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Erkennen – Lernen – Erkenntnis

Lernen und Gedächtnis sind existenznotwendig

Übersicht
1.0 Das Problemfeld
2.0 Evolution des Erkennungsvermögens
      2.1 Erkennen ist immer auch Wiedererkennen
      2.2 Ohne Erkennen gibt es kein Überleben
      2.3 Vom Erkennen zur Erkenntnis
      2.4 Fragen und Folgerungen
3.0 Literaturnachweis

1.0 Das Problemfeld

Wir Menschen sind uns durch das Erlebnis unmittelbarer Evidenz zweier Fähigkeiten gewiß:

  • die Welt erkennen zu können,

  • Willensentscheidungen treffen zu können.

Hubert Markl (2004) führt dazu aus, weder Naturwissenschaft noch Philosophie könnten solche Evidenzerfahrung wegdisputieren. Sie müßten vielmehr deren Voraussetzungen und Grenzen durch kritische Analyse erkennbar und verständlich machen.

Eine dieser Voraussetzungen ist
die Evolutionsgeschichte der Befähigung,
wenigstens etwas von der Wirklichkeit der Welt zu erfassen –
sei dies auch noch so begrenzt.

Lernen und Gedächtnis erweisen sich dabei als grundlegende Fähigkeiten aller Lebewesen. Deswegen werden Markls Überlegungen hier zusammenfassend wiedergegeben.

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2.0 Evolution des Erkennungsvermögens

2.1 Erkennen ist immer auch Wiedererkennen

Die Evolution des Erkennungsvermögens wurde in mehreren Stufen vervollkommnet. Sie sind miteinander verschränkt, denn alles Erkennen ist immer auch ein Wiedererkennen. Denn alles Erkannte muß hinsichtlich seiner Wirkung bewertet werden, sonst könnten Verhaltensreaktionen die Fitness nicht situationsgerecht verbessern. Dazu sind Lernen und Gedächtnis notwendig.

Bei Tieren bilden Erkennen – Handeln – Lernen – Wiedererkennen eine ständig spezifischer werdende Spirale der Wissensbildung. Denn:

2.2 Ohne Erkennen gibt es kein Überleben

Worum geht es? Jedes Lebewesen muß, um zu überleben,

  • Beute fangen,

  • Feinde vermeiden,

  • Konkurrenten bzw. Partner erkennen.

Das wird durch eine Serie von teils angeborenen, teils erlernten Erkennungsleistungen gewährleistet.
Sie besteht aus folgenden Elementen:

Das Lebewesen muss

  • die Beute entdecken und vom Hintergrund unterscheiden,

  • sie identifizieren und bestimmen,

  • sofort bewerten,

  • sofort über Zugriff oder nicht entscheiden,

  • das Ergebnis – Erfolg oder Mißerfolg – erneut bewerten,
    mit früheren Erfahrungen rückkoppeln
    und die neue Erfahrung situationsgerecht speichern.

Alle Lebewesen, auch der Mensch, können erkennen, weil sie entscheiden müssen, sonst gibt es kein Überleben. Das Speichern macht aus dem vorherigen Erkennen ein bewertendes Wiedererkennen. Das leitet einen erneuten Kreislauf der ununterbrochenen Lernspirale ein, präzisiert sie, reichert sie an, perfektioniert sie.

Aus der zeitlichen Ordnung von Sinneswahrnehmungen, aus dem eigenen Verhalten und dessen Konsequenzen muss gelernt werden. Also sind dauerhafte Gedächtnisinhalte einzuspeichern. Dabei bildet sich durch Assoziation und zeitliche Nähe (Kontiguität) der Ereignisse ein Bewußtsein des Zusammenhanges von Ursache und Wirkung heraus. Somit erweist sich die Kausalität als eine naturgesetzliche Kategorie des Erkennens.

Ereignisse können ursächlich miteinander zusammenhängen. Sie können aber auch lediglich zufällig zusammentreffen – kontingent sein – und dabei als kausal zusammenhängend mißverstanden werden. Mithin muss ein Lebewesen über die Fähigkeit verfügen, aus dem zeitlich kombinierten Auftreten von Ereignissen, Handlungen und deren Folgen die Wahrscheinlichkeit eines Ursache-Wirkungs-Zusammenhanges realistisch einzuschätzen. Wo immer zwei Lebewesen aufeinandertreffen, gibt es für beide Seiten Optionen alternativen Agierens und Reagierens.

