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Motive schulischen Lernens

Übersicht
1.0 Die Fragestellung
2.0 Mögliche Antworten
      2.1 Kategorien nach Hans AEBLI
      2.2 Kategorien nach Gerhard ROSENFELD
      2.3 Kategorien nach Hans MEISTER
      2.4 Kategorien nach Hans SCHIEFELE
      2.5 Zusammenfassung
3.0 Leistungsmotivation
4.0 Problem: Motivationale Handlungskonflikte
5.0 Literaturgrundlage

1.0 Die Fragestellung

Welche Motive und/oder inhaltlichen Komponenten veranlassen einen Schüler zum Lernen? Bevor mögliche Antworten vorgestellt werden, ist es wichtig, den folgenden Sachverhalt zu sehen:

Die Motivation zum Lernen 
unterscheidet sich von der Motivation zum Handeln.

Hans AEBLI (1997, S. 149) beschreibt diesen Unterschied wie folgt.

Tätigkeiten im täglichen Leben haben ein Ziel. Der tätige Mensch erwartet von ihnen ein Ergebnis, einen Erfolg. Der wiederum wirkt auf die Tätigkeit zurück und bekräftigt sie. Menschen zu Tätigkeiten zu motivieren ist also i.d.R. einfach.

In der Schule hingegen wird etwas sehr Schwieriges versucht:

Lernen direkt auszulösen, ohne den Umweg über die echten Tätigkeiten.

Der Schüler müsste daher ebenso direkt für das Lernen motiviert werden.

2.0 Mögliche Antworten

Hier werden drei Kategoriensysteme vorgestellt, die Antworten auf die oben gestellte Frage zu geben versuchen. Sie haben lediglich analytische Funktion, weil nur so die einzelnen Aspekte klar herausgearbeitet werden können. In der Lebenswirklichkeit sind die Motive unterschiedlich stark ausgeprägt und auch bei erkennbarem Vorrang einer bestimmen Motivart immer mit anderen Motiven verwoben.

Insbesondere handelt es sich dabei um Motive, die i.S. des oben beschriebenen Unterschieds Tätigkeiten auslösen. Zum Lernen motivieren sie nicht unmittelbar, doch sind sie die Grundlage für einsichtiges didaktisches Handeln und können für die Motivation zum Lernen erschlossen und in den Dienst der Sache gestellt werden.

Die folgenden Aufstellungen dienen dazu, möglichst viele Aspekte vorzustellen – unabhängig davon, wie man sie im Einzelnen bewertet. Zuvor jedoch lohnt sich ein Blick auf Überlegungen Jerome S. BRUNERs. Er hält (1974, S. 112 und 115) die Neugier und den Antrieb, Kompetenz zu erlangen, für die zentralen Motive des Lernens.

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2.1 Kategorien nach Hans AEBLI

Hans AEBLI führt folgende Motive auf (1997, S. 143 ff.):

  • Soziale Ich-Motive
    o Bedürfnis nach Zugehörigkeit
    o Bedürfnis nach Anerkennung

  • Prosoziale Motive

  • Individuelle Ich-Motive, z.B.
    o Selbständigkeit, Autonomie
    o Urheber eigener Handlungen
    o Selbstkontrolle (Steuerung)
    o Kompetenz

  • Bedürfnis nach Verstehen und Ordnung

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2.2 Kategorien nach Gerhard ROSENFELD

Gerhard ROSENFELD (1972) hat die Ergebnisse empirischer Erhebungen folgenden Motivkategorien zugeordnet:

A. Zweckfreie Motivinhalte

Lernen als Selbstzweck:

  • Funktionslust,

  • Freude am Vorgang,

  • Vergnügen und Unterhaltung,

  • Spannung, Überraschung und Sensation,

  • Reiz des Unbekannten,

  • Lösungs- und Problemfreude.

B. Zweckgebundene Motivinhalte

  • Lernen um persönlicher Vorteile willen:
    Streben nach materiellem Gewinn, aber auch nach sozialen Vorzugsstellungen.

  • Lernen auf Grund sozialer Identifikationen:
    vor allem zur Freude nahestehender Personen oder auch im Zusammenhang mit Vorbildern.

  • Lernen aus Streben nach Erfolg oder Vermeiden von Misserfolg:
    Steigerung des sozialen Ansehens bzw. Vermeiden von Blamagen.

  • Lernen aus Gewissenszwang:
    erlebte Verpflichtungen und verinnerlichte Gebots- und Verbotsnormen.

  • Lernen infolge Zwang und Druck (autoritative Maßnahmen, Strafvermeidung).

  • Lernen auf Grund lebenspraktischer Zielsetzungen:
    Beruf, Lebensstellung, Lebensziele.

