Home ] Nach oben ] Zurück ] Weiter ]

 Sokratisches Lehrgespräch

- eine Satire -

Vorbemerkung

Im 18. Jahrhundert, also in der Zeit der Aufklärung, wurde das sokratische Lehrverfahren in die didaktische Praxis eingeführt. Erst im 19. Jahrhundert erhielt es jedoch den Rang der führenden Unterrichtsmethode. Die Formen, Bedingungen und Wirkungen der sokratischen Methode wurden unter Fachleuten schon früh ausführlich und kontrovers erörtert (Literaturnachweise bei Karl Heinz BLOCH, 1969).

So steht aufklärerischem Überschwang auch teils ernste, teils ironische Kritik gegenüber. Der folgende Text des Pädagogen SCHUMMEL, 1779 als Satire geschrieben, ist nach den Worten des Verfassers "ganz dem Leben abgelauscht und die feinste eigene Beobachtung des Sokratischen Verfahrens verrathend" (zitiert nach Karl Heinz BLOCH 1969, S. 26 f.)

Ein sokratisches Lehrgespräch

Direktor Umsicht besucht den Lateinunterricht einer Quarta (entspricht der 7. Klasse mit Latein als erster Fremdsprache). Als verantwortungsbewusster Schulleiter will er sich vom Lehrgeschick eines jungen Kandidaten - heute heißt das „Lehramtsanwärter"- überzeugen.

Die Klasse liest z. Zt. aus den Lebensbeschreibungen des Cornelius NEPOS das Leben des Pausanias, eines bedeutenden Feldherrn der Stadt Sparta. Als man zu der Stelle "Pausanias war ein großer Mann" kommt, übernimmt der Direktor die Führung des Gespräches. Nach längerem Hin und Her hat die Klasse schließlich herausgefunden, dass ein großer Mann etwas tun muss.

Nun geht es wie folgt weiter.

D: Bravo! Er muss etwas tun! Aber was muss er nun tun, das ist die Hauptfrage; wer kann mir das sagen?
Sa schweigen.
D: Ich sehe schon, ich muss Euch nur wieder ein wenig auf das Gleis helfen. Sagt mir einmal, wie heißt denn wohl das Substantiv zu Tun.
S1: Das Tun.
Direktor schüttelt den Kopf.
S2: Die Tuung.
Direktor schüttelt wieder den Kopf.
S3: Die Tat.
D: Ausgezeichnet! Nun sind wir nahe am Ziel. Wenn ein großer Mann etwas tun muss, was wird das wohl sein?
Sa: Er muss die Tat tun!
D: Den Plural, Kinder, den Plural! Der große Mann muss Taten tun - und was für welche?
S4: Große Taten!
D: Hervorragend! Das war ganz toll geantwortet. Nun ist alles klar! Also wer ist ein großer Mann?
Sa Der große Taten tut.
D: Richtig! Und warum nennt nun unser Cornelius Nepos den Pausanias einen großen Mann?
Sa: Weil er große Taten getan hat!
D: Wunderbar! Aber wie nun, wenn jemand keine großen Taten tut?
Sa: Dann ist er kein großer Mann.
Der Direktor wendet sich mit wohlwollendem Lächeln dem Lehramtsanwärter zu:
Sehen Sie, Herr Kollege, so fragt man Kindern die Gedanken aus der Seele heraus! So entwickelt man ihre konfusen Begriffe! Das ist die sokratische Lehrart. Ich empfehle sie Ihnen hiermit auf das Wärmste.

Home ] Nach oben ] Zurück ] Weiter ]


Ausgearbeitet von:     Dr. Manfred Rosenbach -        letzte Änderung am: 15.01.08
-