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Täter und Opfer erkennen

1.0 Das Problemfeld

Wie in der einschlägigen Literatur berichtet wird, finden viele gewalttätige Übergriffe im Verborgenen statt. Da die Opfer durch massive Drohungen zu schweigen genötigt werden, erfahren Lehrer und Eltern oft erst spät oder gar nicht, dass es Gewalttätigkeiten gibt. Deshalb ist es wichtig, indirekte Anzeichen wahrzunehmen, zu erkennen und richtig zu deuten.

Dan OLWEUS hat einen Leitfaden vorgelegt (1995, S. 60 ff.), der die Erkennung möglicher Gewaltopfer- und -täter erleichtert. Als Bezugspunkt sei hier zunächst seine Definition von Mobbing wiedergegeben:

Ein Schüler / eine Schülerin wird gemobbt oder tyrannisiert, wenn er/sie wiederholt und über eine längere Zeit negativen Handlungen durch einen oder mehrere andere Schüler ausgesetzt ist.

Wie ernst Anzeichen genommen werden müssen, hängt wesentlich davon ab, wie oft sie auftreten.

2.0 Opfer sein - mögliche Anzeichen

2.1 In der Schule

Primäre Anzeichen

  • Kinder oder junge Leute, die gemobbt werden, können eines oder (gewöhnlich) mehrere der folgenden Anzeichen aufweisen:

  • Sie werden (wiederholt) auf hässliche Weise gehänselt, beschimpft (sie können auch herabsetzende Spitznamen tragen), verhöhnt, herabgesetzt, lächerlich gemacht, eingeschüchtert, entwürdigt, bedroht, herumkommandiert, tyrannisiert, unterdrückt.

  • Man macht sich über sie lustig und lacht sie aus - in herabsetzender und unfreundlicher Art und Weise.

  • Man reitet auf ihnen herum, stößt sie herum, schiebt sie beiseite, pufft sie, schlägt sie, tritt sie - und sie sind nicht fähig, sich selbst angemessen zu wehren.

  • Sie werden in   und    hineingezogen, in denen sie fast wehrlos sind und aus denen sie versuchen, sich zurückzuziehen (vielleicht weinend).

  • Ihre Bücher, ihr Geld und anderer Besitz werden ihnen weggenommen, beschädigt oder verstreut.
  • Sie haben Prellungen, Verletzungen, Schnitte, Kratzer oder zerrissene Kleidung, für die es keine natürliche Erklärung gibt; sie weisen außerdem einige der allgemeinen Merkmale auf, die unten unter 2.3 aufgeführt sind.

Sekundäre Anzeichen

  • Sie sind (oft) allein und ausgeschlossen von der Gruppe Gleichaltriger in den Pausen und beim Essen. Sie scheinen keinen einzigen guten Freund oder Freundin in der Klasse zu haben.

  • Sie werden bei Mannschaftsspielen als Letzte ausgewählt.

  • Sie versuchen, sich in der Pause in der Nähe des Lehrers oder der Lehrerin oder anderer Erwachsener aufzuhalten.

  • Sie haben Mühe, vor der Klasse zu sprechen und machen einen ängstlichen und unsicheren Eindruck.

  • Sie scheinen hilflos, unglücklich, deprimiert, den Tränen nahe zu sein.

  • Sie zeigen eine plötzliche oder allmähliche Verschlechterung ihrer Schulleistungen.

2.2 Zu Hause

Primäre Anzeichen

  • Sie kommen aus der Schule nach Hause mit zerrissenen oder unordentlichen Kleidern, beschädigten Büchern (und zeigen einige der Merkmale, die unter 2.3 unten aufgeführt sind).

  • Sie haben Prellungen, Verletzungen, Schnitte, Kratzer, für die sich keine natürliche Erklärung findet (und haben einige der allgemeinen Merkmale, die unter 2.3 unten aufgeführt sind).

Sekundäre Anzeichen

  • Sie bringen keine Klassenkameraden oder andere Gleichaltrige mit nach Hause nach der Schule und verbringen selten Zeit im Haus oder auf dem Spielplatz von Klassenkameraden.

  • Sie haben vielleicht keinen einzigen guten Freund oder keine Freundin, mit dem oder mit der sie ihre Freizeit verbringen (Spielen, Einkaufen, Sport und Musikunternehmungen, am Telefon schwatzen usw.).

  • Sie sind selten oder nie zu Partys eingeladen, und ihnen liegt vielleicht auch nicht daran, selbst Partys auszurichten (weil sie damit rechnen, dass niemand kommen will).

  • Sie scheinen morgens ängstlich oder widerwillig zur Schule zu gehen, haben keine Appetit, haben häufig Kopf- oder Magenschmerzen (besonders morgens).

