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Einstellungen zum Lernen – »Motivation«

Einführung in das Thema

1.0 Das Problemfeld

„Wenn man irgendeine Aktivität nennen sollte,
für die der Mensch optimiert ist,
so wie der Albatros zum Fliegen oder der Gepard zum Rennen,
dann ist es das Lernen.“

So schreibt Manfred Spitzer (2002, S. 10, ähnlich Annette Scheunpflug, 2001, S. 27), vgl. dazu die Webseite „Lernen – Das Problemfeld“. Deshalb findet sich in der einschlägigen Fachliteratur immer wieder die Aussage, dass Menschen zum Lernen nicht motiviert zu werden bräuchten, weil sie von Natur aus dazu motiviert seien. Diesen Standpunkt vertrat z.B. schon vor dreißig Jahren Jerome S. BRUNER (1974, S. 111) und jetzt - besonders pointiert - SPITZER (a.a.O., S. 192 f.).

Dennoch ist »Motivation« für jeden Schulpraktiker ein schwieriges und oft genug schmerzliches Thema. SPITZER bringt das auf den Punkt, indem er (a.a.O., S. 193) schreibt:

„Die Frage lautet nicht: Wie kann ich jemanden motivieren?
Vielmehr stellt sich die Frage, 
warum viele Menschen so häufig demotiviert sind.“

Für diese Problematik gibt es strukturelle Ursachen. Sie bestehen unabhängig vom Können des einzelnen Lehrers, weil sie in der Natur der Sache liegen. 

Horst SIEBERT (1998, S. 280 ff.) fasst den Sachverhalt in dieser zugespitzten Formulierung zusammen:

"Wir alle sind lernfähig, aber unbelehrbar.
Wir alle lernen nicht, wenn wir lernen sollen.
Wir ändern unser Verhalten nur dann, 
wenn wir uns ändern wollen 
und wenn Veranlassung dazu besteht."

Lernen in der Schule ist folglich von einer mehrschichtigen Paradoxie geprägt:

  • Menschen möchten sich i.d.R. als Urheber ihrer Handlungen wahrnehmen und sich in ihnen als erfolgreich erleben. In der Schule werden sie jedoch ständig mit Aufforderungen zu einem bestimmten Handeln oder Verhalten konfrontiert, für das sie – wenigstens im Augenblick – keinen Anlass sehen.

  • Die Gegenstände schulischen Lernens werden aus übergeordneten oder vorgegebenen Notwendigkeiten eines von der Gesellschaft systematisch organisierten Lernens abgeleitet. „Lernen auf Vorrat“ entspricht jedoch i.d.R. nicht den individuell-situativen Lernbedürfnissen junger Menschen.

Ein anonymes Graffito (vermutlich erstmals im Herbst 1989 am U-Bahnhof Berlin-Alexanderplatz - so http://bloggitt.de/gebloggitt1080.htm -, im Internet vielfach zitiert) bringt das eindrucksvoll auf den Punkt:

Wenn ich nur darf, wenn ich soll,
aber nie kann, wenn ich will,
dann mag ich auch nicht, wenn ich muss.

Wenn ich aber darf, wenn ich will,
dann mag ich auch, wenn ich soll.
Und dann kann ich auch, wenn ich muss.

Denn schließlich: 
Die können sollen, müssen wollen dürfen.

Diese Paradoxie wird im schulischen Alltag dadurch noch verschärft, dass sich die Einstellungen der Schüler zum Lernen individuell erheblich unterscheiden. Sie ist im Übrigen keineswegs das Ergebnis mangelnder Einsicht oder verständnisloser Herrschsucht seitens der Lehrenden. 

Die moderne Schule wurde zu einer Zeit „erfunden“, als die natürlichen Formen imitierenden und famulierenden Lernens in Familie und Beruf den Anforderungen der gesellschaftlichen Komplexität nicht mehr genügten. Wie sich dieses natürliche Lernen vollzog, wird von Alex HALEY (1981) in dem Bericht über Kindheit und Jugend seines aus Gambia stammenden Vorfahren Kunta Kinte eindrucksvoll beschrieben. Dessen Lektüre lässt zugleich deutlich werden, dass diese Form einer „Einführung in das Leben“ keineswegs nur idyllisch war und für moderne Gesellschaften kein Erziehungsmodell mehr sein kann.

Annette SCHEUNPFLUG (2001, S. 162) sieht folgende Grundaufgaben der Schule:

  • Durch Vermittlung von abstrakten Grundfertigkeiten und von Lernfähigkeit wird die Fähigkeit angebahnt, unspezifische Situationen jetzt und in Zukunft zu bewältigen – »Anschlußfähigkeit«.

  • Systematisch organisierter Unterricht ist sachlich und zeitlich ökonomischer, als auf jeweils konkrete Lernsituationen zu warten. Der Zeitgewinn auf gesellschaftlicher Ebene kann jedoch individuell geradezu als „Zeitverschwendung“ empfunden werden.

