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Der junge Hirte
und die
Drei Könige aus Pädagogistan

Ein Rollenspiel von Frank MEHLHAFF

Statt eines Programmzettels ...

Die Gruppierungsformen gehören zu den zentralen Themen der Didaktik. Darum sind sie in den Bausteinen auch mit dem gehörigen Ernst behandelt worden. Zum Ausklang ein wenig

Scherz, Satire, Ironie - und tiefere Bedeutung ...

... zugleich ein doppelbödiger Beitrag zum Thema Transfer - gefunden in der Deutschen Lehrerzeitung Nr. 40/1995.

Die PERSONEN des Rollenspiels:

König TIEBRALEZNIE, König TIEBRARENTRAP, König TIEBRANEPPURG,
Hirte RADNEREFER,
Schafe, Sprecher

Das Spiel beginnt ...

SPRECHER:
Hirte Radnerefer steht auf seinen Hirtenstab gestützt und schaut voller Zufriedenheit seinen Schafen zu, die mechanisch die ihnen heute zugedachte Parzelle der saftigen Wiese der Erkenntnis abgrasen. Die Schafe wachsen gut und haben eine glänzende Wolle. Da wird Radnerefer jäh in seiner Meditation gestört, es ist König Tiebraneppurg, der ihn anspricht.

TIEBRANEPPURG:
Du hütest deine Schafe auf den Wiesen der Erkenntnis. Die Absicht ehrt dich, doch allein die
FORM, wie du sie weidest, verurteilt dich zum Scheitern. Denn die Weideformen regeln die Beziehungsstruktur beim Schafehüten. Sie haben eine äußere, räumlich-personal-differenzierende und eine innere, die Kommunikations- und Interaktionsstruktur regelnde Seite. Und du hütest zu frontal!

HIRTE:
Warum? Ich hüte meine Schafe so, wie es mich mein Großvater lehrte. Ich bestimme, was sie fressen, wann sie saufen, wo sie ruhen und wohin sie laufen. So werden sie fett, und ich kann sie verkaufen.

TIEBRANEPPURG:
Fett??? Hast du denn nicht die neue Verkündigung gehört? Fette und träge Schafe sind megaout. Die Herren wollen mageres Fleisch, sie wollen Schafe, die sich flexibel verarbeiten lassen.

HIRTE:
Flexible Schafe? Wie soll ich das erreichen?

TIEBRANEPPURG:
Nun höre! Gruppenhüten ist eine Weideform, bei der durch zeitlich begrenzte Teilung der Schafherde in mehrere Abteilungen fressfähige Kleingruppen entstehen, die gemeinsam auf der vom Hirten zugewiesenen oder selbst gesuchten Wiese weiden.

Du hütest alle Schafe gleich, die jungen wie die alten. Aber sie fressen und verdauen doch alle unterschiedlich! Darum bilde mit ihnen homogene Gruppen, in denen gleiche Schafe gemeinsam fressen und verdauen, und hüte diese Gruppen je nach ihrem Bedarf und auch nach ihrem Willen. Gib jeder Gruppe einen eigenen Leithammel. Du wirst sehen, der Erfolg wird sich bald einstellen. Die Schafe werden flexibler fressen und besser verdauen.

HIRTE:
Toll, ich will es gleich versuchen!

SPRECHER:
An den folgenden Abenden brauchte der Hirte etwas länger, um die Schafgruppen in den Kral zurückzutreiben. Tagsüber hatte der Hirte Probleme, die Einteilung der Gruppen aufrecht zu erhalten. Die Leithammel gerieten untereinander in Streit um die angenehmsten Fressbedingungen. Am siebenten Tag runzelte der Hirte die Stirn und wollte gerade seinen Schafen die Leviten lesen, da kam König Tiebrarentrap des Weges.

TIEBRARENTRAP:
Was, du lässt deine Schafe in großen Gruppen weiden? Und dann auch noch unter dem Diktat jeweils eines Leithammels! So wirst du keinen Erfolg haben. Höre, die Schafe unterscheiden sich doch nicht nur im Alter, sondern es gibt weiße, graue und sogar schwarze. Nun gib immer zwei gleiche zusammen, und du wirst sehen, dass sie gut miteinander kommunizieren und gemeinsam ihren optimalen Fressplatz auf der Wiese der Erkenntnis finden werden. Oder tue zwei verschiedene zusammen, und du wirst sehen, wie sie voneinander lernen, schnell zu fressen. Dann werden es prächtige Schafe.