  • Sie wählen einen   Weg zur und von der Schule.

  • Sie schlafen unruhig und haben schlechte Träume, weinen vielleicht im Schlaf.

  • Sie verlieren die Lust an Schularbeiten und bekommen schlechtere Zensuren.

  • Sie scheinen unglücklich, traurig, deprimiert zu sein oder zeigen unerwartete Stimmungswechsel mit Gereiztheit und plötzlichen Zornausbrüchen.

  • Sie verlangen oder stehlen zusätzliches Geld von der Familie (um die Tyrannen zu beschwichtigen).

2.3 Allgemeine Merkmale möglicher Opfer

Tyrannisierte Schüler und Schülerinnen sind oft in Situationen, wie sie beschrieben wurden, und neigen dazu, mehrere der oben aufgeführten spezifischen Reaktionen oder Verhaltensweisen zu zeigen. Außerdem weisen sie wahrscheinlich eines oder mehrere der folgenden allgemeinen Merkmale auf (von denen wir einige schon zuvor erwähnt haben):

  • Sie können körperlich schwächer sein als ihre Altersgenossen (gilt besonders für Jungen).

  • Sie können   haben: Sie fürchten sich, verletzt zu werden oder sich selbst zu verletzen, sind körperlich untüchtig bei Spielen, Sport und Kämpfen; sie haben eine schlechte Körperbeherrschung (das gilt besonders für Jungen).

  • Sie sind vorsichtig, empfindsam, still, zurückgezogen, passiv, untergeordnet und scheu, sie können leicht in Tränen ausbrechen.

  • Sie sind ängstlich, unsicher, unglücklich, besorgt, haben ein negatives Bild von sich selbst (mangelndes Selbstvertrauen); in gewissem Sinne   sie anderen, dass sie wertlos und unzulänglich sind.

  • Sie sind Menschen, die sich nicht wehren, wenn sie angegriffen oder beleidigt worden  sind.

  • Sie haben Mühe, sich in einer Gruppe Gleichaltriger durchzusetzen, sowohl körperlich als auch mit Worten und in anderer Weise; gewöhnlich sind sie nicht aggressiv, spöttisch oder herausfordernd (aber siehe unter 2.4).

  • Oft haben sie ein besseres Verhältnis zu Erwachsenen (Eltern, Lehrkräfte) als zu Gleichaltrigen.

  • Sie können gut, durchschnittlich oder schlecht in ihren Schulleistungen sein, sie erzielen gewöhnlich (aber nicht unbedingt) schlechtere Zensuren in den Unterklassen der weiterführenden Schulen.

2.4 Herausfordernde Opfer

Die meisten Opfer (die passiven Opfer) zeigen eines oder mehrere der allgemeinen Merkmale, die unter 2.3 aufgeführt sind. Es gibt jedoch noch eine weitere Kategorie von Opfern, die herausfordernden Opfer, die eine Kombination von ängstlichen und aggressiven Reaktionsmustern in verschiedener Ausprägung zeigen können.

Das Gewalttäter-/Gewaltopfer-Problem bei einem provozierenden Opfer ist oft dadurch gekennzeichnet, dass viele Schüler und Schülerinnen, vielleicht die ganze Klasse, am Mobben beteiligt sein können. Wie ihr eher passives Pendant kann das herausfordernde Opfer körperlich schwächer sein als andere Gleichaltrige (bei Jungen) und   haben. Allgemein ist dieser Typ wahrscheinlich ängstlich, unsicher, unglücklich und besorgt, mit einem negativen Selbstbild. Außerdem können die herausfordernden Opfer (die vor allem wahrscheinlich Jungen sind):

  • hitzköpfig und kampfbereit oder mit frechen Antworten zur Stelle sein, wenn sie angegriffen oder beleidigt werden, aber gewöhnlich ohne große Wirkung.

  • hyperaktiv, rastlos, unkonzentriert und allgemein angriffslustig sein und Spannung erzeugen; sie können ungeschickt und unreif mit ärgerlichen Angewohnheiten sein.

  • offensichtlich unbeliebt sein auch bei Erwachsenen, sogar bei ihrem Lehrer oder ihrer Lehrerin.

  • selbst versuchen, schwächere Schüler und Schülerinnen zu tyrannisieren.

3.0 Gewalttäter sein - mögliche Anzeichen

Kinder und junge Leute, die andere Schüler mobben, werden oft dabei beobachtet, wie sie - als Täter - an Tätigkeiten beteiligt sind, wie sie unter Primärzeichen in 2.1 beschrieben werden. In der Schule gilt für Gewalttäter typischerweise:

  • (Wiederholtes) Hänseln in hässlicher Weise, Verspotten, Einschüchtern, Bedrohen, Beschimpfen, zum Gespött Machen, lächerlich Machen, Herumstoßen, Schubsen, Schlagen, Treten und Beschädigen der Sachen von Mitschülern usw. (siehe alle Primärzeichen unter Punkt 2.1).

