‘Gesetz’ ausdrücklich betont. Also kann niemand diesem Gesetz entrinnen, also muss jeder Lehrer, jede Lehrerin die darin liegende Warnung gegen sich gelten lassen und als ständige Mahnung verstehen. Immer wird auch Anderes gelernt, ohne dass wir es wollen.

2.0 Gewollte Wirkungen - nicht gewollte Wirkungen

Wovor warnt uns das Gesetz, wozu mahnt es uns? Für eine Antwort scheint es nützlich,
zwei Bereiche zu unterscheiden - unsere Absichten und unsere Handlungen nebst deren jeweiligen Wirkungen.

2.1 Absichten und ihre Wirkungen

Didaktisches und erzieherisches Handeln ist immer intentional, denn es folgt einer Absicht und hat ein Ziel. Unserem Ethos als Erzieher entspricht es, dass es sich dabei immer um eine gute Absicht und ein wertvolles Ziel handeln muss.
     Das Gesetz warnt uns davor, uns mit der Güte unserer Absichten und dem Wert unserer Ziele zufrieden zu geben. Zugleich mahnt es uns, bewusst darüber nachzudenken, welche ungewollten Nebenwirkungen - im konkreten Einzelfall oder generell - Folge unseres Handelns sein werden. Wir können sie nicht ausschließen, doch wir können sie gedanklich vorweg nehmen und müssen sie in möglichst engen Grenzen halten. Im Extremfall können Erzieher in bester Absicht sogar genau das Gegenteil des Gewollten auslösen.
     Anders gesagt: Wir dürfen uns nicht von unserem erkenntnisleitenden Interesse blind machen lassen, sondern müssen fähig bleiben oder wieder werden, gleichsam „gegen den Strich bürstend" zu denken. Wir dürfen nicht eindimensional, sondern müssen in dialektischen Wirkungszusammenhängen denken. Wir dürfen nicht naiv, sondern müssen reflektiert handeln.

2.2 Verhalten und seine Wirkungen

Absichten und Ziele sind nur ein, wenn auch das zentrale Element didaktischen und erzieherischen Handelns. Wirksam sind außerdem unser Verhalten und Auftreten.
     In der Schule gibt es nicht nur das Lernen, das der Rahmenplan vorschreibt. Gelernt wird auch durch die Imitation von Vorbildern, mehr noch durch die Identifikation mit Vorbildern. Hier müssen wir uns einer bitteren Tatsache stellen. Sie lässt sich am besten in der Form eines Witzes vermitteln: „Niemand ist unnütz. Im schlimmsten Fall kann er immer noch als schlechtes Beispiel dienen. "Während positive Vorbilder oft enttäuschend wirkungslos bleiben, sind negative meist desto effektiver.
     Außerdem muss das ‘Lernen am Erfolg’ in den Blick genommen werden. Am wirksamsten ist es in dem Bereich, der am wenigsten von reflektierter, bewusster Steuerung geprägt ist - dem Umgang, den Interaktionen der Menschen miteinander. Das gilt für alle Beteiligten, seien sie Lehrer oder Schüler - die Verhaltensformen des Einzelnen verfestigen sich im Umgang mit den Anderen. Erfolgreich im Sinne dieses Lernprinzips sind oft Verhaltensweisen, die unseren erzieherischen Vorstellungen überhaupt nicht entsprechen.

All das geschieht weitgehend unbewusst. Wir mögen diese Mechanismen ablehnen, doch wir müssen ihre Existenz, ihre Wirkungen zur Kenntnis nehmen. Nur unter dieser Voraussetzung können wir mäßigend in sie eingreifen.

3.0 Folgerungen

Die Folgerungen für die berufliche Praxis von Lehrern ergeben sich gleichsam von selbst. Generell bestehen sie in der bewussten Entscheidung zu reflektiertem Handeln. Im Besonderen führen sie zu der Einsicht, dass das Sprechen, Verhalten und Agieren von Lehrern so weit wie möglich miteinander übereinstimmen sollten.
     Womöglich scheint Ihnen das alles abstrakt und abgehoben. Dann brauchen Sie nur einen konkreten Fall im Sinne dieser Überlegungen durchzuspielen.

3.0 Literaturhinweis

Die Theorie des ‘heimlichen Lehrplans’ wird übersichtlich und kompakt von Klaus W. DÖRING, Lehrerverhalten, Weinheim 1989 , S. 297 ff. beschrieben. Jürgen ZINNECKER, Der heimliche Lehrplan, Weinheim 1975, gibt eine ausführliche Darstellung sowie auf S. 197 ff. Lernzielkataloge, „verfasst von Autoren des heimlichen Lehrplans".


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Ausgearbeitet von:     Dr. Manfred Rosenbach -        letzte Änderung am: 15.01.08
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