Gehirne sind deswegen darauf optimiert, ständig Kalküle und unbewußt-unbenannte oder aber bewußt-begriffliche Kalkulationen auszuführen. In den Worten MARKLs: „Bevor wir Fress-, Flucht-, Angriffs- oder Sexmaschinen sind, müssen wir – notgedrungen – ‚Berechenmaschinen’ sein."

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2.3 Vom Erkennen zur Erkenntnis

Auf diesen Voraussetzungen beruht eine weitere Stufe – die Entwicklung von Bewußtsein als Vorstellungsraum von Wirklichkeit und unserem Handeln darin. Die bewußte Fähigkeit, alternative Welten zu denken, läßt das Erkennen zum Wissen werden. Bewußt denkende Lebewesen können sich jedoch auch Dinge vorstellen, die nicht der Wirklichkeit entsprechen, und ihre Mitwelt darüber im Unklaren lassen, also täuschen.

Ein weiterer Schritt ist die Entwicklung des Sprachvermögens, damit auch des begrifflichen Denkens und des logischen Folgerns.

„Erst durch die begriffliche Sprache
geht das Denkbare über das Wahrnehmbare
und sogar über das Vorstellbare hinaus.“

Ein letzter Schritt führt zur Wissenschaft, einem

„intersubjektiv, sozial und sprachlich verfaßten System
von geordneter, zusammenhängender, geprüfter
und daher zuverlässiger Erkenntnis der Wirklichkeit.“

Erst hier kann von Erkenntnis im Wortsinn die Rede sein.

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2.4 Fragen und Folgerungen

Vor diesem evolutionären Hintergrund stellen sich Fragen von weitreichender Bedeutung:

  • Ist die Welt so, wie wir sie wahrnehmen, weil wir sie wahrnehmen? (nach KANT)

  • Oder nehmen wir die Welt so wahr, weil wir ganz und gar ihr Bestandteil sind?  (nach DARWIN)

Anders gefragt:

  • Bedingen die Anschauungsformen von Raum und Zeit
    und die zwölf apriorischen Kategorien das Erkennen – nach KANT – transzendental ?

  • Oder sind sie – nach DARWIN – durch Erfahrung bedingt?

Aus den Einsichten zur Evolution ergibt sich zur Entwicklung des Erkennungs- und Lernvermögens eine zwingende Folgerung:

Lebewesen, deren Wahrnehmungs- und Verhaltensreaktionen der Wirklichkeit nicht so wahrheitsgetreu entsprachen, wie für sie trotz ihrer Beschränktheit möglich ist, hatten keine Chance zu überleben.

Für die konstruktivistische Sicht des Erkennens folgt aus diesen Überlegungen eine wichtige Konsequenz:

Die richtige sensuneurale Netzwerkstruktur konnte nur durch Versuch und Erfolg in der Wirklichkeit in das Genom einprogrammiert werden. Diese Tatsache läßt deshalb nur solche Konstruktionen zu, die sich in der Wirklichkeit bewähren.

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3.0 Literaturnachweis

Der vorstehende Text beruht im Wesentlichen auf dem Aufsatz von

Hubert Markl
Wer Erkenntnis sucht, sollte erst einmal Erkennen lernen
Frankfurter Allgemeine Zeitung Nr. 96 vom 24. April 2004
Der Aufsatz kann im Archiv der FAZ (www.faz-archiv.de) – allerdings kostenpflichtig – nachgelesen werden.

  • Die Literaturnachweise
    für die weiteren Webseiten dieses thematischen Bereiches
    finden Sie hier.

  • Vertiefende Titel zur Evolutionären Erkenntnistheorie
    finden Sie hier.

  • Ein zusammenfassendes Literaturverzeichnis
    für die Themengruppe »Lernen – Voraussetzungen, Möglichkeiten, Probleme«
    finden Sie hier.


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Ausgearbeitet von:     Dr. Manfred Rosenbach -       letzte Änderung am: 24.05.18
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