  • Lernen auf Grund von gesellschaftlichen Ansprüchen:
    Identifikation mit gesellschaftlichen Normen, weltanschaulichen Prinzipien und politischen Zielsetzungen

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2.3 Kategorien nach Hans MEISTER

Hans MEISTER (1977) unterscheidet drei Gruppen von Motiven, die in Zusammenhang mit schulischem Lernen zu benennen sind:

A. Motive, die in besonderer Weise zu fördern sind,

weil sie zentralen Zielen der Persönlichkeitsentwicklung entsprechen:

  • Sozialmotive:
    Zusammenarbeit, Hilfsbereitschaft, Verantwortungsgefühl, Solidarität;

  • Selbstmotive:
    Selbständigkeit, Eigenverantwortung, Mündigkeit, Ich-Identität;

  • Sachmotive:
    Interessen und Wertorientierungen, die sich auf Sach- und Inhaltsbereiche beziehen.

  • Neugiermotive:
    Bereitschaft, „Neues“ kennenzulernen und sich mit „Neuem“ auseinanderzusetzen.

  • Lernmotive:
    Bereitschaft neues Wissen zu erwerben und die eigenen Fertigkeiten zu vervollkommnen.

B. Motive, deren Förderungswürdigkeit ambivalent ist,

weil sie in der Schule ohnehin stark betont werden und/oder Ziele der Persönlichkeitsentwicklung beeinträchtigen können:

  • Leistungsmotive:
    Bereitschaft, die eigene Tüchtigkeit bei Tätigkeiten, in denen Gütemaßstäbe eine Rolle spielen, aufrechtzuerhalten und zu steigern.

  • Identifikationsmotive
    Bestreben, sich an einem Vorbild zu orientieren und die Ähnlichkeit mit ihm so weit wie möglich zu steigern.

  • Zustimmungsmotive:
    Bestreben, die Zustimmung anderer (z. B. der Lehrer, aber auch der Gruppe) zu erhalten und möglichst positiv beurteilt zu werden.

  • Geltungsmotive:
    Bestreben, beachtet und anerkannt zu werden, Geltung zu erreichen.

C. Motive, die keinesfalls zu fördern sind,

weil sie wichtigen Erziehungszielen zuwiderlaufen und/oder als Motive schulischen Lernens zu große Bedeutung haben:

  • Machtmotive:
    Bestreben, Einfluss auf andere auszuüben.

  • Aggressionsmotive:
    Bereitschaft, anderen Schaden zuzufügen oder unerwünschte Bedingungen zu beseitigen.

  • Strafvermeidungsmotive:
    Bestreben, negative Sanktionen zu vermeiden.

  • Fluchtmotive:
    Bestreben einer Person, Zielen, Aufgaben, Anforderungen auszuweichen.

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2.4 Kategorien nach Hans SCHIEFELE

Hans SCHIEFELE (1970, S. 70 ff.) gibt einen informierenden Überblick einiger grundlegender Konzepte der Motivation. 
     Ferner stellt er eine Hierarchie von Motiven vor und ordnet ihnen Qualitäten des angestrebten Vollzuges in der Außenwelt zu:

  • Bergung, Sicherung
wohlwollend offen, vertraut einladend, 
warme Atmosphäre
  • Tätigsein, Spiel
manipulierbar, probierbar, auf Handlung zurückführbar
  • Erleben als Selbsterregung
aufregend, ungewöhnlich, sensationell
  • Neugier
aktuell, verborgen
  • Geltung, Erfolg
Beifall, Anerkennung, Bewunderung, 
Respekt ermöglichend
  • Selbstbehauptung, sozialer und sachlicher Situations»druck«
befohlen, gefordert, unerlässlich notwendig
  • Miteinandersein und -tun
gemeinsam, in gegenseitigem Kontakt und wechselseitige Hilfe zu vollbringen
  • Werkfreude, Schaffenslust, Vollendungsstreben
fertig, abgeschlossen, ganz, erledigt -
die eigene Lebenskraft bestätigend
  • Interesse, Liebe zu etwas
wissenswert, Teilhabe an ihrem Sosein fordernd, zur Exploration verlockend
  • Liebe zu jemand
den geschätzten Menschen erfreuend, beruhigend, ihm dienend
  • Pflicht, ethischer Imperativ, Selbstwertschätzung
sein-sollend, vom Gewissen geboten, den auf die Person bezogenen Eigenwert nicht verletzend
  • Gehorsam dem Anruf der Wahrheit
Lebenssinn erfüllend, dem absoluten Sein gehorchend, religiösen Imperativen gehorchend

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2.5 Zusammenfassung

Hans SCHIEFELE (1974, S. 122 ff., S. 134) entwirft eine Interaktionstheorie des Motivlernens, in deren Mittelpunkt die folgenden Wirkbedingungen  für den Person-Welt-Bezug stehen:

  • Kontiguität

  • Bekräftigung

  • Einsicht

Generell dürfte im Anschluss an seine Aufstellungen gelten (S. 100):

  • Motive werden erlernt.

  • Motive werden durch motivierte Lernprozesse erworben.

  • Motive werden handelnd erworben.

Für die Entstehung von Motiven gelten drei Bedingungen (S. 138):

  • Angeborene Grundbedürfnisse werden kulturspezifisch entfaltet oder eingeschränkt.

  • Wertüberzeugungen und Verhaltensnormen werden zu inneren Handlungseinrichtungen.

