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Jürgen Göndör

Entwurf für eine Unterrichtsstunde nicht geschlossenen Charakters

- Eine kritische Besprechung -

Ganz klar, der Unterricht ist kein offener Unterricht und beansprucht auch keiner zu sein. Die Wertungen zu den einzelnen Statements sind also keine Kritik, sondern sollen allein den gravierenden Unterschied zum Offenen Unterricht verdeutlichen.

Das Problem beginnt schon in der Vorbemerkung: 'Er (der Titel) trägt der Tatsache Rechnung, dass auch „offener" Unterricht weder ziel- noch plan- noch konzeptionslos sein darf, jedoch offen sein muss für nicht vorhergesehene und auch vorhersehbare didaktische und/oder erzieherische Chancen.'

Es geht nicht darum, offenen Unterricht dogmatisch als das allein selig machende Konzept absolut zu setzen – andererseits behauptet der Entwurf Tatsachen. Und hier muss aus der Sicht des Offenen Unterrichts widersprochen werden: Es sind keine unumstößlichen Tatsachen, sondern es ist schlicht die Sichtweise der traditionellen Unterrichtslehre, die hier als Voraussetzung absolut gesetzt wird.

Der Offene Unterricht hat aber einen Paradigmenwechsel vollzogen. Ganz wie in der Reformpädagogik wird die SchülerIn und ihr Lernen in den Mittelpunkt gestellt – und nicht irgend ein Thema aus dem Lehrplan.

Insofern ist diese 'Anleitung zum Entwurf einer Unterrichtsstunde' typisch für das Dilemma, was sich aus dem Offenen Unterricht mit der herkömmlichen Lehrerausbildung ergibt: Es muss 'offen' formuliert sein, aber doch Planungskompetenz der Auszubildenden nachweisen.

Intentionen

Das wird besonders in den 'Intentionen' deutlich: Hier geht es nicht um individualisiertes Lernen, sondern um Lerngleichschritt, wenn nach der Funktion der Stunde, nach dem Vorher und dem Nachher gefragt wird.

Feste Elemente: Auch hier ganz deutlich: der 'Sachzwang' und die 'Setzung durch den Lehrer' werden dem Lernenden Lehrer abverlangt – er wird nicht aus dem Ring entlassen und darf wirklich offenen Unterricht machen. Steuerungsabsichten des Lehrers Der Lehrer hat den Unterricht voll in der Hand. Es gibt kein Abweichen von der bestimmten Arbeitsrichtung, die (richtigen) Ergebnisse werden gesichert, es gibt Hinweise zur Weiterarbeit und zur effektiven Zusammenarbeit. Nicht das Lernen der SchülerInnen steht im Vordergrund, sondern die Lehrplanung. Es ist nicht wichtig, was für die SchülerInnen daraus erwächst, sondern nur, wie es nach Plan weitergehen soll. Effektive Zusammenarbeit findet nicht dann statt, wenn SchülerInnen in ihrem Sinn – oder auch im neurologischen Sinn – effektiv lernen, sondern wenn die vorgesehenen Ziele rasch erreicht werden.

Möglichkeiten für Abschluss oder Weiterführung

Eben weil es die SchülerInnen nicht brennend interessiert, was da verhandelt wird, eben weil bis zur nächsten Stunde in diesem Fach (!) viel verloren gehen kann (organisatorische [nicht pädagogische] Planung der Schule), müssen Ergebnisse festgehalten werden, Absprachen getroffen werden etc.

Der heimliche Lehrplan

'Demokratie ist alltagsuntauglich', 'Das Leben findet ausserhalb der Schule statt', 'Bella figura' (auch fachlich) ist besser als mitdenken'. usw. Wer es nicht glaubt, der verfolge einmal im Unterricht nicht das offizielle Geschehen, sondern achte einmal auch die Aktivitäten der SchülerInnen, ihre Blicke, ihre Handlungen. Wirklich dabei sind sie nur beim Schreiben, das erfordert viel Aufmerksamkeit und selbst da gibt es 1000 Wege der Vermeidung.

Offener Unterricht ist individualisiertes Lernen. Jeder arbeitet an seinen Zielen. Es gibt keinen Lehrplan und doch wird er übererfüllt. Man muss sich nicht vom anstrengenden Lernen erholen. Man ist mit Haut und Haar dabei – wenn man wirklich das lernen darf, was man will.

Natürlich ergibt sich das nicht von selbst. Vor allem dann nicht, wenn SchülerInnen schon Erfahrungen mit dem 'traditionellen Lernen' haben.

Sicherlich gibt es immer Wege von A nach B – nur muss man das als LehrerIn auch wirklich wollen und durchhalten. Sehr gut wäre ein konsequentes Coaching in dieser Übergangszeit. Sehr gut wäre auch, das mit der Klasse vorher zu besprechen und auch sich auch im Prozess auch immer wieder einmal zu vergewissern, wie der Versuch so ankommt. SchülerInnen werden nicht nur begeistert sein – auch sie betreten Neuland.

Ob es mehr Arbeit für den Lehrer ist oder nicht ist sicherlich ein unentscheidbarer Streit. Sicher ist nur, dass die Arbeit ganz anders ist. Nicht mehr: Wie komme ich von A nach B? Sondern: Was braucht heute Chem, wie kann ich Steffi helfen, damit sie selbst weiterkommt?

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