HIRTE:
Nun, ich werde es versuchen!

SPRECHER:
An den folgenden Abenden brauchte der Hirte sehr lange, um die Schafe zum Schlafplatz zurückzutreiben. Einige hatten sich auf der Wiese der Erkenntnis verirrt.

Tagsüber hatte er große Mühe, die Raubtiere von der zerstreuten Herde fernzuhalten und fand so kaum noch eine Ruhepause. Viele Schafen sahen absolut nicht ein, dass sie nur zu zweit fressen sollten, und riefen laut nach ihren Mitschafen. Andere Schafpaare kamen nicht miteinander klar störten sich gegenseitig beim Weiden.

Müde und abgemagert - wie einige seiner Schafe - schaute der Hirte am siebenten Tag in den Himmel und wollte gerade mit paar Flüchen auf Schafe und Könige seinem Herzen Luft machen, da stand neben ihm König Tiebraleznie. Er legte seine Hand die Schulter des Hirten und sprach fühlend auf ihn ein.

TIEBRALEZNIE:
Ich sehe deinen Kummer wohl und auch seine Ursache, nämlich die Form, wie deine Schafe weiden. Jedes Schaf hat seine eigene Persönlichkeit, da kann man nicht einfach zwei verkuppeln. Sind sie sich ähnlich, streiten sie um jedes Blatt, doch sind sie verschieden, so verstehen sie einander nicht. Du musst Obacht geben, dass jedes Schaf einzeln steht und dass es fressen und saufen kann, wie es ihm beliebt. Das Einzelhüten ist eine Form, bei dem jedes Schaf auf einem extra für ihn bestimmten Wiesenstück weiden kann. Nur so kann es sich optimal entwickeln. Und schreibst du ihm nicht vor, was es fressen soll, dann lernt es die Selbständigkeit. So hast du als Hirte binnen fünf Tagen weniger Anstrengung beim Hüten.

HIRTE:
Ich glaube es nicht, aber ich muss es wohl versuchen.

SPRECHER:
Den ganzen Tag über hatte der junge Hirte zu tun, die Schafe einzeln von der Wiese der Erkenntnis fressen zu lassen. Immer wieder liefen sie zu Gruppen zusammen und schienen sich gegenseitig zu behindern. Einzeln gestellt, hatten sie plötzlich keine Lust mehr zu fressen und fingen an, miteinander laut über große Entfernungen hinweg zu kommunizieren. Dadurch wurden Raubtiere angelockt, und einige Schafe wurden gerissen, weil der Hirte nicht mehr alle unter Kontrolle hatte. Andere wussten plötzlich nicht mehr, wie sie fressen sollten, und fingen an zu hungern. Wieder andere fraßen schwerverdauliche oder sogar giftige Kräuter und bekamen große Beschwerden. Etliche fühlten sich durch die zunehmende Unruhe gestört und wurden aggressiv.

Wiederum am siebenten Abend schaffte es Radnerefer nicht mehr, die nun mageren Schafe mit stumpfer, zottiger Wolle zum Schlafplatz zu führen. Er schlief auf der Wiese bei seinen Schafen vor Erschöpfung ein. Als er erwachte, hatten sich die Schafe zu einer zufriedenen großen Herde zusammengefunden, fraßen gemeinsam, wurden bald fett und hatten wieder eine prächtige Wolle. Der junge Hirte hatte wohl selber im Schlaf etwas Gras von der Wiese der Erkenntnis gegessen, denn er sagte:

HIRTE:
Die Könige mögen vielleicht wissen, wie man junge Menschen hütet, jedoch vom Schafehüten haben sie keine Ahnung.

Und die Moral von der Geschicht':

Den Schafen hilft Didaktik nicht!
Bei Schülern musst du es  versuchen,
  willst du 'nen Lernerfolg verbuchen.

Lassen Sie auf sich wirken,  was Ihnen die "Könige" erzählen, aber seien Sie kritisch und kreativ!   Ohne das Vitamin Kreativität sterben pädagogische Weisheiten im Schulalltag   schnell.

Die Überlegenheit einer einzelnen Weideform, äh, Sozialform konnte bisher empirisch nicht nachgewiesen werden. Am vernünftigsten und effektivsten ist es,  im Unterricht  eine gute Mischung zu verwirklichen.


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Ausgearbeitet von:     Dr. Manfred Rosenbach -        letzte Änderung am: 15.01.08
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