  • Einsichtig werden Sinnzusammenhänge erfasst und Beziehungen gestiftet, die die Handlungen des Individuums leiten.

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3.0 Leistungsmotivation

Leistung nimmt in Unterricht und Erziehung, erst recht jedoch in der Lebenswirklichkeit einen zentralen Platz ein. Der Leistungsbegriff und die mit ihm verbundenen Probleme können hier weder dargestellt noch erörtert werden. Nach einer Phase heftiger und polemischer Kritik, ja Abwertung wird »Leistung« inzwischen wieder nüchterner und sachgerechter gesehen. Verantwortliches didaktisches und erzieherisches Handeln ist nur möglich, wenn Leistung weder zum Fetisch erhoben noch verteufelt wird.

Vertiefungen zur Leistungsmotivation und ihrer Bedeutung für schulisches Lernen finden Sie auf der gleichnamigen Webseite.

4.0 Problem: »Motivationale Handlungskonflikte«

Erörterungen über das Verhältnis junger Menschen zum schulischen Lernen und ihrer Motivationslage sind leicht in Gefahr, eindimensional zu bleiben. Die Schule ist jedoch im Leben junger Menschen nur ein Segment unter anderen, und für manche noch nicht einmal das wichtigste. Manfred HOFER (2004) bringt das auf eine plastische Formel:

"Schüler wollen für die Schule lernen, aber auch anderes tun."

Der Wertewandel führt offenbar zu einer Konkurrenz zwischen Zukunfts- und Gegenwartsorientierung, mithin zum einem Konflikt zwischen Leistungs- und Wohlbefindenswerten. Das hat Auswirkungen auf die Schulleistungen. 

Die Adoleszenzforschung (neben Manfred HOFER vor allem auch Stefan REINDERS, 2005) hat dazu eine Typologie entwickelt, deren empirische Überprüfung ernüchternde Ergebnissen erbracht hat. Wenn Freizeitaktivitäten für junge Menschen wichtig sind, führt das immer zu Motivationskonflikten und geht in der Regel zu Lasten der Schulleistungen. Das gilt vor allem für die Jugendlichen, die die Vorbereitung auf das Erwachsenenalter einerseits und das Ausleben der Jugendzeit andererseits als gleichrangige Ziele ansehen. Der Wissenserwerb steht bei ihnen hoch im Kurs, doch setzen sie für das schulische Lernen weniger Zeit und Energie ein, als zu erwarten wäre (REINDERS, a.a.O., S. 565).

Daraus folgen für Unterricht und Erziehung Aufgaben,  die Motivation zu einer besonderen Herausforderung werden lassen.

5.0 Literaturgrundlage

Hier werden nur die Titel genannt, auf die im vorstehenden Text direkt verwiesen wird. 
Die Literaturnachweise für die weiteren Webseiten dieses thematischen Bereiches 
finden Sie hier.
Ein zusammenfassendes Literaturverzeichnis
für die Themengruppe »Lernen – Voraussetzungen, Möglichkeiten, Probleme«
finden Sie hier.

  • Hans AEBLI
    Lernmotivation und Motivlernen
    in:
    Grundlagen des Lehrens
    Eine Didaktik auf psychologischer Grundlage
    Stuttgart 1997, 4. Auflage, S. 133 - 175

  • Jerome S. BRUNER
    Der Wille zum Lernen
    in:
    Entwurf einer Unterrichtstheorie
    Sprache und Lernen Band 5
    Berlin 1974, S. 111 - 124

  • Manfred HOFER
    Schüler wollen für die Schule lernen, aber auch anderes tun
    Theorien der Lernmotivation in der Pädagogischen Psychologie
    Zeitschrift für Pädagogische Psychologie 18 (2004) H. 1, S. 79 - 92

  • ders. – Heinz REINDERS – Stefan FRIES – u.a.
    Die Theorie motivationaler Handlungskonflikte
    Ein differentieller Ansatz zum Zusammenhang zwischen Werten 
    und schulischer Lernmotivation
    Zeitschrift für Pädagogik 51 (2005) Nr. 3, S. 326 – 341

  • Hans MEISTER
    Förderung schulischer Lernmotivation
    Düsseldorf 1977

  • Heinz REINDERS
    Jugendtypen, Handlungsorientierungen und Schulleistungen
    Zeitschrift für Pädagogik 51 (2005) Nr. 4, S. 551 -567

  • Gerhard ROSENFELD
    Theorie und Praxis der Lernmotivation
    Ein Beitrag zur pädagogischen Psychologie
    Berlin 1972, 7. Auflage

  • Hans SCHIEFELE
    Motivation im Unterricht
    Beweggründe menschlichen Lernens 
    und ihre Bedeutung für den Schulunterricht
    München 1970, 4. Auflage, S. 92, 161 - 185

  • ders.
    Lernmotivation und Motivlernen
    Grundzüge einer erziehungswissenschaftlichen Motivationslehre
    München 1974, 2., durchgesehene Auflage


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Ausgearbeitet von:     Dr. Manfred Rosenbach -       letzte Änderung am: 15.01.08
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