Jürgen OELKERS (1999, S. 259 f.) ergänzt:

  • Schulen müssen verschiedenen Talenten Lernwege eröffnen, die Alltagswissen mit Fachstandards konfrontieren. Ihnen stehen für diese Aufgabe keinen „Motivationen an sich“ zur Verfügung.

  • Schulen bedienen also nicht einfach Lernmotivationen, sondern vollziehen einen kulturellen Auftrag, der Lernen auf geordnete Erfahrungen bezieht.

Die Erfüllung dieser Aufgaben wird durch eine weitere Paradoxie erschwert.

Lernen ist anstrengend und bedarf der Konzentration. Die Umwelt, in der junge Menschen aufwachsen, ist jedoch durch das Streben nach Erleichterung, Zerstreuung, Spannung und Reizwechsel gekennzeichnet. Ihr Wahrnehmungstypus wird wesentlich durch die modernen Medien geprägt. Zu nennen sind hier das Fernsehen mit seinen schnellen Schnittfolgen und dem Wechseln der Kanäle („Zappen“) sowie das Internet mit seinen vielfältigen Verzweigungen, die von systematischer Durchdringung eines längeren Gedankenganges ablenken.

2.0 Zur Konzeption des thematischen Bereiches »Motivation«

Die vorstehenden Überlegungen machen es verständlich, dass die psychologische Grundlegung der Motivation komplex und deren didaktische Praxis schwierig ist. 

Vor dem Hintergrund einer weitverzweigten Literatur wird hier der Versuch unternommen, zentrale Aspekte der Theoriebildung herauszuarbeiten und dabei auch die Entwicklung des Diskussionsstandes vorzustellen. Wenigstens in Ansätzen wird dessen repräsentative Darstellung unternommen, doch bleibt diese weitgehend dem immer wieder neuen Bemühen des Verfassers verbunden, den Mitgliedern des von ihm seinerzeit geleiteten Seminars eine brauchbare Grundlage für ihre didaktischen Aufgaben zu erschließen.

Eine aktuelle und thematisch kompakte Übersicht wesentlicher Einsichten zum Thema finden Sie bei Ruth RUSTEMEYER (2004).

Damit es keine Missverständnisse gibt:

Hier wird nicht zu Fatalismus angeregt. Im Gegenteil – wenn wir Lehrer unseren Schülern gerecht werden wollen, müssen wir die Bedingungen erkennen, die ihr Verhalten beeinflussen, und sie akzeptieren. Desto wirkungsvoller können wir ihnen dann dabei helfen, sich den Aufgaben schulischen Lernens erfolgreich zu stellen.

Deshalb wird hier eine Empfehlung ausgesprochen, die sich geradezu leitmotivisch durch die Bausteine dieses thematischen Bereiches zieht. 

  • Wir Lehrer sollten die Schüler nicht nur zu motivieren suchen, 
    sondern wir müssen vor allem darauf achten, sie nicht – 
    und das geschieht meist unabsichtlich, nicht selten auch ahnungslos – 
    zu demotivieren. 

Wilhelm BUSCH hat hierzu die - leicht abgewandelte - Einsicht formuliert („Die fromme Helene“, Schlussverse):

Das Richt'ge, dieser Satz steht fest,
ist meist das Falsche, das man lässt.

3.0 Literaturgrundlage

Hier werden nur die Titel genannt, auf die im vorstehenden Text direkt verwiesen wird.
Weitere Literaturnachweise für die Webseiten dieses thematischen Bereiches 
finden Sie hier.
Ein zusammenfassendes Literaturverzeichnis
für die Themengruppe »Lernen – Voraussetzungen, Möglichkeiten, Probleme«
finden Sie hier.

  • Jerome S. BRUNER
    Der Wille zum Lernen
    in:
    Entwurf einer Unterrichtstheorie
    Sprache und Lernen Band 5
    Berlin 1974, S. 111 - 124

  • Alex HALEY
    Roots
    New York 1976
    Wurzeln
    Frankfurt am Main 1977, Berlin 1981

  • Jürgen OELKERS
    Kanon und Wissen
    Standards gymnasialer Bildung
    Anregung 45 (1999) H.4, S. 250 – 261

  • Ruth RUSTEMEYER
    Motivationale und emotionale Einflussfaktoren für Lernleistung
    auf Seiten der Schülerinnen und Schüler
    in:
    Einführung in die Unterrichtspsychologie
    Darmstadt 2004, S. 11 - 52

  • Annette SCHEUNPFLUG
    Biologische Grundlagen des Lernens
    Berlin 2001

  • Horst SIEBERT
    Ein konstruktivistisches 'Reframing" der Pädagogik?
    in:
    Reinhard VOSS (Hrsg.)
    Schulvisionen
    Theorie und Praxis konstruktivistischer Pädagogik
    Heidelberg 1998

  • Manfred SPITZER
    Lernen
    Gehirnforschung und die Schule des Lebens
    Darmstadt 2002


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Ausgearbeitet von:     Dr. Manfred Rosenbach -       letzte Änderung am: 27.03.08
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