  • Sie können ein solches Verhalten gegenüber vielen Schülern und Schülerinnen an den Tag legen, aber sie suchen sich besonders schwächere und eher schutzlose Schüler als Ziel. Viele Mobber stiften auch ihre Gefolgsleute an, die   zu tun, während sie sich selbst im Hintergrund halten.

Jungen sind wahrscheinlich eher Mobber als Mädchen, aber es sollte auch zur Kenntnis genommen werden, dass Mobben durch Mädchen schwerer zu entdecken ist: Mobbende Mädchen verwenden typischerweise weniger offensichtliche, sondern eher   Schikanen wie üble Nachrede, Verbreitung von Gerüchten und Manipulation der Freundschaftsbeziehungen in der Klasse (z. B. einem Mädchen ihre   ausspannen). Gleichzeitig sollte betont werden, dass bis jetzt weniger über die typischen Merkmale des Mobbens bei Mädchen bekannt ist.

Zusätzlich zu den spezifischen Reaktionen und Verhaltensweisen, die oben genannt wurden, haben mobbende Schüler wahrscheinlich eines oder mehrere der folgenden allgemeinen Merkmale (so sollte zur Kenntnis genommen werden, dass verschiedene Missverständnisse oder   über die psychologische Natur des typischen Mobbers vorliegen:

  • Er / sie kann seinen / ihren Klassenkameraden und besonders Opfern an Körperstärke überlegen sein; er / sie kann gleichaltrig oder etwas älter sein als seine oder ihre Opfer; er / sie ist körperlich erfolgreich auf dem Spielfeld, im Sport und bei Kämpfen (das gilt besonders für Jungen).

  • Er oder sie hat ein starkes Bedürfnis, andere Schüler und Schülerinnen zu beherrschen und zu unterdrücken, sich selbst durch Macht und Drohung zu bestätigen und sich durchzusetzen; er / sie gibt mit seiner / mit ihrer tatsächlichen oder eingebildeten Überlegenheit über andere Schüler und Schülerinnen an.

  • Er oder sie ist hitzköpfig, leicht verärgert, impulsiv und hat eine niedrige Frustrationstoleranz; er / sie hat Mühe, sich an Regeln zu halten und Widerstände und Verzögerungen auszuhalten, versucht zu betrügen, um einen Vorteil für sich herauszuschlagen.

  • Im Allgemeinen leistet er / sie Erwachsenen gegenüber Widerstand, ist misstrauisch und aggressiv (auch gegenüber Lehrkräften und Eltern), kann auch Erwachsenen Angst einjagen (das hängt vom Alter und der Körperstärke des jungen Menschen ab), ist geschickt, sich in    herauszureden.

  • Er oder sie gilt als zäh, hartgesotten und zeigt wenig Mitleid mit Schülern und Schülerinnen, die gemobbt wurden.

  • Er / sie ist nicht ängstlich oder unsicher und hat typischerweise ein sehr positives Bild von sich selbst (durchschnittliches oder besser als durchschnittliches Selbstwertgefühl).

  • Er oder sie beginnt schon in recht frühem Alter (im Vergleich zu anderen Gleichaltrigen), sich auf andere Weise gesellschaftsfeindlich zu verhalten, wie zu stehlen, zu zerstören und sich zu betrinken, sich mit   einzulassen.

  • Er / sie kann bei seinen oder ihren Mitschülern durchschnittlich, über- oder unterdurchschnittlich beliebt sein, oder er oder sie hat meistens mindestens die Unterstützung einer kleinen Zahl Gleichaltriger; in den Unterklassen der weiterführenden Schule sind mobbende Schüler und Schülerinnen wahrscheinlich weniger beliebt als in der Grundschule.

  • Bezüglich der Schulleistungen kann er / sie durchschnittlich, unter- oder überdurchschnittlich in der Grundschule sein, während er in der Unterstufe der weiterführenden Schule gewöhnlich (aber nicht unbedingt) schlechtere Zensuren erhält und der Schule gegenüber eine negative Einstellung entwickelt.

 4.0 Literaturnachweis

Ausgearbeitet im Anschluss an:

  • Dan OLWEUS
    Gewalt in der Schule
    Was Lehrer und Eltern wissen sollten -
    und tun können
    Bern 1995
    Das Buch ist den Berliner Schulen im „Medienkoffer" zur Gewaltfrage zugegangen.

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Ausgearbeitet von:     Dr. Manfred Rosenbach -        letzte Änderung am: 15.01.08
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