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Erziehungsaufgaben der
Gegenwart
1.0 Einleitung
Paul HEIMANN beschreibt
eine fundamentale Aufgabe, die für die Bildungspolitik und -arbeit aus der
Heraufkunft (nicht dem 'Aufstand') der Massen" in der modernen Gesellschaft
folge.
Da sein Text bereits 38 Jahre alt ist,
gerät der Begriff Gegenwart in ein Spannungsverhältnis zu der Gegenwart, deren
Zeitgenossen wir im Jahre 2001 sind. Der Leser vermag also nicht nur die Gültigkeit der
Aussage, sondern auch den hellsichtigen Blick des Autors zu beurteilen.
2.0 Der Text
HEIMANN schreibt
(1963 S. 11 f.):
Worauf es ankommt, ist doch
offenbar dies, für die breiten Massen Formen und Möglichkeiten zur Realisierung der
postulierten Mündigkeit zu schaffen, sie die Mitverantwortung tragen zu lehren, die sie
durch ihren plötzlichen Eintritt in die Weltgeschichte' unfreiwillig übernommen
haben.
Eine solche Bildungsarbeit steht heute
grundsätzlich unter der doppelten Spannung:
- ob die ihr anvertrauten Massen den heute
an sie gestellten Bildungsanforderungen gewachsen sein werden (zumal das Misslingen dieses
geschichtlichen Experiments auch das Schicksal der Gesamtgesellschaft besiegeln würde),
- ob in der Drangsituation eiliger Lösungen
angesichts des Zusammenbruchs der alten Bildungsvorstellungen neue
Konzeptionen, die einerseits der veränderten Kulturlage, andererseits
neuartigen Bildungsansprüchen und der Mentalität der Betroffenen ausreichend
entsprächen, so schnell entwickelt werden können.
Angesichts einer solchen
bildungspolitischen Lage scheint mir ein gravierender Umstand die bedrohliche
Doppeltendenz der Gegenwartskultur zu sein, auf die Gehlen in einem 1956 erschienenen
Aufsatz aufmerksam gemacht hat:
die Tendenz zur Abstraktheit,
Gedanklichkeit, Unsinnlichkeit, die sich in voller Breite durch alle Wissenschaften,
Künste (ja auch sozialen Prozesse) erstreckt und die zu dieser Entsinnlichung und
intellektuellen Vergeistigung sich kompensatorisch verhaltende Hinwendung zu den
Bildern und brutalen Anschaulichkeiten des modernen Reklame-, Presse-, Film- und
Fernseh-Betriebes mit seinen primitiven Klischees und simplifizierten Formeln.
Die geistige Eingliederung der großen
Massen in eine so polarisierte Gesamtkultur steht nämlich unter einer doppelten
Bedrohung.
- Es besteht einmal die permanente Gefahr,
dass das Organ und die Bereitwilligkeit für die abstrakten Leistungen dieser Kultur in
den Massen nur unvollkommen entwickelt werden kann und deshalb ein großer Teil unserer
Lebenswelt mit ihrem komplizierten Zivilisations-Instrumentar unverstanden
bleibt.
- Es besteht die andere Gefahr,
dass die willige Hinwendung zu den brutalen optischen Reizen und Versuchungen der
Gegenwartskultur die Massen unter das in den Ordnungen der früheren Volkskultur bereits
erreichte Niveau der Humanisierung herabsinken lässt -
Gefahr der
Re-Barbarisierung.
Was heute auch von dem 'einfachen
schlichten Manne des Volke' in zunehmendem Maße an neuen Tugenden des Verhaltens
gefordert wird, ist folgendes:
- Intellektuelle Wachheit,
- Reflexionswilligkeit,
- Wendigkeit,
- Flexibilität,
- Selbstdistanzierung,
- moralische Selbstorientierung,
- Askese
- und Affektbeherrschung -
alles Bildungsansprüche, die bislang nur
bei der Erziehung von Eliten und ausgelesenen Menschengruppen eine Rolle gespielt haben.
Sie repräsentieren aber heute einen Bestand von Fähigkeiten, über den eigentlich jeder
moderne Mensch verfügen müsste, wenn er sowohl den unabdingbaren
Abstraktionsansprüchen eines zeitgemäßen Daseinsverständnisses als auch dem Andrang
inflatorisch angewachsener sinnlicher Reizmassen gewachsen sein sollte.
Jürgen HABERMAS hat in
einer interessanten Kritik des 'Rahmenplans' (sc. für Unterricht und Erziehung) darauf
hingewiesen, dass die labilen Strukturen der parteienstaatlichen Demokratie die Hebung des
allgemeinen Bildungsstandards zur gesellschaftlichen Notwendigkeit machen, da sich auf
der Basis der Dummheit Demokratie als Demokratie auf die Dauer nicht reproduzieren
kann. Urteilsvermögen gegenüber formalisierten gesellschaftlichen Prozessen sei auch von
den breiten Schichten der Bevölkerung zu verlangen."
3.0 Der Kontrast - eine aktuelle
Aussage
Das 43. Beiheft der Zeitschrift für
Pädagogik (2001) hat den Titel: Zukunftsfragen der Bildung". Hier gibt Dietrich
BENNER einen Überblick der Aufgaben von Bildung, die er in er in unserer Zeit
Zeit. Das bietet die interessante Möglichkeit, zwei Positionen zu vergleichen, die -
zeitlich um eine Generation getrennt - dasselbe Thema behandeln.
BENNER schreibt (S. 61 f.):
Zur Erziehung des modernen Menschen
gehört inzwischen eine auf alle Grundformen menschlichen Handelns ausgerichtete Bildung,
welche
- nicht nur Ökonomie und Politik,
- sondern auch Sitte, Pädagogik,
- Kunst und Religion umfasst.
Der moderne Mensch muss lernen,
- seine Subsistenz in einem immer noch
expandierenden System der Bedürfnisse
durch Tätigkeiten im Beschäftigungssystem zu sichern,
- seine Lebensformen und Bezugspersonen
selbst zu wählen,
- an der politischen Praxis nicht nur durch
Delegation des eigenen Willens auf andere, sondern mitdiskutierend, mitberatend und
mitentscheidend zu partizipieren,
- in von den anderen Praxisformen
freigestellten Räumen der Kunst
Welt ästhetisch zu erfahren
- und die eigene Endlichkeit und
Abhängigkeit vom Absoluten
in religiösen Praxisformen zu reflektieren."
4.0 Literaturnachweis
- Dietrich BENNER
Bildung und Demokratie
in:
Jürgens OELKERS (Hrsg.)
Zukunftsfragen der Bildung
Zeitschrift für Pädagogik
43. Beiheft 2001, S. 61 f.
- Paul HEIMANN
Zur theoretischen Grundlegung der Bildungsarbeit
an Oberschulen Praktischen Zweiges
in:
Ulrich KLEDZIK (Hrsg.)
Die OPZ in Berlin
Hannover 1963, S. 11 f.
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Ausgearbeitet von: Dr. Manfred Rosenbach -
letzte Änderung am: 15.01.08
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